Haie unter dem Eis - Kira Lunds erste Reportage (eBook)
350 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98830-8 (ISBN)
H. Dieter Neumann, Jahrgang 1949, war Offizier in der Luftwaffe der Bundeswehr. Nach seinem Ausscheiden als Oberstleutnant d. R. wurde der Diplom-Finanzökonom (BI) Vertriebsleiter und Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens und schließlich Vorstand einer Dienstleistungsgenossenschaft. Danach erfüllte er sich seinen Lebenstraum, indem er einige Semester Neuere Deutsche Literatur studierte und sich ganz aufs Schreiben verlegte. Neumann hat sich der Spannungsliteratur verschrieben. Neben seinen Thrillern und Kriminalromanen hat er jedoch auch vier Sachbücher über Redewendungen veröffentlicht. Im Jahr 2018 wurde er mit dem Jurypreis des NordMordAward ausgezeichnet. Als passionierter Segler ist Neumann oft und gern auf dem Wasser. Er ist verheiratet, hat zwei erwachsende Töchter und lebt in der Nähe von Flensburg auf dem Land.
H. Dieter Neumann, Jahrgang 1949, war Offizier in der Luftwaffe der Bundeswehr. Nach seinem Ausscheiden als Oberstleutnant d. R. wurde der Diplom-Finanzökonom (BI) Vertriebsleiter und Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens und schließlich Vorstand einer Dienstleistungsgenossenschaft. Danach erfüllte er sich seinen Lebenstraum, indem er einige Semester Neuere Deutsche Literatur studierte und sich ganz aufs Schreiben verlegte. Neumann hat sich der Spannungsliteratur verschrieben. Neben seinen Thrillern und Kriminalromanen hat er jedoch auch vier Sachbücher über Redewendungen veröffentlicht. Im Jahr 2018 wurde er mit dem Jurypreis des NordMordAward ausgezeichnet. Als passionierter Segler ist Neumann oft und gern auf dem Wasser. Er ist verheiratet, hat zwei erwachsende Töchter und lebt in der Nähe von Flensburg auf dem Land.
1
Kira trat aus dem Wald heraus, atmete tief die kalte Winterluft ein und ließ ihre Augen über das ungewohnte Panorama gleiten.
Welch ein Bild! In winterlichem Weiß breitete sich vor ihr das flache Marschland Nordfrieslands aus. Äcker, Wiesen und Feldwege waren über Nacht verschneit – auch die Wallhecken, die man hierzulande Knicks nannte, und die zum Schutz gegen den ständigen Wind dicht mit Büschen und Bäumen bewachsen waren.
Ein bemerkenswertes Ereignis im Grenzland zwischen Deutschland und Dänemark, wo milde Winter die Regel waren. Solch klirrenden Frost wie in den letzten Tagen hatte man im Land zwischen den Meeren nur selten erlebt.
Die Warmfront, die den nächtlichen Schnee gebracht hatte, war inzwischen abgezogen. Kira blickte hoch zu den dickbauchigen grauen Wolken, die jetzt in schneller Folge am blassblauen Himmel aus Westen von der nahen Nordsee heranflogen. Ihre Schatten huschten wie ruhelose Gespenster über das weite weiße Land.
Eine gleichmäßige weiche Decke, kuschelig und anheimelnd, wie man es aus den einschlägigen Winterparadiesen kannte, bildete der Schnee dennoch nirgends.
Natürlich nicht.
Dies war das Land der Stürme, in dem es wenig Liebliches gab. Überall hatte der scharfe Wind seine Spuren hinterlassen, war über die Äcker gefegt, hatte die weiße Pracht bis auf die braune Krume hinunter eingesammelt und an anderen Stellen zu Schneewehen aufgeworfen, die sich wie Dünen bis zu einem Meter hoch auf den Wegen und vor den Knicks türmten.
In einer davon, ein paar Meter entfernt, steckte Ditch, wie Kira erst jetzt bemerkte.
Kein Wunder, denn zu sehen war so gut wie nichts von ihm. Nur seine buschige schwarzbraune Rute wedelte begeistert aus dem weißen Haufen hervor. Offenbar hatte der Hund etwas Spannendes gewittert, das unter dem Schnee verborgen lag. Eine Fuchsspur vielleicht oder den Eingang zu einem Kaninchenbau.
Kira schob den Ärmel der dick gefütterten Winterjacke hoch und sah auf ihre Armbanduhr.
Es wurde Zeit, die morgendliche Runde zu beenden und nach Flensburg ins Studio zu fahren.
»Ditch, hier!«, rief sie, was beim Befehlsempfänger jedoch keinerlei Wirkung zeigte. Nur der letzte Zipfel der Rute war noch zu sehen, so tief hatte sich das große Tier inzwischen in den Schneehaufen hineingearbeitet.
