Das hatte ich mir grüner vorgestellt (eBook)

Mein erstes Jahr im Garten
eBook Download: EPUB
2021
240 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-26531-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das hatte ich mir grüner vorgestellt - Sebastian Lehmann
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Lange Zeit war Sebastian Lehmann überzeugter Großstädter. Doch nachdem ihn der dröhnende Baulärm Berlins schon wieder frühmorgens aus dem Schlaf reißt, hat er endlich genug. Also macht er sich mit seiner Freundin auf die Suche nach einem eigenen Gartengrundstück - und landet ausgerechnet in Mecklenburg-Vorpommern. Die ersehnte Ruhe und Beschaulichkeit lassen aber erst mal auf sich warten. Denn wo der Salat wachsen soll, sind die Schnecken schneller, der Giersch sprießt überall, und die frisch bezogene Datsche ist morsch. Auch tauchen Fragen auf wie: Brauchen wir einen Zaun? Wie baut man ein Hochbeet? Und ist Feinripp das Kleine Schwarze des Kleingärtners? In seinem neuesten Buch erzählt Sebastian Lehmann mit viel Witz und schrägem Charme von seinem ersten Gartenjahr, wie man mit zwei linken Händen einen Baum fällt und wieso er seine Entscheidung, einen eigenen Garten zu haben, am Ende doch nicht bereut.

Sebastian Lehmann, in Freiburg geboren, lebt in Berlin. Auf SWR3 und RBB radioeins laufen seine Radiokolumnen »Elternzeit«, »Elterntelefonate« und »Popgedichte«. Mit seinen Soloprogrammen ist er so viel auf Tour, dass ihn seine eigne Katze schon nicht mehr erkennt. Er ist Mitglied der größten Lesebühne Deutschlands, der Lesedüne, und hat zahlreiche Bücher geschrieben. Zuletzt erschienen »Mit deinem Bruder hatten wir ja Glück - Telefonate mit meinen Eltern« (Goldmann) und der Roman »Parallel leben« (Voland & Quist). Außerdem hat er den Kleinkunstpreis Baden-Württemberg gewonnen.

Aufs Land


Wenn man Berlin verlässt, kommt erstmal nichts. Außer man fährt zufällig in Richtung Potsdam – dann kommt Potsdam. Und danach nichts.

Das Nichts sieht sehr schön aus und heißt Brandenburg. Die Felder und Bäume in Brandenburg wirken selbst im Sommer leicht gräulich, doch der Himmel ist weit und sattblau. Brandenburg sieht ein wenig so aus wie der Wilde Westen. Die Dörfer bestehen aus einstöckigen Häusern direkt an der Landstraße, aufgereiht wie Perlen an einer Kette. In der Mitte thront eine Kirche, die schon bessere Tage erlebt hat. Der Dorf-Saloon ist seit der Wende geschlossen. Manchmal wehen ein paar einsame Büsche durch die leeren Straßen der Dörfer, dazu spielt eine Ziehharmonika das Lied vom Tod.

Zwischen den Siedlungen bleibt der Blick nirgendwo hängen. Alles flach und eben. Geometrische Felder und Wälder – als hätte sie jemand mit dem Lineal aufgezeichnet. Dazwischen unzählige Windräder wie Uhren mit drei Zeigern. Manchmal drehen sie sich so schnell, schreitet die Zeit so rasant voran wie die Jahre, seit ich 30 geworden bin.

Nur selten begegnet man Menschen in Brandenburg. Seit Jahren hält sich das Gerücht, dass die Uckermark bei der EU als nicht besiedeltes Gebiet gilt, weil zwischen den unzähligen Seen, Wäldern und Feldern nur sehr versprengt einige winzige Ortschaften liegen.

Ich mag die Leere. In Berlin verschwindet sie ja jetzt völlig, diese schöne Leere. Ja, auch Leere kann verschwinden. Die letzten Leerstellen, wie zum Beispiel bei uns hinter dem Haus, werden gefüllt. Als ich Anfang der Nullerjahre nach Berlin kam, schien die Stadt manchmal wie ausgestorben. Überall standen riesige, schöne Altbauwohnungen leer. Meine erste Wohnung kostete fast nichts, und der Makler bekniete mich, sie doch bitte zu nehmen. Entschuldigung, alter Mann erzählt vom Krieg. Auch wenn es ein sehr leiser und harmloser Krieg war, bei dem kaum jemand mitmachte.

Ich mag auch die Brandenburger. Es gibt sie nämlich wirklich. Sie sind etwas einsilbig, aber nett. Das kommt mir als in Freiburg geborenem Badener entgegen. Die Badener gelten ebenfalls als ziemlich einsilbig. Manche sogar als nett.

Natürlich gibt es auch Neonazis in Brandenburg. Wie leider überall. In Brandenburg fallen sie wahrscheinlich nur mehr auf, weil da sonst nichts ist.

