Der letzte Mensch. Roman (eBook)

Damals - heute - morgen: Reclams Klassikerinnen

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
590 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961837-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der letzte Mensch. Roman -  Mary Shelley
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Im Jahre 2089 ist England soeben eine Republik geworden. Die Kinder des abgedankten Königs, Adrian und Idris, freunden sich mit dem Geschwisterpaar Lionel und Perdita an. Es entsteht eine verschworene Gemeinschaft, doch dann sucht eine neue, ausnahmslos tödliche Form der Pest die Erde heim - mit verheerenden Auswirkungen auf die Menschheit, Wirtschaft und Politik. Die Freunde entschließen sich, mit den letzten Überlebenden nach einer neuen Heimat zu suchen ... Mary Shelley erzählt in ihrer apokalyptischen Vision einer Pandemie von einer gar nicht allzu weit entfernten Zukunft. Die erste Dystopie der Weltliteratur, verfasst 1826 von der Schöpferin des Frankenstein. - Mit einer kompakten Biographie der Autorin.

Mary Shelley (1797-1851), englische Schriftstellerin der Romantik und Verfasserin von 'Frankenstein' (1818), gilt als eine der berühmtesten Autorinnen des 19. Jahrhunderts. Ihren Roman 'Der letzte Mensch' hielt sie selbst für eines ihrer wichtigsten Werke. Die Übersetzerin: Irina Philippi ist freie Übersetzerin und lebt in Freisen.

Mary Shelley (1797–1851), englische Schriftstellerin der Romantik und Verfasserin von "Frankenstein" (1818), gilt als eine der berühmtesten Autorinnen des 19. Jahrhunderts. Ihren Roman "Der letzte Mensch" hielt sie selbst für eines ihrer wichtigsten Werke. Die Übersetzerin: Irina Philippi ist freie Übersetzerin und lebt in Freisen.

Erster Band
Einleitung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3 |
Kapitel 4
Kapitel 4[a]
Kapitel 5
Kapitel 6 |
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10

Zweiter Band
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4 |
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8 |
Kapitel 9

Dritter Band
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4 |
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8 |
Kapitel 9
Kapitel 10

Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Nachwort: Pest und Politik (Rebekka Rohleder)
Das Einzelherz verallgemeinern. Wie Mary Shelleys »Der letzte Mensch« der Epoche ihr Schicksal wahrsagt (Dietmar Dath)
Zeittafel

Kapitel 1


Ich stamme aus einer vom Meer umgebenen Gegend, einem wolkenverhangenen Land, das, wenn ich mir die Oberfläche des Globus vorstelle, mit seinem grenzenlosen Ozean und den riesigen Kontinenten, nur als ein unbedeutender Fleck im gewaltigen Ganzen erscheint; und doch übertraf es, was die Geisteskraft anbelangt, Länder von größerer Ausdehnung und Bevölkerung bei Weitem. So wahr ist es, dass der Mensch allein mit seinem Verstand alles Gute und Große für sich schuf und dass selbst die Natur nur seine oberste Dienerin war. England, das weit im Norden des trüben Meeres liegt, sucht mich jetzt in meinen Träumen heim, in Gestalt eines großen und wohlbemannten Schiffes, das die Winde beherrscht und stolz über die Wellen reitet. In meinen Knabenjahren war es für mich die ganze Welt. Wenn ich auf meinen heimatlichen Hügeln stand und sah, wie Ebenen und Berge sich bis zu den äußersten Grenzen meiner Sicht erstreckten, mit den Behausungen meiner Landsleute gesprenkelt und durch ihre Arbeit der Fruchtbarkeit unterworfen, war dieser Ort für mich das Zentrum der Erde, und der Rest ihrer Kugel glich einer Fabel, welche zu vergessen weder meine Vorstellungskraft noch meinen Verstand Mühe gekostet hätte.

Meine Geschicke waren von Beginn an ein Exempel für die Macht, die Wandelbarkeit über den Verlauf eines Menschenlebens ausüben kann. In meinem Falle fiel mir alles beinahe wie eine Erbschaft zu. Mein Vater war einer jener Männer, denen die Natur die beneidenswerten Gaben des Witzes und der Einbildungskraft verliehen hatte und deren Lebensbarke sie dann dem Einfluss der Winde überließ, ohne den Verstand als Steuerruder oder die Urteilskraft als Lotsen für die Reise hinzuzufügen. Er war von unklarer Herkunft; aber die Umstände machten ihn bald in der Gesellschaft bekannt, und sein kleiner väterlicher Besitz wurde bald in der großartigen modischen und luxuriösen Gesellschaft verbraucht, in der er sich bewegte. Während der kurzen Jahre gedankenloser Jugend wurde er von den Beliebtesten aus gutem Hause, und nicht weniger vom jungen Souverän, der sich den Intrigen der Partei und den mühsamen Aufgaben königlicher Geschäfte entzog, verehrt, die in seiner Gesellschaft nie versagende Erheiterung und Aufhellung des Gemütes fanden. Die Impulse meines Vaters, die nie unter seiner eigenen Kontrolle standen, brachten ihn fortwährend in Schwierigkeiten, aus denen ihn allein sein Einfallsreichtum befreien konnte; und der sich anhäufende Berg von Schulden der Ehre und des Handels, der jeden anderen zur Erde gebeugt haben würde, wurde von ihm mit leichtem Sinn und unbezwinglicher Heiterkeit geschultert; während seine Gesellschaft an den Tischen und Versammlungen der Reichen so notwendig war, dass man seine Verfehlungen als lässlich betrachtete und er selbst mit berauschender Schmeichelei empfangen wurde.

