Neuromancer (eBook)
368 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-12111-7 (ISBN)
William Gibson, geboren 1948 in South Carolina, wanderte mit 19 Jahren nach Kanada aus, um der Einziehung zum Vietnamkrieg zu entgehen. 1972 ließ er sich in Vancouver nieder, wo er noch heute mit seiner Familie lebt. Bekannt wurde er mit seinem 1984 erschienenen und vielfach preisgekrönten Roman Neuromancer, in dem er erstmals den Begriff »Cyberspace« prägte. 2019 wurde ihm der Damon Knight Memorial Grand Master Award für sein Lebenswerk verliehen.
William Gibson, geboren 1948 in South Carolina, wanderte mit 19 Jahren nach Kanada aus, um der Einziehung zum Vietnamkrieg zu entgehen. 1972 ließ er sich in Vancouver nieder, wo er noch heute mit seiner Familie lebt. Bekannt wurde er mit seinem 1984 erschienenen und vielfach preisgekrönten Roman Neuromancer, in dem er erstmals den Begriff »Cyberspace« prägte. 2019 wurde ihm der Damon Knight Memorial Grand Master Award für sein Lebenswerk verliehen.
»[…] Ist es doch Gibsons Sprache, seine Fülle an Wortneuschöpfungen, die Bildhaftigkeit und Poesie, die in manchen Sätzen liegt, die absolut faszinierend ist und eine ganz eigene Illusion von Wirklichkeit erzeugt. […] William Gibsons Sprache entwickelt eine ganze eigene Ästhetik, eine Art technophile Poesie und die ist schlichtweg wunderschön und macht seinen Roman so lesenswert.«
Katja Rittig, Prosieben Games, 10. Dezember 2020
Worüber Wir Sprechen, Wenn Wir Über Science-Fiction Sprechen
Es gibt ein Sprichwort, das besagt, das Goldene Zeitalter der Science-Fiction sei dann, wenn man gerade zwölf ist, und da ist etwas dran. In den späten 1960er und frühen 70er Jahren – meiner Kindheit – gab es die von Brian Aldiss edierten Kurzgeschichten-Anthologien, die erschütternden Armageddons eines J. G. Ballard, die sehr viel gemütlicheren Armageddons eines John Wyndham, die funkelnden, bitterbösen und urkomischen Zukunftsvisionen eines Alfred Bester. Und es gab Autoren wie Robert Sheckley, Ray Bradbury, Edgar Pangborn, Fritz Leiber und Philip K. Dick: allesamt kraftvolle Schriftsteller, die die Gedanken im Kopf dieses Jungen grundlegend veränderten, als er ihre Bücher las.
Es ist mir daher eine Freude, dieses Vorwort zu schreiben. »Für wen schreibst du es?«, hat mich meine Frau gefragt. Und ich hatte keine Antwort darauf. Doch jetzt, bei Tag betrachtet, glaube ich, ich schreibe es für jemanden, der neugierig ist. Sie haben ein paar Science-Fiction- oder Fantasy-Romane gelesen – oder vielleicht sehr viele – und Sie wollen noch mehr davon. Und Sie möchten wissen, was die ganze Aufregung soll.
Zu Beginn sollten wir unsere Begriffe schärfen. Für Science-Fiction – auch bekannt als Sci-Fi oder SF oder Phantastische Literatur (auf Englisch »Speculative Fiction«, den Begriff habe ich immer am meisten gemocht) – gibt es viele Erklärungen. Brian Aldiss’ Definition als »Hybris, die von der Nemesis verprügelt wird« gefällt mir ganz gut (und ist merkwürdigerweise ziemlich akkurat). Eine andere ist »die Literatur der Ideen«. Ich persönlich tendiere dazu, Science-Fiction als all das zu bezeichnen, auf das ich zeige, wenn ich sage »Jep, das ist Sci-Fi.« Das ist einfacher.
Phantastische Literatur erfüllt einen anderen Zweck als andere Genres der fiktionalen Literatur. Die meiste Literatur hat zum Ziel, die Welt, in der wir leben, zu beleuchten, indem sie sie so genau und vollständig wie möglich beschreibt. Das Ziel von Sci-Fi ist es hingegen, die Welt zu beleuchten, indem sie etwas sehr anderes beschreibt als die gewöhnliche, alltägliche Realität; stattdessen wird uns darin eine gespiegelte Welt gezeigt, eine extrapolierte Version unseres Lebens. Ein winziger Trend kann zu etwas Riesigem aufgeblasen, oder auch isoliert für sich betrachtet werden. Etwas, das wir erleben oder uns vorstellen, kann topografisch auf ein neues System übertragen werden, immer mit dem Ziel, es noch deutlicher zu beschreiben. In der Phantastischen Literatur werden Ideen und Betrachtungsweisen des Universums so wichtig wie – und manchmal sogar noch wichtiger als – die Menschen.
