Die Insel der Wünsche - Stürme des Lebens - (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
544 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-25807-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Insel der Wünsche - Stürme des Lebens - - Anna Jessen
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Helgoland ist ihr Schicksal.
Hamburg 1887. Das junge Blumenmädchen Tine Tiedkens lebt in ärmlichsten Verhältnissen. Um ihrer Not zu entfliehen, will sie ihr Glück auf Helgoland suchen. Doch die Überfahrt auf die mondäne Insel wird zum Albtraum, und vor Ort scheint sich alles gegen sie zu verschwören. Als sie zufällig den jungen Hotelier Henry Heesters wiedertrifft, der in Hamburg Blumen bei ihr gekauft hat, erhält sie eine Stellung in seinem eleganten Hotel. Mit Fleiß und Leidenschaft arbeitet sich Tine vom Serviermädchen zur Hausdame hoch - und verliebt sich in Henry, der ihre Gefühle erwidert. Doch als ihr Glück zum Greifen nah scheint, wendet sich das Schicksal erneut ...

Anna Jessen liebt die Nordsee seit der Kindheit. Daher ist jede mögliche Reise dorthin eine willkommene Gelegenheit, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, Feuersteine zu sammeln und auf der Düne den Gedanken nachzuhängen. Helgoland ist für Anna Jessen die »Insel der Wünsche«, faszinierend durch die einzigartige Natur, die liebenswerten Menschen und nicht zuletzt durch die besondere Geschichte, die dieser Fels erlebt hat. Neben dem Reisen gilt die ausgesprochene Leidenschaft Anna Jessens dem Schreiben, der Musik und der Arbeit im Buchhandel.

Zweites Kapitel

Warum nur taucht Peer nicht mehr auf?, dachte Tine, als sie aufs Neue allein in die Stadt unterwegs war. Nun hat er mich schon zehn Tage nicht mehr zum Hafen begleitet. Nein, elf! Ob ihm etwas zugestoßen ist? Vielleicht hatte er eine Arbeit woanders gefunden und war gar nicht mehr am Hafen. Er hätte bei der Bahn arbeiten können. Oder auf dem Markt. Eigentlich komisch, dass so viele Leute immer am selben Ort arbeiteten. Dabei konnten sie doch auch woanders Geld verdienen, vielleicht sogar mehr! Wie Tine selbst neulich in dem Hotel. Na ja, in den Kaffeehäusern hatte es jedenfalls nicht funktioniert. Und am Hafen gab es eben doch immer wieder Arbeit. Sicher hatte Peer schon eine Vielzahl von Auftraggebern. Schließlich kannte er die meisten Schiffe, die regelmäßig anlegten. Weshalb also sollte er woanders hingehen, wenn er doch wusste, dass er hier immer Arbeit finden würde. Arbeit gab es im Hafen schließlich genug. Eigentlich sogar immer mehr! Legten nicht jede Woche mehr Schiffe an als in der Woche zuvor? Die Ladungen wurden auch immer größer. Es gab immer mehr Passagiere. Wenn sie nur alle Blumen kaufen würden …

»Träumst du, Tine?«

»Peer!« Lächelnd wischte sich Tine eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ich habe gerade an dich gedacht.«

»Ich denke ständig …« Peer unterbrach sich, suchte mit seinem Blick das Wasser, wo gerade ein großer Frachter hereingeschleppt wurde. »Ähm …«, sagte er dann. »Schön, dich zu sehen.«

»Wo warst du so lange?« Tine erhob sich und strich dabei ihren Rock glatt. »Ich hab dich schon so lange nicht mehr gesehen.«

»Kopenhagen«, sagte Peer und grinste. »Und Malmö.«

»Malmö?«

»Das liegt in Schweden.«

»Hm. Als Matrose?«

»Na ja, Leichtmatrose«, erklärte Peer etwas beschämt. »Vor allem war ich bei den Heizern.«

»Oh.« Erst jetzt sah Tine, dass Peers Kleider vor Schmutz nur so starrten. Auch sein Hemd, sonst von einem vagen Hellgrau, war nun fast so schwarz wie seine Hose. Heizer verrichteten die schwerste Arbeit auf den Dampfern, Tine wusste das. Sie mussten stundenlang Kohle in die Kessel schaufeln, kamen kaum je an Deck und schliefen meist auch noch neben den stampfenden Maschinen. »Dann hattest du harte Tage«, murmelte sie. »Hast du denn wenigstens was von Kopenhagen gesehen? Und von …«

»… Malmö. Geht so. Da musste ich mit der Ladung helfen«, sagte Peer verhalten. Fast schien es Tine, als sei er ein bisschen älter geworden in den paar Tagen. »Und du?«, fragte er. »Schon was verkauft heute?«

»Geht so«, echote Tine. Sie musste ihm ja nicht auf die Nase binden, dass die Geschäfte zäh gingen. Das waren ihre Sorgen.

