Finstere Wasser (eBook)
328 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-98746-2 (ISBN)
Sarah Koch, geboren 1992 in Oberbayern, ist gelernte Filmdesignerin und studierte Germanistin. Nach zehn Jahren in der Nähe von Stuttgart lebt und arbeitet sie aktuell in München. Ihr Herz schlägt für die düsteren Geschichten und die Abgründe der menschlichen Moral. Auf Instagram nimmt sie ihre Leser*innen als @buchstabensarah mit in ihren Autorenalltag.
Sarah Koch, geboren 1992 in Oberbayern, ist gelernte Filmdesignerin und hat einen Bachelor-Abschluss in Germanistik und Anglistik. Sie lebt in der Nähe von Stuttgart. Mit ihrem Thriller "In den Fängen des Waldes" gelang ihr beim Piper Verlag der Einstieg in die Autorenwelt. Sich nur auf ein Genre festzulegen kann sie sich nicht vorstellen, dafür hat sie viel zu viele verschiedene Ideen und Lust, immer wieder Neues auszuprobieren. Als @buchstabensarah nimmt sie ihre Leser auf Instagram mit in die Welt ihrer Geschichten. Wenn sie nicht gerade schreibt, arbeitet sie als Marketing Managerin, liest, singt oder verbringt Zeit in der Natur.
Kapitel 1
Thunders Hufe wirbeln Staub auf dem Feldweg auf, den die frühmorgendliche Sommersonne nach dem gestrigen Regenschauer schon wieder ausgetrocknet hat. Rechts von uns zieht der Fluss vorbei, links von uns wechseln sich stetig Waldflächen mit Wiesen ab. Ich bremse meine weiß und schokobraun gescheckte Stute vom Galopp in einen lockeren Trab und lausche den Geräuschen meiner Heimat. Während die Vögel in den Baumkronen ihre Lieder pfeifen, gibt das beständige Wasserrauschen ihnen den Rhythmus vor und das Platschen der Lachse, die sich zum Laichen den Fluss nach oben kämpfen, untermalt die Symphonie der Natur mit dumpfen Paukenschlägen.
Nirgendwo fühle ich mich so frei und schwerelos wie hier auf dem Rücken meines Pferdes, inmitten der Natur. Hier, wo andere Urlaub machen, bin ich zu Hause und ich würde mit niemandem tauschen wollen. Egal, wie sehr es andere in die Städte zieht, ich konnte dem nie besonders viel abgewinnen.
Mit einem Blick auf meine Armbanduhr vergesse ich meine Tagträume und treibe Thunder direkt wieder in den Galopp. Ich sollte längst zurück am Stall sein und meiner Mutter mit den Feriengästen helfen.
Mit der Sonne im Nacken und dem Wind auf meiner Haut trete ich pfeifend den Rückweg an. Lediglich der Neubau des riesigen Industriegebäudes, das im letzten Jahr auf einer der Lichtungen hochgezogen wurde, kann meine Stimmung trüben. Aus dem Augenwinkel sehe ich den Schriftzug. RIK steht in schlammfarbenen Lettern – der offiziellen Firmenfarbe – auf der gigantischen Mauer. Ich schnaufe lauter als Thunder, Wut steigt in mir auf. Was unsere Gewässer bewohnt, ist sicherlich nicht für Schmuseeinheiten gedacht, aber ich traue diesen Leuten nicht. Für mich rochen diese schlammigen Buchstaben schon immer nach Betrug und Heuchelei.
Erst als wir uns dem Stall nähern, bessert sich meine Laune. Ich kümmere mich um Thunder und bringe sie anschließend zu unseren anderen Pferden auf die Koppel, bevor ich selbst in unserem Cottage verschwinde und unter die Dusche husche. Als ich mich umgezogen und mein hellblondes Haar mit dem leichten Kupferstich angeföhnt und zu einem lockeren Dutt verknotet habe, mache ich mich auf den Weg zum Nebengebäude, einem weiteren Cottage, in dem wir unsere Feriengäste empfangen und ihnen Frühstück servieren. Der Duft von frischen Scones steigt mir in die Nase und lässt meinen Magen hungrig knurren.
Ich betrete das Cottage, dessen Eingang ein Schild mit der Aufschrift Edwards Highlands Lodges, Rezeption & Frühstücksraum ziert und sehe, wie meine Mutter hinter dem Rezeptionstresen eine Schnute zieht.
