Hunde, Bier & Klopapier -  Heiner Horlitz

Hunde, Bier & Klopapier (eBook)

Überleben auf dem Jakobsweg
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
266 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-9970-8 (ISBN)
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"Meine morgendliche Euphorie erhält einen herben Dämpfer, als ich die vier Hunde vor der Herberge entdecke. Sie haben einen perfekten Halbkreis gebildet, sämtliche Fluchtwege sind verstellt. Wie es aussieht, haben die Köter nur auf diesen Moment gewartet. Allein mit einem Nachzügler, einem der den Anschluss an die große Herde verpasst hat. Kurz gesagt: Das ideale Opfer. Irgendwie erinnert mich die Situation an meine Schulzeit, in der mir nach Unterrichtsschluss oft prügelfreudige Klassenkameraden aufgelauert haben. Die geifernden Mäuler der Hunde befinden sich in perfekter Kastrationshöhe. Ein Biss genügt und die Familienplanung hat sich erledigt." Das Studium in den Sand gesetzt, jede Menge Bafögschulden, dazu den eisigen Atem der Arbeitsagentur im Nacken. Da hilft nur noch eins: die Flucht nach Santiago de Compostela, getarnt als Pilger. Doch das Abenteuer Jakobsweg birgt zahllose Gefahren: Ob verwilderte Hunde, die in verfallenen Ruinen hausen, vagabundierende Pferde oder wirre Greise, die vergiftete Brunnen bewachen, der Camino de Santiago hält jede Menge skurrile Begegnungen bereit. Es bleiben vier Wochen Zeit und achthundert Kilometer Wegstrecke, um das eigene Schicksal noch etwas aufzuschieben. Aber das Beste, was man in aller Ungewissheit finden kann, ist immer einander. So kommt es unterwegs zu Bekanntschaften mit einem jähzornigen Chinesen, dem alkoholsüchtigen Wikinger Haldor sowie einem mürrischen Neuseeländer namens Flint. Und dann ist da noch die schöne Evelyn aus Iowa, die mit ihren pfefferminzteegrünen Augen allen das Herz auskugelt. Zusammen flüchtet es sich doch viel schöner. Und aller Sorgen und Probleme zum Trotz, manchmal braucht das Leben nur etwas Bier und Klopapier ...

Heiner Horlitz, geboren 1982 in Erfurt, ist nahezu jedes Jahr mit Rucksack und Zelt unterwegs. Zwischen 2006 und 2011 pilgerte er mehrmals auf dem Jakobsweg. Weitere Wanderungen führten ihn durch die schottischen Highlands, entlang der englischen Atlantikküste oder über die grasigen Hügel von Wales. Neben Reiseliteratur verfasst er auch Lyrik und Kurzprosa.

1 Auf der Flucht


Hermann Hesse hat ja behauptet, dass jedem Anfang ein Zauber innewohnt. Und tatsächlich, für einen Moment ist es beinahe schön. Kofferrollen rattern über das Pflaster, Reißverschlüsse schnurren, Rucksackschnallen klacken. Vor mir blitzen die Gleise in der Morgensonne. Der Himmel ist makellos blau. Eine große Reise muss immer an einem Bahnhof beginnen.

Aus den Lautsprechern nuschelt eine Stimme in bestem thüringisch. Kurz darauf knattert eine Taube unter dem Dach hervor, als gelte der Aufruf ihr allein. Aber in Wirklichkeit ist sie einfach nur auf der Flucht. So wie ich. Und statt einem Anfang fühlt sich das hier wie ein Ende an – und das ist alles andere als bezaubernd.

Nachdem ich zum dritten Mal durch die Prüfung gerasselt war und die Fachhochschule Eberswalde mich mitleidslos exmatrikulierte, blieben mir drei Möglichkeiten: Ich könnte mich in psychologische Behandlung begeben, eine alkoholische Laufbahn einschlagen oder aber mich sportlich betätigen. Letztendlich habe ich mich für alles entschieden. Genauer gesagt: Für den Camino de Santiago, den Jakobsweg. 800 Kilometer quer durch Spanien – und zwar zu Fuß. Eine Strecke doppelt so lang wie die Spree. Vor einem Jahr ist bereits mein Vater im stolzen Alter von 70 den Jakobsweg gelaufen. Jetzt kann ich wortwörtlich in seine Fußstapfen treten – und vielleicht ein paar eigene hinterlassen. Am Ende meiner Reise habe ich hoffentlich eine Art Erleuchtung oder zumindest einige zündende Ideen, wie es weitergehen soll.

