Das Flüstern der Bienen (eBook)

Roman | Der Familienroman, der hunderttausende Leserinnen verzaubert
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2021 | 1. Auflage
480 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2477-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Flüstern der Bienen -  Sofía Segovia
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Ein einzigartiger Junge, der das Schicksal eines Dorfes für immer verändert In der kleinen mexikanischen Stadt Linares erzählt man sich noch immer von dem Tag, an dem die alte Nana Reja ein Baby unter einer Brücke gefunden hat. Von einem Bienenschwarm umhüllt, erweckt der kleine Simonopio zunächst Misstrauen bei den abergläubischen Dorfbewohnern. Doch die Gutsbesitzer Francisco und Beatriz Morales nehmen den wilden stummen Jungen bei sich auf und lieben ihn wie ihr eigenes Kind. Während die Spanische Grippe die Region trifft, und um sie herum die mexikanische Revolution wütet, lernen sie Simonopios Gabe zu vertrauen und können die Familie so vor dem größten Unheil bewahren. Doch nicht alle Bewohner der Hacienda meinen es gut mit dem Jungen ... »Das Flüstern der Bienen ist ein Buch voller Lebensfreude und Hoffnung. [...] Ein großes Lesevergnügen.« - WDR 4

Sofía Segovia, geboren in Monterrey, Mexiko, studierte Kommunikationswissenschaften in Monterrey und wollte eigentlich Journalistin werden, doch dann entdeckte sie ihre Liebe für fiktives Schreiben. Mit Das Flüstern der Bienen stand sie wochenlang auf den Bestsellerlisten in Mexiko und wurde international von den Kritikern hoch gelobt. Heute reist sie dorthin, wo ihre Romane sie hinführen, lebt aber mit ihrem Ehemann, drei Kindern und drei Haustieren in den Bergen von Monterrey. 

Sofía Segovia, geboren in Monterrey, Mexiko, studierte Kommunikationswissenschaften in Monterrey und wollte eigentlich Journalistin werden, doch dann entdeckte sie ihre Liebe für fiktives Schreiben. Sie schrieb zunächst mehrere Stücke für das Theater, arbeitete als Ghostwriterin und unterrichtete Kreatives Schreiben, bis sie ihren ersten Roman Noche du huracán veröffentlichte. Das Flüstern der Bienen ist ihr zweiter Roman, mit dem sie wochenlang auf den Bestsellerlisten in Mexiko stand und international von den Kritikern hoch gelobt wird. Heute reist sie dorthin, wo ihre Romane sie hinführen, lebt aber mit ihrem Ehemann, drei Kindern und drei Haustieren in den Bergen von Monterrey. 

1
Blaues Kind, weißes Kind


An jenem Morgen im Oktober mischte sich das Weinen eines Babys unter das Rauschen der frischen Brise in den Bäumen, das Zwitschern der Vögel und das Zirpen, mit dem die Insekten die Nacht verabschiedeten. Es drang aus dem Dickicht am Berghang, war aber schon wenige Meter von seinem Ausgangspunkt entfernt nicht mehr zu hören, wie durch Hexerei daran gehindert, an ein menschliches Ohr zu dringen.

Noch Jahre später würden die Leute darüber reden, wie Don Teodosio auf dem Weg zur Arbeit auf einer benachbarten Hazienda dicht an dem armen ausgesetzten Baby vorbeigegangen sein musste, ohne einen Laut zu vernehmen, und wie Lupita, die Wäscherin der Morales, auf dem Weg nach La Petaca, wo sie sich einen Liebestrank brauen lassen wollte, die Brücke überquerte, ohne das Geringste zu bemerken; denn natürlich hätte sie den Jungen an sich genommen, wenn sie ihn denn gehört hätte. Ich verstehe nicht – so erzählte sie später jedem, der es hören wollte –, wer so grausam sein kann, ein neugeborenes Kind auszusetzen und es einsam und allein sterben zu lassen.

Das war in der Tat ein Rätsel. Welche Frau hier in der Gegend hatte in den letzten Monaten Anzeichen einer ungebührlichen Schwangerschaft gezeigt? Zu wem gehörte dieses unglückselige Kind? Nachrichten über einen möglichen Fehltritt verbreiteten sich im Ort schneller als die Masern, und wenn einer etwas wusste, wussten es bald alle.

In diesem Fall aber wusste keiner etwas.

Die populärste unter den zahllosen Theorien, die über die Jahre weitergegeben wurden, besagte, dass eine der Hexen von La ­Petaca, die – wie ja allgemein bekannt – mit ihren Liebesdiensten sehr freizügig waren, das Kind geboren und es dann, als sie sah, wie seltsam und missgestaltet es war – eine Strafe des Allmächtigen oder des Teufels? –, unter der Brücke abgelegt und seinem Schicksal überlassen hatte.