Doch auch wenn Sci-Fi eine Literatur der Ideen ist, heißt das nicht, dass es darin keine Figuren gibt, die uns am Herzen liegen, keine Schönheit der Sprache, keine menschlichen Entwicklungen oder Veränderungen in der Handlung. Es heißt jedoch, dass die Ideen oftmals wichtiger sind als alles andere in der Geschichte, oder vielleicht auch, dass die Ideen die Existenzgrundlage der Geschichte bilden. Und auch wenn wir die Menschen in den Geschichten sehen und sie uns am Herzen liegen, wird deren Zeitalter und Leben doch erleuchtet von Ideen.
Letzte Nacht, während ich in den Schlaf sank und gerade auf der Schwelle zum Reich der Träume stand, wurde mir auf einmal schlagartig die Gemeinsamkeit zwischen Science-Fiction und Surrealismus bewusst, nämlich dass beide, um die beste Wirkung zu erzielen, absolut für bare Münze genommen werden müssen. Metaphern sind immer Metaphern, klar. Doch erst, wenn wir sie wörtlich nehmen, erhalten wir Zutritt zum Land der Träume. In der Science-Fiction wird, wenn wir Sätze wie »Sie hatte Hasenaugen« oder »Vor fünf Jahren hatte sich ihre Welt aufgelöst« oder »Jeden Morgen wachte sie auf und starb« wörtlich nehmen, die Tür zu den Realitäten der Geschichte aufgestoßen. Das sind keine lahmen Metaphern; es sind Beschreibungen der Welt. Das gesamte Werk wird zur eigentlichen Metapher.
Der Himmel über dem Hafen hatte die Farbe eines
Fernsehers, der auf einen toten Kanal geschaltet war.
Als William Gibson 1983 diesen Satz schrieb – es ist der Eröffnungssatz seines Romans Neuromancer –, konnte ein toter TV-Kanal nur eines sein: eine Melange aus elektrostatischen Punkten, die über einen undefinierbaren grauen Hintergrund rauschten. Wir alle hatten sie schon mal angestarrt, irgendwann, wenn wir von Kanal zu Kanal schalteten, hatten mit zusammengekniffenen Augen geschaut, ob sich darin ein Bild verbarg, hatten dem Rauschen gelauscht.
1997, als ich gerade einen Roman namens Niemalsland schrieb, hatte ich meinen Spaß daran, eine kleine Hommage an Gibson einzubauen: »Der Himmel hatte dieses perfekte, sorgenfreie Blau eines Fernsehbildschirms ohne Signal«, schrieb ich. Im Jahr 1997 war die analoge Welt bereits in der Versenkung verschwunden und die digitale Welt war Realität geworden, und tote Kanäle auf Fernsehbildschirmen waren jetzt blau.
Letzte Woche befragte ich mehrere Teenager und junge Erwachsene in meinem Freundeskreis, die mit Fernsehsendungen auf Computern und Handys großgeworden waren, was sie glaubten, wie ein Fernseher auf einem toten Kanal ihrer Meinung nach als Himmel aussähe. Sie alle mussten kurz nachdenken, und sie alle waren der Meinung, dass ein solcher Himmel komplett schwarz wäre, ein Nachthimmel ohne Sterne.
Der Eröffnungssatz von Neuromancer hat sich nicht verändert, wir hingegen verändern uns stetig, und mit uns verändert sich auch die Art, wie wir die Worte auf dem Papier lesen. Die Zeit ist erbarmungslos und Wandel und Unsicherheit sind die einzigen Konstanten auf unserer Reise ins Morgen und alle Morgen, die noch folgen. Alvin Toffler nannte das in seinem Buch von 1970 den »Zukunftsschock« – das Gefühl, dass sich die Dinge zu schnell verändern, als dass wir dabei mithalten können, die Orientierungslosigkeit und die Belastung, der wir ausgesetzt sind, während wir in die Zukunft taumeln. Science-Fiction, phantastische Literatur, die Fiktion der Vorstellung, ist ein Kissen, oder vielleicht ein Stoßdämpfer, gegen den Zukunftsschock. Die Zeit mag uns und die Welt, in der wir leben, verändern – die Science-Fiction ist schon dort gewesen und hat uns mit einem Verständnis für die Welt ausgestattet, in der wir uns nun wiederfinden.
