B.C. 2 (eBook)

Kapitel 1

»Ist alles in Ordnung?«

Mira hebt ihren Kopf, sie hat sich jetzt sicherlich zehn Minuten die Schläfen massiert und würde sich am liebsten umdrehen und direkt wieder ins Bett gehen.

Nein, nichts ist in Ordnung.

Die letzten Tage sind viel zu schnell vergangen. Sie hat nicht einmal richtig begonnen, all das mit Reign zu verdrängen und zu verarbeiten und heute muss sie ihn wiedersehen. In der letzten Nacht hat sie kaum geschlafen. Auch die Nächte davor waren nicht besser. Sie hat viel mit Violet über alles gesprochen. Ihrer Mutter und Jonathan hat sie nur gesagt, dass es zwischen Reign und ihr vorbei ist. Sie sehen, dass es ihr nicht gut geht und lassen sie damit in Ruhe, wofür Mira ihnen sehr dankbar ist.

Violet hat sie die Tage aufgebaut, so gut sie konnte. Keiner wusste von Ava. Reign hat es niemandem gesagt. Auch Noel und Lincon, die nach und nach davon erfahren haben, hatten keine Ahnung, aber das spielt am Ende auch keine Rolle.

Sie ist dankbar, dass Liam eine Woche hier war. Ihr Bruder weiß von nichts und das ist das Beste. Sie waren viel unterwegs, zweimal sogar abends feiern und Mira hat es in dieser Zeit geschafft, all das Geschehene weit von sich zu schieben, doch ab heute wird das nicht mehr gehen. Für einige Augenblicke hat sie auch wirklich darüber nachgedacht, alles abzubrechen und zu verschwinden. Das wäre das Einfachste gewesen, doch sie hat den Gedanken schnell wieder verworfen.

Sie wollte das hier, diese Chance, sie wollte keine Beziehung und war so dumm, auf jemanden wie Reign Gomez hereinzufallen, obwohl alle sie gewarnt haben. Sie wollte nicht hören, nun muss sie mit diesem Schmerz in ihrem Herzen leben.

Die ersten zwei Tage hat Reign versucht sie anzurufen, doch Mira hat seine Nummer blockiert und dann war Ruhe. Sie hat ihren Account nicht mehr angerührt, aber über Violets Account gesehen, dass er weiter Storys gepostet hat. Von der Hochzeit und von einem Pool, von sich mit zwei Freunden, er sah nicht glücklich aus, doch auch nicht so, wie sie sich gerade fühlt.

Natürlich konnte sie es nicht sein lassen und hat sich Avas Profil immer wieder angesehen. Sie muss sie gesehen haben. Reign ist ihr nachgelaufen, sie muss gefragt haben, wer Mira ist und was los ist, doch noch am selben Abend hat sie ein Bild von sich und Reign hochgeladen. Sie beide strahlen in die Kamera und dazu hat sie geschrieben:

Die nächste Hochzeit, auf der wir tanzen, wird unsere sein.

Mira weiß nicht, wie oft sie sich das Bild angesehen hat. Sie hat immer wieder bemerkt, wie hübsch beide sind, wie perfekt sie zusammenpassen. Wenn man einer Frau wie Ava gegenübersteht, kann man nur Komplexe bekommen, und auch wenn sie das nicht wollte und jedes Mal versucht hat, sich dem zu entziehen, konnte sie es nicht, das hat sie heute Morgen noch einmal gemerkt, als sie sich zurechtgemacht hat.

Natürlich muss sie heute zeigen, wie gut es ihr geht und dass all das nicht ihr Herz gebrochen hat und sie nicht um den Verstand bringt, was sie mit Make-up und Concealer auch sicherlich hinbekommen hat. Sie hat sich eine sexy enge Jeans und einen weißen engen Rollkragenpullover angezogen, ihre neuen Winterboots und ihre dicke beige Daunenjacke, doch sie weiß, dass sie nicht gegen solch eine sexy Latina ankommt.

Sie hat sich gestern noch ein paar mehr blonde Strähnen setzen lassen und sich ihre Haare in Wellen gelegt, doch das kann niemals mit solch einer Haarmähne mithalten, wie Reigns Verlobte sie hat. Sie weiß, dass sie das nicht tun soll, sich nicht mit ihr vergleichen darf, doch sind wir mal ehrlich, jeder würde das tun.

Violet hat ihr immer wieder das Handy weggenommen und auf sie eingeredet, doch diesen Kloß im Hals kann niemand für Mira vertreiben, deswegen trinkt sie ihren Kaffee aus und atmet tief ein. Das werden lange Wochen bis zu den Weihnachtsferien und sie kann nur hoffen, dass die Zeit ihre Wunden heilt und sie Reign Gomez solange ignorieren kann.

»Alles bestens, bis später, Mama.«

Sie spürt ihren besorgten Blick auf sich und geht schnell zu ihrem Auto, atmet tief ein und wappnet sich innerlich allem, was nun auf sie zukommen wird.

Das Wetter passt sich ihrer Stimmung an. Es regnet und die bunten Herbstblätter werden umhergewirbelt, es soll bald zu schneien beginnen und es wirkt fast so, als könnte man diesen Umbruch spüren. Violet hat ihr erzählt, dass sie Reign gestern Abend schon auf dem Campus gesehen hat. Er ist zurück. Im Haus der B.C. Eagles gab es die Geburtstagsfeier von einem Spieler und es soll heiß hergegangen sein. Auch Violet hat die Party gemieden, doch man hat die Musik und die ausgelassene Stimmung über den gesamten Campus gehört.