Niemand hätte sagen können, wie lange das Baby mutterseelenallein dort gelegen hatte, hungrig und nackt. Niemand verstand, wie es unter freiem Himmel hatte überleben können, ohne durch die offene Nabelschnur zu verbluten oder zum Fraß von Ratten, Raubvögeln, Bären oder Pumas zu werden, von denen es in der Gegend nur so wimmelte.

Und alle fragten sich, wieso ausgerechnet die alte Nana Reja den Jungen unter einem Teppich aus wimmelnden Bienen gefunden hatte.

Vor vielen Jahren hatte die alte Amme beschlossen, sich auf der Hazienda La Amistad einen Ort zu suchen, an dem sie den Rest ihrer scheinbar endlosen Tage verbringen konnte. Ihre Wahl war auf einen Schuppen gefallen, einen schlichten, fensterlosen Bau, der als Lagerraum diente. Wie die anderen Wirtschaftsgebäude stand er hinter dem Haupthaus, den Blicken der vornehmen Gäste verborgen, und unterschied sich von den anderen Lagerschuppen nur dadurch, dass er ein schützendes Vordach besaß, sodass die alte Frau sommers wie winters draußen sitzen konnte. Das war allerdings reiner Zufall, denn Reja hatte den Platz nicht etwa deshalb gewählt, sondern weil er eine wunderbare Aussicht bot und der Wind ihr hier nach seinem verschlungenen Weg durchs Gebirge ins Gesicht wehte.

Nun saß sie schon seit so vielen Jahren hier, dass keiner der Bewohner sich daran erinnern konnte, wie sie und ihr Schaukelstuhl hierhergekommen waren.

Die meisten Leute glaubten, dass Reja ihren Schaukelstuhl nie verließ, weil sie so alt war – auch wenn niemand ihr genaues Alter kannte –, dass ihre Knochen sie nicht mehr trugen und ihre Muskeln ihr nicht mehr gehorchten. Schon vor Sonnenaufgang sah man sie dort sitzen, gemächlich hin und her schaukelnd, angetrieben mehr vom Wind als von ihren eigenen Füßen, und am Abend war sie noch dort, wenn alle anderen längst zu Hause ihren Feierabend genossen.

So viele Jahre saß sie schon da, dass die Bewohner der Hazienda ihre Geschichte und sogar sie selbst vergessen hatten: Sie war Teil der Landschaft geworden, mit dem Boden verwurzelt, auf dem sie vor und zurück wippte. Ihr Fleisch war zu Holz verdorrt, ihre Haut zu dunkler, harter, gefurchter Rinde getrocknet.

Wenn die Leute vorübergingen, grüßten sie sie ebenso wenig, wie man einen Baum grüßt. Manchmal kamen ein paar Kinder aus dem nahe gelegenen Ort herauf, um einen verstohlenen Blick auf diese Legende zu erhaschen, aber wenn sich eines näher an sie heranwagte, um sich zu vergewissern, dass es wirklich eine Frau aus Fleisch und Blut und nicht etwa eine Holzfigur war, dann verpasste Reja dem Naseweis, ohne die Augen zu öffnen, einen ordentlichen Hieb mit ihrem Krückstock.

Sie wollte nicht angegafft werden, also tat sie, als wäre sie aus Holz, und hoffte, dass man sie übersah. In ihrem langen Leben hatten ihre Augen zu viel gesehen und ihre Ohren zu viel gehört, ihr Mund hatte zu viel geredet, und zu vieles hatte ihre Haut berührt und ihr Herz zerrissen. Sie konnte nicht sagen, wofür sie noch lebte oder worauf sie noch wartete, bevor sie sich endgültig verabschiedete. Schon lange war sie niemandem mehr eine Hilfe.

Aber obwohl ihr Körper verdorrt und ihre Sinne abgestumpft waren, waren ihre Gefühle noch nicht ganz erloschen, und ein paar wenige Menschen durften sich ihr noch nähern: Pola, die andere alte Nana der Familie, die wie sie ihre besten Tage schon lange hinter sich hatte, oder Francisco, der Junge, den sie vor langer Zeit, als sie sich noch gestattete, zu fühlen, von ganzem Herzen geliebt hatte. Franciscos Frau Beatriz hingegen ertrug sie nur mit Mühe; sie war zu müde, um noch jemanden in ihr Leben zu lassen, und seine Töchter fand sie unausstehlich.

Sie brauchten sie nicht, und die alte Nana hatte ihnen nichts zu geben, denn mit zunehmendem Alter war sie von ihren Pflichten entbunden worden und nach und nach mit ihrem Schaukelstuhl verwachsen, so sehr, dass man nicht wusste, wo das Holz des einen endete und das der anderen begann.

