Mörderische Begegnungen mit dem Schicksal - Kriminalnovellen -  Reimer Jürgensen

Mörderische Begegnungen mit dem Schicksal - Kriminalnovellen (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
324 Seiten
Verlag DeBehr
978-3-95753-831-4 (ISBN)
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... An der Unfallstelle bot sich ihr ein grauenhaftes Bild. Das Auto klebte förmlich zerquetscht an dem geborstenen Baum. Die Fahrerin Madalina Jansen und eines ihrer Kinder waren sofort tot gewesen, das andere Kind befand sich auf dem Weg in die Klinik. Bremsspuren gab es keine. Die Ermittlerin Lena Marcus stand vor einem Rätsel. Der bekannte Autor Reimer Jürgensen schrieb unter anderem die Föhr-Krimi-Reihe. In seinem neuen Buch kombiniert er menschliche Tragödien mit schicksalhaften Wendungen zu tödlichen, doppelbödigen Kriminalfällen und taucht dabei tief in die Abgründe der menschlichen Seele.

 

 II. Schuld

 

„O Menschenschicksal! Ist es glücklich, so vermag                                                                                                                                                  

ein Schatten es zu wenden; leidet es am Unglück,

so löscht mit leichtem Druck ein feuchter Schwamm das Bild.“

(Aischylos, Orestie)

Als ich Sandra zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich gleich: Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut!

Damit meine Reaktion verständlich wird, muss ich etwas weiter ausholen. Sandra Troost ging den Flur entlang, der zu den Büros der Geschäftsführung führt. An diesem Flur liegen auch die Büros der Buchhaltung, in der ich arbeite. Unsere Büros haben nicht nur Außenfenster, sondern auch Fenster zum Flur hin. Sonst hätte ich sie auch nicht kommen gesehen. Sie trug einen businessmäßigen Hosenanzug, dessen Strenge sie durch eine lockige Frisur und einen federnden Gang ausglich. Ihre Umgebung musterte sie mit einem Blick voll offener Neugier und einem Hauch Amüsement. Sie wirkte sehr souverän. Ich hatte Sandra Troost noch nie zuvor gesehen, wusste aber gleich, wer sie war.

Also, ich heiße Elsa Sprockhövel und arbeite in der Buchhaltung der Firma ‚Dentaplan‘, einem Großhandel zur Versorgung von Zahnärzten mit Praxisausstattung und Praxisbedarf. Wir sind ein führendes Unternehmen auf dem norddeutschen Markt. In der Buchhaltung bin ich seit sieben Jahren, vorher war ich viele Jahre die Sekretärin vom Chef, also dem Geschäftsführer und Firmeninhaber Sven Agermann. Bis der vor sieben Jahren Deutschland verließ und nach Südafrika ging, ohne seine Familie. Er hat aber die Funktion eines Geschäftsführers nie aufgegeben. Seit damals ist seine Frau, Klarissa Agermann, ebenfalls Geschäftsführerin der Firma. Sven Agermann hatte zu diesem Zeitpunkt auch einen Teil der Firma auf seine Frau überschrieben. Um es kurz zu sagen, seit damals ist Klarissa Agermann faktisch alleinige Chefin. Nach dem Weggang des Chefs hatte Klarissa mich gleich von meinem Posten entfernt und in die Buchhaltung versetzt.

