Tage mit Gatsby (eBook)

Roman
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2021 | 1. Auflage
384 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-7096-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tage mit Gatsby -  Joséphine Nicolas
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Mai 1924: Zelda und F. Scott Fitzgerald beschließen, ein Jahr lang der Hektik New Yorks zu entfliehen. Das rebellische Südstaatenmädchen hat sich an Scotts Seite zum glamourösen Star jeder Party entwickelt. Aber während er in Südfrankreich an >Der große Gatsby< schreibt, dem Roman, der Schulden begleichen und ersehnten Weltruhm bescheren soll, fängt der lebenshungrige Flapper an, sich zu langweilen. Und zum ersten Mal seit langem beschäftigen Zelda Gedanken an die eigene künstlerische Selbstverwirklichung. Sie begreift, dass Scott ihr Talent für seine Bücher ausnutzt und ihre Schreibambitionen geschickt verhindert. Als junge Mutter überfordert und als Ehefrau enttäuscht, stürzt sich Zelda in den »Sommer der 1.000 Partys« und beginnt eine Liaison mit dem Piloten Édouard Jozan. Die Ménage-à-trois ist Auftakt einer bühnenreifen Ehekrise, gleichzeitig befeuern Zeldas Kapriolen Scotts Kreativität - ungeniert bedient er sich an ihrer beider Leben, um seinen Jahrhundertroman über verlorene Illusionen und die große Liebe zu schreiben. Wird das schillernde Literatenpaar das Drama überstehen?

JOSÉPHINE NICOLAS ist das Pseudonym von Christiane Adlung. Sie absolvierte u. a. die Studiengänge Architektur und Innenarchitektur. Bei DuMont erschien 2021 ihr erster Roman >Tage mit Gatsby<. Christiane Adlung lebt in Hannover und Nizza.

KAPITEL 1

SEPTEMBER 1921

Paris. Rive Droite, Rive Gauche.

Les Halles bei Tagesanbruch. Gedränge auf den breit angelegten Straßen zwischen den Pavillons, dem Bauch der Stadt. Marktleute, Großhändler und Passanten konzertierten Tiraden brüsker Worte. Peitschenknallen. Lieferwagen bahnten sich unter nervösem Gehupe ihren Weg. Der Gestank nach Abgasen. Commissionaires schoben Karren aufgetürmter Pastinaken durch die Menge; Träger, dürre Jungen, wankten schwer bepackt mit Körben auf dem Rücken. Irgendwo die wehmütigen Töne eines Akkordeons; an der Ecke ein Paar, sich eng umschlungen im Takt wiegend, hin und her.

»Lust auf das ›Pharamond‹?« In Damias Stimme schwang stets Verruchtes, trieb all ihre Chansons in düstere Nischen, wo Leidenschaft und Verzweiflung eine Liaison miteinander eingingen. »Meine Seele verlangt nach Deftigem.«

Übernächtigt wand ich die Pelzstola um die Schultern, legte den Kopf in den Nacken und stieß letzte Züge meiner Gauloise in den Himmel hinauf. Er wirkte samtig, zum Fühlen nah. Wie bloß hatte diese Frau erreicht, mich der elaborierten Einsamkeit zu entfremden, mir jenes Paris zu zeigen, das zeit meines Studiums erloschen schien? Mit gereckten Armen drehte ich mich um die eigene Achse, einmal, zweimal. Genoss diese Atmosphäre, hier, im Morgengrauen, eine verdichtete Variation des Romans Émile Zolas. »Warum nicht?«, sagte ich.

Sie hauchte mir einen Kuss entgegen, stellte das linke Bein auf einen rostigen Poller und öffnete die Schnallen ihres Spangenschuhs. »Meine Füße schmerzen entsetzlich. Was zur Hölle habe ich getan?«

Ich lachte verhalten, dachte an die mondänen Etablissements, in denen wir den vergangenen Stunden entronnen waren, die zu lauten Orchesterklänge, in die wir uns hatten fallen lassen. Beobachtete sie. Das schwarze, hoch aufgeschlitzte Seidenkleid folgte jeder ihrer Bewegungen, schimmerte im Licht der Laternen wie das Gefieder einer Krähe, smaragdfarben, tiefblau. Es harmonierte mit ihrem dunklen Haar, den Locken; sie strich sie ständig aus der Stirn, ich mochte diese Geste. Damia war attraktiv, keine dreißig, über eine Dekade jünger als ich. Sie war anders, womöglich das Kostbarste, das je meine Nähe gesucht hatte, mit mir verschmolz, wenn ich es nur gewährte. Sie streifte den zweiten Schuh von der Ferse, entblößte im Beugen den hellhäutigen Schenkel. Die metallene Puderdose unter dem Strumpfband funkelte auf, und ich erfasste die Gravur, sie war mein. Ein Pulk hemdsärmeliger Arbeiter johlte. Klatschte.

