Mord in Sussex (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
288 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12105-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mord in Sussex -  John Bude
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»Es sah ganz so aus, als hätte die Polizei es mit einem sorgfältig geplanten und raffiniert ausgeführten Mord zu tun, und mehr noch, mit einem Mord ohne Leiche!« Während der Herzog und die Herzogin von Sussex regelmäßig für Wirbel in der königlichen Familie sorgen, geht in der gleichnamigen Grafschaft an der englischen Südküste alles einen gemütlichen Gang. Prominent ragen die weißen Kalksteinfelsen, das Wahrzeichen der hügeligen Kreidelandschaft, über dem Meer auf. Doch dann passiert ausgerechnet hier ein Mord und fordert das Ermittlungsgeschick von Superintendent Meredith heraus ... Im beschaulichen Sussex, an der Südküste Englands, widmen sich die ungleichen Brüder John und William Rother dem traditionellen Kalkabbau. Ihr friedliches Farmleben wird jedoch empfindlich gestört, als John Rother bei einer Urlaubsreise plötzlich verschwindet und sein verlassenes, blutbeflecktes Auto inmitten einiger Ginsterbüsche gefunden wird. Wurde er gekidnappt? Superintendent Meredith wird gerufen, um Licht ins Dunkel zu bringen, doch die Indizien sind mager. Erst als Anatomieprofessor Blenkings die Bühne betritt, kommt Schwung in die Angelegenheit, denn dessen Bauarbeiter entdecken bei der letzten Kalksteinlieferung einen menschlichen Knochen. Schnell wird klar, dass just diese Kalksteinlieferung von der Chalkland Farm stammt. Superintendent Meredith führt die Spuren passgenau zusammen und zieht den Kreis um die Verdächtigen immer enger.

John Bude war das Pseudonym von Ernest Carpenter Elmore (1901-1957), der mehr als dreißig Kriminalromane verfasste. Elmore war Mitbegründer der britischen Crime Writers' Association und arbeitete als Produzent und Regisseur am Theater. 

John Bude war das Pseudonym von Ernest Carpenter Elmore (1901–1957), der mehr als dreißig Kriminalromane verfasste. Elmore war Mitbegründer der britischen Crime Writers' Association und arbeitete als Produzent und Regisseur am Theater.  Eike Schönfeld, geb. 1949, übersetzt seit über 30 Jahren englischsprachige Literatur, darunter von Joan Didion, Jeffrey Eugenides und Jonathan Franzen. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis der Leipziger Buchmesse. Er lebt in Paris.

Kapitel 2

Knochen


»Na, egal, was es ist, Mann«, sagte Ed apodiktisch, »eigentlich dürfte da gar nichts drin sein.«

»Ja, stimmt«, nickte Bill. »Lässt sich schlecht mischen, wenn da Brocken drin sind, die nicht im Kalk sein dürften. Verdirbt den Grus – erst recht den Mörtel.«

»Möcht sowieso mal wissen, was das überhaupt ist«, sagte Ed und hielt das fremdartige Ding hoch, das aus dem Kalksack in den großen Trog Sand gefallen war, in dem der Mörtel angerührt werden sollte. »Sieht mir ganz nach einem Stück Knochen aus, oder?«

»Menschenknochen«, ergänzte Bill in einer schaurigen Laune der Phantasie.

»Wohl eher Hundeknochen«, sagte Ed und warf den fraglichen Gegenstand auf einen Schutthaufen in der Nähe. »Jetzt steh nicht so rum – reich mal den Wasserkanister, dann mischen wir das Zeug.« Und mit einem vorwurfsvollen Blick: »Du mit deinem Menschenknochen. Was sind das denn für kriminelle Phantasien.« Dann, etwas heiterer: »Weißt du, Bill, solche Sachen – Überreste, könnt man sagen, die hat man auch schon an komischeren Stellen gefunden als in nem Sack ungelöschten Kalk. Ich hab mal von einem in Arundel gehört, der hat nen Menschenschädel in nem alten Kamin gefunden, den er abgerissen hat. War’n Normanne, haben sie gesagt – weiß der Himmel, woher die wussten, was der arme Teufel war, bloß von seinem Schädel.«

Ed spuckte in die schäumende Kalkbrühe, die er gerade mit Wasser ablöschte, dann rührte sein Kollege Sand hinein. Sie legten das Fundament eines neuen Flügels, der an Professor Blenkings’ »reizvollem Herrenhaus« an der Promenade von West-Worthing angebaut werden sollte. Dieser Herr, ein emeritierter Anatomieprofessor, schritt soeben vom Gartenhaus kommend, wo er sein Mittagsschläfchen beendet hatte, über den Rasen. Die lauten Stimmen der zwei Maurer lenkten ihn zurück zu der Erkenntnis, dass der neue Flügel nach monatelangen Streitereien mit seinem Architekten nun tatsächlich Gestalt annahm. Er fühlte sich umgänglich und folglich auch gesprächig.

