Sizilianisches Verderben (eBook)

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2021 | 1. Auflage
288 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2713-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sizilianisches Verderben - Ann Baiano
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Der Journalist Luca Santangelo recherchiert in einem Kloster mitten in Palermo. Früher war es sehr berühmt, jetzt leben hier nur noch drei betagte Nonnen. Als eine von ihnen plötzlich tot zusammenbricht, wird Luca misstrauisch - sie scheint keines natürlichen Todes gestorben zu sein. Will jemand die Schwestern beseitigen, um an die wertvollen Schätze des Klosters zu kommen? Oder geht es um eine persönliche Fehde? Während Luca noch nach dem wahren Motiv sucht, ereignet sich ein weiterer Mord. Lucas Freundin Ada stößt unterdessen in der Bibliothek des Klosters auf ein altes Tagebuch, dem eine junge Nonne die Geschichte um eine große Liebe anvertraut hat, um falsche Versprechen und bittere Rache ...

Luca Santangelo - ein pfiffiger Reporter ermittelt unter der Sonne Italiens.



Ann Baiano, Jahrgang 1973, studierte Romanistik und lebte viele Jahre auf Sizilien. Sie hat Romane aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt, bevor sie anfing, Krimis zu schreiben.

4


In dem großen Raum brannten zwei hohe, weiße Kerzen. Auf einem alten Flügel standen weiße Lilien – Luca erkannte eins der Gestecke, das er am Nachmittag in der Kirche gesehen hatte und das hier einen betäubenden Duft verströmte.

In der Mitte des Zimmers war Madre Benedetta aufgebahrt. Ihre Züge waren wächsern wie in der Kirche, aber entspannt und friedlich. Beinahe lächelte sie, und ihre Wangen und Stirn sahen noch glatter aus, als Luca sie in Erinnerung hatte. Das Gesicht eines jungen Mädchens, umrahmt von einem weißen Haaransatz, der unter der Haube hervorschaute.

Jetzt trug sie auch nicht mehr ihre schlichte helle Kutte, sondern ein weißes, aufwendig besticktes Gewand. An der Liege kniete Matteos Mutter und schluchzte. Am Kopfende saß Suor Carmela, eine der beiden anderen Schwestern, und betete, ein leises Murmeln, ein Singsang, der manchmal anschwoll und dann wieder leiser wurde.

Matteo kam auf Luca und Ada zu. »Danke, dass ihr noch gekommen seid. Es ging alles so schnell …«

Er sah müde und blass aus. Es war inzwischen beinahe elf Uhr, aber Luca und Ada hatten nach Matteos Anruf sofort gezahlt und waren zurück ins Kloster gefahren. Matteo und seine Mutter hatten Suor Carmela geholfen, Madre Benedetta zu kämmen, umzuziehen und aufzubahren, wie es die Tradition verlangte. Die Tote durfte nicht allein bleiben, sie sollte von den Menschen umgeben sein, die ihr im Leben nahegestanden hatten.

»Der Arzt, er hatte ja erst gesagt, wir sollen uns keine Sorgen machen, und hat sie in ihre Zelle getragen. Als ich mit meiner Mutter wiederkam, war sie schon tot. Herzversagen, hat er gesagt.«

»Wie alt war sie?«

»87 Jahre. Sie wäre im Juli 88 geworden.«

»Das ist ein hohes Alter, Matteo. Vielleicht hat der Arzt recht gehabt, sie nicht mehr ins Krankenhaus zu schleppen. Sie ist in ihrer Umgebung gestorben, schau nur, wie friedlich sie aussieht.« Er legte dem Freund die Hand auf den Arm. Matteos Mutter schluchzte auf, löste sich von der Toten und kam zu ihnen. Sie sah anders aus als ihre Schwester, kleiner, die Haare waren noch nicht weiß, sondern grau meliert. Ihre braun-grünen Augen, die normalerweise fröhlich blitzten, standen voller Tränen.

»Herzversagen! Meine Schwester hat es nie am Herzen gehabt, die hatte das stärkste Herz, das man sich vorstellen kann! Wie konnte das passieren, meine Benedetta, meine Benedetta …« Sie begann wieder zu schluchzen.

»Aber Signora, in dem Alter kann das Herz versagen, auch wenn jemand nie zuvor eine Herzkrankheit hatte«, sagte Luca vorsichtig.

