Wo wir Kinder waren (eBook)

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
416 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-5000-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wo wir Kinder waren - Kati Naumann
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Vom Rückblick auf eineglückliche Kindheit

Eva, Iris und Jan sind Erben der ehemals prächtigen Spielzeugfabrik Langbein in Sonneberg. In der Kaiserzeit gegründet, befand sie sich in der Weimarer Republik auf ihrem Höhepunkt, überstand zwei Kriege, deutsche Teilung und Verstaatlichung, nur um nach der Wiedervereinigung kläglich unterzugehen. Nun ist von der ehrbaren Langbein-Tradition nichts mehr übrig. Streit und Verbitterung haben sich auf die Hinterbliebenen übertragen. Doch als bei einer Internetauktion eine der seltenen Langbein-Puppen auftaucht - sorgfältig genäht und von ihrem Großvater persönlich bemalt -, rückt die verblasste Vergangenheit wieder heran und wirft unzählige Fragen auf: nach Schuld und Verlust, aber auch nach Hoffnung und Neubeginn.

Eine mitreißendeFamiliengeschichte über einfast vergessenes Handwerk

»Es ist der Enthusiasmus der Autorin, der einen schließlich mitreißt.«MDR.de, 02.03.2021

»So macht die Verbindung aus mitreißender Familiensaga und historischem Zeugnis für eine vergessene Stadt ?Wo wir Kinder waren? zu einem unbedingt empfehlenswerten Lesevergnügen.« Galore.de, 10.02.2021

»?Wo wir Kinder waren? ist ein Stück emotionale Zeitgeschichte.« Susanne Fröhlich, Fröhlich lesen, MDR15.04.2021

»Das ist süffiger, teilweise spannender Lesestoff, bei dem man eine ganze Menge lernen kann.« Dirk Kruse,BR, 08.06.2021

»Eine tolle Familienchronik voller Geheimnisse und Missverständnisse, die zum Schmökern einlädt.«Neue Pause, 03.06.2021



Kati Naumann wurde 1963 in Leipzig geboren. In Sonneberg, im ehemaligen Sperrgebiet im Thüringer Wald, verbrachte sie einen Großteil ihrer Kindheit. Die studierte Museologin schrieb bereits mehrere Romane sowie Songtexte für verschiedene Künstler und das Libretto zu dem Musical Elixier (Musik von Tobias Künzel). Sie verfasste Drehbücher für Kindersendungen und entwickelte mehrere Hörspiel- und Buchreihen für Kinder. Kati Naumann lebt mit ihrer Familie am Stadtrand von Leipzig.

1

Die Spielzeugtesterin

Eva musste wach bleiben. Sie nippte an ihrem Kaffee, der längst bitter schmeckte, und sah auf die Uhr. Halb zwei Uhr nachts. Gleich war es so weit. Die nervöse Vorfreude, die ihren Atem beschleunigte, rief eine verschüttete Erinnerung wach.

Die aufregendste Tätigkeit, die sie jemals ausgeübt hatte, war die einer Spielzeugtesterin gewesen. Ihre Karriere begann, als sie fünf Jahre alt war, und endete mit ungefähr dreizehn. Obwohl das über vier Jahrzehnte her war, konnte sie sich plötzlich wieder überdeutlich an dieses berauschende Gefühl erinnern. Sie hatte es immer in dem winzigen Moment gespürt, der zwischen dem Abstellen des gefüllten Dederonbeutels auf den Tisch und dem Herausholen des zu testenden Gegenstands lag. Nie hatte sie vorher gewusst, was der Beutel verbarg. Nie war sie enttäuscht worden.

Wieder sah Eva auf die Uhr. Sie trat an das weit geöffnete Fenster und lauschte in die Dunkelheit. Das Plätschern in der Nähe ließ sich nur erahnen. Der Fluss führte Niedrigwasser. Ein leichter Wind war aufgekommen und trieb Feuchtigkeit aus dem Wald herunter. Obwohl in der Schwärze der Nacht nichts zu sehen war, fühlte sie vor sich den Stadtberg und hinter sich den Schlossberg aufsteigen. Die Altstadt von Sonneberg schlängelte sich durch das enge Tal der Röthen. Die Häuser lagen darin wie in einem sicheren Schoß.

Eva war hier aufgewachsen, in der Spielzeugstadt der Deutschen Demokratischen Republik, in der sich alles nur um dieses eine Thema gedreht hatte. Aus jeder Familie arbeitete damals jemand in der Spielzeugherstellung, und das seit Generationen. Eva hatte an der Sonneberger Fachschule eine Ausbildung als Spielzeuggestalterin absolviert. Direkt nach ihrem Abschluss brachte sie in aller Seelenruhe ihre beiden obligatorischen Kinder zur Welt. Sie hatte die Gewissheit, dass ein sicherer Arbeitsplatz mit Kinderbetreuung in irgendeiner Außenstelle des Spielzeugkombinats auf sie wartete. Als ihre jüngste Tochter alt genug für die Krippe war, existierten keine volkseigenen Betriebe mehr. Für Eva fühlte es sich an, als hätte sie jahrelang Schwimmen geübt, nur um dann festzustellen, dass es nirgends mehr Wasser gab.

