Ich bin Harrow (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
704 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-27705-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich bin Harrow - Tamsyn Muir
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Es herrscht Krieg im Imperium - ein Krieg, von dem die meisten Planeten bislang verschont wurden. Zu verdanken haben sie dies dem aufopfernden Dienst der neun Nekromanten, die dem Imperator im Kampf gegen die Angriffe eines todbringenden Feindes helfen. Harrow Nonagesimus, die Erbin des Neunten Hauses, ist nun eine von ihnen - doch der Dienst, der von ihr verlangt wird, ist so ganz anders als erwartet. Und sie weiß nicht, ob sie ihn überleben wird ...

Tamsyn Muir ist in Howick, Neuseeland aufgewachsen und wohnte lange Zeit in Wellington. Inzwischen lebt und arbeitet sie in Oxford, England. Für ihre Science-Fiction-, Fantasy- und Horror-Kurzgeschichten war sie bereits für den Nebula Award und den World Fantasy Award nominiert. »Ich bin Gideon« ist ihr erster Roman.

PROLOG

DIE NACHT VOR DER ERMORDUNG DES IMPERATORS

DEIN QUARTIER WAR SCHON LANGE in fast völlige Dunkelheit getaucht und bot daher keine Ablenkung mehr von dem erschütternden Wumms – Wumms – Wumms der Aufschläge, mit dem sich ein Körper nach dem anderen auf die große Masse warf, die den Rumpf bereits einhüllte. Es gab nichts zu sehen – die Fensterschutzplatten waren geschlossen –, aber du konntest die schrecklichen Vibrationen fühlen, hörtest das Knarren von Chitin auf dem Metall und das unheilvolle Geräusch, mit dem schwammige Klauen den Stahl zerdrückten.

Es war sehr kalt. Ein feiner Schimmer von Raureif überzog deine Wangen, dein Haar, deine Augenwimpern. In dieser erstickenden Dunkelheit trat dein Atem als kleines Wölkchen von feuchtem, grauem Rauch aus deinem Mund. Du hast die Reaktion deines Körpers auf die unmittelbare Annäherung verstanden. Schreien war das Geringste, was passieren konnte.

Gottes Stimme drang sehr ruhig aus dem Interkom:

»Zehn Minuten, bis sie durchbrechen. Die Klimaanlage wird noch eine halbe Stunde funktionieren … anschließend werdet ihr wie im Backofen arbeiten. Die Türen bleiben unten, bis der Druck sich ausgleicht. Haltet alle eure Temperatur. Harrow, ich lasse deine Tür so lange wie möglich verschlossen.«

Du kamst stolpernd auf die Beine, hast die durchsichtigen Röcke mit beiden Händen zusammengerafft und dich bis zum Interkom-Knopf vorgetastet. Eigentlich suchtest du nach einer möglichst niederschmetternden und intellektuell klingenden Bemerkung, hast aber schließlich nur hervorgestoßen: »Ich kann auf mich selbst aufpassen.«

»Harrowhark, wir brauchen dich im Fluss, und während du im Fluss bist, kannst du keine Nekromantik anwenden.«

»Ich bin eine Lyctorin, Herr«, hörtest du dich selbst sagen. »Ich bin Eure Heilige. Ich bin Eure Finger und Eure Gesten. Wenn Ihr eine Gehilfin wolltet, die eine Tür bräuchte, hinter der sie sich verstecken kann – sogar jetzt noch –, dann hätte ich Euch falsch eingeschätzt.«

Du hörtest, wie er ausatmete, weit entfernt in seinem Sanctum tief im Innern des Mithräums. Du hast dir vorgestellt, wie er da saß in seinem geflickten, abgenutzten Sessel, ganz allein, und sich die rechte Schläfe mit dem Daumen rieb, mit dem er das immer tat. Nach einer kurzen Pause sagte er: »Harrow, bitte habe es nicht so furchtbar eilig zu sterben.«