»Tag, die Herren.«

Die beiden Arbeiter tippten sich grüßend an die Mützen.

»Tag, Sir.«

»Na, wie läuft’s?«

»So gut’s eben geht«, sagte Ed und zwinkerte Bill zu. »Aber mein Kumpel hier meint, er hat im letzten Packen Kalk, der vom Bauhof reingekommen ist, einen Menschenknochen gefunden.«

»Einen Menschenknochen!« Der Professor fingerte an seiner grünen Sonnenbrille. »Interessant. Sehr. Zufällig habe ich mich mein ganzes Leben lang mit Knochen befasst. Den würde ich mir gern mal ansehen.«

»Ich hab Sie bloß auf den Arm genommen, Sir. Das ist bloß der Rest von ner Hundemahlzeit, wenn Sie’s genau wissen wollen. Ich hab ihn auf den Haufen da geschmissen.«

Der Professor folgte Eds ausgestrecktem Arm mit den Augen, trat einen Schritt heran, spähte hin und stieß einen scharfen Ruf aus.

»Großer Gott! Sehr außergewöhnlich! Ihr Freund hat recht. Das ist ein Menschenknochen.« Er bückte sich, nahm das Exemplar in die Hand und drehte es prüfend herum. »Ein ausgewachsener männlicher Femur. Und auch noch fast intakt. Höchst interessant.«

»Femmer?«, fragte Ed, schob die Mütze zurück und kratzte sich am Ohr. »Was’n das?«

»Ein Oberschenkelknochen – der längste Knochen im menschlichen Skelett.«

»Und wie zum Teufel kommt ein menschlicher Oberschenkelknochen in den Sack mit dem ungelöschten Kalk? Das würd ich gern wissen«, sagte Ed nachdrücklich und fügte düster hinzu: »Und das sollten wir auch wissen, Sir. Das sehn Sie doch, oder?«

»Ungewöhnlich ist es jedenfalls, da haben Sie recht.«

»Mehr noch, Sir – das ist mehr als das. Viel mehr. Sehn Sie das nicht?«

Ed war nun zutiefst aufgewühlt.

»Was soll ich sehen?« Der Professor war von der Vehemenz des anderen etwas verwirrt.

»Dass das ne Sache für die Polizei ist«, forderte Ed. »Vielleicht gibt’s eine natürliche Erklärung dafür. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist der Femmer nicht zufällig in den Kalksack reingekommen. Vielleicht ist es ja –«

»Ja – vielleicht ist es Mord!«, schrie Bill, entschlossen, Eds dramatischer Enthüllung zuvorzukommen.

»Mord!«, rief der Professor ungläubig aus. Er hatte sich so viele Jahre mit Menschenknochen beschäftigt, dass er fast vergessen hatte, dass Menschenknochen, mit Fleisch umhüllt, umherliefen, sprachen und atmeten.

»Ja«, nickte Ed. »Wenn einer einen kaltgemacht hat, dann muss er doch die Leiche loswerden, nich?«

»Also müsste man –«, begann der Professor, nun richtig verstört. »Sie meinen, ich sollte die Polizei verständigen?«

Ed sagte emphatisch: »Allerdings, Sir. Und zwar sofort. Wir wollen ja nicht, dass wir deswegen Ärger kriegen, stimmt’s, Bill?«

»Dann rufe ich an! Ich rufe sofort auf der Wache an.« Und schon trabte der Professor zum Haus, den Oberschenkelknochen wie einen Schirm unter den Arm geklemmt. »Herrje! Mord. Höchst interessant.« Im Flur begegnete er der Haushälterin und hielt ihr den Knochen unter die Nase. »Das ist Mord, Harriet. Sagen die Arbeiter. Ich muss die Polizei anrufen. Wir wollen deswegen keinen Ärger haben.«

