Das Dekameron. Ausgewählt und übersetzt von Klabund (eBook)

Ausgewählt und übersetzt von Klabund
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
288 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-27904-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Dekameron. Ausgewählt und übersetzt von Klabund -  Giovanni Boccaccio
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In Giovanni Boccaccios »Il Decamerone«, entstanden um 1350, zeigt sich in ebenso stilbildender wie berauschender Weise die für die italienische Renaissance so typische sinnliche Lebenslust. Ursprünglich enthält der Zyklus hundert Geschichten, Parabeln und Fabeln, die sieben Frauen und drei Männer einander auf ihrer gemeinsamen Flucht vor der Pest erzählen. Aus diesem zeitlos reichen Novellenschatz hat der deutsche Dichter Klabund (1890-1928) die dreißig schönsten Erzählungen ausgewählt und auf kongeniale Weise ins Deutsche übertragen.

Giovanni Boccaccio (1313-1375) wuchs in Florenz auf und absolvierte in Neapel eine kaufmännische Lehre. Aus Widerwillen gegen den Kaufmannsberuf begann er ein Jurastudium, welches er jedoch nicht abschloss. In Neapel verkehrte er am Hof des Königs. 1340 kehrte er nach Florenz zurück und arbeitete dort als Richter und Notar. Unterbrochen von zahlreichen Reisen mit seinem Freund Petrarca und Aufenthalten in Mailand, Venedig, Neapel und Rom verbrachte er den Rest seines Lebens zurückgezogen auf seinem Landgut bei Florenz.

Boccaccio ist einer der bedeutendsten Erzähler der europäischen Literatur. Sein weltberühmtes Hauptwerk, 'Das Dekameron' mit seiner einzigartigen Erzählkonstruktion, setzte Maßstäbe für die Gattung der Novelle.

Sooft ich in meinem Herzen bedenke, holde Leserinnen, wie sehr Sie alle von Natur zum Mitleid geneigt sind, so oft überzeuge ich mich, dass Sie den Anfang dieses Buches schwer und trübselig finden müssen; denn es trägt die schmerzliche Erinnerung an jene mörderische Pest an der Stirn, die kürzlich einen jeden in Trauer gestürzt hat, der ihre Verheerung selbst gesehen oder von ihren jammernswerten Wirkungen gehört hat.

Allein ich sähe doch nicht gern, ließen Sie sich dadurch abschrecken, weiterzulesen, als hätten Sie etwa nichts anderes als Tränen und Seufzer in dem Buch zu erwarten. Dieser schreckliche Eingang sei Ihnen vielmehr nur das, was dem Wanderer ein rauer, schroffer Berg ist, hinter dem eine angenehme, reizende Ebene liegt, die ihm um desto mehr Vergnügen gewährt, je mehr ihn das beschwerliche Auf- und Niederklettern ermüdet hat. Und wie das Übermaß der Freude oft in Traurigkeit endet, so folgen hingegen neue Freuden auf überstandenes Leid.

Auf eine kurze Trauer (ich nenne sie kurz, weil sie nur wenige Zeilen in Anspruch nimmt) folgt denn auch hier unmittelbar die süße Lust, die ich Ihnen oben versprochen habe, und die man vielleicht nach einem solchen Anfang nicht erwarten möchte, wenn es nicht vorausgesagt würde. In der Tat, wenn ich Sie auf eine schickliche Art durch einen andern Weg als auf diesem beschwerlichen Pfade dahin hätte führen können, wohin ich wollte, so hätt’ ich es gerne getan. Weil ich aber ohne diese Erinnerung nicht zeigen könnte, warum das, was man hernach lesen wird, geschah, so füge ich mich, gewissermaßen durch die Not gedrungen, zu dieser Beschreibung.

Ich sage also, dass nach der gnadenreichen Menschwerdung des Sohnes Gottes schon eintausenddreihundertachtundvierzig Jahre vergangen waren, als in der prächtigen Stadt Florenz, die alle übrigen Städte in Italien an Schönheit übertrifft, die mörderische Pest ausbrach, die entweder durch die Einwirkung der höheren Weltkörper verursacht oder aus gerechtem Zorn Gottes über unsere Bosheit als eine Züchtigung über uns Sterbliche verhängt ward, und die schon einige Jahre früher in den Morgenlanden begonnen, eine zahllose Menge der Lebendigen hingerafft und dann, unaufhaltsam von Ort zu Ort gegen Abend fortschreitend, auf eine schreckliche Weise um sich gegriffen hatte.