Dabei schien es vorherbestimmt gewesen zu sein. Eva war mit Leidenschaft Spielzeugtesterin. Alles hatte sie mit großer Ernsthaftigkeit geprüft. Standmixer, Lastenkräne mit Kurbel, Puppen, die in die Windel machten, Plüschbären, die laufen konnten, Raketenträger mit abschussbereitem Projektil, Metallbaukästen mit Motoren, Fernlenkautos mit Bowdenzug. Es handelte sich um geheimes Spielzeug in der Entwicklungsphase, von denen die Kinder in den anderen Städten der Republik nichts ahnten, nicht einmal in Berlin, wo es sogar Joghurt und H-Milch gab. Die meisten Spielsachen, die Eva testete, stammten aus dem Volkseigenen Betrieb Sonni. Damals war sich Eva wichtig vorgekommen. Es hatte sich angefühlt, als würde es allein von ihr abhängen, ob es ein Spielzeug in die Läden schaffte. Dabei war sie im Grunde gar nicht geeignet gewesen. Sie behandelte ihre Sachen einfach zu vorsichtig. Kaum jemand wusste besser als sie, wie viele Arbeitsgänge und welche Sorgfalt für die Herstellung nötig gewesen waren. Evas wilder Cousin Jan hingegen schaffte es auf Anhieb, die Federn der Aufziehtiere zu überspannen oder die Achsen der Kunststoffautos zu brechen.

In die Gruppe der Tester waren die Kinder ganz automatisch gerutscht. Ihre Eltern arbeiteten in einem Betriebsteil, der zur Sonni gehörte, und deshalb gingen sie in den Betriebskindergarten. Dort bekamen die Kindergartenkinder Prototypen, um damit ausgiebig zu spielen. Am Ende der Woche wurden sie von den Erzieherinnen eingehend dazu befragt. Es mussten Berichte darüber geschrieben und Fragebögen ausgefüllt werden. Wenn das Spielzeug die größten Rabauken von Sonneberg überlebt hatte, war es reif für die Kinder der DDR und des Ostblocks, und für den Neckermann-Katalog. Das Beste an dieser Sache war, dass die Probanden die Spielsachen nach der Testphase behalten durften.

Nicht ein einziges Stück besaß Eva noch davon. Ihre Mutter hatte alles weggeworfen, ohne sie zu fragen. Nicht um sie zu kränken, sondern aus praktischen Gründen. Sie war in eine kleine Neubauwohnung umgezogen, und das Haus hatte nur ein Flachdach besessen.

Seit Neuestem spürte Eva merkwürdige Anflüge von Sentimentalität, und sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, diese Dinge wieder aufzutreiben. Manche schwatzte sie Bekannten ab, andere fand sie auf Flohmärkten, und einige entdeckte sie, heruntergekommen und abgespielt, im Internet. Oft zahlte sie einen vielfachen Preis dessen, was es damals brandneu gekostet hatte. Das war ein Luxus, den sie sich eigentlich nicht leisten konnte. Nie wieder war Eva für eine Arbeit so großzügig vergütet worden wie für das Spielzeugtesten.

Sie rückte vom dunklen Fenster ab. Nirgendwo brannte Licht, ihre Nachbarn schliefen längst. Aber in den USA war jetzt die beste Zeit für das Ende einer Internetauktion.

Eigentlich hatte Eva nach einem bestimmten Filztier gesucht, einem Schweinchen im Matrosenanzug, das sie einmal besessen hatte. Stattdessen war sie auf eine Langbein-Puppe gestoßen. Seitdem kontrollierte sie mehrmals stündlich diese Auktion. Sie setzte darauf, ohne Konkurrenz zu bleiben. Langbein-Puppen waren selten, aber weder wertvoll noch sonderlich begehrt.

Eva betrachtete die Fotos der Auktion. Die Puppe hatte einen schmalgliedrigen Körper aus Ziegenbalg, war fest mit Holzfasern ausgestopft, und die Beine besaßen erstaunlich intakte Kniegelenke. In den Augenhöhlen des Porzellankopfs saßen dunkle Schlafaugen. Evas Blick folgte dem Schwung der aufgemalten Augenbrauen. Die linke war ein wenig nach oben verrutscht und verlieh dem kleinen Gesicht etwas Überraschtes. Das Entscheidende aber war die Markung im Nacken. 1910 – A. L., wie Albert Langbein. Eva war eine geborene Langbein. Aber schon als Kind hatte sie diesen traditionsreichen Namen verloren. Sie durfte gar nicht daran denken, wofür ihre Mutter den eingetauscht hatte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie sich das Feld mit dem aktuellen Preis veränderte und eine höhere Summe anzeigte. Ohne nachzudenken, tippte Eva ein neues Gebot ein und wurde sofort wieder übertrumpft. Sie glaubte zu wissen, wer sich diese Unverschämtheit erlaubte. Es gab nur einen Menschen, der sich einbildete, ein Vorrecht auf die Familiengeschichte zu haben, weil er noch immer den Namen Langbein trug.