Diese Art von Popularität ist, wie jede andere auch, flüchtig: und die Schwierigkeiten jeder Art, mit denen er zu kämpfen hatte, stiegen in einem fürchterlichen Ausmaß verglichen mit seinen geringen Mitteln, sich daraus zu befreien. Zu solchen Zeiten sprang ihm der König bei, der ihm sehr zugetan war, und stellte dann seinen Kameraden freundlich zur Rede. Mein Vater gelobte eifrig Besserung, aber seine gesellige Veranlagung, sein Verlangen nach dem üblichen Maß an Bewunderung und, mehr als alles andere, der Teufel des Glücksspiels, der ihn völlig beherrschte, machten seine guten Vorsätze vergänglich und seine Versprechungen vergeblich. Mit der raschen Auffassungsgabe, die seinem Gemüt eigentümlich war, nahm er wahr, dass seine Macht im strahlenden Kreise im Schwinden begriffen war. Der König heiratete; und die hochmütige Prinzessin von Österreich, die als Königin von England bald die neuesten Moden anführte, sah mit scharfen Augen seine Mängel und mit Verachtung die Zuneigung, die ihr königlicher Ehemann für ihn empfand. Mein Vater fühlte, dass sein Fall nahe war; aber weit davon entfernt, diese letzte Ruhe vor dem Sturm zu nutzen, um sich selbst zu retten, suchte er das vorausgeahnte Übel zu vergessen, indem er dem Gott des Vergnügens, dem betrügerischen und grausamen Schiedsrichter seines Schicksals, noch größere Opfer darbrachte.

Der König, der ein Mann von ausgezeichneten Anlagen war, sich aber leicht führen ließ, war jetzt ein williger Schüler seiner herrischen Gemahlin geworden. Er wurde veranlasst, mit äußerster Missbilligung und schließlich mit Widerwillen auf die Unklugheit und die Torheiten meines Vaters zu blicken. Dessen Anwesenheit konnte diese Wolken zwar zerstreuen; seine warmherzige Offenheit, sein glänzender Witz und sein vertrauensvolles Betragen waren unwiderstehlich: in einiger Entfernung jedoch, während immer neue Geschichten über seine Verfehlungen ins Ohr seines königlichen Freundes gegossen wurden, verlor er seinen Einfluss. Der Königin gelang es mit Geschick, diese Abwesenheiten zu verlängern und Beschuldigungen zusammenzutragen. Endlich wurde der König dazu gebracht, in ihm eine Quelle ständiger Unruhe zu sehen, und kam zu dem Schluss, dass ihm das kurzlebige Vergnügen seiner Gesellschaft langweilige Predigten und peinvolle Erzählungen von Exzessen, deren Wahrheit er nicht widerlegen konnte, einbrachte. Das Ergebnis war, dass er, um ihn zur Vernunft zu bringen, noch einen Versuch wagen und ihn im Falle des Misserfolges für immer abweisen wollte.

