Hochzeit an der See - Die Vorgeschichte zu 'Ostseefrische' (eBook)

Eine Kurzgeschichte aus Rügen

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
69 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46217-1 (ISBN)
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Ostseesommer und eine dramatische Hochzeit von Elke Hellweg. Rügen im Sommer 1894: Im Bankettsaal des Binzer 'Kaiserhof' tummelt sich eine große Hochzeitsgesellschaft. Es wird getanzt, das Büffet biegt sich unter der Vielzahl an Köstlichkeiten. Köchin Berta Merten ist schwanger von ihrem spiel- und trunksüchtigen Ehemann, der kurz nach der Zeugung des Kindes starb. Justus, der Vater des Bräutigams, lobt Berta für ihre Kochkünste. Doch ihre Freude darüber währt nicht lange, denn plötzlich krümmt sie sich vor Schmerz, und alle geraten in Panik: Ihr Kind kommt auf die Welt! Kann das Ungeborene überleben? Schnell ist Hilfe zur Stelle, die zu einem überraschenden Schluss kommt ... Die dramatische Vorgeschichte zu Elke Hellwegs Rügen-Roman OSTSEEFRISCHE.

Dr. med. Elke Hellweg , Jahrgang 1959, ist Fachärztin für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Nach jahrzehntelanger Tätigkeit in eigener Praxis widmet sie sich nun vor allem dem Schreiben und übernimmt gelegentlich noch Vertretungen als Oberärztin an Psychosomatischen Kliniken. Elke Hellweg ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Berlin und im Rheinland.

Dr. med. Elke Hellweg , Jahrgang 1959, ist Fachärztin für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Nach jahrzehntelanger Tätigkeit in eigener Praxis widmet sie sich nun vor allem dem Schreiben und übernimmt gelegentlich noch Vertretungen als Oberärztin an Psychosomatischen Kliniken. Elke Hellweg ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und lebt in Berlin und im Rheinland.

»Schüd-del die Büx! Schüd-del die Büx!«

Eben noch hatten sich die Paare im Binzer Kaiserhof beim Walzer gewiegt, nun standen sie rings um die Tanzfläche und klatschten im Takt. Auch von den Tischen traten Gäste heran. Es ging auf Mitternacht zu, Zeit also für den Schüddelbüx. Auf Rügen erfreute er sich vor allem auf Hochzeitsfesten größter Beliebtheit. Dieser Trachtentanz hatte es in sich, denn so harmlos er auch begann: Seine Darbietung erforderte Mut. Und warum? Nun ja, das verriet schon der Name.

»Schüd-del die Büx! Schüd-del die Büx!«

Die Gäste klatschten und stampften, einige pfiffen gar auf den Fingern.

Brautvater August Wilke eilte zum Nebensaal, hier hielten die acht Tänzer eine letzte Probe ab.

Er steckte den Kopf durch die Tür. »Wo bleevt ehr denn? De Gäst wärrn rappelig. Nu maakt ma dallig.«

»Moment noch, Papa«, Jette band ihrer Schwester Paula die Schürze mit einem Doppelknoten, beim Tanzen durfte nichts verrutschen.

Man schrieb den letzten Tag im Juni anno 1894, einen Sonnabend. Bis zum Mittag hatte es geregnet, doch ganz so, wie es die Wetterwarte vorhergesehen hatte, hellte sich der Himmel bald auf und tauchte den Abend in goldwarmes Licht, das sich funkelnd in den sanften Kämmen der Ostseewellen brach. Inzwischen lag die Nacht wie eine tiefblaue Glocke über der Prorer Wiek. Die weit geschwungene Bucht und das benachbarte Mönchgut, eine Halbinsel im Südosten Rügens, galten als landschaftlich besonders reizvoll.

»De See gnabbelt an all Ecken und Enns«, sagten die Rüganer über ihre Heimat.

Wie recht sie damit hatten, bewies schon der Blick auf die Landkarte: Überall knabberte die Ostsee und schuf eine Küstenlinie, zerklüftet von Buchten und natürlichen Kanälen. Unersättlich zergliederte das Meer dieses Eiland in Tausende von Halb- und Nebeninseln, von Landengen und Nehrungen, Wieken und Kaps. An einigen Stellen schoben sich Landzungen vor den Inselkern. Dem dazwischenliegenden Gewässer fehlte der Zugang zur offenen See, dichtes Schilf malte eine Küste, als franste die Insel aus: der Bodden. Wasser und Land durchdrangen und umspielten einander, jede Grenze verwischte.