»Sie wollen uns umbringen«, sagte eine brüchige Stimme hinter ihm, »das weiß ich schon lange, und jetzt haben sie Madre Benedetta erwischt.« Er drehte sich um. Die kleine Nonne mit dem faltigen Gesicht stand vor ihm. Ihre braunen Augen hatten den bläulichen Schimmer des Alters. Jetzt lachte sie kurz auf, eine Mischung aus Kichern und Krächzen. Er erinnerte sich – das war die Schwester, von der es hieß, sie sei dement.

»Wer ›sie‹, Suor Agata?«, fragte Matteo. Die beachtete ihn gar nicht, näherte sich Madre Benedetta und begann zu singen.

Luca kam die Situation skurril vor: der große Raum mit dem Flügel und der Bahre in der Mitte, auf der Madre Benedetta wie eine Braut gekleidet lag, der betäubende Geruch der weißen Lilien, die singenden Nonnen mit ihren Verschwörungstheorien, Matteos weinende Mutter und Ada, die stocksteif neben dem Flügel stand.

Er nahm Matteo zur Seite. »Willst du deine Mutter nicht nach Hause bringen? Das ist doch alles viel zu anstrengend für sie. Ada und ich können hierbleiben, bis du zurück bist.«

Matteo nickte erschöpft. »Der Arzt kommt gleich, er hat den Priester geholt, und in spätestens einer Stunde bin ich auch wieder da. Wir halten die Nacht über Wache, und morgen kann dann alles andere in die Wege geleitet werden.«

Er ging zu seiner Mutter, legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie weg. Luca sah den beiden nach, wie sie aus dem Zimmer hinaus in den Kreuzgang und über den dunklen Innenhof gingen, in dem nur die Umrisse eines Brunnens erkennbar waren. Dann hatte die Dunkelheit sie verschluckt. Wieder überkam ihn das Gefühl vom Nachmittag in der Kirche: dass hier etwas unheimlich war, nicht stimmte. Er schüttelte den Gedanken ab – er war einfach nicht an ein fast verlassenes Kloster und diese uralten Nonnen gewöhnt. Und nun noch die Tote, die hier aufgebahrt war und mit der er vor ein paar Stunden noch geredet hatte.

Sein Vater war aus der Kirche ausgetreten – ein Skandal in dem kleinen Dorf bei Cefalù, aus dem er stammte. Kirchen waren Luca deshalb fremd, er besichtigte sie aus kunsthistorischem Interesse, aber Gebete und Liturgien waren für ihn Hokuspokus.

Auch die Tradition auf Sizilien, die Toten im besten Gewand aufzubahren und bei ihnen zu wachen, war ihm unheimlich. Schon als Junge hatte er sich gefürchtet, wenn seine Mutter ihn mitgenommen hatte ans Totenbett eines der unzähligen Geschwister oder Cousins und Cousinen seiner Großeltern.

Ada hatte sich inzwischen einen Stuhl genommen und etwas abseits der Bahre hingesetzt. Sie schien in ihre Gedanken versunken. Ob sie betete? Glaubte sie eigentlich an Gott? Religion war ein weiterer Punkt, über den sie nie gesprochen hatten.

Zögernd sah Luca sich um. Er wollte sich nicht setzen. Vielleicht kamen ja gleich der Arzt und der Priester. Würden sie die Glocke überhaupt hören? Oder gab es eine Klingel? Als etwas seine Beine berührte, zuckte er zusammen. Er entdeckte eine grau getigerte Katze, die in Richtung des Totenbetts lief. Wo die wohl herkam? Jetzt stieß sie klagende Laute aus, die wie das wimmernde Schreien eines Babys klangen.

Suor Agata unterbrach ihren Gesang und lief auf die Katze zu.

»Pino, komm her! Du hast hier nichts zu suchen, du dummer Kater!« Ihre Stimme klang scharf, und sie packte das Tier so schnell und sicher, dass Luca staunte. Suor Agata trug ihn aus dem Raum, setzte ihn unsanft vor die Türschwelle und schlug die Tür hinter ihm zu. Die Schreie des Katers mischten sich mit Suor Carmelas brüchiger Stimme, und Luca lief ein Schauer den Rücken hinunter.

