Bluteiche (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
432 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45630-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bluteiche -  Anders de la Motte
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In der Walpurgisnacht 1985 wird ein 16jähriges Mädchen im Wald neben einem Schloss in Österlen ermordet. Alles wirkt, als habe man sie bei einem Ritual geopfert. Ihr Stiefbruder wird schließlich für die Tat verurteilt, und kurz darauf verschwindet die ganze Familie spurlos. Im Frühling 2019 zieht die Ärztin Thea Lind im Schloss ein. Nachdem sie einen seltsamen Fund in einer uralten Eiche gemacht hat, steigt ihre Faszination für die Tragödie aus der Vergangenheit, die sich direkt neben ihrem neuen Zuhause zutrug. Je mehr Ähnlichkeiten sie zwischen der Kindheit des getöteten Mädchens und ihrer eigenen schmerzhaften Vergangenheit entdeckt, desto mehr ist sie überzeugt davon, dass die Wahrheit über diese Nacht nie ans Licht kam. Und dass der Frühling 1985 vielleicht mehr Opfer gefordert hat ... Der letzte eigenständige Kriminalroman von Anders de la Mottes hochgelobtem Jahreszeiten-Quartett, in dem er seine Leser in die schaurig schöne Abgeschiedenheit Südschwedens mitnimmt. Die Vorgänger SOMMERNACHTSTOD, SPÄTSOMMERMORD und WINTERFEUERNACHT wurden alle für den Preis als Schwedens bester Krimi nominiert.

Anders de la Motte, geboren 1971, arbeitete mehrere Jahre als Polizist in Stockholm und in der Security-Branche, bevor er Schriftsteller wurde. 2010 erhielt er für sein Debüt Game den Preis der Schwedischen Akademie der Krimiautoren. Sein Roman UltiMatum wurde 2015 als bester schwedischer Kriminalroman ausgezeichnet. In Schweden sind seine Romane Nummer-1-Bestseller. Mit Sommernachtstod gelang ihm auch in Deutschland der Sprung auf die Bestsellerliste. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Malmö.

Anders de la Motte, geboren 1971, arbeitete mehrere Jahre als Polizist in Stockholm und in der Security-Branche, bevor er Schriftsteller wurde. 2010 erhielt er für sein Debüt »Game« den Preis der Schwedischen Akademie der Krimiautoren. Zuletzt erschienen von ihm die Romane »Sommernachtstod«, »Spätsommermord« und »Winterfeuernacht«. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Malmö.

Prolog


19. Mai 1986

Sobald Klein-Stefan in das Sumpfgebiet fuhr, musste er an das tote Mädchen denken. Er konnte einfach nicht anders. Die Gerüchteküche, die schon am Morgen des ersten Maitages in Gang gesetzt worden war, hatte in den letzten Wochen für einige Aufregung in der Gegend gesorgt und seinen Kopf mit entsetzlichen Bildern gefüllt, gegen die er sich nicht wehren konnte.

Ihr lebloser Körper auf dem Opferblock mitten im Steinkreis. Das weiße Kleid, die offenen Haare. Die über der Brust gekreuzten Hände mit den zwei Hirschgeweihen zwischen den steifen Fingern. Das einst so schöne Gesicht von einem blutigen Tuch bedeckt, als ob derjenige, der sie getötet hatte, ihr hinterher nicht in die Augen schauen wollte.

Die meisten Bewohner von Tornaby waren sich schon absolut sicher darin, wer sie ermordet hatte und dass das Ganze eine scheußliche, aber einfache Geschichte war. Eine Familientragödie. Aber es gab auch einige, die hinter vorgehaltener Hand behaupteten, dass sich in der Walpurgisnacht, am dreißigsten April, in Wirklichkeit etwas ganz anderes zugetragen hatte. Dass es vielleicht der Grüne Mann leibhaftig war, der sich sein Frühlingsopfer geholt hatte.

Obwohl er lange Zeit an Spukgeschichten geglaubt hatte, bekam Klein-Stefan eine Gänsehaut. Sumpfwald umschloss den schmalen Schotterweg und schlug mit seinen langen, grünen Fingern gegen den Autolack. Von allen Ländereien, die zum Schloss gehörten, mochte er den Sumpf am wenigsten. Er verabscheute die Feuchtigkeit dort, den Verwesungsgeruch und den wassergetränkten Untergrund, der dich in einem Moment trug, um im nächsten deine Stiefel so tief in den Schlamm zu ziehen, dass selbst ein erwachsener Mann Mühe hatte, alleine wieder herauszukommen. Der Sumpf ist das Reich des Grünen Mannes, beschwor sein Großvater immer. Die Menschen tun gut daran, sich von dort fernzuhalten. Der abergläubische alte Griesgram hatte wohl nicht ganz unrecht.

