Unheimliche und phantastische Geschichten (eBook)

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2020
Anaconda Verlag
978-3-641-27646-1 (ISBN)

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Unheimliche und phantastische Geschichten - Edgar Allan Poe
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Edgar Allan Poe war der unübertroffene Meister des Unheimlichen, mit messerscharfer Feder sezierte er die Nachtseite der menschlichen Seele. Der Amerikaner schrieb Weltliteratur im wahrsten Sinn des Wortes: Seine Geschichten gingen um die ganze Welt und befruchteten zahllose Autoren und ganze literarische Genres. Poe, der nur 41 Jahre alt wurde, war in geradezu unheimlicher Weise produktiv. Auf über 1600 Seiten sind hier die wichtigsten Geschichten versammelt, in denen es schaurig und phantastisch zugeht, alle berühmten Klassiker ebenso wie wenig bekannte Wunderstücke und gehobene Schätze.

Edgar Allan Poe (1809-1849) ist die schillerndste amerikanische Dichterpersönlichkeit des 19. Jahrhunderts. Er wurde als Sohn zweier Schauspieler in Boston geboren, wurde jedoch schon im Alter von zwei Jahren zur Waise und wuchs im Haus des Kaufmanns John Allen auf. 1815-1820 ging er in London zur Schule, kehrte im Alter von elf Jahren in die USA zurück. Er studierte in Charlottesville, Virginia, war vier Jahre bei der Armee und arbeitete dann als Journalist und Herausgeber verschiedener Zeitschriften in Richmond, New York und Philadelphia. Von 1836 bis zu ihrem frühen Tod 1847 war er mit seiner Cousine Virginia Clemm verheiratet. Nach einem bewegten, größtenteils in Armut verbrachten und vom Alkoholismus überschatteten Leben starb Edgar Allan Poe vierzigjährig in Baltimore.

Metzengerstein

Pestis eram vivus – moriens tua mors ero.

MARTIN LUTHER

Schrecken und Verhängnis stampfen dahin durch alle Jahrhunderte. Warum also die Zeit angeben, in der sich das ereignete, was ich euch jetzt berichten will? Mag die Angabe genügen, dass es damals war, als man im Innern Ungarns fest, wenn auch nur im Geheimen, der Lehre von der Seelenwanderung anhing. Von der Lehre selbst, das heißt davon, ob sie möglich oder unmöglich sei, will ich nicht reden. Ich behaupte indes, dass unsere Ungläubigkeit zum großen Teil demselben Quell entspringt, von dem La Bruyère unser Unglück herleitet: il vient de ne pouvoir être seuls.1

Doch im Aberglauben der Ungarn gab es Dinge, die nahe an Abgeschmacktheit grenzten. Sie, die Ungarn, wichen in ihren Anschauungen weit ab von denen ihrer östlichen Vorbilder. So sagten zum Beispiel jene: »die Seele« – ich zitiere hier die Worte eines gewissenhaften und gelehrten Parisers – »ne demeure qu’une seule fois dans un corps sensible. Ainsi – un cheval, un chien, un homme même, n’est que la ressemblance illusoire de ces êtres.«

Die Familien Berlifitzing und Metzengerstein lagen seit Jahrhunderten in Zwist. Nie noch sah man zwei so erlauchte Häuser in so erbitterter und tödlicher Feindschaft. Sie mochte in den Worten einer uralten Prophezeiung begründet sein, die also lautete: Ein stolzer Name soll in Schrecken untergehen, wenn, wie der Reiter über sein Ross, die Sterblichkeit von Metzengerstein triumphieren wird über die Unsterblichkeit von Berlifitzing.

Gewiss, die Worte an sich hatten wenig oder gar keinen Sinn. Doch unbedeutendere Ursachen haben –und dies vor nicht allzu langer Zeit – geradeso schwerwiegende Folgen gehabt. Übrigens hatten die beiden benachbarten Familien lange Zeit darin gewetteifert, ihren Einfluss auf die Regierungsgeschäfte geltend zu machen. Ferner sind Nachbarn selten Freunde, und die Bewohner des Schlosses Berlifitzing konnten von ihren hohen Säulengängen bis in die Fenster der Burg Metzengerstein sehen. Und überdies hatte sich die mehr als lehnsherrliche Pracht der Metzengerstein in einer Art und Weise geäußert, dass sie den leicht erregbaren Stolz der weniger ahnenreichen und weniger begüterten Berlifitzings verletzen musste. Was Wunder also, dass jene Prophezeiung, so dumm sie auch klingen mochte, eine Feindschaft zwischen den zwei Familien zuwege brachte, die ohnedies durch erbliche Belastung zu Streit und Eifersucht veranlagt waren. Die Prophezeiung schien, wenn sie irgendetwas besagte, so jedenfalls einen endgültigen Triumph des bereits jetzt mächtigeren Hauses anzukünden und wurde darum mit umso bittererem Hass von der schwächeren und weniger einflussreichen Partei im Gedächtnis behalten.