Die Gründe, die Sven Agermann bewogen haben, den Chefposten seiner Firma zu verlassen, lagen wohl im privaten Bereich. Er hatte damals einen schweren Autounfall, bei dem auch seine älteste Tochter Annette zu Tode kam. Er selbst wurde schwer verletzt, ist aber ohne bleibende Schäden davongekommen. Annette hatte ihn mit dem Auto von der Praxiseinweihung eines wichtigen Kunden abgeholt, da er Alkohol getrunken hatte. Sie hatte erst seit kurzer Zeit ihren Führerschein. Als die Polizei am Unfallort ankam, befand sich die Leiche Annettes auf dem Fahrersitz, Sven Agermann saß auf dem Beifahrersitz. Er gab an, dass Annette gefahren sei. In einer Kurve sei ein Auto ohne abzublenden entgegengekommen. Dabei habe sie die Gewalt über den Wagen verloren. Da beide den Sicherheitsgurt nicht angeschnallt hatten, waren Gerüchte aufgekommen, dass Sven Agermann vielleicht selbst im betrunkenen Zustand gefahren sei und nach dem Unfall seine Tochter auf den Fahrersitz bugsiert habe. Es ist jedoch nie zu einer Anklage gekommen. Aber seine Frau hat ihm danach vorgeworfen, die Schuld am Tode ihrer Tochter zu tragen. Ich selbst weiß nicht, was ich glauben soll. Sven Agermann war ein Chef, den ich stets respektieren, vielleicht sogar bewundern konnte. Seine Reaktion auf den Unfall, vor allem auf den Tod seiner Tochter: Das Verlassen der Familie, seiner Firma, seiner Heimat und die Auswanderung nach Südafrika deuten auf mehr als nur Trauer, eher auf Schuldgefühle hin. Sven Agermann entschied sich, nach Südafrika zu gehen, da ihm dort eine attraktive Stellung im Vertrieb eines großen deutschen Herstellers für Radiologiegeräte angeboten worden war.

Vor einigen Wochen kam Lavinia Agermann zu mir, die jüngere Tochter von Klarissa und Sven Agermann. Sie ist ein liebes Mädchen, das es in seinem bisherigen Leben nicht leicht gehabt hat. Der Weggang des Vaters hat sie sehr getroffen, zu ihrer Mutter hat sie immer ein problematisches Verhältnis gehabt. Dass sie auch in der Schule Schwierigkeiten hatte, hat ihr Selbstbewusstsein ebenfalls belastet. Nach einer Lehre zur Großhandelskauffrau bearbeitet sie in unserer Firma Reklamationen. Häufiger jedoch wird sie von ihrer Mutter als eine Art Dienstmädchen für die Geschäftsführung eingesetzt. Mit ihren 21 Jahren muss sie noch immer im Hause der Mutter wohnen, mittlerweile in einer ausgebauten Dachwohnung. Als sie vor einem Jahr mit einer Freundin in eine WG zusammenziehen wollte, hat ihre Mutter das hintertrieben. Da ich sie schon seit ihren Kindheitstagen kenne, bin ich ihr im Laufe der Jahre eine Vertraute geworden, – irgendwie so etwas wie eine Tante.

Wir sind dann in der Mittagspause – wie häufig – gemeinsam zum Portugiesen um die Ecke gegangen. Da hat Lavinia mir erzählt, dass ihr Vater nach Deutschland zurückkommen wollte. Sie freute sich darauf. Ich fragte sie dann, was ihn dazu bewogen habe. Aber das hatte er ihr nicht gesagt. Ich vermute, dass die wirtschaftliche Situation der Firma der Grund war. Sven Agermann war immer ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinen Kunden wichtig, mit engen persönlichen Kontakten. Klarissa Agermann – mit ihrer kurz angebundenen, häufig recht herrischen Art – hatte die persönlichen Beziehungen zu den Kunden als lästig empfunden. Was diese auch merkten. Klarissa hatte in den letzten Jahren mehrere Rationalisierungsprojekte durchgezogen, die unter den Kollegen viel Unruhe erzeugten. Drei der wichtigsten Mitarbeiter aus dem technischen Service hatten daraufhin entnervt gekündigt. Ich denke aber auch, dass die Unruhe in der Firma so etwas wie die Resonanz auf die Aktivitäten von Adam Gisthoff ist. Aber dazu später.