Der Schotterweg, dem Klein-Stefan folgte, führte tief in den Sumpf hinein nach Svartgården, dem Hof, auf dem das tote Mädchen gewohnt hatte. Vor etwa einem Monat hatte er sie noch zur Bushaltestelle mitgenommen. Sie hatte hier im Pick-up gesessen, auf dem Beifahrersitz, direkt neben ihm. Sie hatte nicht sehr viel gesagt, schien in Gedanken versunken. Klein-Stefan hatte sie heimlich beobachtet, ihre Bewegungen verfolgt, ihr Gesicht betrachtet. Und plötzlich hatte ihn ein Gefühl überkommen, das er sich damals nicht richtig erklären konnte.

Er war verheiratet, hatte zwei kleine Töchter, Haus, Auto und einen guten Job, alles Dinge, die er normalerweise schätzte, die aber in diesem Moment, als er neben diesem schönen Mädchen saß, auf einmal erdrückend wirkten. Sein Leben war bereits abgesteckt: eine lange, vorhersehbare Reise, ohne einen Hauch des Verlockenden und Verbotenen, das von dem Mädchen ausging, ja, wonach sie sogar roch. Süß und säuerlich wie frisch ausgetriebener Flieder. Ein Duft, der Sehnsucht weckte. Begehren.

Als sie einmal weggeschaut hatte, war er kurz davor gewesen, seine Hand auszustrecken und ihren Arm zu streicheln. Als könnte er mit einer leichten Berührung an all dem teilhaben, was ihm entging. Im letzten Moment hatte er sich zurückgehalten, aber das Gefühl, etwas verloren zu haben, hatte ihn noch mehrere Tage lang begleitet.

Der Schotterweg wurde schlechter, je weiter er in den Sumpf hineinfuhr, und Klein-Stefan tat sein Bestes, um den tiefsten Schlaglöchern auszuweichen. Lasse Svart sollte die Straße instand halten, so war es im Pachtvertrag vermerkt, aber das war ihm natürlich vollkommen egal. Lasse hatte sich jahrelang darauf verlassen können, dass der Graf niemals einen anderen Pächter finden würde, dass keiner an ein paar Dutzend Hektar feuchten Sumpfwalds interessiert wäre, und er deshalb auf Svartgården im Prinzip tun und lassen konnte, was er wollte. Er hatte dort sein eigenes kleines Königreich, in sicherer Entfernung von Gesetzen, Vorschriften und neugierigen Blicken.

Aber das war vor der Walpurgisnacht gewesen. Bevor Lasse Svarts sechzehnjährige Tochter erschlagen auf dem Opferstein gefunden worden war, der Boden um sie herum voller Hufabdrücke.

In der Walpurgisnacht ist der Grat zwischen Leben und Tod am schmalsten. Alles ist in Bewegung, die Natur ist hungrig, und der Grüne Mann reitet durch die Wälder.

Er unterdrückte ein erneutes Schaudern.

Der Wald öffnete sich, und er fuhr auf den lehmigen Vorplatz von Svarts Hof. Drei heruntergekommene Gebäude standen geduckt unter den Bäumen in der Dunkelheit, als versuchten sie sich zu verstecken. Zwischen den Brennnesseln lagen verrostete Landwirtschaftsgeräte.

Er hatte Svartgården schon einige Male besucht, meist in Begleitung des Schlossverwalters, Erik Nyberg, und jedes Mal war ihnen ein Rudel kläffender Terrier entgegengesprungen, noch bevor er den Wagen geparkt hatte. Jetzt waren keine Hunde zu sehen. Alles war still und leer. Nicht einmal die Vögel machten auf sich aufmerksam, obwohl es ein Frühlingsmorgen war. Stattdessen lag eine seltsame, bedrückende Ruhe über dem Hof.

Klein-Stefan blieb einen Moment neben dem Wagen stehen und schob sich eine Prise Snus unter die Lippe, während er darauf wartete, dass Lasse oder eine seiner Frauen den Kopf aus dem Wohnhaus steckten und wissen wollten, was zum Teufel er hier zu suchen hatte. Aber alles blieb dunkel und still. Lasses roter Pick-up war weg, er stand weder auf dem Hof noch im Fahrzeugschuppen, und der alte, klapprige Ford, mit dem die Frauen normalerweise herumfuhren, war auch nicht zu sehen. Er schaute auf die Uhr. Halb acht Uhr morgens. Wer war denn so früh schon unterwegs?

Aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr. Ein kleiner Hund schaute an der Schmiede um die Ecke. Er war noch ganz jung, kaum mehr als ein Welpe.

»Komm her!«, rief Klein-Stefan, ohne richtig zu wissen, warum.