Wilhelm Graf Berlifitzing war, obgleich von hoher Abkunft, zur Zeit dieser Erzählung ein kraftloser und kindischer Greis. Er hatte weiter nichts Bemerkenswertes an sich als eine übertriebene und hartnäckige Abneigung gegen die Familie seines Nebenbuhlers und eine so leidenschaftliche Liebe für Pferde und Jagd, dass weder seine körperliche Schwäche noch sein hohes Alter oder sein Schwachsinn ihn davon abhalten konnten, täglich an den Gefahren des Jagdvergnügens teilzunehmen.

Friedrich Baron Metzengerstein dagegen war noch nicht einmal mündig. Sein Vater, der Minister gewesen, starb in jungen Jahren. Seine Mutter, Baronin Marie, war ihm bald ins Grab gefolgt. Friedrich war damals achtzehn Jahre alt. In einer Stadt sind achtzehn Jahre keine lange Zeitspanne; in einer Wildnis aber, in der köstlichen Einsamkeit dieses alten Stammsitzes, hat jeder Pendelschwung weit tiefere Bedeutung.

Zufolge besonderer Bestimmungen des Hausgesetzes trat der Baron bei Ableben seines Vaters sogleich die Herrschaft über die ausgedehnten Besitzungen an. Selten wohl hatte ein ungarischer Edelmann solch herrliche Güter besessen. Zahllose Schlösser waren sein. Das bedeutendste an Pracht und Ausdehnung war Schloss Metzengerstein. Die Grenzlinie seines Gebietes war niemals sicher festgestellt, aber allein der große Park hatte einen Umfang von fünfzig Meilen.

Als der so jugendliche Herr, dessen Charakter allgemein bekannt war, in den unbeschränkten Besitz des riesigen Vermögens kam, war man sich über sein künftiges Auftreten so ziemlich im Klaren. Und wirklich, drei Tage lang stellten die Taten des jungen Erben selbst die des Herodes in den Schatten und übertrafen sogar bei Weitem die Erwartungen seiner begeisterten Bewunderer. Schandbare Schwelgereien, gemeine Treulosigkeit, unerhörte Scheußlichkeiten gaben seinen zitternden Vasallen bald zu verstehen, dass weder kriechende Unterwürfigkeit ihrerseits noch Gewissensbisse seinerseits jemals irgendwelche Sicherheit gewähren würden vor den erbarmungslosen Fängen dieses kleinen Caligula. In der Nacht des vierten Tages gerieten die Stallungen des Schlosses Berlifitzing in Brand, und die einmütige Ansicht der Nachbarschaft war, dass das Verbrechen der Brandstiftung auf die grauenvolle Liste der Untaten und Gräuel des Barons zu setzen sei.

Während des Aufruhrs, den dies Ereignis mit sich brachte, saß der junge Edelmann anscheinend in tiefen Gedanken in einem großen, einsamen und hochgelegenen Gemach des Stammschlosses Metzengerstein. Die kostbaren, obgleich verblassten Wandteppiche, die ringsum düster herabhingen, zeigten die schattenhaften und herrischen Gestalten von wohl tausend erlauchten Ahnen. Hier saßen hermelingeschmückte Priester und geistliche Würdenträger vertraulich neben Autokraten und Fürsten und legten gegen die Ansprüche eines weltlichen Königs ihr Veto ein oder hielten mit dem Machtspruch päpstlicher Obergewalt das rebellische Zepter des Erzfeindes in Bann. Dort tummelten die dunklen, hohen Gestalten der Ritter von Metzengerstein ihre kraftvollen Kriegsrosse auf den Leichen der besiegten Feinde und machten mit ihren entschlossenen Mienen selbst stählerne Nerven erschauern. Und hier wieder fluteten die wollüstigen und schwanengleichen Gestalten der Damen aus längst vergangenen Zeiten in irren, unwirklichen Tänzen zu den Tönen einer unwirklichen Melodie.

