Instagrammatik (eBook)

Das streamende Klassenzimmer
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2536-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Instagrammatik -  Herr Schröder
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Alles ist neu in der Helene-Fischer-Gesamtschule, denn zum Schrecken des Cholerikums gibt es eine neue Schulleiterin, die ein digitales Update im Gepäck hat. G8 trifft auf 5G: Der Medienwagen hat jetzt Netflix, die Schulbücher gibt's als Podcast, die Referate werden per Videokonferenz gehalten. Doch es gibt auch positive Aspekte: Mithilfe von Youtube-Tutorials wird endlich der Lehrermangel ausgeglichen, und die Schüler*innen haben keine Angst mehr vor Mathe: der Dreisatz in zwei Sätzen. Selbst Herr Schröder, der gerade zum ersten Mal eine Dienst-Email verfasst hat, wittert Pionierluft und möchte Klick-Millionär werden - Opa-Gangnam-Style. Und seine Klasse soll dabei helfen: Was ist eigentlich TikTok? Warum gibt's den Link in Bio - und nicht in Deutsch? Und was ist ein Shit-Storm? Das alles wird Herr Schröder am eigenen Leib erfahren.

Johannes Schröder ist studierter Deutschlehrer und Comedian/Kabarettist. Was sich wie ein Widerspruch anhört, ist letztlich eine humoristische Form der Selbstverteidigung. Nach 12 Jahren Schuldienst und dem Nebenjob als Pausenaufsicht befindet sich der Wahlkölner alias 'Herr Schröder' gegenwärtig mit seinem ersten Comedy-Soloprogramm 'World of Lehrkraft' auf großer Live-Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Johannes Schröder ist studierter Deutschlehrer und Comedian/Kabarettist. Was sich wie ein Widerspruch anhört, ist letztlich eine humoristische Form der Selbstverteidigung. Nach 12 Jahren Schuldienst und dem Nebenjob als Pausenaufsicht befindet sich der Wahlkölner alias "Herr Schröder" gegenwärtig mit seinem ersten Comedy-Soloprogramm "World of Lehrkraft" auf großer Live-Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Kapitel 1


Frischer Wind

Es ist der Freitag vor Schulöffnung. Ich schlendere über den halb leeren Lehrerparkplatz in Richtung Haupteingang. Alles wie immer – und doch anders. HFG – Staatliche Gesamtschule. Nur der Schriftzug »Rauchfreie Schule« wurde mit einem kunstvollen Graffito in »Bauchfreie Schule« verwandelt. Vor dem Eingang liegen vier E-Roller und ein Leihfahrrad. Zwei Eichhörnchen jagen sich um die Tischtennisplatten. Das Schulgelände konnte über die letzten sechs Wochen ein wenig verschnaufen. Anfang August wurden am Schulteich zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder Fischreiher gesichtet. Die Natur hat sich erholt. Wie wundervoll Schule sein könnte, so ohne Schülerinnen und Schüler. Still und leise steht der Betonwürfel im suburbanen Speckgürtel. In der Raucherecke liegt ein vergessener Turnbeutel, und ich kann mich sofort mit ihm identifizieren.

Aus den geöffneten Fenstern des Lehrerzimmers im ersten Stock höre ich die Freude des Wiedersehens. Das große Hallo nach sechs Wochen unterrichtsfreier Zeit. 82 Kolleginnen und Kollegen in ihrer Lieblingsdisziplin: Reiseanekdoten austauschen und vorsichtig den nächsten Urlaub anvisieren. Die beweglichen Ferientage strategisch so legen, dass man über ein Viadukt an Brückentagen direkt in die Adventszeit gleitet.

Mit einem leichten Gefühl der Beklemmung steige ich die Freitreppe hoch. Natürlich freut man sich, alle wiederzusehen, dennoch drängt sich im direkten Vergleich natürlich die Frage auf, ob man seine Ferien wirklich gut genug genutzt hat.

Im Lehrerzimmer angekommen, lege ich meine Tasche ab und bahne mir den Weg Richtung Postfächer. Vorbei an den Kollegen, die stolz ihre maritime Segelbräune zur Schau tragen. Dabei schnappe ich ein paar Gesprächsfetzen auf: »Einmalige Ferienwohnung, alles Terrakotta«, »Wir kennen da jeden Winkel«, »Türkei, aber sauber«, »Diesmal nur die Eifel, wegen der Kleinen«, »Geheimtipp aus dem Lonely Planet, war trotzdem sehr voll«, »Nordsee – man muss es mögen«, »Mallorca – Binnenland natürlich«, »Kap Verde, unberührt. Die sind da mit so wenig zufrieden«, »Die leben ja vom Tourismus«, »Ich habe nicht eine Sekunde an die Schule gedacht« … 

Jeder ist bemüht, die Ferienstimmung noch etwas in den Alltag zu retten. Wer sieht relaxter aus? Wem ist das Loslassen am besten gelungen? Wer verkauft seine Stressfurchen als Lachfalten?

