Wolfgang Niedecken über Bob Dylan (eBook)

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2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30321-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wolfgang Niedecken über Bob Dylan -  Wolfgang Niedecken
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»Ohne ihn wäre ich mit Sicherheit nie Musiker geworden.« Wolfgang Niedecken über Bob Dylan. »Für mich ist er der größte unter den amerikanischen Songwritern. Kein anderer Musiker hat mir einen tieferen Einblick in die amerikanische Seele gegeben. Viele meiner Songs wären ohne das Werk Bob Dylans nicht entstanden.« Es gibt sicher keinen anderen deutschen Musiker, der eine solche Nähe zu Bob Dylan hat, wie Wolfgang Niedecken. Seit Jahrzehnten prägt er mit seiner Band BAP und als Solomusiker die deutschsprachige Rockmusik und setzt sich dabei immer wieder mit dem Werk Bob Dylans auseinander: Er hat zahlreiche Coverversionen von Dylan Songs veröffentlicht, hat Bob Dylans Buch »Chronicles« als Hörbuch eingelesen und im Buchhandel und auf Veranstaltungen präsentiert, er ist den Lebensspuren Bob Dylans in der ARTE-Produktion »Bob Dylans Amerika« gefolgt, er hat sein Vorbild mehrmals persönlich getroffen. In seinem Buch erzählt Wolfgang Niedecken lebendig von diesen Treffen und den Berührungspunkten zwischen seinem eigenen Werk und den Inspirationen, die er durch die Musik und die Texte des Literatur-Nobelpreisträgers Bob Dylan erhalten hat.

Wolfgang Niedecken, 1951 geboren in Köln; 1961 bis 1970 Internat Konvikt St. Albert, Rheinbach; 1970 bis 1976 Studium freie Malerei FHBK Köln; 1974 Studienaufenthalt in New York bei Larry Rivers; 1976 bis 1977 Zivildienst beim DPWV; 1979 erstes BAP-Album; 1982 ehrt die Deutsche Phonoakademie BAP als Entdeckung des Jahres; 1984 wegen Zensur geplatzte DDR-Tour; Text für die Äthiopien - Benefiz - Single Nackt im Wind; 1987 erstes Solo-Album mit den Complizen und Nicaragua-Tour, China-Tour mit BAP; 1988 Moçambique-Tour mit den Complizen; 1989 UdSSR-Tour mit BAP; 1992 Das Arsch huh-Konzert gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auf dem Kölner Chlodwigplatz; 1995 zweites Solo-Album mit der Leopardefellband, Clubgig in Berlin als Backing Group für Bruce Springsteen, Musikpreis der Stadt Frankfurt, Landesverdienstorden NRW; 1998 Bundesverdienstkreuz; 2000 Beginn der Dreharbeiten an Wim Wenders BAP - Kinofilm Viel passiert; 2002 Övverall wird zur Musik-DVD des Jahres gekürt, Theo-Hespers-Medaille der Stadt Mönchengladbach. 2004 Botschafter der Aktion Gemeinsam für Afrika.

Wolfgang Niedecken, 1951 geboren in Köln; 1961 bis 1970 Internat Konvikt St. Albert, Rheinbach; 1970 bis 1976 Studium freie Malerei FHBK Köln; 1974 Studienaufenthalt in New York bei Larry Rivers; 1976 bis 1977 Zivildienst beim DPWV; 1979 erstes BAP-Album; 1982 ehrt die Deutsche Phonoakademie BAP als Entdeckung des Jahres; 1984 wegen Zensur geplatzte DDR-Tour; Text für die Äthiopien – Benefiz – Single Nackt im Wind; 1987 erstes Solo-Album mit den Complizen und Nicaragua-Tour, China-Tour mit BAP; 1988 Moçambique-Tour mit den Complizen; 1989 UdSSR-Tour mit BAP; 1992 Das Arsch huh-Konzert gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auf dem Kölner Chlodwigplatz; 1995 zweites Solo-Album mit der Leopardefellband, Clubgig in Berlin als Backing Group für Bruce Springsteen, Musikpreis der Stadt Frankfurt, Landesverdienstorden NRW; 1998 Bundesverdienstkreuz; 2000 Beginn der Dreharbeiten an Wim Wenders BAP – Kinofilm Viel passiert; 2002 Övverall wird zur Musik-DVD des Jahres gekürt, Theo-Hespers-Medaille der Stadt Mönchengladbach. 2004 Botschafter der Aktion Gemeinsam für Afrika.