Nur zehn Minuten blieben bis zum Ende der Auktion. Ohne zu zögern griff Eva nach dem Telefon. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich jemand meldete.

»Bist du noch gescheit? Weißt du, wie spät es ist?«, erklang die verschlafene Stimme ihres Cousins Jan.

Eva fauchte ihn an: »Tu nicht so! Du willst mir die Puppe wegschnappen!«

»Bist du jetzt völlig verrückt? Das Einzige, was ich will, ist schlafen. Es gibt Leute, die müssen arbeiten.«

Noch immer schaffte es Jan, seine Cousine mit einer einzigen achtlosen Bemerkung zu verletzen. Und doch war es dieser kleine Nadelstich, der wieder die alte Nähe herstellte, die einmal zwischen ihnen bestanden hatte. Damals hatte Eva gewusst, wie Jans Stimme klang, wenn er log. Falls er nicht inzwischen völlig abgebrüht war, hatte sie ihn mit ihrem Anruf tatsächlich geweckt.

»Ich hab grad ganz andere Sorgen«, brummte er noch und legte auf.

Eva sah hektisch zur Uhr. Noch vier Minuten. Sie kannte eine weitere Person, die Interesse an einer Langbein-Puppe haben konnte. Aber die würde sie ganz sicher nicht anrufen.

Stattdessen gab sie eine sehr hohe Summe ein und beobachtete schadenfroh, wie der unsichtbare Bieter auf der anderen Seite mehrmals versuchte, sie zu übertrumpfen, und den Preis dadurch immer weiter in die Höhe trieb. Wenn sie die Puppe schon nicht bekam, sollte ihre Konkurrenz wenigstens so viel dafür zahlen, dass es wehtat. Im nächsten Augenblick endete die Auktion, und Eva erhielt eine automatisierte Nachricht. Ihre Summe war die höchste gewesen. Eva hatte gewonnen. Aber zu welchem Preis!

Im nächsten Moment ließ ihr Telefon ein leises Geräusch erklingen und zeigte eine Nachricht an. Sie stammte von ihrer Cousine Iris. So was nennt man Karma, meine Liebe.

Wieso wusste Iris immer alles? Ein ungutes Gefühl breitete sich in Eva aus. Sie glaubte nicht an Ahnungen und Vorzeichen wie ihre Cousine. Vielmehr beschäftigte sie die praktische Frage, ob man von einer Auktion zurücktreten konnte. Sie hatten schon lange nicht mehr miteinander gesprochen. Und schon gar nicht im Guten. Dennoch beschloss sie, ihren Stolz herunterzuschlucken und Iris anzurufen.

»Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich ausgerechnet gegen dich biete«, eröffnete Eva das Gespräch.

Auf der anderen Seite war nur ein spöttisches Lachen zu hören.

»Selbstverständlich trete ich vom Kauf zurück und lasse dir den Vortritt«, erklärte Eva und versuchte, ihrer Stimme einen großzügigen Unterton zu verleihen.

»Aber nein«, gab Iris scheinheilig zurück. »Du hast die Puppe rechtmäßig gewonnen. Ich gebe mich geschlagen.« Nach einer lauernden Pause setzte sie hinzu: »Es sei denn, du kannst sie dir nicht leisten. Dann würde ich dir natürlich aushelfen.«

Da war sie wieder, diese mit Nettigkeit übertünchte Arroganz von Iris, die Evas Puls schon immer in die Höhe getrieben hatte. Entrüstet wies sie diesen Verdacht zurück.

»Also wirklich«, stellte Iris fest. »Du kannst noch immer nicht besonders gut lügen.«

»Da hast du recht«, bemerkte Eva kühl. »Vielleicht sollte ich bei dir Unterricht nehmen.«

...

Erscheint lt. Verlag 26.1.2021
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Belletristik • bücher für frauen • bücher neuerscheinungen • Cousin • Cousinen • DDR • DDR Buch • ddr bücher • DDR Roman • deutsch-deutsche Geschichte • Deutsche Autoren • Deutsche Teilung • Familie • Familiendrama • Familiengeschichte • Familienroman • Frauenfreundschaft • Frauenroman • Frauenschicksal • frauenschicksale bücher • Generationen • Grenze • Hotel • Kuscheltiere • Mauer • Ost West • Puppen • Puppenfabrik • Rennsteig • Romane für Frauen • Roman Neuerscheinung • Sonneberg • Sperrgebiet • Spielzeug • Spielzeugfabrik • Thüringen • Thüringer Wald • Todesstreifen • Verstaatlichung • Weimarer Republik
ISBN-10 3-7499-5000-8 / 3749950008
ISBN-13 978-3-7499-5000-3 / 9783749950003
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