Henriette Wilke stammte aus Binz, der Fischerort galt als Tor zum Mönchgut. Mit zwölf Jahren, gleich nach der Schule, hatte Jette einen Entschluss gefasst: Sie wollte weiter lernen. Einen anständigen Beruf mit Gesellenbrief oder etwas Ähnlichem, aber kein Handwerk, denn dazu fehlte ihr das Talent. Vierzehnjährig verließ sie Rügen, um an der Berliner Charité die Kunst der Krankenpflege zu lernen. Damals dachte sie im Traum nicht daran, dass sie eines Tages nach Binz zurückkehren würde, um neu Fuß zu fassen: als Ehefrau von Dr. med. Konrad Behnfeld, Spross einer ansehnlichen Fabrikantenfamilie und demnächst Chefarzt eines eigenen Sanatoriums.

Geheiratet hatten die beiden schon vor einer Woche in Berlin und dort standesgemäß gefeiert. Standesgemäß – das hieß in diesem Fall: nobel! Die Großweberei Behnfeld & Söhne belieferte allerhöchste Kreise. Zur Heirat seines Jüngsten hatte Justus Behnfeld sich keine kleine Feier leisten können. Pomp und Prunk mussten her. Jettes Brautkleid mit einer drei Meter langen Schleppe bestand aus handgewebter weißer Atlasseide, und Konrad trug einen eleganten Frack aus feinstem schwarzem Kammgarn. So diente die Hochzeit eben auch als Werbung für die Behnfeld’sche Tuchfabrik. Nach der Trauung in der Elisabethkirche folgten ein Champagnerempfang, dann ein Bankett im Hotel Bristol am Boulevard Unter den Linden sowie anderntags eine kleine Soiree in den Geschäftsräumen der Firma.

Seit ihrer Verlobung vor drei Jahren verkehrte Jette bei den Behnfelds und hatte sich an den Luxus längst gewöhnt. An die Selbstverständlichkeit, mit der sich jeder Raum der Villa heizen ließ, die warmen Brausebäder und die Klosetts mit Wasserspülung. Doch diese Äußerlichkeiten bedeuteten ihr nicht viel. Es gab Wichtigeres im Leben, und das Allerwichtigste hatte nichts mit Geld zu tun, sondern mit Herz und Seele. So freute Jette sich auf einen Abend besonders: das Fest in ihrer Heimat mit Eltern, Schwester und den Freundinnen aus Jugendtagen.

Natürlich kam sie nicht mit Konrad allein. Dreißig Personen aus seinem Verwandten- und Freundeskreis reisten bequem per Zug und Trajektschiff auf die Insel. Trotz aller Standesunterschiede fanden die Gäste der Wilkes und der Behnfelds rasch zueinander. Ohne Vorbehalte begegneten sich Rüganer Handwerker und Berliner Hautevolee, vereint in dem Wunsch, Jette und Konrad gebührend zu feiern. Zwei wahrhaft prachtvolle Menschen hatte Gott Amor da zusammengeführt.

Auf Seidenrobe und Frack allerdings konnte das Brautpaar bei dieser Feier gut verzichten. Stattdessen hatten sie sich heimatliche Trachten schneidern lassen, den ganzen Abend verbrachten sie nun schon darin: Jette im schwarzen Miederkleid mit meerblauem Saumbesatz, weißer Schürze und Bluse sowie blau besticktem Busentuch, Konrad mit einer wadenlangen weißen Fischerhose über den schwarzen Stiefeln, dazu ein weißes Hemd und eine rot-blau gestreifte kurze Jacke.

»Schüd-del-büx! Schüd-del-büx!«

Dem Klatschen und Stampfen, Lachen und Rufen der Gäste konnten die Musiker sich nicht länger verweigern: Akkordeon und Klarinette spielten die Melodie an, und endlich eilten in Mönchguter Tracht die Tänzer heran: Jette und Konrad, Jettes Schwester Paula mit ihrem Krischan und zwei alte Schulfreundinnen samt Ehemännern.

»Nu danz schön, mien Konrad!«, rief Schwiegervater August. »Wi kieken, ob du’s ook recht maakst. Wie’n oller Binzer.«

Alle lachten, und Konrad rang sich ein Schmunzeln ab. Leicht fiel ihm das nicht, so nervös, wie er sich fühlte. Besonders die Einheimischen würden ihn heute ganz genau unter die Lupe nehmen. Er lebte ja noch gar nicht in Binz und trug dennoch schon die Tracht. Und nun auch noch dieser heikle Fischertanz. Aber gut: Wenn er stolperte, gäbe es wenigstens was zu lachen.

