Drei Kameradinnen (eBook)
352 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31937-8 (ISBN)
Shida Bazyar, geboren 1988 in Hermeskeil, studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim und war, neben dem Schreiben, viele Jahre in der Jugendbildungsarbeit tätig. Ihr Debütroman »Nachts ist es leise in Teheran« erschien 2016 und wurde u.a. mit dem Bloggerpreis für Literatur, dem Ulla-Hahn-Autorenpreis und dem Uwe-Johnson-Förderpreis ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. »Drei Kameradinnen« folgte 2021 und stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis.
Shida Bazyar, geboren 1988 in Hermeskeil, studierte Literarisches Schreiben in Hildesheim und war, neben dem Schreiben, viele Jahre in der Jugendbildungsarbeit tätig. Ihr Debütroman »Nachts ist es leise in Teheran« erschien 2016 und wurde u.a. mit dem Bloggerpreis für Literatur, dem Ulla-Hahn-Autorenpreis und dem Uwe-Johnson-Förderpreis ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. »Drei Kameradinnen« folgte 2021 und stand auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis.
Wir sind nicht mehr in den Neunzigern.
Wir sind keine Gäste einer Talkshow.
Wir sind drei Freundinnen, die sich zu lange kennen, um sich nicht zu verstehen, obwohl sie sich eigentlich nicht richtig verstehen.
Wir sind wieder ernst. Diese Geschichte ist ernst und traurig.
Zurück zu Mittwoch, dem Tag, der im Jobcenter begann und für Saya und Hani in dem Haus endete, das heute Nacht brannte.
Bis zum Abend hatten Saya und ich uns natürlich wieder beruhigt. Nachdem Saya vom Markt zurückgekommen war, hatten wir den Tag nebeneinanderher verbracht, ein bisschen was gegessen, schweigend auf unsere Handys geguckt und darauf gewartet, dass Hani Feierabend hat. Meine Jobcenter-Wunden waren zwar tief, grundsätzlich aber verlief ihre Heilung nach einem bekannten Muster. Alles, was ich brauchte, war Ablenkung. Saya wusste das natürlich und nachdem sie lange genug auf ihrem Handy herumgetippt, einen überzuckerten Joghurt gegessen und sich ein wenig naserümpfend in der WG-Küche umgeschaut hatte, widmete sie sich der Abendplanung, und wenige Stunden später saßen wir auf einem alten Fabrikgelände, vor einem besetzten Haus und einer Feuertonne, sprachen, tranken und lachten, und ich war wieder der Mensch, der ich eigentlich bin, und kein Jobcenter-Zombie mehr.
Die Leute um uns herum drehten sich Zigaretten, rückten füreinander zur Seite, damit alle sitzen konnten, führten ernste Gespräche und schauten dabei ins Feuer. Es war irgendwas zwischen einer Geburtstagsfeier und einem Konzert von Leuten, die wir vage kannten. Manchmal sprachen sie von einem Rave, von dem wir nichts wussten, was sich aber vielleicht bald ändern würde, wenn wir nur lässig genug guckten und geduldig blieben.
Die Leute, die zu dem besetzten Haus gehörten, waren alle unterschiedlich alt und auf unterschiedliche Art schön. Wenn man genau hinschaute, reichte die Altersspanne bis schätzungsweise Mitte fünfzig, wobei in diesen Bereich, ehrlich gesagt, nur noch Männer fielen. Alle anderen waren eher etwas jünger und die Frauen unter ihnen schienen alles zu tun, um ja nicht auszusehen, wie es von Frauen verlangt wird. Deswegen vielleicht fühlten wir uns in diesen Kreisen wohl, obwohl wir selbst im Vergleich eher konventionell aussahen. Hier hatten wir irgendwie so was wie Sonderrechte, denke ich manchmal, wer links ist, muss entweder aussehen wie ein Outcast oder, wie wir, einer sein. Deswegen durfte Hani auch im Gegensatz zu den anderen Frauen im Minirock kommen, musste Saya ihr hübsches Gesicht nicht durch eine hässliche Frisur ausgleichen. Aber das, ihr habt es an eurem inneren Widerstand gemerkt, ist meine Interpretation der Dinge, denn vielleicht waren wir hier auch völlig ungewollt und fehl am Platz und merkten es nur nicht, oder aber wir waren allen egal und nur ich nahm diesen Kram so wichtig, dass ich drüber nachdachte. Aber weil ich hier das Sagen habe, bleibe ich bei meiner Annahme, dass man uns wegen eines vermeintlichen Andersseins akzeptierte und wir die anderen wegen eines selbst gewählten Andersseins. Nur deswegen saßen Saya und ich so entspannt auf der Bank, beobachteten die Leute um uns und wechselten kein Wort über das, was uns am Vormittag noch so auseinandergetrieben hatte.