Hier half nun weder menschliche Kunst noch Vorsicht, ob man gleich eigens Beamte bestellte, die alle Unsauberkeit aus der Stadt wegschaffen mussten, einem jeden Kranken den Eingang in die Tore verwehrte, auf allerhand Mittel bedacht war, um die Gesundheit zu verwahren, und nicht nur einmal, sondern mehrmals demütige Gebete zu Gott aufschickte, sowohl durch Veranstaltung feierlicher Umgänge, als sonst durch die Gläubigen. Bei Frühlingsanfang des gedachten Jahres zeigte die Pest ihre verheerenden Wirkungen auf eine fürchterliche und seltsame Weise und nicht so wie im Morgenlande, wo das Nasenbluten bei einem jeden Vorbote eines unvermeidlichen Todes war. Hier zeigte sich im Anfange gleichmäßig bei Männern und Frauen eine Geschwulst in den Weichen oder in den Armhöhlen, die bei einigen so groß ward wie ein gemeiner Apfel, bei andern wie ein Ei, bei einigen in größerer, bei anderen in kleinerer Anzahl, und die der Volksmund Pestbeulen nannte. In kurzer Zeit verbreiteten sich diese von jenen Teilen des Leibes über alle Übrigen unterschiedslos. Hernach veränderte sich die Krankheit in ihren Erscheinungen, und es zeigten sich schwärzliche und schwarze Flecken an den Armen, den Lenden und überall am ganzen Leibe. Bei einigen waren diese Flecken groß und in geringer Anzahl, bei andern kleiner und häufiger, und so wie vorhin die Beule ein sicheres Zeichen des nahenden Todes gewesen und bei manchem noch war, so waren es jetzt diese Flecken bei einem jeden, an dem sie sich zeigten. Diese Krankheit zu heilen, schien die Kunst keines Arztes und die Kraft keines Heilmittels zu vermögen oder zu bewirken. Sondern entweder, weil die Natur des Übels es nicht zuließ, oder wegen der Unwissenheit der Ärzte, deren Zahl (die wirklich erfahrenen ungerechnet) an Frauen und Männern, die nie den geringsten Unterricht in der Heilkunde genossen hatten, überaus stark angewachsen war, die aber, da sie den Gang der Krankheit nicht kannten, auch nicht die rechten Mittel dawider anzuwenden wussten, kamen sehr wenige davon; die meisten starben schon am dritten Tage nach Erscheinen obiger Zeichen, einige früher, andere später, ohne Fieber oder andere Zufälle. Diese Pest war um desto verderblicher, da sie von den Kranken den Gesunden, die mit ihnen umgingen, so schnell mitgeteilt ward, wie das Feuer dem Trockenen oder Fetten, dem es sich nähert. Und was noch schlimmer war, nicht nur durch das Reden und durch den Umgang mit den Kranken wurden die Gesunden angesteckt und Opfer eines gemeinschaftlichen Todes, sondern die Berührung der Kleider und Gewänder, die die Kranken gebraucht oder angerührt hatten, schien diese Krankheit fortzupflanzen. Was ich bei dieser Gelegenheit erzählen will, ist wunderbar zu hören, und wenn ich es nicht selbst, nebst vielen andern Leuten, mit Augen gesehen hätte, so wagte ich kaum, es zu glauben, viel weniger, es niederzuschreiben, wenn es mir auch glaubwürdige Leute erzählt hätten. Das ansteckende Gift dieser Pestilenz war nämlich so bösartig, dass es sich nicht nur von einem Menschen zum andern fortpflanzte, sondern, weit merkwürdiger, dass auch die Sachen eines Menschen, der mit dieser Krankheit behaftet oder daran gestorben war, wenn irgendein Tier (geschweige ein Mensch) sie berührte, es nicht nur ebenfalls ansteckten, sondern es in äußerst kurzer Zeit töteten. Wovon (wie ich kurz vorher sagte) meine Augen sich einst auf folgende Art überzeugten: Man hatte die Lumpen eines armen Mannes, der an dieser Krankheit gestorben war, auf die offene Straße geworfen, wo ein paar Schweine darüber herfielen, die ihrer Gewohnheit nach erst mit ihren Rüsseln darin wühlten und sie dann zwischen die Zähne nahmen und um die Köpfe schüttelten. In einer kleinen Stunde fielen beide unter Zuckungen, als wenn sie Gift bekommen hätten, tot auf die zerrissenen Lumpen nieder. Diese und eine Menge andere ähnliche oder schlimmere Umstände verursachten bei denen, die am Leben geblieben waren, mancherlei Furcht und Besorgnis, welches alles zuletzt einen grausamen Entschluss bewirkte, dass man nämlich die Kranken und ihre Sachen floh und mied, und dass ein jeder darin seine beste Rettung zu finden glaubte. Einige nun waren der Meinung, das beste Mittel, der Krankheit vorzubeugen, wäre, mäßig zu leben und sich vor Üppigkeit zu hüten. Diese bildeten demnach kleine Gesellschaften, die von allen abgesondert in solchen Häusern wohnten, wo niemand krank gewesen war. Hier lebten sie bei dem äußerst mäßigen Genusse der schmackhaftesten Speisen und der köstlichsten Weine, enthielten sich von allen Wollüsten, sprachen mit keinem Fremden und wollten weder von Toten noch von Kranken die mindeste Nachricht hören, sondern vertrieben sich die Zeit mit Musik und solchen Vergnügungen, als sie sich untereinander verschaffen konnten. Andere, die entgegengesetzter Meinung waren, behaupteten, das sicherste Verwahrungsmittel wider ein so fürchterliches Übel wäre, viel zu trinken und sich lustig zu machen, mit Gesang und Scherz umherzuziehen und die Sinne auf alle mögliche Weise zu befriedigen, sich über die Folgen hinwegzusetzen und darüber zu lachen und zu spotten. Sie machten ihre Worte wahr, so viel sie konnten, schwärmten Tag und Nacht bald in dieser, bald in jener Schenke umher und tranken ohne Maßen viel. Noch lieber trieben sie auch ihr Wesen in den Häusern anderer Leute, wenn sie hörten, dass es dort etwas gab, das ihnen behagte. Und dieses ward ihnen nicht schwer gemacht, denn jedermann (als wenn sein Leben nicht länger währen sollte) gab sich selbst und das Seinige gänzlich hin, sodass die meisten Häuser jedem offen standen, und der Fremdling, der hineintrat, ebenso frei darin schaltete wie der Hausherr. Doch bei allem diesem viehischen Leben vermieden sie die Kranken so viel als möglich. Bei dem großen Unglück und Elend, das unsere Stadt betraf, war die ehrwürdige Gewalt der Gesetze, sowohl göttlicher als menschlicher, fast gänzlich herabgesunken und aufgelöst, weil ihre Diener und Vollstrecker, ebenso wie die anderen Einwohner, entweder tot oder krank oder so sehr von Helfern entblößt waren, dass sie ihre Dienste auf keine Weise verrichten konnten; daher es einem jeden freistand, zu handeln, wie er wollte.