Der Hund machte ein paar vorsichtige Schritte nach vorne, hielt Kopf und Körper dabei gesenkt und klemmte den Schwanz ängstlich zwischen die Beine. Dann blieb er plötzlich stehen und erstarrte, als ob er etwas gehört hätte.

Klein-Stefan drehte den Kopf, aber das Wohnhaus sah noch immer dunkel und still aus. Als er sich wieder dem Hund zuwandte, war dieser verschwunden.

Auf halber Treppe zum Wohnhaus hinauf bemerkte er, dass die Haustür nur angelehnt war. Er blieb auf der Betonstufe stehen und wusste nicht genau, was er tun sollte. An der Wand neben der Tür hing eine etwa fünfzig Zentimeter große Figur, die aus grünen Zweigen geflochten war. Sein Großvater hatte auch jedes Jahr so eine Figur gemacht und an die Haustür gehängt.

Damit der Grüne Mann heute Nacht weiterreitet und nicht an unserem Haus stehen bleibt.

»Hallo! Ist jemand zu Hause?«

Die Worte prallten von den Hauswänden ab und kehrten als verzerrtes Echo wieder. Als ob die Stimme jemand anderem gehörte, jemandem, der ihn aus der Dunkelheit und dem grünen Dickicht heraus beobachtete, ihn nachäffte und sich einen Spaß mit ihm erlaubte.

Klein-Stefan schielte zu der unheimlichen Figur aus Zweigen, und einen Moment lang war er kurz davor, die Treppe wieder hinunterzusteigen, sich in seinen Wagen zu setzen und wegzufahren. Er könnte Erik Nyberg sagen, dass niemand zu Hause gewesen wäre und die Ablesung des verdammten Wasserzählers warten musste. Aber er war ein erwachsener Mann, der seine Arbeit zu erledigen hatte, und kein kleiner Bub mehr, der sich vor Spukgeschichten fürchtete.

Er klopfte an die Tür.

»Hallo!«, rief er noch einmal. »Ist jemand zu Hause? Hier ist Klein-Stefan, vom Schloss.«

Keine Antwort.

Die Stille, die vom Haus ausging, verstärkte sein Unbehagen, er begann zu schwitzen, sein Hemd klebte ihm am Rücken. Er holte tief Luft, klopfte noch einmal, stärker jetzt. Dann öffnete er die Tür ganz und betrat den Flur. Das Haus roch seltsam. Er vernahm einen muffigen, tierischen Geruch, den er nicht richtig einordnen konnte.

»Hallo?«

Er schaute in die Küche. Auf dem Küchentisch standen benutzte Teller, Gläser und Besteck von drei Personen. Ein paar Fliegen schwirrten um die Essensreste. Hinter dem Tisch war einer der Stühle umgefallen. Klein-Stefan drehte sich um. Durch die Türöffnung auf der anderen Seite des Flurs sah er ein ordentlich gemachtes Bett.

»Hallo!«, rief er, diesmal in Richtung Obergeschoss.

Noch immer keine Antwort. Sein Unbehagen wuchs, aber er riss sich zusammen und stieg die steile Treppe hinauf. Die Stufen knarrten unter seinen Stiefeln.

Das obere Stockwerk lag im Dunkeln. Links gab es ein Schlafzimmer mit einem Doppelbett, genauso ordentlich gemacht wie das im Untergeschoss. Die Tür auf der rechten Seite war geschlossen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er erkannte, dass sie nicht einfarbig grün, wie er zunächst gedacht hatte, sondern von einem sorgfältig gemalten Blätterwerk überzogen war. Fast wie ein Kunstwerk.

Elitas Zimmer hatte jemand in schönen, verschlungenen Buchstaben in Augenhöhe daraufgeschrieben.

Hier drin hatte sie gewohnt. Hier hatte sie gelebt.

Elita Svart. Das Frühlingsopfer.

Klein-Stefan legte die Hand auf die Türklinke, glaubte seinen Herzschlag durch die Räume hallen zu hören. Er war auf dem Weg, etwas Verbotenes zu tun, in eine Welt einzudringen, zu der er eigentlich keinen Zutritt hatte. Ein ungebetener Gast, ein Eindringling.

Da bemerkte er einen zweiten Text auf der Tür. Kleine, verzerrte Buchstaben, die sich fast mit dem Blätterbild vermischten, aber immer deutlicher hervortraten, je mehr sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten.

Die Natur ist hungrig, der Grüne Mann reitet durch die Wälder.

Zugleich entdeckte er noch...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2021
Übersetzer Marie-Sophie Kasten
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
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ISBN-10 3-426-45630-3 / 3426456303
ISBN-13 978-3-426-45630-9 / 9783426456309
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