Viel Zeit bleibt nicht mehr. Mir sitzt bereits die Agentur für Arbeit im Nacken und plant die weitere berufliche Zukunft für mich, Nr. 093A252405. Eigentlich dürfte ich jetzt gar nicht hier sein, sondern müsste fleißig Bewerbungen schreiben und mich für Vorstellungsgespräche griffbereit halten. Aber wie gesagt: Das hier ist eine Flucht.

Es folgt eine weitere Durchsage. Der ICE ist tatsächlich pünktlich. Die Wartenden am Bahnsteig greifen nach ihren Koffern, Taschen und Kindern und bilden eine Frontlinie. Ich gestehe, dass ich lieber Regionalbahn fahre. Ganz ehrlich, ein richtiger Zug muss rattern, ruckeln und quietschen. Der Fahrgast braucht das physische Erlebnis, er muss das Pochen der Gleise unter seinem Hintern spüren. Es muss beim Toilettengang so sehr schaukeln, dass man alles andere trifft, nur nicht die Kloschüssel. In einem ICE kommt man sich dagegen vor wie eine Rohrpost. Der heutige Adressat ist Frankfurt am Main.

Mein Sitznachbar erfüllt auch gleich mal das Klischee vom bösen Banker: schwarze Lackschuhe, Nadelstreifenanzug, Windsorknoten, dazu ein Nussknackergrinsen und eine Frisur wie ein Brotaufstrich. Weil wir nebeneinandersitzen, kommen wir zwangsläufig ins Gespräch, wobei es sich eher um einen Monolog handelt. Der Krawattenmann erzählt mir ausführlich von seinem Plastikleben. Es geht um Devisen, Aktienkurse, Hedgefonds und US-Indizes – also quasi um nichts. Während der Börsianer so munter drauflos schwadroniert, streicht er sich mit der Hand immer wieder über den marinierten Scheitel. Ich schaue hilfesuchend zur Gepäckablage. Jetzt wäre es allerhöchste Zeit für eine ordentliche Kofferlawine.

Nach zwei Stunden fährt der Zug in Frankfurt ein. Ich beeile mich das Bahnhofsgebäude zu verlassen, um den zahlreichen Schnorrern zu entkommen, die sofort Witterung aufnehmen. Unweit vom Hauptbahnhof befindet sich die Haltestelle zum Airport-Shuttle nach Frankfurt Hahn. Der Preis für die zweistündige Überführung beträgt 15 Euro. So viel wie mein ganzer Hinflug. Als ich dem Busfahrer einen Fünfzig-Euro-Schein reiche, zerstückelt er mich mit seinem Kettensägenblick. Das Pärchen hinter mir provoziert ihn zusätzlich mit einem Hunderter. Nach einer Viertelstunde können wir endlich los. Der Fahrer weist uns im Kasernenton auf die Anschnallpflicht hin, dann pflügt er durch die Innenstadt Richtung Autobahn.

Apropos Kasernenton: Frankfurt-Hahn wurde früher vorrangig militärisch genutzt. 1951 von den Franzosen gebaut, übernahm ihn 1952 die US-Airforce. Nach dem Kalten Krieg waren hier drei F-16 Staffeln stationiert, die u. a. im zweiten Golfkrieg eingesetzt wurden. Später mauserte sich Hahn zum sechstgrößten Frachtflughafen Deutschlands. Das brachte vor allem Naturschützer auf die Palme, siedelte doch hier die seltene Mopsfledermaus. Heute ist Frankfurt-Hahn der wirtschaftliche Herzschrittmacher einer ganzen Region. Die Bezeichnung „Frankfurt“ bleibt hingegen rätselhaft. Selbige Stadt liegt nicht nur 125 Kilometer entfernt, sondern in einem ganz anderen Bundesland. Das soll mal ein Lehrer im Geografieunterricht erklären.

Der Bus trifft auf die Minute pünktlich am Flughafen ein. Kaum dass die Gepäckklappe offen ist, zerren die Reisenden brutal ihre Koffer und Taschen aus dem Bus, als würden sie ein erlegtes Tier ausweiden. Nachdem ich meinen Rucksack wiederhabe, begebe ich mich in die Abflughalle. Fluggäste aus der ganzen Republik strudeln hier ineinander. Das liegt nicht nur den niedrigen Preisen, sondern auch an den vielen Destinationen, wie nicht zuletzt die Garderobe der Reisenden verrät: Getigerte Miniröcke gehen nach Mallorca, Bommelmützen und Funktionsjacken nach Schottland, Krawatten und Rolex-Uhren nach London. Die blauen Uniformen entpuppen sich hingegen als äußerst hartnäckige Werbevertreter von Ryanair.