Schmunzelnd laufe ich zu ihr, drücke ihr einen Kuss auf die Stirn und versuche mich an der üblichen leeren Entschuldigung. »Sorry, Mum. Thunder ist –«
»So gut gelaufen, ja, ja«, ergänzt sie meine Dauerausrede, wenn ich morgens wieder zu spät aufkreuze. »Die Johnsons habe ich schon zu ihrer Lodge geführt und ihnen alles gezeigt, aber du kannst das Ehepaar aus Deutschland übernehmen, wie heißen die noch gleich, Kenzy?«, geht sie direkt zum Tagesgeschäft über und kramt in ihren Unterlagen.
Ich setze mich auf meinen Drehstuhl, logge mich am PC in die Software ein, die ich Mum vor Ewigkeiten installiert habe, und mache mit zwei weiteren Klicks die Deutschen ausfindig. »Rommler. Steffen und Iris«, sage ich und grinse ihr von der Seite aus zu. »Die haben aber angegeben, dass sie erst gegen Mittag hier aufschlagen, also gehe ich kurz frühstücken, okay?«
Meine Mutter hält mich am Arm zurück. »Nimm dir was mit rüber, Maeve will dir noch ihr Referat vortragen, bevor sie losmuss.«
Shit, fluche ich innerlich. Das Referat meiner kleinen Schwester hatte ich völlig vergessen. Sie wollte es mir gestern Abend schon vortragen, aber ich habe sie abgewimmelt und mich auf mein Zimmer verkrümelt. Mit einem Mal ist meine Laune wieder getrübt und ich schlurfe zum Buffet, vorbei an ein paar mampfenden Touristen, kralle mir zwei Scones, etwas Butter und Himbeermarmelade und platziere alles auf einem Teller.
»Sie ist sechzehn, Mum, kann sie das nicht allein? Das ist nicht ihr erstes Referat«, maule ich, als ich mit meinem Teller am Tresen vorbeilaufe. Mum zieht nur eine Augenbraue nach oben und bedeutet mir mit einer wischenden Handbewegung, zu Maeve ins Cottage zu verschwinden.
Keine fünf Minuten später sitze ich im Wohnzimmer auf dem Sofa, während mir meine Schwester gegenübersteht und ihre Karteikarten in den Händen knetet. Mit ihrer kupferroten Mähne, die sie im Gegensatz zu mir von Mum geerbt hat, und unserem Teint vom Typ Weizenmehl kommt sie dem Klischee einer typischen Schottin erstaunlich nahe. Schon der erste Bissen meines Frühstücks bleibt mir jedoch im Hals stecken und ich stelle meinen Teller auf den Wohnzimmertisch, denn beim Thema von Maeves Referat vergeht mir der Appetit.
»Die Existenz von Kelpies, dämonischen Wasserpferden, die ausschließlich Schottlands Flüsse und Seen bewohnen, konnte erstmalig im Jahr 1992 vom schottischen Forscher Christopher Russell bewiesen werden.«
Ich weiß, wie fasziniert Maeve von der Brutalität der Kelpies ist, und nicht nur Maeve ist das. Die meisten Menschen weltweit halten die Kelpies für wahre Ausgeburten des Teufels. Natürlich sind sie grausam, aber haben all diese Menschen einmal einem Löwen bei der Jagd zugesehen, oder einem weißen Hai? Es liegt eben in ihrer Natur zu jagen, genauso wie in der Natur anderer Tiere. Und darüber beschwert sich keiner.
»… erscheint den Menschen entweder in der Gestalt eines wunderschönen, meist schwarzen, Pferdes oder in Menschengestalt, meist in Form eines hübschen Jünglings. Sobald man sich dem Kelpie hingibt und beispielsweise auf dessen Rücken klettert, zieht einen das Kelpie ins Wasser, wo man ertrinkt, bevor man vom ihm gefressen wird.«
Ich schaffe es gerade so, nicht die Augen zu verdrehen. Natürlich, das klingt alles schrecklich grausam. Und auch ich halte Abstand zu den Kreaturen, denn ich weiß, dass mit ihnen nicht zu spielen ist. Trotzdem war ich schon immer der Meinung, dass sich die Menschheit nur dermaßen über Kelpies echauffiert, weil sie es auf Menschen abgesehen haben, auf ihre eigene ach so wertvolle Spezies, und nicht auf andere Tiere.