Inhaltsverzeichnis

New York City


Aus dem Hotelzimmerfenster in Brooklyn konnte ich frühmorgens hinter den riesigen Hafenkränen die Silhouette der Freiheitsstatue erkennen. Der Wecker hatte abermals gnadenlos früh geklingelt, aber als Internatskind war ich in der Lage, dann auch unmittelbar aufzustehen, was man von der Mutter meiner Töchter eher nicht behaupten kann. Wir waren jedenfalls spät dran. Zum Frühstück erst mal nur einen trostlosen Coffee to go, denn auch heute waren wir vom Sonnenaufgang abhängig. Hannes hatte sich überlegt, dass er meinen ersten Aufsager, der vor allem erklärt, dass wir uns lediglich auf den Spuren des Meisters bewegen, ohne den Anspruch, ihn finden zu müssen, direkt gegenüber der Downtown-Skyline, am Pebble Beach, zwischen Brooklyn und Manhattan-Bridge aufnehmen wollte. An und für sich kein Problem, wenn da nicht die New Yorker Subway-Bahnen wären, die im Dreißig-Sekunden-Takt mit unfassbarem Getöse abwechselnd durch die unteren Etagen dieser Brücken in beide Richtungen donnern. Weil das, was ich zu sagen hatte, aber locker zwanzig Sekunden dauerte, war es gar nicht so einfach, dieses Zeitfenster optimal zu nutzen. Mal kam mir mitten im letzten Satz die eine Bahn dazwischen, mal die andere. Und hatte ich alles untergebracht, gab es Zweifel am Ausdruck. Je länger das dauerte und mir dabei bewusst wurde, dass außer dem Subway-Rhythmus auch das Sonnenlicht ein Zeitfenster vorgab, desto angespannter wurde ich, bis ich mir irgendwann vorkam wie Loriots Lottogewinner Erwin Lindemann, der schließlich mit dem Papst in Wuppertal eine Herrenboutique eröffnen will.

Nun ja, was lange währt, wird irgendwann passabel, und zur Belohnung ging’s ins Greenwich Village, wo wir uns mit Mike Porco, dem Enkel des ehemaligen Besitzers von Gerde’s Folk City, im Caffe Reggio in der MacDougal Street verabredet hatten. Hier war der Kaffee alles andere als trostlos, und zu essen gab’s auch was Ordentliches. Angenehmer Kerl, dieser Mike Porco, der uns sehr kompetent vom Wandel im Village erzählen konnte. Folk-Experte, Dokumentarfilmer und Village-Aktivist in einer Person, dessen Opa dereinst den noch minderjährigen Bob Dylan quasi adoptiert hatte, weil dieser für seinen ersten professionellen Gig im Gerde’s eine Gewerkschaftskarte brauchte. Problematisch, weil als 19-Jähriger hierfür die Unterschrift eines Erziehungsberechtigten vonnöten war. Bobby log wie gedruckt, er hätte weder Vater noch Mutter, sodass schließlich Mikes Großvater seufzend seine Signatur auf das Dokument schrieb, und so stand einer Weltkarriere nichts mehr im Wege. Aber erst mal musste das Village erobert werden.

