Danowski: Neunauge (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
432 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01152-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Danowski: Neunauge -  Till Raether
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Hamburg wird von einer Serie spektakulärer Leichenfunde erschüttert: In Schulkellern werden mumifizierte Tote entdeckt. Die örtliche Polizei ist überfordert und setzt auf Unterstützung von Deutschlands populärstem Fallanalytiker: Martin Gaitner. Der lässt keine Gelegenheit aus, sich wichtigzutun. Kommissar Danowski kann ihn nicht ausstehen und zweifelt an der Theorie des Kollegen: ein zu Schulzeiten traumatisierter Einzeltäter? Sein Gefühl sagt ihm etwas anderes. Die Recherche gestaltet sich nicht gerade einfacher dadurch, dass seine alte Kollegin Meta Jurkschat früher mit einem der Toten liiert war und über die Verbindung eisernes Schweigen bewahrt. Mehr noch: Danowski soll dieses Wissen um der alten Zeiten willen nicht in seine Ermittlungen einbeziehen. Währenddessen gehen Hinweise bei der Polizei ein und lösen eine Lawine von Ereignissen aus: Panik erfasst die Stadt, Keller werden durchsucht, Schüler beurlaubt, die Senatsverwaltung erwägt Sonderferien, quasi «Leichenfrei». Am Ende steht eine Entdeckung, die die Ermittler in einen Abgrund blicken lässt.

Till Raether, geboren 1969 in Koblenz, arbeitet als freier Autor in Hamburg, u.a. für das SZ-Magazin. Er wuchs in Berlin auf, besuchte die Deutsche Journalistenschule in München, studierte Amerikanistik und Geschichte in Berlin und New Orleans und war stellvertretender Chefredakteur von Brigitte. Sein Sachbuch «Bin ich schon depressiv, oder ist das noch das Leben?» stand 2021 wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Seine Romane «Treibland» und «Unter Wasser» wurden 2015 und 2019 für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert, alle Bände um den hypersensiblen Hauptkommissar Danowski begeisterten Presse und Leser. Band 2 «Blutapfel» wurde vom ZDF mit Milan Peschel in der Hauptrolle verfilmt, weitere Danowski-Fernsehkrimis sind in Vorbereitung. Till Raether ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Till Raether, geboren 1969 in Koblenz, arbeitet als freier Autor in Hamburg, u.a. für das SZ-Magazin. Er wuchs in Berlin auf, besuchte die Deutsche Journalistenschule in München, studierte Amerikanistik und Geschichte in Berlin und New Orleans und war stellvertretender Chefredakteur von Brigitte. Sein Sachbuch «Bin ich schon depressiv, oder ist das noch das Leben?» stand 2021 wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Seine Romane «Treibland» und «Unter Wasser» wurden 2015 und 2019 für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert, alle Bände um den hypersensiblen Hauptkommissar Danowski begeisterten Presse und Leser. Band 2 «Blutapfel» wurde vom ZDF mit Milan Peschel in der Hauptrolle verfilmt, weitere Danowski-Fernsehkrimis sind in Vorbereitung. Till Raether ist verheiratet und hat zwei Kinder.

1. Kapitel


«Habibi! Jetzt renn doch nicht so.»

Er rannte gar nicht. Aber stehen bleiben wollte er auch nicht.

«Hey, Habibi! Digger! Wart doch mal!»

Echt? Konnten die sich nicht entscheiden? Habibi? Digger?

Wenn mittwochs nachmittags die Theater-AG vorbei war, wollte Niklas schnell nach Hause. Zu wenig los an der Schule: keine Lehrer, die dazwischengingen, wenn Linus und Brook ihren Scheiß machten. Aber dann hatte er doch wieder getrödelt, und das rächte sich jetzt.

Niklas straffte sich, vielleicht gewann er so einen Zentimeter oder zwei an Höhe. Und er ging langsamer. Denn merken, dass er Schiss hatte, sollten Linus und Brook nicht. Schiss, na ja. Das war so ein Erwachsenenwort für Kinderprobleme, die zu groß für Kinder waren. Niklas fand, er war in Sorge.

Zwischen ihm und Linus und Brook lag kaum die Hälfte des nicht besonders großen Schulhofs, Hochsommerhitze, die Ferien waren spät dieses Jahr, noch zehn Tage Schule und nächste Woche die Aufführung. Der Schulhof schimmerte, man dachte, wenn man raufspuckt, würde es zischen, Vollkornpausenbrote wurden hart, bevor sie den Boden der Mülleimer trafen.

Das alte Problem: Wenn er jetzt losrannte, hätten sie keine Chance, ihn zu kriegen, aber er wäre für immer der Lappen, der weggerannt war. Aber wenn er tat, als wär nichts, kriegten sie ihn. Er drehte sich ein bisschen um und winkte lässig über die Schulter.

«He, Habibi, bleib do’ ma’ stehen!» Die nannten alle in der Klasse Habibi, außer Walid, der war als Einziger Araber, mit dem redeten sie gar nicht. Niklas auch nicht, wenn er ehrlich war.