Kira wiederholte das Kommando, diesmal deutlich schärfer. Unwillig schnaufend, schob sich der Hund rückwärts aus der Wehe, schüttelte sein langhaariges Fell aus, was ihn in dichtes Schneegestöber hüllte, und sah Kira vorwurfsvoll an.
»Sorry, aber wir müssen los – arbeiten«, erklärte sie ihm und zeigte in die Richtung, in der das Haus lag. »Lauf schon mal zum Auto!«
Ditch setzte seinen mächtigen Körper sofort in Bewegung und rannte los. Schmunzelnd sah Kira, dass er immer wieder seitwärts in eine Schneewehe sprang, um sie übermütig mit seinem Bärenkopf zu durchpflügen.
Sie folgte dem Hund im Laufschritt, und wenige Minuten später kam am Ende des Feldwegs das Haus in Sicht. Unter dem Carport saß Ditch bereits hinter der Heckklappe des alten Volvo Kombi und blickte Kira erwartungsvoll entgegen, während sie mühsam durch eine Schneewehe stapfte, die sich direkt vor der Auffahrt angesammelt hatte.
Unwillkürlich flogen Kiras Gedanken zu Lukas. Wäre er jetzt hier, hätte er, der notorische Frühaufsteher, die Einfahrt längst geräumt. Doch es würde noch einige Zeit dauern, bis er von seinem dreimonatigen Forschungsauftrag aus der Antarktis zurückkehrte.
Ach, Lukas …
Sie war kein sentimentaler Mensch, aber jetzt, in diesem Augenblick, war ihr auf einmal das Herz schwer. Er war gerade einen Monat fort, aber er fehlte ihr schon seit der ersten Woche.
Nicht nur zum Schneeschippen.
Seit vier Wochen war sie nun allein mit Ditch, während Lukas im meteorologischen Observatorium der Station Neumayer III saß und draußen auf dem Ekström-Schelfeis arbeitete, um klimarelevante Veränderungen im Strahlungshaushalt der Erde zu messen. Das Projekt machte offenbar gute Fortschritte, von denen er ihr immer wieder erzählte. Kira wusste sehr wohl, welche Bedeutung es für neue Erkenntnisse über den Klimawandel hatte, dennoch war ihr klar, dass sie allenfalls oberflächliches Wissen darüber besaß, was genau Lukas da tat. So begeistert er stets von seiner Arbeit berichtete, so klug war er doch, sie nicht mit allzu vielen wissenschaftlichen Details zu überfordern.
Zwar schrieben sie sich oft Nachrichten über WhatsApp – Kira fand es immer noch faszinierend, dass das sogar zwischen der Antarktis und Norddeutschland problemlos funktionierte – und telefonierten fast täglich miteinander, aber das konnte nur wenig daran ändern, dass sie ihn schrecklich vermisste. Seine Nähe, sein Lachen, seine Wärme. Und seine Stärke.
Noch zwei lange Monate, bis er wieder neben ihr liegen würde, sie ihn riechen und in seinen Armen einschlafen könnte.
Unwillig verscheuchte sie den Anflug von Traurigkeit. »Wir werden ordentlich Gas geben müssen, um durch diesen Haufen durchzukommen«, rief sie dem Hund zu und öffnete die Heckklappe. »Ich bin zu faul, mich noch lange mit dem Schneeschieber abzuquälen.«
Ditch gab ein zustimmendes Grunzen von sich, als teilte er Kiras Abneigung gegen die schweißtreibende Schneeschipperei, und sprang ins Auto, dessen Laderaum damit vollständig ausgefüllt war.
»Komme gleich wieder, muss nur rasch noch meine Sachen holen.« Kira schloss die Heckklappe und ging hinüber zum Haus.
Einsam stand es hier mitten in der Marschlandschaft, das ehemalige Bahnwärterhäuschen. Hinten grenzte der Garten an ein klägliches Wäldchen aus niedrigen, im Wind schief gewachsenen Krüppelkiefern, und vorn, nur ein paar Schritte vor der Gartenpforte, führte neben dem Feldweg die Trasse der ehemaligen Eisenbahnverbindung von Flensburg an die Westküste vorbei. Die Strecke war längst stillgelegt, die Schranken von dem bedeutungslos gewordenen Bahnübergang der Nebenstraße nach Niebüll schon vor vielen Jahren abgebaut worden.