Jede fiktionale Literatur handelt von dem Jetzt des Schreibenden; von was könnte sie sonst handeln? Doch sie ist auch eine Methode, um das Jetzt erträglicher und verständlicher zu gestalten. Historische Romane handeln vom Jetzt. Fantasy-Romane, egal, wann oder wo sie spielen, handeln vom Jetzt. In beiden Fällen hält die Fiktion uns, den Leserinnen und Lesern, einen Spiegel vor, und zeigt uns uns selbst: Vielleicht tragen wir seltsame Kleidung, aber unter den ungewohnten Gewändern sehen wir in unsere eigenen Gesichter.
Was jene, die Science-Fiction- und Fantasy-Romane schreiben, tun, ist, über uns zu schreiben – das tun alle Menschen, die schreiben. Wir schreiben darüber, was wir sehen und was wir denken und was wir fürchten und was wir hoffen. Was wir nicht tun, wenn wir Sci-Fi schreiben, ist, zu versuchen, die Zukunft vorherzusagen, und selbst wenn wir einmal zufällig die Dinge beschreiben, wie sie in der Zukunft sind, erhalten wir keine Extrapunkte fürs Rechthaben.
Wir mögen zuweilen Zukünfte erschaffen oder bei ihrer Entstehung helfen, oder die Welt und die Leserschaft vor Gefahren warnen, die uns auflauern wie Wölfe im tiefen, dunklen Wald. Denn was immer wir glauben, was wir tun, wenn wir schreiben, in Wirklichkeit schreiben wir doch über unsere Gegenwart. Was wir schreiben, ist immer eine Spiegelung unserer jeweiligen Zeit, und wird es immer sein, wie die Frisuren in Filmen, die unsichtbar sind für die Menschen, die die Filme bei ihrem Erscheinen sehen, und die sie dann für immer in einer bestimmten Zeit verankern.
Während sich die Zeiten ändern, verändert sich auch das, was wir geschrieben haben, selbst, wenn die Worte auf dem Papier die gleichen bleiben. Aus einer Zukunftsvision aus den 1950ern erfahren wir mehr über die Ängste und Hoffnungen und Träume der 1950er, als wir darin jemals über die Zukunft erfahren werden.
Das trifft jetzt mehr denn je zu: Immerhin leben wir jetzt in der Zukunft, die man sich in so viel Sci-Fi-Literatur der Vergangenheit vorgestellt hat. Im Jahr 2001 haben wir jedenfalls nicht, wie in Arthur C. Clarkes Roman, den seltsamen Monolithen auf dem Mond gefunden. Für einige von uns war es das Jahr, in dem das World Trade Center zerstört wurde; für andere ist es bereits Teil der fernen Vergangenheit, der unendlich weiten Geschichte der Zeit vor unserer Geburt. Doch ich vermute, je prophetischer und stichhaltiger durchdacht ein Science-Fiction-Text ist, vielleicht sogar je genauer ein solcher Text als Vorhersage fungiert, desto weniger Nutzen hat er als Fiktion, sobald sein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Die genauen Vorhersagen werden zum reinen Hintergrund und damit geradezu unsichtbar für die Leserschaft, während die Löcher und Ungenauigkeiten ablenken. Während also einige alte Zukünfte nur schlecht altern – von innen vermodern und irgendwann zerbröckeln –, gibt es andere, die reifen wie guter Wein.
Einen größeren Nutzen als Vorhersagen bieten uns Gedankenexperimente. Es ist egal, dass 1984 in seinen Details, wenn man sie als Vorhersagen versteht, nicht eingetroffen ist. Was uns Orwell über Organisationen und Menschen erzählt hat, über das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, über die Art, wie Regierungen und...
Erscheint lt. Verlag | 13.2.2021 |
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Reihe/Serie | Die Neuromancer-Trilogie | Die Neuromancer-Trilogie |
Übersetzer | Reinhard Heinz, Peter Robert |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | Alpha Centauri • Armitage • Band 1 • Blade runner • CASE • Chiba • Chloë Grace Moretz • Computer • Cyberpunk • Cyberpunk 2077 • Cyberspace • Cyborgs • Dystopie • Hacker • Johnny Mnemonic • Jonathan Nolan • Keanu Reeves • KI • Konsolencowboy • Kult • Künstliche Intelligenz • Lady 3Jane • Matrix • Molly Millions • Neo • Ninja • Peripherie • Punk • Shuriken • SimStim • Sprawl • The Peripheral • Trilogie • Turing • Virtual Reality • Virtuelle Realität • westworld • Wetware • Wintermute • Zukunft |
ISBN-10 | 3-608-12111-0 / 3608121110 |
ISBN-13 | 978-3-608-12111-7 / 9783608121117 |
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