Er näherte sich dem Schatten, den die Wand des alten, rot geklinkerten Schulhauses warf, dahinter stand sein Fahrrad, er musste da hin. Andererseits sah ihn da gar keiner mehr, wenn Linus und Brook ihr Ding machten, und zwar an ihm. War das da vorn der Hausmeister, der Richtung Fahrradkeller im Haus verschwand, die kleine Treppe runter ins Kühle? Niklas speicherte das, für den Notfall. Er ging noch ein paar Schritte, bis er im Schatten stand, dann drehte er sich um. Er konnte nicht anders. Da war was Unwiderstehliches in Linus’ Stimme oder in Brooks, er konnte die kaum auseinanderhalten.

Denk an deinen Selbstverteidigungskurs, hatte seine Mutter gesagt. Das eine Mal, als Niklas den Fehler gemacht hatte, ihr doch was zu erzählen.

Ja. Genau. Danke, Mama.

Jetzt stand er. Als ob er sowieso hätte warten wollen auf die. Sie schlenderten auf ihn zu, beide waren mitten im Stimmbruch, darum klangen sie mal so und mal, also ähnlich. Linus hatte diese langen ungeschnittenen Haare, die sie alle in der Grundschule toll gefunden hatten, aber er trug sie immer noch, als wären sie das Einzige, was ging. Er sah mehr nach zehnter als nach achter Klasse aus. Skaterklamotten, die enger an ihm saßen, als sie sollten, dadurch wirkte er noch größer. Brook, blond, Undercut, Jack & Jones, superdünn, das dickste an ihm war die Zahnspange. Als sie vor Niklas standen, stellte Brook sich gleich so ein bisschen auf die Seite, das machten sie instinktiv, sie nahmen ihn in die Zange.

«Alla, gib ma’ Telefon», sagte Linus, jetzt in diesem superschlecht nachgemachten Türkenakzent. Leute, die so sprachen, kannten sie nur von YouTube.

«Hab ich nicht», sagte Niklas, schon in der Defensive. Jetzt auf keinen Fall da hinfassen, wo das Telefon saß.

«Diggi, ich lauf zwei Kilometer hinter dir her, ich seh doch deinen Arsch, ich seh doch, dass du Telefon in deiner Arschtasche hast. Diggi. Als ob.» Linus, leicht empört: Wir sind doch Freunde!

«Guckst du Nicki auf’n Arsch, ja, du Schwuchtel», sagte Brook zu Linus und lachte heiser. Brook durfte das.

«Ich fick den gleich in’n Arsch, wenn er sein Telefon nicht rausgibt», sagte Linus. Niklas atmete durch die Nase. Er wusste, dass es kein gutes Zeichen war, wenn sie anfingen, über ihn in der Er-Form zu reden. Dritte Person Singular: Eine passendere Bezeichnung hätte man sich nicht ausdenken können für ihn, fand Niklas.

«Dann bist du ja’n Arschficker», sagte Brook. «Quod erat demonstrandum.» Klar, dass die beiden Latein genommen hatten.

«Nee», sagte Linus, «das wär ja ein Straffick, ich würde den ja nicht in Arsch ficken, weil ich da Bock drauf habe, sondern weil das für den die ultimative Strafe wäre. Endboss. Endboss Arschfick. Ne, Nicki?»

«Ich glaub, der fänd das geil», sagte Brook. «Nicki ist doch ’ne alte Schwuchtel.»

«Du meinst, dann ist das kein Straffick für den?»

«Nee. Der freut sich schon.»

«Scheiße, Alla, it’s complicated.»

Niklas spürte, seine Optionen gingen gegen null. Als wenn er mit der Maus über die Menüleiste fuhr, und alles war hellgrau, nichts konntest du anklicken. Jetzt doch noch rennen? Wohin. Und Brook hatte Beinstellen geübt seit der Vorschule, der machte das in der Studienstufe als Profil.

«Die Dicke sagt, du hast unsere Telefone gehackt», sagte Brook und täuschte einen Ausfallschritt in seine Richtung an, sodass Niklas zusammenzuckte und sich sofort darüber ärgerte.

«Ganz ruhig, du Keck», sagte Linus. «Gib Telefon und gut ist.»

Aus verschiedenen Gründen war es Niklas unmöglich, auch nur in Erwägung zu ziehen, den beiden sein Telefon zu geben. Erstens, weil er es dann nie wiedergesehen hätte. Zweitens, weil es einen Chat gab, den sie unter keinen Umständen sehen durften. Mit Jannis. Den er zwar als «Janina» gespeichert hatte, aber Jannis hatte Fotos geschickt. Oberkörper. Bisschen Pose. Beim Gedanken daran wurde Niklas rot und ahnte, dass es wie Angst aussah, aber eigentlich, das merkte er wie von außen, war er einen winzigen Augenblick glücklich gerade.

«Ich glaub, der will echt, dass du ihn in’n Arsch fickst», sagte Brook.

Niklas merkte, dass Brook für einen Augenblick abgelenkt war. Sich was überlegen, ehe Linus was erwidern konnte. Und Linus wartete drauf. Es war nur ein Wimpernschlag, aber Niklas ließ sich nach hinten fallen, drehte sich auf dem Fuß und war weg.