»Unterschätzt mich nicht, mein Lehrer«, sagtest du. »Ich habe immer überlebt.«

Vorsichtig hast du dich durch die konzentrischen Kreise gemahlener Hüftgelenkspfannen zurückgetastet, die du dir ausgelegt hattest, durch die feinkörnigen Schichten von Oberschenkelhalsknochen. Du stelltest dich in die Mitte und atmetest tief durch die Nase ein, tief durch den Mund aus, wie man es dir beigebracht hatte. Der Raureif verwandelte sich auf deinem Gesicht und deinem Nacken bereits in feinen Tau, und dir war heiß unter deinen Gewändern. Du hast dich im Schneidersitz auf den Boden gesetzt, deine Hände ruhten hilflos in deinem Schoß. Der Korbgriff des Rapiers stupste gegen deine Hüfte wie ein Tier, das gefüttert werden will, und in einem kurzen Anfall von Wut dachtest du darüber nach, das verdammte Ding abzuschnallen und es so weit wie möglich durch den Raum zu schleudern, aber dann fiel dir ein, wie peinlich kurz die Flugbahn sein würde. Draußen erzitterte der Rumpf der Raumstation, als sich noch ein paar Herolde mehr auf der Oberfläche zusammenrotteten. Du stelltest dir vor, wie sie übereinander krochen, blau im Schatten der Asteroiden, gelb im Licht des nächsten Sterns.

Die Türen zu deiner Unterkunft glitten mit dem antiquierten Fauchen von Gasdruckfedern auseinander. Dabei löste der Eindringling nicht die Zahnfallen aus, die du in den Rahmen eingebettet hattest, und auch nicht die Brocken selbstregenerierenden Knochens, die du auf der Türschwelle aufgeklebt hattest. Eine Frau trat ein, die spinnwebartigen Röcke bis zu den Schenkeln hochgerafft, federnd wie eine Tänzerin. In der Dunkelheit war ihr Rapier schwarz, und die Knochen ihres rechten Arms schimmerten ölig-golden. Du wandtest ihr den Kopf zu, die Augen geschlossen.

»Ich könnte dich schützen, wenn du mich doch nur darum bitten würdest«, sagte Ianthe die Erste.

Ein abgestandenes Tröpfchen Schweiß rann an deinen Rippen hinab.

»Lieber würde ich erleben, wie man mir alle Sehnen einzeln vom Körper pellt, eine nach der anderen, und sie über meinen gebrochenen Knochen in Fetzen reißt«, sagtest du. »Lieber würde ich lebendig gehäutet und in Salz gewälzt werden. Lieber würde ich mir die eigene Magensäure in die Augen tröpfeln.«

»Soweit ich das verstehe, heißt das also so viel wie vielleicht«, sagte Ianthe. »Hilf mir ein bisschen. Zier dich doch nicht so.«

»Tu doch nicht so, als ob du nicht bloß sichergehen wolltest, dass deiner Investition nichts passiert.«

»Ich bin gekommen, um dich zu warnen«, sagte sie.

»Du bist gekommen, mich zu warnen?« Deine Stimme klang flach und emotionslos, selbst in deinen eigenen Ohren. »Du bist jetzt gekommen, um mich zu warnen?«

Die andere Lyctorin trat näher. Du hieltest die Augen geschlossen. Zu deiner Überraschung hörtest du, wie sie knirschend über die Metrik deiner Knochenschichten schritt und sich dann, ohne mit der Wimper zu zucken, auf den gruseligen, puderartigen Teppich kniete, der sich unter ihr erstreckte. Zwar konntest du Ianthes Thanergie nie wahrnehmen, aber die Dunkelheit schien dir ein enormes Gespür für ihre Angst zu verleihen. Du spürtest, wie sich die Härchen auf ihren Unterarmen aufstellten, du hörtest das Hämmern ihres feuchten, menschlichen Herzens, merktest, wie sich ihre Schulterblätter zusammenzogen, als sie den Oberkörper anspannte. Du konntest den Gestank von Schweiß und Parfüm riechen: Moschus, Rose, Vetivergras.