Peer wühlte in seiner Hosentasche. »Diese … hm … Röschen sind das, oder?« Tine nickte. »Also, die sind schön«, sagte er. »Davon hätte ich gern ein paar.«

»Du?«

»Klar. Oder denkst du, ein Leichtmatrose mag keine Blumen?«

»Doch, doch«, beeilte sich Tine zu sagen.

»Was kosten die denn?«, wollte Peer wissen.

»Also, du musst mir die doch nicht bezahlen.«

»Hm. Und normalerweise?«

»Normalerweise kosten sie zwei Pfennige«, sagte Tine wahrheitsgemäß.

»Dann möchte ich sie gerne bezahlen«, erklärte der Junge und reichte ihr mit feierlicher Geste ein Zweipfennigstück. »Ich habe schließlich gute Geschäfte gemacht.«

Einerseits war es Tine unangenehm. Peer war schließlich ein Freund. So oft schon hatte er ihr den Korb eine lange Strecke getragen. Da konnte sie doch nicht … Aber als er ihr die Münze in die Hand drückte und die Hand auch noch zumachte, zuckte sie mit den Schultern und steckte es ein. Sie verdiente das Geld ja nicht für sich allein, sondern vor allem für die Familie. »Dann bekommst du aber jedenfalls zwei«, sagte sie und reichte ihm zwei Sträußchen, die er nickend entgegennahm. Wem er sie wohl schenken würde? »Danke schön«, sagte er und betrachtete die Blumen, die in seiner schwarzen Hand umso fröhlicher zu leuchten schienen. »Sie sind wunderschön.«

»Und wem wirst du sie …?«, hörte Tine sich nun doch selbst neugierig fragen.

»Wem ich sie schenken werde?« Peer grinste dieses freche Grinsen, das so typisch für ihn war. »Dir natürlich, Tine Tiedkens!« Und ehe sie sich’s versah, hatte er ihr die Blumen an die Schürze gesteckt und lief davon. Völlig überrumpelt und auch ein wenig geschmeichelt sah Tine ihm hinterher, wie er seine Mütze in der Luft schwenkte. Was für ein komischer Kerl, dachte sie und war gleichzeitig froh, einen so guten Freund zu haben.

In den vielen Stunden, die Tine an den Landungsbrücken saß und auf Kundschaft wartete, wurde ihr niemals langweilig. Es war nicht nur die Arbeit, die sie beschäftigte. Mehr noch war es der aufregende Hafen selbst, der sie mit seiner atemberaubenden Entwicklung fesselte. Ob nach Norden, Richtung Köhlbrand, oder nach Süden, Richtung Veddel, überall wurde gebaut. Die Werften von Heinrich Brandenburg, von Stülcken Sohn und Blohm & Voss übertrumpften sich gegenseitig, sowohl beim Bau der Docks als auch bei dem der Schiffe. Der Lärm der Stahlstempel und der Schermesser, der Niethämmer, der ächzenden Schwingbäume und dröhnenden Pumpen erfüllte fortwährend die Luft über der Stadt. Dampfkräne, hoch wie Häuser, säumten die Liegeplätze, unablässig wurden Bollwerke und Pontons in die Tiefen der Elbe gerammt, während andernorts die Fahrrinnen und Hafenbecken tiefer und tiefer ausgebaggert wurden. Dampfbarkassen und Schlepper kreuzten den Fluss zu jeder Tages- und Nachtzeit, sodass auf der Nordelbe niemals Ruhe einkehrte. Selbst in völliger Dunkelheit wurden bei Fackelschein und im trüben Licht von Petroleumlampen noch Ladungen gelöscht, Wagen aufgeladen, rollten Tender mit Kohle heran, um die Vorratsräume der Schiffe aufzufüllen, ehe sie am Morgen mit der Flut wieder auslaufen würden. Zeit zu verlieren, das war im Hamburger Hafen nicht vorgesehen, denn Zeit war Geld. Wer zu lange brauchte, verlor. Und manches Mal war selbst der Stundenball an der Spitze des Kaispeichers vor Dampf und Qualm kaum zu sehen.