Sie riefen gar nichts, aber er hörte am Schotter, dass sie sofort hinter ihm waren. In der nächsten Phase, die begann, wenn sie ihn hatten, würde es kein Geplänkel mehr geben. Das mit dem Fahrrad konnte er vergessen, das war angeschlossen, und er sah, dass das Tor zu den Fahrradständern zu war, vielleicht nur angelehnt, vielleicht hatte der Hausmeister schon abgeschlossen, so spät am Nachmittag. Das Problem hatte er immer nach der Theater-AG. Niklas bog nach links und rutschte auf dem Schotter seitlich weg, in ihm dehnte sich was aus, das Gefühl, gleich packen sie dich, aber Linus und Brook hatten das gleiche Problem, und er hörte, dass einer von ihnen hinfiel und in zwei Stimmlagen kreischte und fluchte.

«Ey, jetzt mach ich dich tot. Guck dir die Scheiße an, ich bin voller Blut, Alter.»

Niklas setzte über das schmale Geländer der äußeren Kellertreppe, Hockwende, hatte er im Sportunterricht noch nie so makellos hingekriegt wie jetzt gerade eben. Im Keller waren ihre Requisiten, und Frau Schürs hatte zwar zu Lucie und Hannah gesagt, sie sollen abschließen, wenn sie fertig sind mit Aufräumen, und sie hofft, sie kann ihnen vertrauen mit dem Schlüssel, aber wer Kulissendienst hatte, vergaß fast immer das Abschließen, also, die Hälfte der Zeit, und Niklas wurde sozusagen eins mit dem Schloss und der Tür und konnte sie sich nicht anders denken als unverschlossen, aufdrückbar, sodass er abtauchen konnte in den feuchten, tröstlichen Kelleratem, magisches Denken hieß das, das hatten sie in der Siebten in Deutsch gehabt, Märchen, denn wenn die Tür zu war, dann saß er in der Falle.

Frau Schürs konnte sich nicht verlassen auf Lucie und Hannah, aber er schon. Er spürte sein Herz bis ins Kinn, als die Tür aufging und der Keller ihn verschluckte. Requisiten, aufgegebene Kunstprojekte, ausgemusterte Matrizendrucker, Baumaterial, falls doch mal unter Elternbeteiligung der Musikraum renoviert werden sollte, alter Lehrkram, diese Schaubilder auf Leinwand, die keiner mehr aufhängte, seit sie in allen Klassenzimmern Smartboards hatten. Landkarten, von der Kaulquappe zum Frosch, der Sternenhimmel im Sommer, Fischarten, dutzendfach zusammengerollt und bis unter die schräge Treppe geschoben, die hinauf Richtung Aula führte. Okay, Lucie und Hannah waren hinten aus dem Keller noch mal raus, um eine zu rauchen, und hatten dann die Tür offen gelassen. Aber die Tür ins Schulgebäude, durch die sie den ganzen Kram für «Unsere kleine Stadt» gezerrt hatten, der jetzt noch halb auf der Treppe lag, sodass Frau Schürs Zustände kriegen würde: Ja, gut, die Tür zur Aula hatten sie abgeschlossen.

Im Grunde hatte Niklas es geahnt. Eigentlich gab es ja nie einen Ausweg, das deckte sich mit seinen Erfahrungen. Und er wusste, dass Linus und Brook gesehen haben mussten, wie er hier im Keller verschwunden war. Sein einziger Vorteil war, dass er sich hier besser auskannte als sie.

Wahrscheinlich würden sie zuerst unter der Treppe suchen, bei den Rollen von alten Schaubildern, die sahen aus wie das perfekte Versteck. Er musste was in der Nähe der Tür finden. Und dann abhauen, sobald sie tiefer im Raum waren. Eine Abdeckplane, darunter Bottiche mit Kalk und angetrocknetem Zement, da hatte der Hausmeister seinen Enthusiasmus für irgendeine aufwendige Reparatur verloren. Tief im Dunkeln. Er kroch darunter und hatte Angst, dass die Plane im Rhythmus seines Herzschlags knistern könnte.

Dann waren die beiden drin.

«Diggi, mach mal Licht an.»

«Der Schalter geht nicht, was für ein Scheiß. Räudige Asi-Schule ist das.»

«Du schmierst alles voll mit deinem Blut.»

«Yo,...

Erscheint lt. Verlag 14.12.2020
Reihe/Serie Adam Danowski
Adam Danowski
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Danowski • Deutsche Krimis • Fallanalytiker • Hamburg • Hamburg Krimi • Jan Seghers • Krimi • Krimi Deutschland • Krimi lokal • Kriminalgeschichten • Kriminalliteratur • Krimi Neuerscheinungen 2024 • Krimis aus Hamburg • krimis bücher • Krimis und Thriller • Krimi Thriller • last minute geschenke • Mumie • Mumifizierte Leiche • Romane Krimis • Serienmörder • Simone Buchholz • spannende Bücher • Thriller und Krimis deutsch • Wolfgang Schorlau
ISBN-10 3-644-01152-4 / 3644011524
ISBN-13 978-3-644-01152-6 / 9783644011526
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