Das Meeresblau von Tel Aviv (eBook)

Roman
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2021 | 1. Auflage
592 Seiten
Aufbau Verlag
978-3-8412-2650-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Meeresblau von Tel Aviv -  Sarit Yishai-Levi
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Der neue Roman von der Autorin des Bestsellers 'Die Schönheitskönigin von Jerusalem'. Elija aus Tel Aviv ist glücklich, ihren Mann, einen umschwärmten Schriftsteller, in Paris zu besuchen, nur um zu erfahren, dass er sie für eine andere sitzen lässt. Untröstlich kehrt sie nach Israel zurück und lässt sich von den Eltern in ihrem alten Kinderzimmer in Tel Aviv umsorgen. Ihre Mutter Lily kann nur wenig Nähe zulassen, und Elija findet heraus, dass ihre Mutter so kalt ist, weil sie als Baby ausgesetzt wurde und ohne Mutter aufwachsen musste. Elija beschließt, die Geschichte ihrer Familie zu erforschen und ihre Großmutter Rachel zu suchen. Meisterlich verwebt Sarit Yishai-Levi vor dem Hintergrund der Stadt Tel Aviv das Schicksal dreier Frauen zu einem außergewöhnlichen Familienroman. »Wunderschön! Ein bezauberndes, bewegendes Buch, dessen Figuren mich lange weiter begleitet haben.« Haaretz »Dieser Schmöker öffnet eine für uns wenig bekannte Welt.« Brigitte »Ein großartiger Familienroman.« Kölner Stadt-Anzeiger »Eine umwerfende Geschichte.« tina

Sarit Yishai-Levi, geboren 1947 in Jerusalem, hat als Schauspielerin, Journalistin, Korrespondentin und Moderatorin gearbeitet. Mit ihrem ersten Roman 'Die Schönheitskönigin von Jerusalem', eroberte sie die Bestsellerliste. 'Das Meeresblau von Tel Aviv' ist ihr zweiter Roman. Ruth Achlama, geboren 1945, lebt seit 1974 in Israel und übersetzt seit Anfang der 80er Jahre hebräische Literatur, darunter Werke von Amos Oz, Meir Shalev, Yoram Kaniuk und Ayelet Gundar-Goshen. Für ihre Arbeit wurde sie mit dem deutsch-israelischen Übersetzerpreis und dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Dr. Amir Kaminski


Ich blieb unschlüssig an der Tür stehen. »Guten Tag«, sagte der Doktor. Ich merkte, dass er durch mich hindurchsah, nicht in meine Augen.

»Nehmen Sie bitte Platz«, er deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

Dr. Amir Kaminski war ein massiger Glatzkopf. Auf seiner Nasenspitze saß lässig eine Halbbrille mit Kette. Alle paar Minuten hob er sie von der Nasenspitze auf den blanken Schädel. Im Mundwinkel steckte eine filterlose Nelson. Vier Zigaretten zählte ich während meines kurzen Aufenthalts in seiner Praxis. Der Doktor trug eine schwarze Hose, die ihm unter dem dicken Bauch hing, und ein verwaschenes weißes Hemd. Das Fenster hinter ihm ging auf die Krone einer Sykomore hinaus, die das Zimmer beschattete. Auf dem schweren Schreibtisch brannte eine Kupferlampe mit grünem Glasschirm, wie aus der Requisitenkammer eines Theaters. Daneben stand ein weißer Telefonapparat samt Anrufbeantworter, auf dem ein rotes Lämpchen unermüdlich eine eingegangene Nachricht signalisierte, was mich verrückt machte.

»Bevor wir anfangen, möchte ich, dass Sie mir einige Fragen beantworten«, sagte er. »Wie haben Sie von mir erfahren?«

»Durch den Artikel in der Haaretz

»Aha. Und ein Zeitungsartikel reichte Ihnen zu der Erkenntnis, dass ich der richtige Arzt für Sie bin? Haben Sie keine Empfehlungen eingeholt, keine Nachforschungen angestellt?«

»Ich habe aus dem Zeitungsartikel von Ihnen erfahren«, wiederholte ich, ohne ihm von der Empfehlung des Ruderers am Strand zu erzählen. Was sollte ich denn auch sagen: Jemand hat mich aus dem Meer gezogen und mir geraten, Sie aufzusuchen? Ich wusste ja nicht mal, wie mein Retter hieß, erinnerte mich kaum an sein Aussehen. Nicht mal mir selbst konnte ich erklären, wie ein namenloser Ruderer vom Sheraton-Strand mich dazu gebracht hatte, die Praxis dieses Mannes aufzusuchen.