»Nonagesimus, niemand wird kommen, um dich zu retten. Nicht Gott. Auch nicht Augustine. Niemand.« Es lag jetzt nichts Höhnisches in ihrer Stimme, dafür schwang etwas anderes darin mit: Aufregung vielleicht, oder aber Nervosität. »Du wirst in der ersten halben Stunde sterben. Du bist leichte Beute. Falls in einem dieser Briefe nicht noch irgendetwas steht, wovon ich nichts weiß, bist du mit deinen Tricks am Ende.«

»Ich habe noch nie zuvor gemordet und werde auch heute nicht damit anfangen.«

»Für dich ist es vorbei, Nonagesimus. Hier ist Endstation.«

Du warst so schockiert, dass du doch die Augen geöffnet hast, als du merktest, wie das andere Mädchen dir mit beiden Händen das Kinn umfasste. Ihre Fleischfinger waren fieberheiß, verglichen mit dem kühlen Schock ihrer vergoldeten Mittelhandknochen, und ihr fleischgepolsterter Daumen lag seitlich an deinem Kiefer. Ganz kurz glaubtest du zu halluzinieren, aber diese Vermutung wurde durch ihre kühle Nähe verjagt, durch Ianthe Tridentarius, die in unmissverständlich flehender Haltung vor dir kniete. Ihr farbloses Haar lag wie ein Schleier um ihr Gesicht, und ihre gestohlenen Augen bedachten dich mit einer halb flehentlichen, halb verächtlichen Verzweiflung: blaue Augen mit tiefen, hellbraunen Einsprengseln wie Achat.

Wie du so tief in die Augen des Kavaliers blicktest, den sie ermordet hatte, erkanntest du – nicht zum ersten Mal und ohne es zu wollen –, dass Ianthe Tridentarius schön war.

»Dreh dich um«, hauchte sie. »Harry, du musst dich doch nur umdrehen. Ich weiß, was du getan hast, und ich weiß, wie man es ungeschehen machen kann, wenn du mich doch nur darum bitten würdest. Bitte mich doch nur, mehr wäre gar nicht nötig. Sterben ist etwas für Schwächlinge. Wenn wir beide, du und ich, unsere ganze Macht aktivieren, dann könnten wir diese Auferstehungsbestie in Stücke reißen und unversehrt davonkommen. Wir könnten die Galaxis retten. Den Imperator retten. Dafür sorgen, dass sie zu Hause von Ianthe und Harrowhark erzählen – dass sie weinen, wenn sie von uns sprechen. Die Vergangenheit ist tot, und sie sind beide tot, aber du und ich, wir leben. Was sind sie schon? Was sind sie anderes als nur ein weiterer Leichnam, den wir mit uns herumschleppen?«

Ianthes Lippen waren rot und gesprungen. Ihr Gesicht breitete ein nacktes Bündnis vor dir aus. Also doch eher Aufregung, keine Nervosität.

Das war, soweit du das verstanden hast, der Moment, auf den es ankam.

»Fick dich doch«, sagtest du.

Die Herolde schlugen wie Regentropfen gegen den Rumpf. Ianthes Gesicht gefror wieder zu seiner weißen, spöttischen Maske, und sie ließ dein Kinn los – sortierte ihre unruhigen Finger und ihre scheußlichen, goldbeschlagenen Knochen.

»Ich hätte nicht gedacht, dass jetzt die Zeit wäre, um sich mit versauten Sprüchen heiß zu machen, aber wenn du willst, bin ich dabei«, sagte sie. »Würg mich, Daddy.«

»Verpiss dich.«

»Du hast Widerborstigkeit immer als Kardinaltugend betrachtet«, bemerkte Ianthe unvermittelt. »Heute denke ich, vielleicht hättest du in Haus Canaan sterben sollen.«

»Du hättest deine Schwester töten sollen«, sagtest du. »Deine Augen passen nicht in dein Gesicht.«

Über das Interkom ertönte die Stimme des Imperators, genauso ruhig wie zuvor: »Vier Minuten bis zum Aufprall.« Und dann, wie ein Tutor, der unaufmerksame Schülerinnen schilt: »Sorgt dafür, dass ihr auf euren Plätzen seid, Mädchen.«

Ianthe drehte sich ohne Heftigkeit von dir...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2021
Reihe/Serie The Ninth
The Ninth
Übersetzer Kirsten Borchardt
Sprache deutsch
Original-Titel Harrow the Ninth - Book 2
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte action • Debüt • eBooks • gay romance • Gideon the Nine • Homosexualität • Space Action • Space Fantasy • Spannung • toughe Heldin
ISBN-10 3-641-27705-1 / 3641277051
ISBN-13 978-3-641-27705-5 / 9783641277055
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