Noch vor Tagesanbruch kam sie aus ihrem Zimmer geschlurft, ließ sich unter dem Vordach in ihrem Schaukelstuhl nieder und schloss Augen und Ohren, um nichts zu sehen und nichts zu hören. Pola brachte ihr Frühstück, Mittagessen und Abendessen, was sie jedoch kaum anrührte. Erst viele Stunden später, wenn ihr die Lichter der Glühwürmchen hinter ihren geschlossenen Lidern anzeigten, dass es Nacht war, und ihr Schaukelstuhl sie zu zwicken und zu zwacken begann, weil er ihrer Gesellschaft überdrüssig war, stand sie wieder auf.

Manchmal öffnete sie auf dem Weg zum Bett die Augen, auch wenn sie sie nicht brauchte, um zu sehen. Dann legte sie sich in ihrem Bett auf die Decke, weil die Kälte schon lange nicht mehr durch ihre Haut drang. Aber sie schlief nicht. Sie brauchte keinen Schlaf mehr und hatte vor langer Zeit aufgehört, darüber nachzudenken, ob es daran lag, dass sie genug für ein ganzes Leben geschlafen hatte, oder ob ihr Körper sich gegen das Einschlafen sträubte, um nicht in den Großen Schlaf zu versinken. Nach ein paar Stunden begann ihr weiches Bett, sie wiederum zu zwicken und zu zwacken, um sie daran zu erinnern, dass es Zeit war, ihren treuen Freund, den Schaukelstuhl, aufzusuchen.

Nana Reja hätte nicht sagen können, wie viele Jahre sie nun schon lebte. Sie hatte den Tag ihrer Geburt und ihren vollständigen Namen vergessen – wenn sich überhaupt jemand jemals die Mühe gemacht hatte, ihr einen richtigen Namen zu geben. Zwar nahm sie an, dass sie einen Namen hatte, aber sie erinnerte sich weder an ihre Kindheit noch an ihre Eltern, ja, sie war sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt Eltern gehabt hatte. Hätte man ihr gesagt, dass sie der Erde entsprossen war wie ein Nussbaum, so hätte sie es geglaubt. Auch das Gesicht des Mannes, der ihr das Kind gemacht hatte, hatte sie vergessen, nicht aber seinen Rücken, den er ihr zuwandte, als er ging und sie in der Lehmhütte allein ihrem Schicksal überließ.

Sie wusste noch, wie sich das Strampeln in ihrem Bauch angefühlt hatte, wie ihre Brüste geschmerzt und noch vor der Geburt des Jungen, der ihr einziges Kind bleiben sollte, eine gelblich weiße, süße Flüssigkeit abgesondert hatten. Sie war sich nicht sicher, ob das Gesicht, das sie in ihrer Erinnerung vor sich sah, das ihres Jungen war oder ob ihr nicht vielmehr ihre Fantasie einen Streich spielte und sich in ihm die Züge sämtlicher Kinder vermischten, die sie in ihrem Leben gesäugt hatte, der weißen wie der schwarzen.

An den Tag, an dem sie nach Linares gekommen war, halb tot vor Hunger und Kälte, erinnerte sie sich aber ganz genau, und noch immer spürte sie, wie sie das Baby in ihren Armen hielt und fest an ihre Brust drückte, um es vor der eisigen Januarluft zu schützen. Nie zuvor hatte sie die Berge verlassen, und darum hatte sie nie zuvor so viele Häuser beieinanderstehen sehen, war noch nie durch eine Straße gegangen oder hatte einen Platz überquert. Sie hatte sich auch noch nie auf eine Parkbank gesetzt. Aber jetzt, als ihr die Beine in der Kälte den Dienst versagten, tat sie es.

Sie wusste, dass sie jemanden um Hilfe bitten musste, aber sie wusste nicht, wie, und hätte es auch für sich selbst nicht getan. Doch sie würde es für das Baby in ihren Armen tun, das vor zwei Tagen aufgehört hatte, zu trinken...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2021
Übersetzer Kirsten Brandt
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Allende • Besonderes Kind • Bestseller • Bienen • Bienenjunge • Familiengeschichte • Familienroman • Frau • Frauenunterhaltung 2020 • Geschichte • Grippe • Hacienda • Internationaler • internationaler Bestseller • Isabell • Kraft • Lateinamerika • Magischer Realismus • Mexikanisch • Natur • Naturverbundenheit • Neuerscheinung 2022 • Reise • Spanisch • Strand • Urlaub • Vergangenheit • wegträumen • Zauberhaft
ISBN-10 3-8437-2477-6 / 3843724776
ISBN-13 978-3-8437-2477-7 / 9783843724777
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