»Schrödi, wie waren deine Ferien?« Ein bebrillter Sonnenbrand blickt mich neugierig an. Wer war das noch gleich?

Ich antworte: »Du kennst mich ja. Warum in die Sterne greifen, das Gute liegt ja oft nur einen Katzenwurf entfernt.«

Kollege X lacht und hakt nach. »Was hast’n gemacht?«

Der unabhängig jeden Anlasses hoch motivierte Sportlehrer Theo Eisenmann – hinter vorgehaltenem Reclamheft nenne ich ihn manchmal Trillerpfeifen-Theo – mischt sich ein und haut mir mit der flachen Hand auf den Rücken. »Ist doch klar, was Schrödi gemacht hat! Schön mit dem alkoholfreien Bierbike durchs Sauerland. Oder doch mit dem Flugsimulator in die Karibik?«

»Ach, ich hab mal wieder zwei Wochen in der Bredouille verbracht.«

Theo nickt. »Toll, Frankreich.«

Der hat sich über die Ferien auch gar nicht verändert. Immer noch der Mensch gewordene Mattenwagen, mit einer Körperspannung wie ein Reck. Der springt abends auch mit ’nem Seemannsköpper ins Bett. Neuerdings hat er einen kleinen Magnesiumbeutel am Gürtel. Lieber nicht fragen, was es damit auf sich hat. Wahrscheinlich hat er in den Ferien den El Capitan ohne Sicherung bestiegen. Auf seinem Unterarm entdecke ich ein neues Tattoo. Eine schwarze, gezackte Linie, die aussieht wie eine Panne am Korrekturrand. Ist es eine Gebirgskette? Oder doch ein Kardiogramm? Oder gar beides?

Leider registriert er meinen Blick. Er holt tief Luft und guckt in die Ferne.

»Das Klettern ist mein Leben. Da oben hilft dir keiner. Nur du und die raue Felswand. Und wisst ihr, Berge sind wie Schüler: Sie wollen versetzt werden.«

Der bebrillte Sonnenbrand nickt anerkennend. »Donnerwetter, Theo. Mach doch ’ne Kletter-AG.«

»Ach, AG war gestern. Ich mach jetzt YouTube-Tutorials! Nächster Halt: Klickmillionär! Schaut mal her.« Er zückt sein Smartphone und zeigt uns ein Klettervideo. Freeclimb. 251.000 Klicks. 1056 Kommentare. »Hab ich mit der GoPro gefilmt …«

Ein günstiger Moment, um sich aus dem Gespräch zu lösen.

Klickmillionär. Albern. Routiniert greife ich in mein Fach.

»Hä, was ist das denn?«

Normalerweise befindet sich in den Postfächern ein Sammelsurium an Zettelwirtschaft. Auszufüllendes, Abzuheftendes, zur Kenntnis zu Nehmendes, zu Ignorierendes, Abzuzeichnendes, Weiterzuleitendes. Ein Panini-Sammelalbum des Schreckens.

Doch diesmal greift meine Hand ins Leere. Nicht mal eine dusselige Einladung zu irgendeiner Sommerparty hat sich in mein Fach verirrt. Alles, was ich finde, ist ein kleiner Chip, ähnlich wie die Dinger, mit denen sich vor Supermärkten Einkaufswagen freischalten lassen. Irritiert mustere ich das anonyme Artefakt. Kollege X weiß mehr: »Ja, das wurde höchste Zeit. Kann doch nicht sein, dass wir zum Mars fliegen, aber an der HFG wird noch mit so altertümlichen Schlüsseln hantiert.«

»Na ja, aber ich bin Schlüsselkind. Wie funktioniert das denn?«, frage ich.

»Welche Farbe hast du?«

»Blau.«

»Oh.«

»Was?«

»Nix, ist doch super.«

»Welche Farbe hast du denn?!«

Ein Korken saust an meinem Ohr vorbei. Aus der Mitte des Raumes tönt es: »Ich wünsche allen Kolleg:innen ein fulminantes und erfolgreiches Schuljahr!«

Applaus.