Während der Baron auf den anwachsenden Tumult in den Ställen der Berlifitzing lauschte oder vielleicht über irgendeine neue, noch dreistere Tat nachsann, hafteten seine Blicke unwillkürlich auf der Gestalt eines riesenhaften Pferdes von ganz seltsamer Farbe, das auf der Wandverkleidung als das Ross eines sarazenischen Vorfahren der gegnerischen Familie dargestellt war. Das Pferd selbst stand regungslos im Vordergrund des Bildes, sein gefällter Reiter aber verendete im Hintergrund unter dem Dolchstich eines Metzengerstein.

Ein teuflisches Lächeln umspielte Friedrichs Lippen, als er sich dessen bewusst wurde, welche Richtung sein Blick unbeabsichtigt genommen hatte. Er wandte die Augen nicht ab, trotzdem eine unerklärliche, erstickende Angst sich wie ein Leichentuch auf seine Sinne legte. Nur mit Mühe konnte er dies traumhafte und sonderbare Empfinden mit der Gewissheit, wach zu sein, vereinigen. Je länger er spähte, desto bannender wurde der Zauber – desto unmöglicher schien es ihm, jemals den Blick von jenem seltsamen Bild wieder abwenden zu können. Als aber der Aufruhr draußen plötzlich noch wilder tobte, richtete er mit gewaltsamer Anstrengung seine Aufmerksamkeit auf den roten Lichtschein, der aus den flammenden Ställen auf die Fenster des Gemaches fiel.

Doch einen Augenblick nur tat er das – ganz unwillkürlich schweiften seine Augen wieder zur Wand. Mit Staunen und schauderndem Entsetzen nahm er wahr, dass der Kopf des riesigen Hengstes inzwischen seine Stellung geändert hatte. Vorher waren Hals und Kopf des Tieres wie mitfühlend zu dem am Boden liegenden Herrn herabgebeugt, jetzt hatten sie sich in voller Länge gegen den Baron ausgestreckt. Die Augen, die vorher unsichtbar blieben, hatten einen eindringlichen Menschenblick und glühten in merkwürdig rotem Feuer, und die aufgewölbten Lippen des offenbar wütenden Tieres legten ekelhafte Totenzähne bloß.

Betäubt vor Schrecken wankte der junge Edelmann zur Tür. Als er sie aufwarf, strömte eine Flut roten Lichtes weit ins Zimmer und zeichnete seinen klar umgrenzten Schatten gegen den schwankenden Wandteppich. Und er schauderte, als er, der zögernd auf der Schwelle stand, bemerkte, dass dieser Schatten genau die Gestalt des erbarmungslosen und triumphierenden Mörders des Sarazenen-Berlifitzing deckte.

Um seiner selbst wieder Herr zu werden, eilte der Baron ins Freie. Am Haupttor des Schlosses traf er auf drei Stallburschen. Mit großer Mühe und Lebensgefahr versuchten sie die wilden Sprünge eines riesigen, feuerfarbenen Rosses zu bändigen.

»Wessen Pferd? Wie kommt ihr zu ihm?«, fragte der Jüngling in heiserer Angst, denn er hatte sofort bemerkt, dass der geheimnisvolle Hengst auf dem Wandteppich das vollkommene Seitenstück zu dem rasenden Tier hier war.

»Es ist Ihr Eigen, Herr«, erwiderte einer der Burschen. »Wenigstens hat sich kein anderer als Eigentümer gemeldet. Wir fingen es ein, als es dampfend und schäumend vor Wut aus den brennenden Ställen des Schlosses Berlifitzing daherfloh. Wir nahmen an, dass es zu des alten Grafen Gestüt ausländischer Rosse...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2020
Reihe/Serie Anaconda Weltliteratur Dünndruckausgabe
Weltliteratur Dünndruckausgabe
Weltliteratur Dünndruckausgabe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Amerikanischer Autor • amerikanischer Schriftsteller • Anaconda • Anaconda Verlag • Anaconda Verlag GmbH • Booktok • Bücher Poe • Christian Bale • der denkwürdige fall des mr poe • Dupin • eBooks • Fantastische Geschichten • Grauen • Grusel • Horror • Horrorliteratur • Klassiker • Kriminalliteratur • mr poe • Mystery • Phantastische Geschichten • Poe • Poe Netflix • Schwarze Romantik • Science-fiction • Spannung • unheimliche Geschichten • who the hell is edgar
ISBN-10 3-641-27646-2 / 3641276462
ISBN-13 978-3-641-27646-1 / 9783641276461
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