Hinter dichten Wimpern verdrehte die Chansonnière die Augen, nach Jahren auf der Bühne war sie Anzüglichkeiten gewohnt, sie waren ihr zu einer eigenen Art Applaus geworden. Damia betörte Männer, zog sie mit Leichtigkeit in den Bann, ohne je einen von ihnen geliebt zu haben; ich wusste, sie würde es nicht tun, niemals. Mit unbändiger Verve schleuderte sie die Mary Janes in die Meute. »Hübsch, aber wertlos.«

Könnte ich mich meiner Ängste auf die gleiche Weise entheben, ich wäre eine glückliche Frau …

»Wie du sie doch täglich aufs Neue enttäuschst.« Chevalier, Guitry und wie sie alle hießen. Nichts als Aspiranten, wenig mehr als Staub.

»Wer sind die, wenn ich dich haben kann?« Besitzergreifend nahm sie meine Hand, zog mich auf zarten Strümpfen davon.

Weitere Karossen hielten vor den Toren, entluden beständig Nachtschwärmer, die sich dem Ruf ins Bett versagten. Die Markthallen waren damals der Ort der Stunde. Inbegriff dessen, was es bedeutete, jung zu sein, schön zu sein, am Puls der Zeit zu leben. Ob ich dieses Begehr für mich erhob, auf irgendeine Weise dazugehörte, dazugehören wollte, glich einem Fragen nach dem Augenblick, der einen Sekunde, die im nächsten Moment Erinnerung war.

Während des frühmorgendlichen Treibens fanden auf dem Areal verkörperte Schicksale zueinander; die Künstler, die Gangster, die Nutten und Stricher, die Boheme von Paris. Arm in Arm promenierte man durch die prachtvollen Gebäude, stieg über Berge von Kohlköpfen und Karotten hinweg, lief durch Schwaden exotischer Gewürze. Traf inmitten der Verkaufsstände auf lederbeschürzte Metzger, auf eine Abendgesellschaft in nicht mehr blütenweißen Hemden, welken Roben.

Die Umgebung von Les Halles prägten kleine Lokale wie das ›Pharamond‹, das ›Pied de Mouton‹ oder das ›Au Père Tranquil‹, sie boten eine herzhafte Zwiebelsuppe, das Frühstück der Standhaften. Wie oft hatten Damia und ich die Nächte seit dem Kriegsende in diesem quartier vergehen lassen? Wie oft war ich hier ihrer Anmut ein weiteres Mal erlegen? Ihrem Selbstbewusstsein, dem Eigensinn?

Catsy von der Rue Pigalle lehnte gegen den Türpfosten unserer Lieblingsbar, rauchte. Ihr Dekolleté umschmeichelte eine Federboa, wand sich an den üppigen Kurven entlang. »Da geht noch was, ihr zwei«, raunte sie.

»Ach, Liebes«, entgegnete Damia kühl. »In deiner Welt herrscht zu viel ennui

Die Räumlichkeiten waren überfüllt, zu eng, das Gewölbe drückte herab, schien in trägem Einklang mit der Nostalgie. Zwischen den bekannten gab es unaufhörlich fremde Gestalten zu sehen. Sie lungerten am Tresen, vor den schwülstig rot lackierten Wänden, hockten an den wenigen Tischen, auf Sperrholzkisten aus Übersee. Der Geruch von gedünstetem Lauch und überbackenem Gruyère lag in der Luft, ebenso Jazz, der unser Dasein täglich mehr umhüllte. Berauschte. Ich fühlte mich matt und doch auch nicht. Es war ein herrliches Durcheinander in meinem Hirn, es tobte, klagte, vibrierte, wollte ruhen.

»Ich hole die Suppen.« Ein schmaler Lichtstrahl, gleich einem gerichteten Scheinwerfer, streifte Damias Gesicht, die Iris ein elektrisierendes Grün. La Joconde. Das Leben verstand sie zu inszenieren. »Suchst du uns eine ruhige Ecke? Machst du das Unmögliche möglich?«

Ich nickte und schaute umher. Entdeckte Brancusi, Bryher und McAlmon, Djuna Barnes. An der gusseisernen Säule lehnte Romaine Brooks; ihre amour fou, Miss Barney, dürfte nur einen Katzensprung weit entfernt sein. Wir winkten einander. Die Malerin und ich hielten seit Ewigkeiten Freundschaft, Romaine war die Meisterin des Grau, eine Beschaffenheit aus Glas; sie und ich, wir dachten ähnlich. Wussten, in zerbrechlichen Zeiten sind Freundinnen bedeutender als Geliebte, ist die Distanz das Nähere. Schließlich fand ich eine ausgetretene Stufe auf der Treppe, die zum Privaten ins Obergeschoss führte, nahm Platz und ließ die Dinge um mich herum geschehen.