Die Dame am Check-in ist von äußerst hochhackigem Gemüt. Man kann in jedem Wort die Absätze klacken hören. Als ich meinen Rucksack auf das Rollband lege, schaut sie mich an, als hätte ich ihr gerade eine blutige Schweinehälfte hingeknallt. Sie spitzt abschätzend die glasierten Lippen, was ihr eine erotische Arroganz verleiht. Ich riskiere ein Lächeln. Zur Strafe schickt sie mich durch die halbe Halle zum Übergepäck.

Gut anderthalb Stunden später sitze ich im Flieger nach Santander. Die Stimme des Kapitäns knistert aus den Lautsprechern. Letzte Sitzgurte klacken, Tische schnappen zu. Ein Kind schreit vergeblich nach seinem Kuscheltier. Die Flugbegleiterinnen positionieren sich im Gang und spulen spröde die Sicherheitsinstruktionen herunter. Danach setzt sich die Maschine in Bewegung. Wir ruckeln über das Rollfeld Richtung Startpiste. Dann heulen die Turbinen auf.

Nachdem das Flugzeug wieder in der Waagerechten liegt, starten die Stewardessen die Werbeveranstaltung. Es gibt Sandwichs mit Putenbrust, Rotkäppchensekt und Rubbellose. Der Großteil der Passagiere stellt sich schlafend oder sucht imaginäre Gegenstände unter den Sitzen. Auch ich schließe die Augen. Als ich sie wieder öffne, setzt das Flugzeug bereits zur Landung in Santander an.

Die Hauptstadt Kantabriens gilt aufgrund ihrer Sandstrände als beliebter Badeort und steht auch bei Surfern hoch im Kurs. Die Innenstadt hingegen ist weniger attraktiv. Doch das hat seinen Grund. Im Jahre 1941 wütete in Santander ein heftiger Großband und verzehrte das historische Zentrum nahezu komplett. Erst nach zwei Tagen konnte das Feuer gelöscht werden. Der langwierige Wiederaufbau war jedoch alles andere als eine Schönheits-OP. Da hat Dresden die deutlich besseren Architekturchirurgen gehabt. Eine weitere Katastrophe hatte sich am 3. November 1893 ereignet: Der gerade heimgekehrte Frachter Cabo Machichaco geriet beim Entladen in Brand und explodierte – und zwar mit 51 Tonnen Dynamit an Bord. Durch die Druckwelle wurden sämtliche umliegenden Häuser weggemäht und es gab 590 Todesopfer zu beklagen.

Wieder knistert die Stimme des Kapitäns in den Lautsprechern. Die Stewardess versucht es nochmal mit den Rubbellosen. Sie wird mir fehlen. Als ich in sengender Hitze auf dem Rollfeld stehe, wird mir zum ersten Mal so richtig bewusst, was ich mir da aufgehalst habe: Achthundert Kilometer Fußmarsch mit einem Rucksack, der so viel wiegt wie ein Vorschulkind. Das wird nicht nur lustig, sondern vor allem anstrengend.

Mit dem Zubringer fahre ich in die Stadt und gönne mir am Busbahnhof ein Frühstück. Mir fällt sofort auf, dass Spanien ein lautes Land ist. Die Leute unterhalten sich über mehrere Tische hinweg und auch der Kellner macht sich nicht die Mühe, hinter seinem Tresen vorzukommen, sondern nimmt meine Bestellung aus zehn Metern Entfernung entgegen.

Nach dem Essen erkundige ich mich nach einer Verbindung Richtung Saint-Jean-Pied-de-Port. Mein Vorhaben gestaltet sich als schwierig. Englisch spricht hier keiner. Mühsam knete ich einige spanische Vokabeln zusammen und überreiche den Klumpen. Den Namen Saint-Jean-Pied-de-Port muss ich mehrmals wiederholen. Schließlich empfiehlt man mir den Bus nach Bilbao zu nehmen. Morgen soll ich dann weiter nach Bayonne fahren. Von dort geht ein Pilgerzug direkt nach Saint-Jean. Also kaufe ich ein Ticket ins Baskenland und wundere mich über den niedrigen Preis. Mit der Deutschen Bahn wäre ich damit nur von Potsdam bis zum Berliner Ostbahnhof gekommen.

Es dauert eine Weile, ehe ich meinen Bus gefunden habe. Zwar steht auf dem Ticket die Nummer der Haltebucht, aber ich merke schnell, dass hier das Motto gilt: Wer zuerst kommt, parkt zuerst. Immerhin gibt’s einen Fensterplatz. Etwas Sorge bereiten mir hingegen drei finstere...

Erscheint lt. Verlag 12.1.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
ISBN-10 3-7526-9970-1 / 3752699701
ISBN-13 978-3-7526-9970-8 / 9783752699708
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