Nun suchten wir also wieder die Leere, die wir in Berlin mitgeholfen hatten zu füllen. Natürlich war das paradox. Ganz aufs Land ziehen wollten wir jedoch nicht, dafür hatten wir uns zu sehr an die Annehmlichkeiten einer Großstadt gewöhnt, an die Kinos und Konzerte, die Partys, die guten Restaurants und Spätkaufs. Auch wenn wir in letzter Zeit abends eher zu Hause saßen, Serien schauten und über Rückenschmerzen jammerten, weil wir es wieder beim Pilates übertrieben hatten.

Ein Garten auf dem Land ist Tradition in Ostdeutschland. Man entflieht im Sommer in sein Gartenidyll vor den Toren der Stadt. Oft liegen sie in der Nähe von wunderschönen Seen. Die Grundstücke sind etwas größer als herkömmliche Schrebergärten, wie man sie in Westdeutschland kennt. Im Osten übernachtet man selbstverständlich auch im Garten, viele verbringen den halben Sommer dort. Denn auf den Grundstücken stehen so gut wie immer Gartenlauben, die eher an kleine Häuser erinnern. Manche nennen diese Häuser auch Datschen. Oder Lauben. Oder Bungalows. Doch wenn ich an einen Bungalow denke, sehe ich vor meinem inneren Auge ein palmenumsäumtes Haus in den Hügeln von L.A. In Ostdeutschland bedeutete Bungalow vor allem Asbest. Ganz Deutschland – auch der Westen – wurde bis in die späten Achtzigerjahre nur aus Asbest gebaut. In meiner Schule, in meiner Uni, in meinem Kinderzimmer – überall fielen Asbestplatten von der Decke, und feiner Staub legte sich auf meine Haare und Lungenflügel. Und jetzt will ich mir einen Garten mit Bungalow zulegen, obwohl ich gerade erst bei aufwendigen Zahnsanierungen alle meine Amalgamfüllungen aus der Kindheit losgeworden bin. Schon droht der nächste Krebstod. Kann man seinen gesunden Berliner Lebensstil in so einem Gartenbungalow eigentlich weiterführen? Lohnt es sich überhaupt, einen veganen Quinoasalat zu essen, wenn dabei Asbeststaub auf den Teller rieselt?

Doch solche Probleme lagen noch in der fernen Zukunft. Wir mussten erstmal einen schönen und bezahlbaren Garten finden. Das gestaltete sich komplizierter, als wir vermutet hatten.

Wir – eigentlich meint das ich, meine Freundin ist da nicht so kategorisch – legten einige Bedingungen fest, die das Gartengrundstück erfüllen musste:

  1. Nicht länger als zwei Stunden mit dem Auto von unserer Wohnung in Berlin entfernt. Halbwegs vernünftige Bahnanbindung wäre ebenfalls wünschenswert.
  2. Es soll ein Badesee in der Nähe liegen. Wenn man sich eine Karte von Brandenburg ansieht, müsste das machbar sein: überall Seen.
  3. Ruhe.
  4. Das Grundstück darf nicht Teil einer großen Datschensiedlung sein. Wir – also, das heißt eigentlich auch wieder: Ich will nicht jeden Morgen von schreienden Kindern oder rasenmähenden Senioren geweckt werden. Das muss ich schon zu Hause in Berlin ertragen. Also, die Kinder wenigstens. In Ordnung fände ich rasenmähende Kinder, das stelle ich mir niedlich vor. Baustellen gibt es hoffentlich auf dem Brandenburger Land nicht so viele. Problematisch bei großen Siedlungen sind zudem die – nennen wir sie mal Blockwärter. Alteingesessene, die pingelig darauf achten, dass die Hecken akkurat geschnitten und die Beete unkrautfrei sind – und die Deutschlandfahne korrekt gehisst. Ein No-Go für uns. Also, für mich. Meine Freundin sieht das sicher ähnlich, artikuliert es allerdings nicht so lautstark.

Meiner Freundin geht es neben der Ruhe vor allem um Blumen und Gemüse. Sie will gärtnern. Unser schmaler Berliner Balkon, der eher einem etwas größeren Fensterbrett gleicht und leider direkt über der benachbarten Baugrube hängt, ist komplett bepflanzt. Wenn meine Freundin auf dem Balkon zwischen ihrem Grünzeug sitzt, kann man sie fast nicht mehr erkennen. Sie scheint eingewachsen zu sein.