Zwanzig Minuten später befragte Sergeant Phillips von der Stadtpolizei Worthing die kleine Gruppe im Garten. Seine Fragen waren knapp und präzise. Fünf Minuten darauf hatte er alles Nötige beisammen und in sein Büchlein notiert. Die Männer arbeiteten für die Baufirma Timpson & Son in der Steyne Road. Sie hatten keine Ahnung, wo Timpson seinen Kalk einkaufte, aber Fred Drake, der Vorarbeiter, werde ihm weiterhelfen können. Der Professor erklärte, er habe den Knochen sogleich als einen Femur erkannt. Seiner Ansicht nach sei der Knochen an beiden Enden mit einer chirurgischen Säge durchschnitten worden, wahrscheinlich, um ihn vom restlichen Körper zu trennen. Er habe keine Ahnung, wie alt der Knochen sein könne, fest stehe aber, dass er zu einem männlichen Erwachsenen mittlerer Größe gehört habe. Natürlich sei es schwierig, die ursprüngliche Statur eines Mannes allein anhand des Knochenbaus zu bestimmen. Es sei nicht zwangsläufig so, dass der Femur eines dicken Mannes größer als der eines dünnen Mannes sei. Das alles sei eine ganz außerordentliche Sache – beispiellos, meinte der Professor, und er hoffte aufrichtig, dass der Grund für das Vorhandensein des Knochens in dem Sack kein Verbrechen sei.

Bei Timpson traf der Sergeant den Vorarbeiter am Wasserhahn an, wo er sich gerade die Hände wusch.

»Fred Drake?«

»Der bin ich.«

»Ich bräuchte mal eine Auskunft.«

»Schießen Sie los.«

»Der Sack Kalk, der heute Morgen zu Professor Blenkings’ Haus an der Promenade geliefert wurde – wo kam der her?«

»Rother«, sagte der Vorarbeiter. »Rother in Washington. Kennen Sie die?«

Der Sergeant nickte. Mehr noch, er wusste auch vom Verschwinden John Rothers. Für ihn sah es ganz so aus, dass der Oberschenkelknochen, den er in Packpapier gewickelt unter dem Arm trug, der Grafschaftspolizei übergeben werden musste. Der Nebel lichtete sich schon. Fast instinktiv hatte er diese Verbindung gezogen.

»Wann ist diese Ladung reingekommen?«

»Gestern. Anderthalb Yard.«

»In Säcken?«

»Nein – unsere Leute füllen ihn je nach Bedarf in Säcke. Wir kippen ihn in den großen Schuppen da drüben.«

»Wurde davon noch mehr benutzt?«

»Nein.«

»Gut – dann sorgen Sie dafür, dass der Schuppen verschlossen und der Kalk nicht angerührt wird, bis wir uns wieder bei Ihnen melden, Mr. Drake. Zu gegebener Zeit wird man das Mr. Timpson vom Revier aus erklären. Danke für die Auskunft. Schönen Tag noch.«

Superintendent Meredith pfiff in den Hörer, als die Nachricht aus Worthing eintraf.

»Daher weht also der Wind, wie? Passen Sie auf, Sergeant. Ich komme gleich vorbei und hole den Knochen ab. Bis dahin lassen Sie den Kalkhaufen bei Timpson von einem Ihrer Leute durchsieben. Sollte noch mehr auftauchen, dann rufen Sie diesen Professor an und sagen ihm, er soll sich mit uns um achtzehn Uhr bei Ihnen treffen.«

Im Streifenwagen Richtung Worthing begann Meredith, Hawkins weitgehend ignorierend, seine Sicht der Dinge diesem neuen Aspekt anzupassen. Er hegte keinen Zweifel, dass der Oberschenkelknochen zu John Rother gehörte – es war vollkommen undenkbar, dass diese beiden außergewöhnlichen, ja sensationellen, mit den Rothers verbundenen Faktoren nicht in Beziehung zueinander standen. Ein Mann namens Rother wird an einer einsamen Stelle...

Erscheint lt. Verlag 13.3.2021
Reihe/Serie British Library Crime Classics
British Library Crime Classics
Übersetzer Eike Schönfeld
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Agatha Christie • Anatomie • Britcrime • Brüder • Cosy Crime • Dover • England • Grafschaft • Kalkstein • Knochen • Krimiklassiker • Küste • Sommerkrimi • Superintendent Meredith • Verrat
ISBN-10 3-608-12105-6 / 3608121056
ISBN-13 978-3-608-12105-6 / 9783608121056
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