Zwischen den Welten (eBook)

Von Macht und Ohnmacht im Iran

(Autor)

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2021 | 2. Auflage
256 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2701-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zwischen den Welten - Natalie Amiri
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»Natalie Amiri gehört zu den intimen Kennerinnen des heutigen Iran.« Süddeutsche Zeitung 

Wohin steuert der Iran? Natalie Amiri ist in einer deutsch-iranischen Familie aufgewachsen. Sie beschreibt ihr Leben zwischen zwei Welten und Kulturen und erklärt anschaulich, wie sich die politische Situation seit der Revolution von 1979 im Iran entwickelt hat. Es ist das Buch einer mutigen Journalistin, die höchste Risiken in Kauf nimmt, um über die Situation vor Ort zu informieren und den Kampf der Bevölkerung gegen die Machthaber zu unterstützen. Eine fesselnde Reportage, die uns die Augen öffnet! 

»Amiris Buch ist die immer wieder enttäuschte, aber unermüdliche Liebesgeschichte zum Land ihres Vaters. Sehr persönlich, aber auch sehr umsichtig beschreibt sie ihre eigenen Erlebnisse und damit die einer ganzen Generation. Ihre Gabe neugieriger und präziser Beobachtung, ihr Mut und ihre Empathie lassen ein sehr lesenswertes Buch entstehen, das in seiner klugen Analyse seinesgleichen sucht.« Omid Nouripour, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen



Zwischen Perserteppichen und Bio-Gemüse wuchs Natalie Amiri, 1978 geboren, im gutbürgerlichen München auf. Die Tochter einer Deutschen und eines Iraners studierte Diplom-Orientalistik und Islamwissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) führte sie an die Universitäten von Teheran und Damaskus. Seit 2011 vertritt sie die Korrespondenten in den ARD-Studios des BR, unter anderem in Istanbul, Athen und Rom. Seit 2014 moderiert sie den 'ARD-Weltspiegel' aus München sowie das BR-Europa-Magazin 'Euroblick'. Ab 2015 leitete Natalie Amiri das ARD-Büro in Teheran. Im Mai 2020 wurde sie vom Auswärtigen Amt gewarnt, aus Sicherheitsgründen nicht mehr in den Iran einzureisen und musste daher die Leitung des Teheraner Fernsehstudios abgeben.  Sie wurde im Mai 2022 vom 'medium magazin' zur Journalistin des Jahres gekürt (Platz 1 in der Kategorie 'Politik')
Bei Aufbau erschien zuletzt 'Afghanistan. Unbesiegter Verlierer' (2022).

Einführung


Ich konnte nicht anders. Ich musste immer wieder einreisen, trotz all der Warnungen. Fünf Jahre lang habe ich als ARD-Büroleiterin aus Teheran berichtet, von 2015 bis 2020. Auch über Themen, die in der Islamischen Republik tabu sind wie Hinrichtungen, Drogenkonsum, Frauen, die unerschrocken und mutig für ihre Rechte kämpfen, oder afghanische Söldner, die von der iranischen Revolutionsgarde rekrutiert und nach Syrien geschickt werden. Über eine Gesellschaft, die zwei Leben parallel führt – das offizielle und das verbotene. Jede Geschichte, die ich erzählen wollte, war begleitet von Herzklopfen und dem Gefühl, dieses Mal holen sie dich, dieses Mal kommst du nicht davon. Dabei hoffte ich inständig, dass sich das Risiko lohnt, dass diejenigen, die mir im Westen zuhörten, den Iran nach meinen Berichten differenzierter sehen würden: Hört hin, schaut hin! Ich teile euch etwas mit, wozu die Menschen hier selbst nicht in der Lage sind. Weil sie nicht wie ich zwei Pässe haben, die ich meinem iranischen Vater und meiner deutschen Mutter zu verdanken habe. Weil sie sofort weggesperrt werden würden – ohne Anklage, ohne Anwalt. Tausenden ist es so ergangen.

Jetzt sind die Türen zum Iran für mich verschlossen. Ich darf nicht mehr einreisen. Dabei wollte ich genau das verhindern. Ich wollte unbedingt so viel wie möglich als Journalistin über das menschenverachtende System der Islamischen Republik berichten. Aber auch über die herzliche Gesellschaft, die einen mit offenen Armen empfängt. So offen, wie ich es sonst nirgendwo auf der Welt erlebt habe. Ich dachte, mit vielen versteckten Kommentaren in meinen Beiträgen könnte ich ein wahrhaftigeres und vollständigeres Bild des Regimes und der Gesellschaft vermitteln. Ich wollte Botschaften in die westliche Welt schicken, um mitzuteilen: Hier gibt es Menschen, die darauf hoffen, dass ihr sie unterstützt. Dass ihr sie erkennt. Dass ihr ihren Durst nach Freiheit seht und begreift. Ihren Wunsch, ein anerkannter Teil dieser Welt zu sein. Die meisten Menschen im Iran wollen nicht in den chinesischen Machtkosmos mit hineingezogen werden, auch nicht in den russischen, sie fühlen sich der westlichen Welt nahe. Sie wollen nicht zum Westen werden, sondern ein vom Westen akzeptiertes und respektiertes Land sein.