Mira möchte all das nicht mehr wissen, jetzt bereut sie es, dass sie sich mit Reign die letzten Wochen überall öffentlich als Paar gezeigt haben. Nun wird sie um den Namen Reign erst einmal nicht herumkommen, es wird dauern, bis alle begriffen haben, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun hat. Jetzt ist ihr auch klar, wieso Reign versucht hat, ihre Beziehung geheim zu halten; auch wenn die wenigsten von Ava wissen, gibt es welche, die sie kennen. Hätten sie weiter verheimlicht, dass sie zusammen sind, würde Mira immer noch nichts von seiner Verlobten wissen.

Sie macht sich viel zu viele Gedanken, kein Mensch auf dem Campus wird zweimal darüber nachdenken, was mit Reign und ihr ist. Wahrscheinlich kennen es die Leute hier auch nur so, dass Reigns Affären schnell wechseln und warten nur darauf, wer die Nächste sein wird. So sehr es sie auch schmerzt, nur eine weitere Studentin zu sein, die mit gebrochenem Herzen zum Platz der Footballspieler sieht, so sehr sehnt sie es herbei, dass sie den Namen Reign nicht mehr hören muss und man sie damit nicht mehr in Verbindung bringt.

Allein die Fahrt zum Campus setzt ihr schon zu, sie hat Kopfschmerzen, weil ihre Gedanken nicht aufhören wollen zu arbeiten. So kennt sie sich nicht. Auch die Trennung von Emre hat ihr damals zugesetzt, doch es war anders. Sie waren lange zusammen und es kam schleichend, es war nicht von einem Tag auf den anderen vorbei, wie es jetzt bei Reign der Fall ist. Selbst wenn Emre und sie so lange zusammen waren, waren sie sich niemals so nah, wie Reign es ihr in diesen paar Wochen war. Sie hat sich niemals so fallen lassen, wie sie es bei Reign getan hat. Selbst wenn es für ihn offenbar nicht so war, hat sich diese Zeit, diese Nähe, alles zwischen ihnen, tief unter ihre Haut gesetzt, so sehr, dass sie es kaum aus den Gedanken streichen kann, so sehr sie es auch versucht und so wütend sie auch ist.

Miras Gedanken rasen, sie wusste, dass es schwer werden wird, sie hat versucht, sich die Tage darauf vorzubereiten, doch auf dem Weg zum Campus und als sie auf den vollen Parkplatz fährt, ahnt sie, dass alle Planung völlig umsonst war. Sie ist noch viel zu emotional, als dass sie das hier kalt lassen kann, doch sie wird den Teufel tun und sich das anmerken lassen. Wenn sie sich nachts in den Schlaf weint, wenn ihr Herz sich vor Sehnsucht zusammenzieht und wenn ihr übel wird, wenn sie die Bilder von Ava und Reign betrachtet, muss sie damit fertig werden. Doch sie wird sich das nicht anmerken lassen.

Um dem besorgten Blick ihrer Mutter zu entgehen, ist sie früh genug losgegangen und der Parkplatz der Uni ist noch nicht zu überfüllt. Sie findet einen Parkplatz in der Mitte und sieht direkt auf den Parkplatz von Reign, auf dem sein silberner BMW steht. Sie stellt den Motor ihres kleinen roten Wagens ab und lehnt sich zurück. Einen Moment kommt ihr das Grinsen von Reign vor das innere Auge, als er ihr seinen Parkplatz nach der verlorenen Wette übergeben hat und wie er ihr jeden Morgen etwas an das Schild vor seinem Parkplatz geklebt hat.

Das Lachen von zwei Studentinnen holt sie aus den Erinnerungen zurück und sie schüttelt den Kopf, bevor sie aussteigt. Sie muss sich einfach immer wieder daran erinnern, dass all das nur eine Lüge war und sofort ersetzt ein kaltes Gefühl die warmen Erinnerungen.

Mira schnappt sich ihre Tasche, steckt ihr Handy ein und läuft hinter den anderen auf das große Campusgelände. Sie versucht, sich auf alles andere zu konzentrieren. Das erste Mal fällt ihr auf, dass neben den grauen Steinen auf dem Boden auch immer wieder ein paar rostbraune eingebaut sind, doch trotzdem bemerkt sie sofort, als aus dem Eagles-Verbindungshaus Nolan und Mercedes herauskommen. Sie laufen vor Mira. Nolan hat sie nicht gesehen, doch Mercedes wendet sich um und sieht ihr grinsend ins Gesicht. Sie wird wissen, was passiert ist, sie ist mit Ava befreundet, sie war an dem Abend auch auf dieser Hochzeit. Erst vor einigen Tagen hat Ava ein Bild von den beiden mit noch einer Freundin in einem Restaurant gepostet.

Mira wendet ihren Blick ab. Sie muss aufhören damit, über all das nachzudenken, Ava auf den sozialen Medien zu verfolgen und sich das alles zu sehr zu Herzen zu nehmen. Weder Ava noch Mercedes können etwas dafür. Reign hat sie verletzt und angelogen. Auch wenn Mercedes sich über all das amüsiert und das sicherlich die nächsten Wochen zur Unterhaltung der Cheerleader beiträgt, so bringt es nichts, ihre Wut auf sie zu lenken, deswegen ignoriert sie die beiden und betritt durch eine andere Tür das Gebäude.

Verstehen wird sie Mercedes nie; statt auch zu erkennen, dass Nolan das Problem ist, richtet sie...