Ich fragte mich, ob Saya noch wusste, dass sie, als wir vor Jahren einmal auf einer ähnlichen Party waren, gesagt hatte, es sei ihr schleierhaft, warum alle Welt davon ausgehe, dass es eine politische Haltung sei, gegen rechts zu sein. Gegen rechts zu sein sei weder eine Entscheidung noch eine Einstellung; gegen rechts zu sein, war für Saya nichts anderes als ein Überlebenstrieb, der nicht einmal einer Benennung bedurfte. Sie fand es merkwürdig, dass Leute sich als Antifaschisten beschrieben und so taten, als wäre das etwas Nennenswertes. Diabetiker zu sein, das war für sie etwas Nennenswertes, oder Pferdeflüsterer, aber doch nicht Antifaschist. Wenn Antifaschismus etwas Nennenswertes war, was sollte denn dann die unbenannte Norm noch sein? Zum Glück fing Saya jetzt nicht noch einmal damit an, und ich war froh darüber, denn das hier war kein Ort, an dem ich sie laut über solche Dinge rätseln hören wollte. Wir stießen mit dem übertrieben gekühlten Radler an und schwiegen, schauten uns um und genossen den ruhigen Abend inmitten von, dessen waren wir uns sicher, Gleichgesinnten. Einige Meter weiter stand Life und zerriss ein paar große Pappkartons, die man zum Anzünden weiterer Feuer brauchen würde.
Jetzt fragt ihr euch, wer eigentlich Life ist? Das habe ich mir gedacht, denn wir haben ja schon festgestellt, dass ihr die Opfer nie kennt. Wenn ihr euch mit ihnen beschäftigt hättet, käme euch Lifes Name bekannt vor, wärt ihr an dem Foto von ihm, seiner Frau und seinem Sohn hängen geblieben. An diesem Abend war Life aber noch kein Opfer, sondern bloß ein Unbekannter, der für uns erst mal noch keine Bedeutung hatte und den wir nur kurz wahrnahmen, so, wie wir alle um uns herum wahrnahmen. Vielleicht nahmen wir ihn ein bisschen länger wahr, weil er in diesem weißen Kontext die einzige Schwarze Person war. Vielleicht hatten wir drei jeweils einen kurzen Blickkontakt mit ihm, vielleicht tat jemand etwas, das als Nicken durchgehen konnte. Vielleicht schaute daraufhin einer von uns betreten weg. Aber das glaube ich nicht, daran würde ich mich erinnern.
Saya und ich sahen uns weiter um und beobachteten Hani und ihre unvergleichliche Kunst des Assimilierens. Sie war nach der Arbeit kurz nach Hause gefahren, hatte sich dicken dunklen Kajal aufgelegt und sich zusatzstofffreie Filterzigaretten gekauft, um mit ihren schicken langen Zigaretten nicht aufzufallen. Nun stand sie in ihren ausnahmsweise ausnahmslos schwarzen Klamotten an der Feuertonne und redete mit Minh, einer von vielen Personen, die in Hanis Agentur mal ein Praktikum gemacht hatten. Hanis Agentur setzte sich für die Rechte von Tieren ein, indem sie hippes Marketing für einen artgerechten Umgang vor deren Verwertungstod betrieb. Engagiert wurden sie von Unternehmen, die zwar einerseits Tiere abschlachteten und an deren Kadavern Geld verdienten, andererseits aber vorher genau diesen Tieren ein hohes Maß an Fairness entgegenbrachten und dies gerne mit der Öffentlichkeit teilten. Hani hatte weder mit Weltverbesserung noch mit Werbestrategien wahnsinnig viele Berührungspunkte und war in dieser Agentur das, was sie mit einer hohen ironischen Stimme die »Vorzimmerdame« nannte. Leute wie Minh verirrten sich immer Mal wieder in die Agentur, weil sie extrem aktivistisch waren und einen Ort suchten, an dem sie Geld verdienen konnten, ohne dabei ihre Ideale zu verraten, und Hanis Kolleginnen und Kollegen sah man diese zwei Herzen in ihrer Brust ebenfalls an. Sie sahen allesamt aus, als