Als ich in den Siebzigerjahren eine Zeit lang beim New Yorker Maler Larry Rivers gewohnt hatte, bin ich immer wieder mal von der 14th Street über den St. Marks Place zum Greenwich Village spaziert, um hier die Schauplätze zu suchen, an denen in den Sechzigern so viel passiert war: Cafe Wha, Bitter End, Cafe Figaro, Gaslight, wo Jack Kerouac seine Lesungen veranstaltete, und natürlich Gerde’s Folk City, wo damals noch der Schaukasten hing, der auf Dylans ersten New York Auftritt hinwies: BOB DYLAN’S FIRST N.Y. APPEARANCE: FOLK CITY 4-11-61. Selbstredend habe ich mich davor fotografieren lassen, allerdings erst sechs Jahre später, als ich durch eine Verwechslung ein weiteres Mal in New York gelandet war. Ich hatte anscheinend nicht genau hingehört, als mein alter Freund Mötz mich spätnachts aus New York angerufen hatte, um mir mitzuteilen, dass ich Larry Rivers’ Lastenaufzugstür restaurieren solle, auf die ich sechs Jahre zuvor eine Vietkong-Flagge gemalt hatte. Die sei inzwischen arg ramponiert, Larry würde mich dafür auch bezahlen, ob ich im Frühjahr Zeit hätte, nach New York zu kommen. Super Idee, bloß hatte ich Frühjahr und Jahresanfang durcheinandergebracht, und da es auch eine Überraschung für meinen Freund Mötz werden sollte, standen wir am Silvesterabend ’79 bei ihm unangemeldet auf der Matte, während er schon die Koffer gepackt hatte, um mal wieder nach Deutschland zu fliegen. Seine erste Ehe war gerade endgültig in die Hose gegangen. Aber es kam noch schlimmer, Larry war vor ein paar Tagen nach Mexiko geflogen und käme nicht vor April zurück. En Handvoll Loser op Silvester hab ich später in »Jriefbar noh« gesungen.

Mit von der Partie waren Schmal Boecker, mein Ex-Studienkollege und BAP-Gründungsmitglied, sowie unsere damaligen Freundinnen Agnette und Christina. Wir mussten feststellen, dass wir fast mittellos in NYC gestrandet waren. Nur gut, dass unser inzwischen zu Weltruhm gelangter Künstler-Kollege Julian Schnabel noch etwas bei uns gutzumachen hatte. Erst vor eineinhalb Jahren hatten Schmal und ich ihm in Köln Obdach gewährt, seine Leinwände aufgespannt, nach Düsseldorf geschafft und dort in der Galerie Dezember aufgehangen – seine erste Auslandsausstellung, bei der übrigens kein einziges Bild verkauft wurde. Er hatte ungefähr einen Monat bei mir in der Teutoburger Straße gewohnt, in meinem Atelier das Bild »One for Aldo Moro« gemalt, meinen Kühlschrank leer geputzt und mich aus meinem Bett verdrängt, sodass ich zu Agnette in die Silvanstraße ausweichen musste. Jetzt war er an der Reihe, und das wusste er auch. Und so kam es, dass der Senkrechtstarter Julian Schnabel abwechselnd ein Pärchen in seinem Atelier schlafen ließ und für das jeweils andere ein zugiges Eckzimmer im damals noch völlig heruntergekommenen George Washington Hotel Ecke 23rd/Lexington Avenue auf seine Kosten anmietete. Er hatte erfreulicherweise kein Problem damit, sich bei zwei »Samaritern«, wie er uns nannte, für deren Gastfreundschaft zu revanchieren. Was ich immer sage: Man trifft sich im Leben meistens zweimal.