Es war ein winziges, spitzgiebliges Backsteinhaus und ziemlich heruntergekommen gewesen, als Kira und Lukas es im letzten Sommer erworben hatten. Der Makler hatte ihnen von einem uralten Mann erzählt, der bis zu seinem Tod darin gewohnt hatte, einem kauzigen Sonderling, der sich als Metallbildhauer betätigt hatte. Beim ersten Besichtigungstermin waren vier kräftige Männer gerade damit beschäftigt gewesen, die seitlich angebaute Werkstatt des Alten leerzuräumen. Diesen Anbau, aber auch die drei Räume im Haus und den gesamten großen Garten, hatte der Künstler mit skurrilen Metallplastiken vollgestopft, allesamt abstrakt. Angeblich war schon seit Jahrzehnten niemand mehr hierhergekommen, der sich für die ebenso wuchtigen wie verrosteten Kunstwerke interessiert hätte.
Eines davon war allerdings übriggeblieben. Jetzt ragte das etwa zwei Meter hohe Fantasiekonstrukt neben dem Gartentor trotzig aus einem Schneehügel heraus. Lukas hatte sich auf der Stelle in die verrückte Plastik verguckt, die allerlei Deutungen zuließ. Kira beispielsweise glaubte, darin ein riesenhaftes Erdmännchen mit Schlapphut zu erkennen, während Lukas überzeugt war, das Rostgebilde stellte zweifellos einen mittelalterlichen Nachtwächter dar.
Kira hatte sich inzwischen an das hässliche Teil gewöhnt, das sie spontan ›der Schrat‹ getauft hatte. Nur Ditch störte sich bis heute daran und warf dem Schrat stets einen misstrauischen Blick zu, wenn er an ihm vorbeilief.
Sie schloss die Tür auf und griff nach der Umhängetasche, die sie bereits an die Garderobe gehängt hatte.
»Wie sehe ich eigentlich aus?«, murmelte sie, zog die Wollmütze vom Kopf und warf einen Blick in den Spiegel. »Hab ich mir doch gedacht«, stöhnte sie leise, hängte die Tasche wieder an den Haken, griff nach der Haarbürste und fuhr sich mit ein paar kräftigen Zügen durch ihr volles kupferfarbenes Haar.
»Besser geht’s nicht.« Sie streckte ihrem Spiegelbild mit den vielen Sommersprossen auf Nase und Wangen – eigentlich müssten die Dinger Ganzjahressprossen heißen, stellte sie wieder einmal fest – die Zunge raus und schloss die Haustür hinter sich zu.
Der Volvo sprang sofort an, was bei dieser Kälte einem Wunder gleichkam, und mit beherztem Schwung gelang es Kira, durch die Schneewehe hindurch auf die schmale Straße zu fahren.
»Siehst du, Ditch«, rief sie über die Schulter, »hat doch prima geklappt!« Im Spiegel sah sie, dass das imposante Fellbündel im Heck sich überhaupt nicht rührte. Stattdessen drang jetzt ein sonores Schnarchen nach vorn.
»Penner«, murmelte Kira und steuerte den Wagen vorsichtig über die Nebenstraßen mit ihren vielen Schneehaufen, bis sie wenig später auf die B 199 nach Flensburg abbog, die bereits geräumt war.
Wie sie natürlich hätte wissen müssen, dauerte die Fahrt heute länger als gewöhnlich. Sie war eine Viertelstunde zu spät dran, als sie auf dem Parkplatz aus dem Wagen stieg und die Heckklappe öffnete.
Man hatte sich beim Sender, dessen nördlichstes Studio an einer der Hauptstraßen der Stadt lag, mittlerweile daran gewöhnt, dass Kira ihren Hund mitbrachte, wenn sie im Haus zu tun hatte. Allzu häufig war das sowieso nicht der Fall, denn der größte Teil ihrer Arbeit als Videojournalistin, kurz VJ, fand draußen im Land statt. Ausgerüstet mit einer kompakten HD-Kamera und einem Dreibein-Stativ machte Kira nichts anderes als gute alte Reporterarbeit, nur eben als Journalistin, Kamerafrau, Beleuchterin und Tontechnikerin in Personalunion.
Wenn sie nach einem Dreh im Studio ihr Material sichtete, schnitt und vertonte, um einen filmischen Beitrag für den Sender daraus zu machen, brachte sie Ditch meistens...
Erscheint lt. Verlag | 31.5.2021 |
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Reihe/Serie | Kira Lund |
Kira Lund | Kira Lund |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Auftakt Serie • Deutsche Krimis • deutsche Spannung • Drakon • Eistauchen • Flensburg • Flensburger Förde • Grenzland Dänemark • Grenzlandkrimi • Helene Christ • Inselkrimi • Kira Lund • Küstenkrimi • NordMordAward • Nord-Ostsee_Krimi • Nordseekrimi • spannende Bücher für den Urlaub • Spannungsroman • Tauchen |
ISBN-10 | 3-492-98830-X / 349298830X |
ISBN-13 | 978-3-492-98830-8 / 9783492988308 |
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