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis ich ausgebremst werden würde. Denn meine grundlegende Aufgabe besteht darin, über das zu berichten, was geschieht. Im Iran wird man jedoch genau daran permanent gehindert. Es braucht dort mehr, es braucht einen ausgeklügelten Plan, um einen Bericht umzusetzen. Jede Sendeminute, die ausgestrahlt wird, kostet einen im Vorfeld unheimlich viel Kraft und Erfindungsreichtum. Ziel ist es, an eine Geschichte zu kommen, ohne davor von den Behörden, den Milizen oder dem Geheimdienst gestoppt zu werden. Vor diesem Hintergrund hoffte ich, dass der Zuschauer die entscheidenden Informationen herausfiltern würde. Dabei habe ich oft zu viel vorausgesetzt. Schließlich muss ich dafür sorgen, dass alle Informationen verständlich vermittelt werden, ohne dem Zuschauer grundlegende Kenntnisse über die Situation im Land abzuverlangen. Das ist das Dilemma während der Berichterstattung aus dem Iran. Natürlich hätte ich versuchen können, die Verhältnisse von Anfang an radikal offenzulegen, dann hätte ich vielleicht mehr Zuschauer gewonnen. Oder wenn ich einfach mein Kopftuch während eines Interviews abgenommen hätte. Wenn ich darüber gesprochen hätte, wie der Geheimdienst versucht hat, mich zu erpressen, damit ich kooperiere. Wie man mir mit Gefängnis gedroht oder mich an der Ausreise aus dem Iran gehindert hat. Doch was hätte ich damit bewirkt? Ich wäre vielleicht als mutige Journalistin erwähnt worden, aber langfristig hätte ich nichts verändern können. Und der Iran hätte den Vorteil gehabt, eine internationale »Spionin« mehr ausweisen zu können.

Aus Deutschland erreichten mich immer wieder Tweets, in denen man mich aufforderte, das Kopftuch, das ich im Iran vom Gesetz verordnet tragen muss, abzunehmen. Man echauffierte sich darüber, dass sich eine deutsche Journalistin der Islamischen Republik unterordnet. Warum die ARD nicht einen männlichen Korrespondenten schicke? Wie bitte? Das machte mich fassungslos. Ich war so wütend über diesen Vorschlag, den ich nicht nur einmal zu hören bekam. Ein Freund, der die Diskussion darüber in den deutschen Medien mitverfolgte, schrieb mir: »Am Niedlichsten dabei ist das Argument, die Korrespondentin durch einen Korrespondenten zu ersetzen … Das Bild des feministischen Ausgleichs durch eine sexistische Geste zu retten.« Diesen Gefallen wollte ich der Islamischen Republik nicht tun.

Iran ist ein Land der Paradoxe. Nichts ist so, wie es scheint. Dazu zählt auch, dass der Iran das Land mit der pro-amerikanischsten Gesellschaft in der Region ist. Während gleichzeitig der politische Kurs des Landes von einem anti-amerikanischsten System bestimmt wird. Es handelt sich um ein Land, in dem eine Frau vor dem Gesetz teilweise nur halb so viel wert ist wie ein Mann, aber 57 Prozent der Studierenden an Universitäten weiblich sind. Frauen müssen ihre Weiblichkeit unter Kopftuch, Mantel oder Schleier verstecken, und gleichzeitig ist der Make-up-Verbrauch nach Saudi-Arabien der höchste in der gesamten Region. Viele Angehörige der Familie von Revolutionsführer Ruhollah Khomeini sind inzwischen in die Opposition gegangen, sind im Exil, mundtot gemacht oder umgebracht worden. Hossein Shariatmadari, Chefredakteur der ultrakonservativen Zeitung Keyhan und Repräsentant des Revolutionsführers und erklärter Gegner des Atomabkommens, erzählte mir, dass eine Annäherung an den Westen unbedingt verhindert werden müsse, während er vor einem riesigen Apple-Computer saß.

Der Iran verkörpert keine homogene Diktatur, sondern eine hybride Form aus Autokratie und Demokratie. Unter dem Revolutionsführer beeinflussen mächtige rivalisierende Gruppen einen sich ständig verändernden politischen Kurs des Landes. Dabei bleiben die revolutionären Grundprinzipien, ganz gleich von welcher Gruppe, innerhalb des Machtsystems der Islamischen Republik unangetastet. Jede Gruppe im System kämpft ums eigene Überleben. Große Teile der Gesellschaft sind dabei der Verlierer. Die Machthaber der Islamischen Republik sprechen nicht von einer Diktatur, sondern, wie im Namen verankert, von einer Republik. Doch der Revolutionsführer, der an der Spitze des Machtsystems steht, kann durch die ihm untergeordneten ultrakonservativen Gremien die demokratischen Elemente jederzeit aushebeln, was permanent geschieht.