Um die Korkenschützin hat sich eine Lehrertraube gebildet. Wo haben die denn alle plötzlich die Gläser her? Vielleicht hab ich ja den falschen Chip. Ich stelle mir den Kommentar des unbekannten Kollegen vor. »Nee, Schrödi, mit Blau gibt’s nur Schnabeltassen. Sektflöten kommen ab Rot.«

Biolehrerin Kuschel-Ursel (Klassenleitung 5b, Verfechterin pädagogischen Sanftgarens und gewissenhafte Pflegekraft der Korridorkakteen) drückt mir eine bedruckte Tasse in die Hand. In abgeblätterten Lettern ist zu lesen: Lehrer des Jahres. »Schrödi, das hätten wir auch nicht gedacht, dass man sich hier auf seine alten Tage noch mal so umstellen muss, oder?«

»Na ja, Ursula, kann doch nicht sein, dass wir zum Mars fliegen und hier an der HFG laufen nur Schlüsselkinder rum.«

Jemand gießt Sekt in meine Tasse.

»Ja, das sagt Steffen auch immer.«

Steffen! Genau. So heißt der Sonnenbrand! Physik und Mathe. Kollegen, die sich für diesen Lehrer interessieren, interessierten sich auch für: Liegefahrrad, Barfußschuhe, hochklappbare Sonnenbrillenaufsätze und Bimssteine.

»Ja, genau, Steffen, smarter Typ.« Ich puste und nehme einen Schluck aus der Tasse. Hatte kurz vergessen, dass da Sekt drin ist und nicht Kaffee. 

»Was hast du für ’n Chip, Ursi?«

»So ’n runden.«

»Ja. Und die Farbe?«

»Lila.«

»Ah ja.«

Die Stimme in der Mitte des Raumes hebt erneut an: »So, ihr Lieben, ich hoffe, jetzt sind alle feucht-fröhlich ausgestattet. Das war natürlich nur Bestechung für das, was jetzt kommt.« Gelächter. Steffen pfeift auf zwei Fingern. »Allen, die schon einen Blick in ihr Fach geworfen haben, wird aufgefallen sein, dass wir ein neues Schlüsselsystem haben.«

Jetzt endlich erkenne ich die Rednerin. Frau Anne Windkamp, die neue Schulleiterin. Sie hält die Sektflasche wie den UEFA-Pokal.

»Das und vieles Weitere ist Teil der digitalen Umstellung. Alles, was wir sonst auf tote Bäume gedruckt haben, findet ihr jetzt in der Cloud.«

»Wo?« Kuschel-Ursel zuppelt mir am Hemd.

»In so einer Art Datenwolke, Ursi.«

»Ich kann mir vorstellen, dass das für viele Kolleg:innen natürlich jetzt eine enorme Umstellung bedeutet und mit einigen Ängsten verbunden ist. Das Wort ›Wandel‹ besteht ja auch zu 80 Prozent aus Wand.«

Trillerpfeifen-Theo zückt seinen Notizblock.

»Und die gilt es zu überwinden. Gemeinsam.« Die neue Schulleiterin macht eine ausschweifende Handbewegung, als würde sie ein Spannbettlaken glatt streichen. »Und wenn wir jetzt alle mit vereinten Kräften …« Sie blickt in die Runde, und ich meine erkennen zu können, dass sie sich in diesem Moment dazu entschließt, noch eine rhetorische Schippe draufzulegen:

»Leute. Warten wir nicht auf die Politik. Wir wissen doch am besten, wie hier die Uhren ticken. Es muss sich einiges ändern, damit die HFG anschlussfähig bleibt. Aber auf die Gefahr, dass das alles zu technisch klingt: Außerschulische Veranstaltungen sind mir im letzten Jahr deutlich zu kurz gekommen! Wir brauchen ein vitales Sozialcurriculum: Förderung der Soft Skills auch außerhalb des Unterrichts.«

Ich rufe...

Erscheint lt. Verlag 2.8.2021
Co-Autor Simon Slomma
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Schlagworte Comedy-Lehrer • Deutsch • Deutscher Comedy-Preis • Deutschlehrer • große Pause • Gymnasium • Humor • Klassenzimmer • Kollegium • Lehrer • Lehrerzimmer • Mathe • Pädagogik • RTL • Schule • Schulferien • World of Lehrkraft
ISBN-10 3-8437-2536-5 / 3843725365
ISBN-13 978-3-8437-2536-1 / 9783843725361
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