Manche hielten auch zwischen denen, von welchen wir vorher gesprochen, die Mittelstraße, indem sie im Essen und Trinken sich kein so strenges Maß vorschrieben wie die zuerst erwähnten, und sich doch auch der Völlerei und anderen Ausschweifungen nicht überließen wie die andern; sondern sie bedienten sich aller Dinge in hinreichendem Maße, um ihre Wünsche zu befriedigen, und statt sich einzusperren, gingen sie umher, einige mit Sträußen von wohlriechenden Blumen und Kräutern, einige mit verschiedenen Spezereien in den Händen, die sie oft an die Nase hielten. Denn sie glaubten, es wäre heilsam, durch Wohlgerüche das Gehirn zu stärken, da die Luft überall mit Gestank und Ausdünstung von Leichen, Kranken und Arzneien geschwängert schien.

Einige andere dachten noch hartherziger – und gingen darin wohl sicherer – und sagten, die beste Arznei gegen die Pest wäre die Flucht. Von diesem Beweggrunde getrieben, und ohne sich um jemand anders als um sich selbst zu kümmern, verließen sehr viele Männer und Frauen die Stadt und ihre Häuser, Wohnungen, Verwandten und Habseligkeiten und flohen in die Fremde oder wenigstens aufs Land, auf ihre eigenen Güter; als wenn Gottes Zorn, der die Sünden der Menschen durch diese...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2021
Reihe/Serie Große Klassiker zum kleinen Preis
Große Klassiker zum kleinen Preis
Übersetzer Klabund
Sprache deutsch
Original-Titel Decameron
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 100 Novellen • 10 Tage • Anaconda Verlag • Decameron • Decamerone • eBooks • Epidemie • falkennovelle • Florenz • Il Decamerone • Italienische Literatur • Kirchenkritik • Klassiker • Landhaus • Lebenslust • Liebe • Literaturklassiker • Mittelalter • Netflix • Novelle • Pest • Reclam • The Decameron
ISBN-10 3-641-27904-6 / 3641279046
ISBN-13 978-3-641-27904-2 / 9783641279042
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