Als er sich umsah, glaubte er, durch das Fenster einen Schatten im Innenhof zu sehen, aber vielleicht war das eine Täuschung. Ein leichter Wind war aufgekommen, und die Äste des Baums bewegten sich. Der Mond stand als schmale Sichel hoch am Himmel, sein spärliches Licht war fahl. Als Luca zwei dunkle Umrisse hinter dem Brunnen auftauchen sah, musste er an die wirren Reden der Nonne denken, dass man sie umbringen wollte. Dann erkannte er das Priestergewand des einen und schalt sich innerlich – diese Ängstlichkeit war wirklich lächerlich. Aber dieses riesige, leere Kloster – immerhin einst das größte der Stadt, das sich von der Piazza Bellini in Richtung Meer bis zum Cassaro, einer der Hauptachsen der Stadt, hingezogen hatte und auch jetzt, nachdem die Kirche im neunzehnten Jahrhundert einen Großteil ihres Besitzes verloren hatte, immer noch beeindruckend groß war – war nachts einfach unheimlich. Die langen, hohen Gänge mit all den Figuren und Statuen, die den Betrachter aus blinden Augen anstarrten, viel zu große Räume mit schweren Holztüren, die kaum aufzuschieben waren und knarrten … Wie hatten die drei alten Frauen hier gelebt? Hatten sie sich nachts in ihre Zellen eingeschlossen?

Der Priester war alt und gebeugt, er sah müde aus und stand beinahe hilflos an Madre Benedettas Bahre. Die beiden Nonnen hatte er nur mit einem Kopfnicken begrüßt, schweigend schaute er auf die Tote.

Der Arzt – ein großer, schlanker und attraktiver Mann um die fünfzig mit grau meliertem, exakt geschnittenem Haar – war währenddessen zu Luca getreten und hatte ihm die Hand gegeben.

»Tragisch. Und so schnell, sie konnte sich nicht einmal verabschieden. Dabei schien sie die Gesündeste von den dreien zu sein. Aber in dem Alter heißt das nichts, da kann es sehr schnell gehen. Sie wird uns fehlen.« Er sprach schnell, leise und entschieden.

An seinem Handgelenk sah Luca eine große, goldene Uhr aufblitzen. In den schweren Lilienduft mischte sich der eines teuren Rasierwassers.

»Spataro. Anselmo Spataro. Und Sie sind …«

Luca stellte sich und Ada vor, der Arzt nickte flüchtig.

»Ich habe sie seit meiner Kindheit gekannt. Schon mein Vater war hier Arzt, damals durfte eigentlich niemand das Kloster betreten. Außer dem Priester. Und ein, zwei Adelsfamilien, die das Kloster früher unterstützt haben. Alte Bräuche, an denen man festgehalten hat, obwohl die strenge Klausur längst aufgehoben war. Ich durfte manchmal mitkommen, wenn mein Vater hier eine der Schwestern behandelt hat. Dann bin ich in die Dolceria gelaufen und habe zugeschaut, wie sie gebacken haben. Ich erinnere mich an Madre Benedetta als junge Frau. Ich fand sie wunderschön …«

Anselmo Spataro fuhr sich durch das Haar, auch seine Finger waren gepflegt und sahen nach regelmäßiger Maniküre aus.

»Woran ist sie gestorben?«, fragte Luca.

»Herzversagen.« Die Antwort kam schnell, und Luca hatte den Eindruck, dass der Arzt seinem Blick auswich. Aber vielleicht war das Unsinn. Es war spät, er hatte Kopfschmerzen von dem Geruch der Lilien und stand am Totenbett einer alten Frau, die er kaum kannte. Der alte Priester hatte inzwischen zu beten begonnen, und Luca schaute zu Ada: Sie saß immer noch auf ihrem Stuhl, und er konnte an ihrem Gesichtsausdruck nicht ablesen, was sie dachte.

Als Matteo kurz darauf kam, war Luca...

Erscheint lt. Verlag 9.3.2021
Reihe/Serie Luca Santangelo ermittelt
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Andrea Camilleri • blutige Tradition • Donna Leon • Ermittlungen • Geheimnisse • Italien • Journalist • Kloster • Luca Santangelo • Mafia • Mönche • Mord • Pierre Martin • Sophie Bonnet
ISBN-10 3-8412-2713-9 / 3841227139
ISBN-13 978-3-8412-2713-3 / 9783841227133
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