Der Stundenball, den Tine täglich betrachtete, wenn sie endlich ihre müden Schritte nach Hause lenkte. Denn ehe sie in das Gewirr des Gängeviertels eintauchte, wandte sie regelmäßig den Blick nach der stolzen, neuen Speicherstadt, deren rote Klinkerbauten sich elegant zwischen dem Binnen- und dem Strandhafen erhoben. Peer hatte ihr einmal geschildert, dass Reichtümer wie Kaffee aus Brasilien, Tee aus Indien, Teppiche aus Persien, Stoffe aus Flandern, Gewürze aus Afrika, Tabak aus Amerika in unvorstellbaren Mengen dort lagerten.

Halb bewundernd, halb befremdet blickte Tine deshalb auch an diesem Abend hinüber zu den spitzen Giebeln, den Türmchen und Seilzügen, ehe sie endlich gen Norden wanderte, um nach Hause zu gehen. Schon bald beschlich Tine ein mulmiges Gefühl. Schwere schwarze Wolken hatten die Stadt schon früh verdunkelt. Doch der Regen blieb noch immer aus, stattdessen schimmerte ein seltsames Dämmerlicht in den Straßen, das sich zusehends verdüsterte.

Beklommen schlich Tine an den heruntergekommenen Mauern entlang und sah sich immer wieder um. Sie fühlte sich beobachtet oder gar verfolgt. Auch wenn sie nicht viel Geld gemacht hatte an diesem Tag, so waren es doch die Einnahmen stundenlanger Arbeit, die sie bei sich führte. Die zahlreichen Gauner und Strauchdiebe, die sich überall herumtrieben, wussten genau, dass bei denen, die von der Arbeit nach Hause kamen, am meisten zu holen war.

Am Ende rannte sie fast. Sie hatte gerade den Fuß auf die Schwelle gesetzt, als eine grobe Männergestalt sich ihr in den Weg stellte. »Sieh an, die kleine Tiedkens!«

Im Zwielicht des schmalen Treppenhauses konnte Tine zunächst gar nicht erkennen, wer ihr den Weg versperrte.

»Oh!« Nun hatte sie ihn erkannt. Es war der Wirt der Seemannsbraut, einer ziemlich verrufenen Kneipe auf St. Georg. »Sie wollen bestimmt zu meinem Vater?«

»Und schlau ist sie auch noch, die Kleine«, sagte der Mann, als spräche er gar nicht mit ihr. Er trat einen Schritt auf sie zu, sodass sie beide vor dem Haus standen, und starrte ihr ebenso unverhohlen ins Gesicht wie auf die Brust. »Hast du noch alle Zähne?«, fragte er unvermittelt. Tine konnte seinen Zwiebelatem riechen und wich zurück. »Oder muss man bei dir noch fragen, ob du sie schon alle hast.« Er lachte, doch sein Lachen hatte nichts Fröhliches, sondern vielmehr etwas Lauerndes.

»Mein Vater …«, versuchte das Mädchen es noch einmal. Doch der vierschrötige Kerl winkte ab. »Dein Vater ist ein Lump«, stellte er fest. »Und er ist auch nicht da. Ich war schon oben in eurem schönen Zuhause.« Tine spürte einen Kloß im Hals. Es war nicht zu überhören, dass er sich über die armselige Wohnung der Familie lustig machte. »Gut für ihn, dass er nicht da war. Aber nicht gut für mich.« Der Wirt griff nach Tines Arm. Sie wollte ausweichen, stieß jedoch gegen die Hauswand und musste ihn gewähren lassen. »Hat eine Menge Schulden bei mir«, erklärte der Besitzer der Seemannsbraut. »Sollte er besser nicht haben.« Er schnalzte mit der Zunge. »Immerhin hat er ein paar sehr passable Mädchen. Sag ihm, er soll dich mal bei mir vorbeischicken. Dann vergess ich seine Schulden.«

»Vorbeischicken?«, stotterte Tine. »Wozu denn?«

»Heda!«, rief plötzlich Meister Herzfeld, der in der Tür seiner Baderstube aufgetaucht war. »Was willst du von dem...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2021
Reihe/Serie Die Helgoland-Saga
Die Helgoland-Saga
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Blumenladen • eBooks • Familiensaga • Frauenromane • Frauenschicksal • Generationenroman • Hebamme • Helgoland • Hotel • Jahrhundertwende • Liebesromane • Nordsee • Seebad • Wahre Begebenheit
ISBN-10 3-641-25807-3 / 3641258073
ISBN-13 978-3-641-25807-8 / 9783641258078
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