»Russell war der Erste, dem es gelang, ein lebendes Kelpie einzufangen«, säuselt meine Schwester weiter ihr Referat herunter, was wahrscheinlich sowieso nur eins zu eins aus Wikipedia kopiert wurde, so wie ich Maeve kenne.
»Im Jahr 1994 gründete er das Russell Institute for the Rescue of Kelpies, kurz RIK.«
An dieser Stelle erlaube ich es mir, abzuschweifen. Angeblich fängt dieses verfluchte Institut Kelpies ein, um die Menschen vor ihnen zu schützen und gleichzeitig den Kelpies einen gesicherten Lebensraum zu geben. Dass ich nicht lache. Der natürliche Lebensraum dieser Kreaturen sind die Flüsse Schottlands, nicht das, was auch immer sich hinter riesigen Mauern verbergen kann. Seit jeher kursieren Gerüchte, dass das ach so gute Institut in Wahrheit grausame Tests an den Kelpies durchführt. Aber so genau will ich es gar nicht wissen. Ich verachte jegliche Art der Tierversuche, ob man Kelpies nun als Tiere oder Dämonen oder sonst was bezeichnen möchte.
Als Maeve fertig ist, unterdrücke ich ein Gähnen und klatsche stattdessen.
»Ist sowieso nur aus Wikipedia kopiert«, kommentiert sie meinen Applaus trocken, schultert ihren Rucksack und entlockt mir mit ihrer Aussage tatsächlich ein Lachen.
»Viel Erfolg«, sage ich, gehe aber in ein »He, lass das!« über, als sie mir einen meiner Scones vom Teller klaut, ihn sich in den Mund stopft und mit ihren Fingern ein Peace-Zeichen formt, das sie mir als Verabschiedung hinhält, während sie zur Haustür eilt.
Draußen im Hof werde ich von meinem Vater und unserem Deutsch Kurzhaar-Jagdhund Chocolate begrüßt, die wahrscheinlich gerade von ihrem Morgenspaziergang zurückkommen. Mein Kater Rochester, der wie gewöhnlich auf der krummen Holzbank vor unserem Haus sein nie enden wollendes Nickerchen hält, faucht Chocolate böse an, worauf dieser sich hinter Dad versteckt.
»Morgen«, ruft mir Dad entgegen. »Du kommst nachher mit, ja? Gegen halb zwölf?«
Eigentlich habe ich nicht im Geringsten Lust, meinem Dad bei der Jagd zu helfen, aber ich habe es ihm versprochen.
»Klar. Bis dann.«
Ich lasse meinen Blick über unsere Anlage schweifen. Meine Eltern haben sich hier vor Jahrzehnten ihren Traum erfüllt und ich werde ihn eines Tages fortführen. Zumindest erwartet Dad das von mir und ich bin noch nicht bereit, ihm den Wunsch abzuschlagen. Die Edwards Highlands Lodges ziehen sich über ein riesiges Feld mitten im schottischen Hochland, insgesamt zwölf der Glamping-Hütten reihen sich hintereinander, jede über einen gepflasterten Weg mit dem Parkplatz und dem Cottage verbunden, in dem das Frühstück serviert wird. Links von der Anlage, direkt hinter unserem Wohnhaus, schlängelt sich der Fluss vorbei. Im Hintergrund der Lodges ragt die hügelige Landschaft der Highlands auf. Das nächste Dorf ist wenige Kilometer entfernt, die Hauptstraße dennoch gut abgeschirmt, bis zum nächsten Strand sind es nur wenige Kilometer in die andere Richtung. Die Lage könnte nicht perfekter sein, was sich alljährlich an den Besucherzahlen ablesen lässt. Wir sind regelmäßig ausgebucht, seit ich mich um das Marketing der Anlage kümmere und wir nicht nur eine aussagekräftige Homepage haben, sondern auch in den sozialen Netzwerken zu finden sind, auf denen ich schöne Fotos der Anlage in ihrem besten Licht teile.
Ich bin fast wieder am Cottage angekommen, in dem Mum auf mich wartet, da ruft mir Dad noch etwas hinterher. »Sei vorsichtig am Fluss, Mackenzie.«
Es kann nichts Gutes...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Fantasy Romane für junge Frauen • Highlands • Kelpies • Liebesromane deutsch • Romantasy • Schottland Romane • Urban Fantasy |
ISBN-10 | 3-492-98746-X / 349298746X |
ISBN-13 | 978-3-492-98746-2 / 9783492987462 |
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Größe: 3,7 MB
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