Die Paare stellten sich im Karree auf, Herr und Dame nickten einander zu, dann fassten alle acht sich an den Händen und gingen zur Musik im Kreis umher, erst nach rechts, dann nach links, dann paarweise durch die Mitte. Für einige Drehungen tauschte man den Partner, schließlich aber fand man sich wieder paarweise in der alten Position. Und nun gab es etwas zu staunen. O ja. Es wurde delikat, um nicht zu sagen frivol. Die Tänzer beugten sich vor, griffen in Kniehöhe ihre weiten Röcke und Hosen und schüttelten den Stoff, dabei wiegten sie ihre Hüften seitlich hin und her.

Aha. Eine Anspielung also. Die Zuschauer hoben vielsagend die Brauen oder zwinkerten sich zu. Die Berliner Gäste kannten den Tanz nicht, doch auch sie begriffen rasch, warum er Schüddelbüx hieß und besonders gut auf Hochzeiten passte.

Die Schritte begannen von Neuem, erst brav im Kreis, dann ein kurzes Drehen mit Partnerwechsel und das paarweise Schütteln und Wiegen. Und schließlich stand man sich wieder gegenüber: paarweise, ruhig und sittsam – läge da nicht ein verdächtiges Lächeln in den geröteten Mienen.

Die Instrumente verstummten, für einen Moment blieb es still, doch gleich darauf brach Jubel los. Die Gäste erstürmten das Parkett, um die mutigen Tänzer zu feiern.

Das höchste Lob galt selbstredend Jette und ihrem Konrad. Ja, dieser wackere Berliner war der Mönchguter Tracht würdig. Nur das Plattdeutsch müsse sein Schwiegersohn noch üben, meinte August. »Äwwer dat wärrt schon. Sölst man sehn, leev Jung.«

Schwager Krischan, Hausmeister im Jagdschloss Granitz und ein Kerl wie ein Baum, drückte die beiden auf ihre Stühle und winkte ein paar Männer heran. Gemeinsam hoben sie das Brautpaar wieder und wieder in die Luft. »Hoch sollen sie leben!«

Nach Minuten erst gönnte man Jette und Konrad festen Boden unter den Füßen. Auf einen Wink von Justus ließen zwei Kellner die Serviertabletts kreisen. Ein klarer Wacholder für die Herren, und für die Damen ein Likörchen. Kirsch, Mokka oder lieber Zitrone? Letzteres, der Limoncello, war eine Spezialität aus Italien. Man hielt auf sich im Kaiserhof. Das Hotel samt Restaurant, direkt neben dem Kurhaus, galt seit seiner Eröffnung als Rügens erste Adresse. Anfangs waren Inseltouristen vor allem nach Sassnitz gereist, inzwischen holte das Mönchgut auf: Binz, Göhren und Sellin mit den herrlichen Sandstränden. Das Erquickungsgewerbe blühte.

Vor dem Kaiserhof, mit unverbaubarem Blick dem Meer zugewandt, erstreckte sich die üppig begrünte Terrasse. Im Pulk der Gäste steuerte Konrad nach draußen. Auch Jette brauchte frische Luft und versprach, gleich nachzukommen. Vorher wollte sie noch zum sogenannten stillen Örtchen, das hier gar nicht so still war, denn ständig hörte man ein Rauschen, das allerdings nicht vom Meer kam. Das Kurhaus und der anliegende Kaiserhof gehörten im Ort zu den ersten Gebäuden mit Wasserklosett.

Jette zog die Metallschnur am Spülkasten und trat aus der Kabine, hier im Vorraum war sie allein. Wie die Toiletten verfügten auch die marmornen Waschbecken über eine automatische Wasserzufuhr, man brauchte nur den Hahn aufzudrehen, eine schwenkbare Glaskugel spendete parfümierte Flüssigseife.

Sie betrachtete sich im Spiegel. Frau Dr. med. Konrad Behnfeld. Dass sie einmal einen solchen Namen tragen würde, hatte sie in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet. Auch dann noch nicht, als ihr auf der internistischen Männerstation dieser junge Arzt gegenübergestanden hatte. So gepflegt und wohlerzogen, mit grauen Augen und schmalem dunkelblondem Kinnbart. Ernsthaft und dabei ein wenig schelmisch mit den widerspenstigen Strähnchen in der Mitte der Stirn. Ein Wirbel, wie er ihr später verriet, der sich selbst mit viel...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Arzt • Binz • Emanzipation • Frauenroman • Frühgeburt • Geburt • Große Gefühle • Historischer Roman • Krankenschwester • Kunstmaler • Kurzgeschichte • Liebesroman • Maler • Medizin • Neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts • Ostee • Ostseefrische • Sanatorium • Vorgeschichte
ISBN-10 3-426-46217-6 / 3426462176
ISBN-13 978-3-426-46217-1 / 9783426462171
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