Eine solche Szene muss von äußerstem Interesse und angespannter Leidenschaft gewesen sein. Ein mächtiger König, bekannt für eine herausragende Güte, die ihn bis dahin milde gestimmt hatte, und jetzt erhaben in seinen Ermahnungen, die mal als Bitten, mal als Rügen geäußert wurden, bat seinen Freund, sich seinen wahren Interessen zu widmen und sich zu entschließen, jenen Belustigungen zu entsagen, die ihn ohnehin bald verlassen würden, und seine großen Talente auf ein würdigeres Feld zu verlegen, in dem er, sein Souverän, ihm Stütze, Halt und Wegbereiter sein würde. Meinen Vater rührte diese Gewogenheit; für einen Moment schwebten ihm ehrgeizige Träume vor; und er dachte, dass es gut wäre, seine gegenwärtigen Beschäftigungen gegen edlere Aufgaben zu tauschen. Mit Aufrichtigkeit und Eifer leistete er das verlangte Versprechen: Als Unterpfand der fortwährenden Gunst erhielt er von seinem königlichen Herrn eine Geldsumme, um dringende Schulden zu begleichen und ihm zu ermöglichen, unter guter Aufsicht seine neue Laufbahn zu beginnen. In derselben Nacht, noch voller Dankbarkeit und guter Entschlüsse, ging diese Summe, und noch einmal so viel, am Spieltisch verloren. In seinem Bestreben, seine ersten Verluste wiedergutzumachen, riskierte mein Vater den doppelten Einsatz und zog damit eine Ehrenschuld auf sich, die er nicht begleichen konnte. Zu beschämt, um sich wieder an den König zu wenden, kehrte er London, seinen falschen Freuden und dem anhaftenden Elend den Rücken zu und vergrub sich, mit der Armut als seiner einzigen Begleiterin, in der Einsamkeit zwischen den Hügeln und Seen Cumberlands. Sein Witz, seine geistreichen Bemerkungen, der Ruf seiner persönlichen Reize, faszinierenden Manieren und gesellschaftlichen Talente wurden lange in Erinnerung behalten und weitererzählt. Wenn man fragte, wo dieser Liebling der Gesellschaft nun sei, dieser Gefährte der Edlen, dieser helle Lichtstrahl, der die Versammlungen des Hofes und der Heiterkeit mit unerhörter Pracht vergoldete, – hörte man, dass er ein verlorener Mann sei, der in Misskredit geraten sei; nicht einer dachte, dass es ihm zustehe, das anderen gewährte Vergnügen durch echte Dienstleistungen zurückgezahlt zu bekommen, oder dass sein langes Wirken als genialer Unterhalter die Auszahlung einer Pension verdiene. Der König beklagte seine Abwesenheit; er liebte es, seine Sprüche zu wiederholen, die Abenteuer, die sie miteinander erlebt hatten, zu erzählen und seine Talente zu erhöhen – hier aber endete seine Erinnerung.

Derweil konnte mein vergessener Vater nicht vergessen. Er trauerte um den Verlust dessen, was ihm notwendiger war als Luft oder Nahrung – die Aufregung des Vergnügens, die Bewunderung der Edlen, das luxuriöse und geschliffene Leben der Großen. Ein Nervenfieber war die Folge, während dem er von der Tochter eines armen Häuslers gepflegt wurde, unter dessen Dach er wohnte. Sie war lieblich, sanft und außerdem freundlich zu ihm; auch kann es nicht verwundern, dass das frühere Idol der adligen Schönheit, selbst in seinem gefallenen Stande, dem niederen Häusler-Mädchen als ein Wesen von höherer und bewunderungswürdiger Art erscheinen sollte. Die Verbindung zwischen ihnen führte zu der unglückseligen Ehe, deren Spross ich war.

Trotz der Zärtlichkeit und Sanftheit meiner Mutter beklagte ihr Ehemann noch immer seinen herabgewürdigten Stand. Nicht an körperliche Arbeit gewöhnt, wusste er nicht, auf welche Weise er zum Unterhalt seiner wachsenden Familie beitragen könnte. Zuweilen dachte er daran, sich an den König zu wenden; Stolz und Scham hielten ihn für eine Weile zurück; und ehe seine Bedürfnisse so dringlich wurden, dass sie ihn zu irgendeiner Betätigung zwangen, starb er. Für eine kurze Zeitspanne vor diesem Unglück blickte er in die Zukunft und betrachtete voller Angst die verzweifelte Lage, in der er seine Frau und seine Kinder zurücklassen würde. Seine letzte Bemühung war ein Brief an den König, voll berührender Beredsamkeit und gelegentlichem Aufblitzen jenes brillanten Geistes, der ein wesentlicher Teil von ihm war. Er überantwortete seine Witwe und Waisen der Freundschaft seines königlichen Gebieters und war es zufrieden, dass auf diese Weise ihr Wohlstand nach seinem Tode besser gesichert war als in seinem Leben. Dieser Brief wurde der Fürsorge eines Adligen anvertraut, der...

Erscheint lt. Verlag 12.2.2021
Nachwort Rebekka Rohleder, Dietmar Dath
Übersetzer Irina Philippi
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerikanische Literatur • Dystopie • Frauenliteratur • Last Man on Earth • Literatur von Frauen • Mary Shelley Dystopie • Mary Shelley Endzeit • Mary Shelley Endzeitroman • Mary Shelley Krankheit • Mary Shelley Pandemie • Mary Shelley Pest • Mary Shelley Postapokalypse • Mary Shelley Roman • Mary Shelley Seuche • The Last Man • Verney • Weibliches Schreiben
ISBN-10 3-15-961837-4 / 3159618374
ISBN-13 978-3-15-961837-1 / 9783159618371
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