Sven Agermann ist dann tatsächlich angekommen. Er hat gleich am Tag nach seiner Ankunft die Firma aufgesucht. Vielleicht traf es sich gut, dass er hier auftauchte, als Klarissa zu Verhandlungen mit einem Lieferanten in Westdeutschland war. Ich denke, dass er das sogar beabsichtigt hatte. Seinen ersten Rundgang durch die Firma wollte er nicht in Begleitung seiner Frau machen. Stattdessen begleitete ihn seine Tochter Lavinia. Er begrüßte die langjährigen Kollegen, die ihn noch kannten, und stellte sich den Mitarbeitern vor, die nach seinem Weggang eingestellt worden waren. Während bei den neuen Mitarbeitern die Neugier überwog, bemerkte ich bei den alten Kollegen durchweg Freude über das Wiedersehen.

Der Chef blieb längere Zeit bei mir im Büro sitzen. – Ich merke gerade, dass ich ihn schon wieder als Chef bezeichnete, obwohl da noch gar nicht klar war, ob er bliebe bzw. seine Arbeit als Geschäftsführer wieder aufnehmen würde. – Es war, als wäre er erst gestern weggegangen, das alte, vertraute Verhältnis war gleich wieder da. Wir sprachen über die Entwicklung und die Stimmung in der Firma und über sein Leben in Südafrika. Er erzählte, dass vor einem Jahr bei ihm ein Herzklappenschaden diagnostiziert worden war, den er in Deutschland behandeln lassen wollte, wahrscheinlich in Form einer Operation. Er erwähnte auch, dass ihn eine Unternehmensberaterin begleite, die er in Südafrika kennengelernt hatte. Ihr Name sei Sandra Troost. Der deutsche Mutterkonzern seines Arbeitgebers hatte sie für ein Projekt in seiner Firma dorthin geschickt. Da sie eine exzellente Arbeit geleistet hatte, wollte er sie auch für ‚Dentaplan‘ engagieren. Sven sprach mit einem solchen Enthusiasmus von ihr, dass sich mir der Verdacht aufdrängte, ihr Verhältnis sei mehr als nur eine geschäftliche Beziehung. Gut, ich muss aber gestehen, dass ich ein etwas sentimentales Gemüt habe, das mit der Vermutung einer Liebesbeziehung schnell bei der Hand ist.

Als ich also Sandra Troost den Flur entlanggehen sah, war mir sofort klar: Das ist sie. Und dass Ärger ins Haus stehen würde. Vielleicht sogar doppelter Ärger. Wenn Sven sie als Beraterin für die Firma engagierte, würde Klarissa das als Eingriff in ihre Kompetenzen ansehen und als Kritik an ihrer Führung des Unternehmens werten. Zumal sie bei der Beauftragung Sandras nicht gefragt worden war. Sandra würde auf sie als Svens Verbündete wirken. Und Klarissa würde nie und nimmer kampflos das Feld räumen und Sven wieder die Führung des Unternehmens überlassen.

Und ein Zweites: Sandra war eine äußerst attraktive Frau. Sie war für Klarissa nicht nur eine fachlich kompetente Konkurrentin mit Einfluss auf die Geschäftsführung, sondern könnte auch zu einer Konkurrentin um die Gunst Svens werden. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wie viel Klarissa an der Gunst Svens noch liegt.

*

Sven hatte die ersten zwei Tage im Hotel gewohnt, war dann aber in eins der Apartments gezogen, die der Firma gehörten. Das war gerade renoviert worden und stand noch leer. In der Firma sprach sich schnell herum, dass Sven nicht wieder bei seiner Frau eingezogen war. Dies wurde als Hinweis gedeutet, dass er von den häufigen Aufenthalten Adam Gisthoffs in Hause Agermann wusste und seine Konsequenzen daraus ziehen würde.

Sandra Troost war im gleichen Hotel wie Sven abgestiegen und blieb auch dort, als Sven in die Firmenwohnung umgezogen war. Ob sie doch kein Paar waren oder ob sie nur unliebsame Gerüchte vermeiden wollten?

In den folgenden Tagen arbeitete sich Sven in die aktuellen Geschäftsvorgänge ein. Hierbei nahmen auch die Besprechungen mit Klarissa einen...

Erscheint lt. Verlag 4.12.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-95753-831-9 / 3957538319
ISBN-13 978-3-95753-831-4 / 9783957538314
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