Wenn mir hier in Deutschland jemand mitteilte, dass er so selten etwas über den Iran im Fernsehen sehe, bricht aus meinem Herzen ein kleines Stück heraus. Denn dafür wollte ich doch sorgen. Jedes Mal, wenn wir einen Beitrag drehten, war es für uns ein zermürbendes Katz-und-Maus-Spiel mit dem System, seinen Ministerien und Geheimdiensten. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute kontrollierten sie uns westliche Journalisten. Die Zwischentöne und geheimen Botschaften in meinen Beiträgen verstanden sie am besten. Sie hörten genau das, was ich eigentlich vermitteln wollte: Große Teile der Bevölkerung im Iran haben genug von der Islamischen Republik. Sie sind erschöpft. Müde, aufgerieben vom Kampf ums Überleben in einem korrupten System, in dem sie verarmen, während sich die Eliten bereichern. Zu lange wurde die Bevölkerung im Namen des Islams schikaniert, geschunden und missbraucht. Die Staatsideologie zieht nicht mehr. Ich kenne in der gesamten islamischen Welt keine so unislamische Gesellschaft wie die des Iran. Laut einer aktuellen Umfrage aus dem Sommer 2020 des GAMAAN Instituts in den Niederlanden wollen 70 Prozent der Bevölkerung nichts mehr mit Religion zu tun haben. Nur 30 Prozent betrachten sich laut der Umfrage als Muslime. Dennoch vermittelten mir große Teile der Gesellschaft, für eine Säkularisierung des Staates bereit zu sein. Wie religiös das Land wirklich noch ist, weiß niemand. Die Menschen wollen in Ruhe leben und in Freiheit.

Ist mein Blick auf den Iran nur kritisch? Nein, denn es gibt auch das Land und die Menschen jenseits der Politik, die in den Nachrichten selten vorkommen. Ich muss nur meine Augen schließen, und unzählige Bilder dieses einzigartigen Landes erscheinen. Die gastfreundlichen herzlichen Menschen, die immer bereit sind zu helfen. Der Alltag, der bestimmt ist vom Miteinander: Großeltern werden in den meisten Fällen nicht abgeschoben, sie altern im Kreis ihrer Familie. Wenn sich Arbeiter auf der Straße mit Reparaturen von Strom- oder Wasserleitungen plagen, kommt ein Anwohner mit einem Tablett vorbei mit Essen und Getränken für die Männer. Wenn ich ein Problem hatte, stand mir jemand hilfsbereit zur Seite. Immer gab es einen, den ich anrufen konnte, der da war und das Problem löste. Iraner haben gelernt, dass sie sich nicht auf den Staat verlassen können, sondern nur aufeinander. Das macht achtsam. Nachbarn, die sich nicht kennen, geschweige denn nicht grüßen, gibt es nicht. Zumindest habe ich das nie erlebt.

Im Iran kann man in den Bergen bei Teheran Ski fahren und bei 40 Grad am Persischen Golf am Strand entlangspazieren. An einem Tag. Ich habe nie ein Land bereist, in dem ich Landschaften sah, die kontrastvoller kaum sein können. Als hätten sich viele Elemente aller Kontinente in einem einzigen Land getroffen. Besonders liebe ich die unendlich weite Wüste, in der ich jedes Mal strahle, wenn ein Kamel auftaucht. Ich liebe es, in die iranischen Provinzen zu fahren, dort mit den Menschen zu sprechen. Wenn sie mir ihre Geschichte erzählen, wird mir jedes Mal bewusst, wie wichtig es ist, als Journalistin mit der Bevölkerung direkt...

Erscheint lt. Verlag 15.3.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Alternativer Nobelpreis 2020 • ARD • ARD-Korrespondentin • atomabkommen • Aufstand • Auswärtiges Amt • Berichterstattung • Bestseller • Demonstration • deutscher Fernsehpreis 2019 • deutsch-iranische Wurzeln • Emanzipation • Exil • Frauen • Frauen im Iran • Frauenrechte • Freiheit • Freiheitskampf • Geheimdienst • Grenzen • Insiderbericht • Iran • Iranische Revolution • Iran und Israel • Islam • Israel • Journalistin • khomenei • Kopftuch • Kopftuchdebatte • Kulturen vermitteln • leben riskieren • Menschenrechte • Migration • Miliz • Nasrin Sotudeh • Religion • Reportagen • Schah • Tagesschau • Tagesthemen • Teheran • zwischen den Welten
ISBN-10 3-8412-2701-5 / 3841227015
ISBN-13 978-3-8412-2701-0 / 9783841227010
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