Mit meinem Gerde’s-Folk-City-Schaukasten-Polaroid auf der Nachtkommode habe ich mich an diesem Abend in voller Montur im eiskalten Hotelzimmer ins Bett gelegt und versucht – wie Spitzwegs armer Poet – den Text von »Like A Rolling Stone« ins Kölsche zu übertragen, was mir – ehrlich gesagt – nicht besonders gut gelungen ist. Zurück in Köln haben wir den Song mit BAP ab und zu mal live gespielt, wo er auch immer ziemlich gut ankam, was wohl hauptsächlich am rotzigen Refrain lag: Wie küsste dir vüür? Zwei Jahre später ist er schließlich als Lückenbüßer auf unserem Album »Vun drinne noh drusse« gelandet. Ich habe in den Jahren danach etliche Male versucht, den Text zu überarbeiten, aber jedes Mal, wenn ich mir dann vorstellte, wie verstört unser Publikum reagieren würde, wenn ich im Konzert einen komplett anderen Text als auf der Platte singe, habe ich den Stift wieder weggelegt. Mittlerweile hab ich meinen Frieden mit dieser suboptimalen Übersetzung gemacht. Dabei hilft mir vor allem, mich geistig an diesen Abend im Januar ’80 zurückzubeamen, als draußen auf dem Hotelflur zwischen Kindergeschrei, hysterischem Gelächter und Türenschlagen dubiose Geschäfte abgeschlossen wurden. Das sind tatsächlich meine Erinnerungen bis heute, wenn wir – bei passender Gelegenheit – den Song ab und zu mal spielen. In der Regel dann, wenn britische oder angloamerikanische Kollegen Lust auf eine Session verspüren.

Mit »Like A Rolling Stone« verbinde ich allerdings auch noch eine ganz andere Geschichte, nämlich die, wie ich vom Bassisten zum Sänger wurde: Peter A. Schulte (das A. hatte er selbst seinem Namen hinzugefügt, es stand für »Apollo«, den Gott der Musik, der Dichtkunst und des Gesangs) teilte uns auf dem Sommerfest des Städtischen Gymnasiums Rheinbach mit, dass dies sein letzter Gig mit uns sei, denn er müsse sich jetzt so langsam aufs Abitur vorbereiten. Wir sollten uns von daher nach einem Nachfolger umsehen. Er war unser Sänger, ungefähr zwei Jahre älter als ich, und schon des Öfteren hatte er auf dem Schulhof Dylan-Texte deklamiert, vor allem Talking-Blues-Passagen wie aus »I Shall Be Free«:

Well, the telephone rang, it would not stop,

it’s President Kennedy callin’ me up.

He said: My friend Bob, what do we need to make the country grow?

I said, my friend John, Brigitte Bardot, Anita Ekberg, Sophia Loren,

country will grow.

Aber auch an die weniger spaßigen Zeilen aus »Masters Of War« kann ich mich noch gut erinnern:

You that never done nothin’, but build to destroy,

you play with my world, like it’s your little toy.

Das waren Sätze wie Weckrufe. So was kannten wir noch nicht. Bisher waren unsere Väter für politische Meinungen zuständig gewesen. So langsam fingen wir an, selbstständig zu denken.

Zu seinem letzten Gig mit uns hatte Apollo Bob Dylans neue Single mitgebracht. Den Text hatte er vorsorglich schon mal rausgehört. »Like A Rolling Stone« fängt mit einem Schlag auf die Snare an, und instinktiv begreift man, dass es jetzt um die Wurst geht, auch wenn der Text zunächst wie ein Märchen daherkommt: »Once upon a time/Es war einmal …« Aber nichts an dem Song ist harmlos, vor allen Dingen nicht der Tonfall, in dem er die Prinzessin auf dem Kirchturm ansingt, die sich anscheinend für was Besseres hält. Vergesst die Schmachtfetzen mit demütig gesungenem »I Wanna Hold Your Hand«-Schmu! Hier kommt Schadenfreude darüber auf, dass der schicke Typ mit seiner chromblitzenden Karre ihr alles genommen hat, was er ihr stehlen konnte. Der Napoleon in Lumpen, den sie immer nur ausgelacht hat, singt in seiner Gossensprache, dass sie jetzt unsichtbar sei und...

Erscheint lt. Verlag 4.3.2021
Reihe/Serie KiWi Musikbibliothek
KiWi Musikbibliothek
Zusatzinfo 2-farbig, 1 Foto des Autors, 1 Karte
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte BAP • Bob Dylans Amerika • Chronicles • Folk • Lieblingsband • Musikbibliothek • Musikreihe • Pop-Musik • Rockmusik • Verdamp' lang her
ISBN-10 3-462-30321-X / 346230321X
ISBN-13 978-3-462-30321-6 / 9783462303216
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