»Gärtnern entspannt mich«, sagt sie. »Ich habe einen Job, bei dem ich den ganzen Tag vor dem Computer sitze, ich brauche das als Ausgleich. Das kannst du dir natürlich nicht vorstellen.«

Damit spielt sie auf meinen ungebundenen Lebensstil als so genannter freier Autor und so genannter Kleinkünstler an. Ja, ich bin ein Kleinkünstler, der Kleingärtner werden will. Ich lebe den Traum. Jedenfalls schreibe ich lustige Geschichten. Die lese ich dann auf Bühnen vor. Das ist mein Job. Oder wie es meine Eltern in meiner Heimatstadt Freiburg ausdrücken: »Damit verdienst du Geld?«

Meine Freundin und ich sind sicher nicht allein mit unserem Bedürfnis, einen Ausgleich zu unseren völlig von allem Materiellen losgelösten Jobs zu suchen. Wer den ganzen Tag vor dem Laptop sitzt, erst bei der Arbeit und dann am Abend beim Serienschauen, der sehnt sich wie ein verwöhnter Stadthund nach etwas Auslauf in der Natur. Ein Beet anlegen, Beeren pflücken und damit selbst Marmelade herstellen, Brot backen – anscheinend wollen viele wieder das zurück, was die Eltern einst in den Wirtschaftswunderjahren erfolgreich ausgesourct haben. Ob irgendwann die Großstädter wieder ihre Wäsche im Fluss waschen?

Wahrscheinlich geht das gut zusammen: Fortschritt und Tradition, »Laptop und Lederhosen«, wie die CSU leider mal ziemlich catchy plakatiert hat. Jetzt eben: Instagram und Imkern.

Wenn es denn überhaupt stimmt. Vielleicht wird heute genauso viel gegärtnert wie vor 30 Jahren. Vielleicht bleibt der Anteil der Kleingärtner an der Bevölkerung immer gleich. Nur wirkt es eben so, als gäbe es mehr Hobbygärtner, weil heutzutage alle schöne Fotos von selbstangebauten Pastinaken und perfekt ausgeleuchteten Osterglockenkolonien in den sozialen Medien posten. Dazu gibt es bestimmt keine Studie, keine Umfrage, das ist einfach kein relevantes Thema, denke ich. Zwei Klicks im Internet später: Natürlich hat dazu schon jemand eine Studie gemacht. Und zwar 2018 das »Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumordnung«. Davon hatte ich noch nie gehört. Die Studie bestätigt meine Erfahrung: Zumindest in den Großstädten wächst die Nachfrage nach Schrebergärten, übersteigt sogar das Angebot. Die Studie spricht zudem von einem Imagewandel: Kleingärten gelten nicht mehr als spießig, sondern sind im Mainstream angekommen.1 Fast wie Kleinkünstler. Dabei bekommt das so genannte ökologische Gärtnern einen immer höheren Stellenwert. Und die Neugärtner werden jünger.

Wir gehen also mit dem Trend.

Unsere erste Besichtigung fand Anfang Januar statt. Das Grundstück war Teil einer riesigen Kleingartensiedlung und zwei Stunden und fünf Minuten von Berlin entfernt. Der Bungalow sah eher aus wie eine Besenkammer. Der Garten lag direkt an einer großen Straße. Der Hells-Angels-Ortsverein betrieb sein Vereinsheim gegenüber. Selbst jetzt im Januar trafen wir den Blockwart, der uns misstrauisch beäugte. Er stand breitbeinig auf seinem Grundstück, das nur noch entfernt an einen Garten erinnerte. Seine Laube ähnelte einem Einfamilienhaus, der Garten war asphaltiert. Neben dem Blockwart saß eine riesige Deutsche Dogge. »Warnung vor dem Hunde. Er tötet alles, was sich ihm nähert« verkündete ein schwarz-rot-goldenes Schild am Zaun. Genauer: am Stacheldrahtzaun. Dahinter stand noch eine kleine Mauer. Dazwischen der Todesstreifen, in dem sonst wohl die Deutsche Dogge patrouillierte. Ich erkannte ein paar abgenagte Knochen.

»Das ist ja sehr schön hier«, sagte ich zu dem netten Pärchen, das uns...

Erscheint lt. Verlag 8.3.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte Berlin • Bin im Garten • Brandenburg • Corona • datsche • DIY • eBooks • Garten • Gartenbuch • Gartenbücher • Gartengestaltung • Gartentrend • Gärtnern • Gärtnern ist das neue Kochen • Gerhard Matzig • Geschenkbuch • Giersch • Humor • Ich glaube, der Fliesenleger ist tot! • Julia Karnick • lustig • lustige • Mecklenburg-Vorpommern • Meike Winnemuth • Meine Frau will einen Garten • Mein Schreibergarten • Parodie • Poetry Slam • Raus aus der Stadt • Satire • Schrebergarten • Selbstversorger • Selbstversorgung • Stadtluft • Uckermark • Unkraut • Urlaub zu Hause • Wladimir Kaminer
ISBN-10 3-641-26531-2 / 3641265312
ISBN-13 978-3-641-26531-1 / 9783641265311
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