»Sie gestatten, Madame?« Vor mir balancierte ein gut aussehender Mann, Ende zwanzig ungefähr, eine dampfende Terrine auf einem Unterteller, mit der anderen Hand wies er neben mich, schickte sich zu setzen an. Neigte dabei den Kopf, lächelte. Charmant.

»Nur zu«, sagte ich, hängte meine Stola über die eichene Balustrade und rückte beiseite.

Sein schwarzes Haar wirkte so tadellos wie der gestärkte Kragen seines Hemdes, die Bügelfalte, die seine dunkelgraue Anzughose hinab verlief, die Two-Tones, die er trug. Das ganze Äußere eine Komposition. Dankend kam er meinem Angebot nach, unsere Schultern berührten sich. Er lagerte das Geschirr auf den Knien, und während er schweigsam aß, bemühte ich mich, ihm nicht im Weg zu sein. Welches Verhalten wäre schicklicher? Eine Weile betrachtete ich die Patina des Alters auf dem Holz; zahllose kleine Schrammen in der Oberfläche, die von der Abnutzung polierten Kanten. Spuren, die das Leben in besonderer Weise aufluden. Durchsuchte dann mit den Augen den Saal nach Damia, Konturen von Hüten und Mänteln, wogend, dahintreibend, erfasste sie im Gewirr mit einer Schriftstellerin ins Gespräch vertieft. Ich hatte ihren Namen vergessen, eine wortmächtige femme fragile, ausgesprochen elegant. Jene Art Frau, die Eindruck wie Parfum zerstäubte. Achtlosen Schwungs wurde ein Silberkühler auf der untersten Stufe zu unseren Füßen gestellt, er war beschlagen, Flasche und Gläser darin mit winzigen Tauperlen benetzt. Sie zerrannen alsbald.

In dem Intervall, als das Victrola zum wiederholten Male erstarb, schob der Mann die geleerte Terrine auf einen Mauervorsprung, fügte Löffel und Serviette bei. »Haben Sie den Champagner geordert?«, wandte er sich mir zu, den Hauch eines osteuropäischen Akzents im Unbefangenen. Polnisch? Rumänisch?

»Nein«, entgegnete ich.

Flüchtig rieb er sich das Kinn. »Wir sollten uns seiner annehmen, alles andere erschiene mir unhöflich.«

»Sie treiben Ihr Spiel mit mir.«

»Ich würde es nicht wagen, Madame. Nur kann ich kaum der Versuchung widerstehen.« Mit versierter Drehung entfernte er die Agraffe, den Korken, befüllte zwei Gläser, reichte mir eines. »Sie mögen doch Taittinger?«

»Diese Frage kann nicht ernst gemeint sein.«

Wir stießen miteinander an, ich spürte kaltes Wasser die Tresse meines Kleids betropfen.

»Der Auftakt eines herrlichen Tages.« Mit flacher Hand glättete er sein zurückgekämmtes Haar, und zwischen all den Gerüchen nahm ich die Andeutung von Brillantine wahr, assoziierte sie mit leuchtendem Gelb, Bergamotte vielleicht.

»Ich denke, meiner endet nun«, erwiderte ich, ein Gähnen unterdrückend, obwohl mich leichte Nervosität überkam, dachte ich an all die unerledigte Arbeit zu Hause, an das enervierende Schrillen des Fernsprechapparats, die Nachfragen, wann ich meine Aufträge auslieferte. Wann? Die Leute hatten falsche Vorstellungen vom Prozess des Lackierens, er war langwierig, schwierig, nötigte mir und meinen Kunden Geduld ab. Ich wünschte, solche Scharade ließe mich gleichgültig, und stieß einen Seufzer aus.

»Nichts für ungut«,...

Erscheint lt. Verlag 17.5.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Affären • auf eigenen beinen • aus dem schatten treten • Babylon Berlin • cote d‘azur • Daisy • Der große Gatsby • Dichterin • divenroman • Ehedrama • Emanzipation • Fitzgeralds • Französische Riviera • Geht ans herz • Glamour • Goldene Zwanziger • Great Gatsby • Große Gefühle • Künstlerbiographie • Literatin • Mademoiselle Coco • Menage a trois • Michelle Marly • Midnight in Paris • musenroman • Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe • Oktoberfest 1900 • Selbstbestimmung • Sommerroman • Suche nach Freiheit • Urlaubslektüre • Urlaubsroman • Wunsch nach Freiheit • zelda und scott • Zwanzigerjahre
ISBN-10 3-8321-7096-0 / 3832170960
ISBN-13 978-3-8321-7096-7 / 9783832170967
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