»Waren Sie schon einmal in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung?«

»Nein.«

Der Doktor schrieb ein paar Dinge in das offene Notizbuch auf seinem Schreibtisch, brummte etwas, und ich rechnete nach, dass er einige teure Minuten von meiner Therapiestunde verplempert hatte. Als er aufblickte, sah er mir wieder nicht in die Augen, sondern auf die Nasenpartie.

»Also, Sie wissen, dass die Therapiesitzung fünfzig Minuten dauert.«

»Ich weiß es und höre die Uhr ticken«, erwiderte ich und blickte auf die Uhr auf dem Schreibtisch. Der dicke Doktor gefiel mir nicht.

Ungerührt fuhr er fort: »Das Honorar haben wir bereits telefonisch besprochen. Ich bestehe auf Zahlung nach jeder Sitzung. Bei mir gibt es keine Schulden und keine besonderen Zahlungsbedingungen.«

Ich zog umgehend 250 Pfund heraus, wie er es mir am Telefon gesagt hatte.

»Es muss nicht am Beginn der Sitzung sein, es geht auch am Ende«, erklärte er, nahm jedoch rasch die Scheine und schob sie in die Schreibtischschublade.

»Noch etwas«, begann er erneut, offenbar nicht in Eile, »ich rate Ihnen, Ihren Zynismus das nächste Mal schon im Flur abzulegen. In diesem Zimmer wird er Sie nicht weiterbringen. Und wenn Sie nun so gut sein möchten – lassen Sie uns zur Couch übergehen.« Dr. Kaminski deutete auf ein grünes Sofa, auf das ich mich legen musste, während er auf einem Ledersessel hinter meinem Kopf Platz nahm.

Auf der Couch verfiel ich augenblicklich in Panik. Schlechte Gedanken gingen mir durch den Kopf. Würde ich mit den Geistern leben können, die er heraufbeschwor? War es richtig, die Therapie auf dem grünen Sofa zu absolvieren und aufzuwecken, was ich hatte vergessen wollen?

Ich setzte mich hastig auf.

»Ist was passiert?«, fragte der Doktor gleichmütig.

»Ich denke, ich bin nicht bereit für eine Psychoanalyse.«

»Haben Sie mich etwas von Psychoanalyse sagen hören?«

»Wozu haben Sie mich denn sonst auf die Couch beordert?«

»So arbeite ich nun mal, junge Dame: Der Patient liegt entspannt auf der Couch und erzählt mir, was ihn bedrückt, und ich versuche, ihm zu helfen. Psychoanalyse ist ein Prozess, über den wir später gemeinsam entscheiden müssen. Nicht jeder ist geeignet, diesen Prozess zu durchlaufen, und nicht jedem hilft er. Ich weiß noch nichts über Sie außer Ihrem Namen, ihrem Alter und Ihrer Ungeduld. Ich schlage vor, Sie legen sich jetzt auf die Couch, schließen die Augen, und wir beginnen mit der Therapie. Warum nicht? Bezahlt haben Sie schon, dann lassen Sie’s doch auf den Versuch ankommen. Wenn es guttut – prima, wenn nicht – Schalom und nicht auf Wiedersehen. Gehen Sie Ihrer Wege und fertig.«

»Was muss ich tun?«, fragte ich besorgt.

»Schließen Sie die Augen, entspannen Sie sich, und atmen Sie bitte durch die Nase.«

Nach und nach fiel mir das Atmen leichter. Ich wusste nicht, wie lange ich dort mit geschlossenen Augen gelegen und durchgeatmet hatte, als ich plötzlich die Stimme des Doktors wie aus der Ferne hörte: »Nun, Elija, was führt Sie zu mir?«

Ich schluckte und sagte mit weit schwächerer Stimme als sonst: »Ein gebrochenes Herz.«

Der Doktor schwieg eine gefühlte Ewigkeit.

»Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?«

»Ja, das habe ich«, antwortete er. »Wer hat Ihnen das Herz gebrochen?«

»Mein Mann, wenn man ihn noch so nennen kann.«

»Wie hat er Ihnen das Herz gebrochen?«

»Er hat mich verlassen, und mich ohne Leben sitzen gelassen. Ein Jahr lang habe ich mir die Bettdecke über den Kopf gezogen und wollte sterben.«

»Warum sind Sie dann nicht gestorben?«

»Wie bitte?«

»Sie hätten sich mit Leichtigkeit umbringen können: Schlaftabletten nehmen, Pulsadern aufschneiden, unter die Räder eines Autobusses werfen, vom Dach springen. Man kann auf viele Weisen zu Tode kommen. Wenn Sie sterben wollten, warum haben Sie dann nichts von all dem getan?«

»Wer hat Ihnen gesagt, dass ich nichts getan habe?«

»Ich sehe, dass Sie quicklebendig sind.«

Das Ticken der Uhr auf dem Schreibtisch machte mich wahnsinnig, und ich wurde wütend. Umsonst vergeudete ich hier das Geld meines Vaters und meine Zeit.