hätten sie mal in Baumhäusern gelebt, als würden sie ihr Leben aber inzwischen im Griff haben. Minh fragte Hani aus, ob sich mittlerweile etwas an den Arbeitsbedingungen geändert habe. Hani druckste herum, das merkten wir sogar aus der Distanz, denn jegliche Veränderung hätte Hanis Initiative erfordert. Minh hatte das Unternehmen nach einem halben Jahr Praktikum mit einem glänzenden Arbeitszeugnis, einer weiteren Zeile im Lebenslauf und der Ansicht verlassen, dass Kommerz und Ideale einander ausschlossen, und versuchte sich gerade im Journalismus. Hani war Minh ans Herz gewachsen, vielleicht, weil sie zwar alles richtig machte, was Umweltschützer richtig machen mussten – sich vegan ernähren, im Bioladen einkaufen, auf Plastik verzichten –, dabei aber irgendwie hilflos wirkte und im Gegensatz zu allen anderen keine moralische Strenge ausstrahlte. Minh fand diesen Zug sympathisch, ich aber durchschaute ihn. Ich durchschaute, warum Hani nach den veganen Würstchen fragte, weil vegan sein für sie der einfachste Weg war, eine gesellschaftskompatible Diät zu machen, die ihr guttat. Man konnte auch vegan dick werden, keine Frage, aber vegan sein hieß, öffentlich auf Dinge zu verzichten, ohne sich in bestimmten Kreisen weiter erklären zu müssen, und Hani verzichtete also auf Dinge und blieb bei Gemüse und ein wenig Tofu. Wenn sie im Bioladen einkaufte, fühlte sie sich sicher. Jahrelang hatte sie verzweifelt versucht, zu kaufen, was andere kauften, ohne negativ aufzufallen, Stichwort Billigcola von ALDI, mit der sie dann selbstbewusst herumlief und nicht merkte, dass die anderen Teenie-Girls sich über sie lustig machten. Als sie erkannte, dass man im Bioladen zwar verdammt viel Geld ließ, dafür aber mit wirklich jedem einzelnen Kauf immer alles richtig machte, fühlte sie sich so gut und aufgehoben, dass sie lieber an anderen Stellen sparte, um dafür aber ihre Einkäufe nicht verstecken zu müssen, sondern im Gegenteil stolz präsentieren zu können.
Saya und ich wussten, dass wir das Gleiche dachten, als wir Hani und Minh beobachteten, wir schauten uns eher zufällig kurz an und lächelten. Vor uns standen zwei Männer in wild verlotterter, schwarzer Montur, mit Ohrring und partiell rasierten Haaren, und diskutierten über etwas. Wir bekamen nicht mit, über was, schnappten nur hin und wieder ein paar Stichwörter auf. Es ging um Plena und Demonstrationen, worum auch sonst, um die Organisation einer Veranstaltung, die bald anstand, und Saya fragte mich, ob ich bei der letzten Demo gegen Polizeigewalt in meinem Stadtteil gewesen sei, die so eskaliert war. Seit Saya selbst nicht mehr in der Stadt wohnte, war sie immer extrem gut über alles informiert, was hier passierte, und tat so, als wäre es selbstverständlich, dass man zu jeder Demo ging. Ich verneinte und fühlte mich schuldig. Wenn irgendwo Demos waren, musste man da natürlich hin. Das tat aber kein Mensch konsequent, dachte ich, denn nach einiger Zeit...
Erscheint lt. Verlag | 15.4.2021 |
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Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Aufwachsen • Ausgrenzung • Brandanschlag • Deutscher Buchpreis 2021 • Diskriminierung • Familie • Familiengeschichte • Feminismus • Frauen-Freundschaft • Freundschaft • Herkunft • Longlist Deutscher Buchpreis • NSU • Rassismus • Rechtsruck • Sexismus • Vertrauen |
ISBN-10 | 3-462-31937-X / 346231937X |
ISBN-13 | 978-3-462-31937-8 / 9783462319378 |
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