Ich schnellte erneut hoch, leicht schwindlig von dem raschen Übergang vom Liegen zum Sitzen, und sagte: »Entschuldigen Sie, Herr Doktor, ich habe Sie nicht aufgesucht, um tausend Wege zum Selbstmord zu lernen, die kenne ich selbst. Ich bin zu Ihnen gekommen, damit Sie mir erklären, warum ich diesem Hund, meinem Mann, erlaubt habe, mein Leben zu zerstören, mich unterzubuttern und wie eine Marionette tanzen zu lassen. Und was tun Sie? Wollen Sie mir sagen, ich hätte mich umbringen sollen? Tabletten schlucken, vom Dach springen, Pulsadern aufschneiden? Habe ich Ihnen dafür Geld gegeben, das mein Vater eigentlich nicht hat? Haben Sie mich dafür auf die Couch gebeten?«

Der Doktor wirkte gleichmütig. Er zog an seiner Zigarette, blies Rauchkringel in die Luft, schob die absprungbereite Brille von der Nasenspitze hoch, und erst nach einer kleinen Ewigkeit fragte er: »Warum haben Sie mich nun wirklich konsultiert?«

»Hab ich Ihnen doch gesagt, damit Sie mein gebrochenes Herz kurieren.«

»Ich kuriere keine gebrochenen Herzen.«

»Was denn dann?«, fragte ich und zündete mir ebenfalls eine Zigarette an. »Wollen Sie die traurigen Reste davon auch noch zertrümmern?«

»Ich bin kein Glaser und kein Maurer, kann kaum eine Glühbirne wechseln. Ich beschäftige mich mit Prozessen, an deren Ende der Patient sich hoffentlich besser kennt und lernt, mit sich klarzukommen, sich so anzunehmen, wie er ist, unter Vermeidung früherer Fehler. Mit anderen Worten: Der Patient und ich begeben uns auf einen Weg, der lang oder sehr lang sein kann. Man braucht festes Schuhwerk, um ihn zu begehen, kann ihn nicht mit Flipflops meistern.« Er warf einen abfälligen Blick auf die Sandalen, die ich trotz des trüben Wetters trug. »Man kann ihn nicht kurzatmig beschreiten. Wenn Sie sich den Weg zutrauen, werde ich Sie gern begleiten. Wenn Sie jedoch Abkürzungen suchen, schlage ich vor, dass wir uns in Freundschaft trennen.«

Alle Stärke, die ich gegen Ari nicht aufzubringen wusste, mobilisierte ich nun gegen den Doktor. Wie konnte er sich anmaßen, mit mir über Wege und Anstrengung zu reden. »Herr Doktor«, fauchte ich, »wir trennen uns tatsächlich, aber nicht in Freundschaft. Sie haben mir meine Zeit und vor allem mein Geld gestohlen. Vielen Dank.«

Ich drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und ging zur Tür. Der Doktor blieb sitzen. Als meine Hand schon auf der Klinke lag, stoppte mich seine Stimme: »Ich glaube nun gerade, Ihnen helfen zu können. Falls Sie es doch noch einmal versuchen möchten, würde ich Ihnen gern eine zweite Chance geben.«

»Es wird keine zweite Chance geben«, schnaubte ich und knallte die Tür zu.

Man müsste ihm die Approbation entziehen, dachte ich wütend, wie konnte er mich in den Selbstmord treiben? Als wäre ich nicht selbst draufgekommen. Ein ums andere Mal hatte ich ja vorgehabt, aufs Dach zu steigen und auf dem Gehsteig zu zerschmettern, aber allein schon der Gedanke an das hochfliegende Kleid und an meine Glieder, die auf der großen Straße verstreut liegen würden, hatte mich abgeschreckt. Eigentlich wollte ich gar nicht sterben. Ich wollte schlafen. Wollte einschlafen, um beim Aufwachen festzustellen, dass alles nur ein schlechter Traum gewesen war, dass Ari wieder mir gehörte und mir das Leben erneut...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2021
Übersetzer Ruth Achlama
Sprache deutsch
Original-Titel Isha Me-Ever La-Yam
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Blau • England • Enkelin • Familie • Frankreich • Geborgenheit • Geburt • Gefühle • Großmutter • Israel • Jüdisch • Kloster • Liebe • Meer • Meeresblau • Mutter • Nähe • Schicksal • Schuld • Tel Aviv • Tochter • Verlassen werden • Versöhnung
ISBN-10 3-8412-2650-7 / 3841226507
ISBN-13 978-3-8412-2650-1 / 9783841226501
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