Karl und ich (eBook)

Die Geschichte einer besonderen Freundschaft - Private Einblicke in Karl Lagerfelds Leben – Ich war Freund, Muse und Ziehsohn
eBook Download: EPUB
2021
240 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-27300-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Karl und ich - Baptiste Giabiconi
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Baptiste Giabiconi wurde 2008 zum ersten Mal an Karl Lagerfelds Seite gesehen und machte sich in den folgenden 10 Jahren nicht nur als Karl Lagerfelds Muse und enger Freund, sondern auch als Model einen Namen. Ihn verband eine ganz besondere Beziehung mit Karl Lagerfeld, der für ihn Freund, Tutor und Vaterfigur war. Karl Lagerfeld betrachtete ihn als Ziehsohn und machte ihn zu seinem Erben. Giabiconi beschreibt ihre liebevolle, intensive Freundschaft, die Anlass für zahlreiche Gerüchte wurde. Und er erzählt von 'seinem Karl', wie nur er ihn kannte. Karl Lagerfeld und Baptiste Giabiconi sind Teil des Glanz und Glamour der Modewelt, hinter deren Kulissen sie sich bewegten und in die Baptiste faszinierende Einblicke bietet. Ein sehr persönlicher Blick auf Karl, für alle, die diesem Ausnahmekünstler und seiner Welt noch einmal ganz nah kommen wollen.

Baptiste Giabiconi ist ein französisches Tomodel und Gesicht zahlreicher großer Marken wie Chanel, Fendi oder Dior. Der 1989 geborene Baptiste ist als Muse und Protegé Karl Lagerfelds bekannt. Er begleitete den großen Designer in den letzten 10 Jahren seines Lebens, wurde in dieser Zeit selber zu einer Mode-Ikone und startete eine Karriere als Sänger.

Kapitel 1

»Es liegt an uns selbst, jeden Tag
so vollkommen wie möglich zu leben.«

Karl Lagerfeld

Der Moment der Wahrheit ereignete sich, als wir in seinem Appartement am Quai Voltaire waren. Wir standen in der Küche, ausgestattet wie die eines Edelrestaurants, tipptopp eingerichtet, alles blitzblank, aber völlig nutzlos, denn Karl nahm seine Mahlzeiten stets in einer anderen Wohnung ein. Ich hatte den Eindruck, dass er die Küche mit dem Riesenkühlschrank voller Pepsi-Dosen, dem Brot im unteren Fach neben der Edel-Butter und der Flasche Ruinart-Champagner im Türfach überhaupt nur betrat, wenn ich da war. Karl hatte keine Ahnung, wer die Flasche dort deponiert hatte – für alle Fälle, falls Besuch vorbeikam. Allerdings empfing Karl am Quai Voltaire nie jemanden, und er selbst rührte keinen Tropfen Alkohol an (außer in seinen letzten Jahren, da genehmigte er sich ein kleines Glas Château Cheval Blanc zum Essen, auf Anraten seines Arztes). Ich übrigens auch nicht.

Der Tag war, soweit ich mich entsinne, überhaupt nicht außergewöhnlich verlaufen, es gab auch nichts zu feiern. Karl und ich standen einfach so in der Küche und unterhielten uns. Und dann, während einer Gesprächspause, wurde es plötzlich hoch emotional. Dieser Moment hat sich in meine Erinnerung eingegraben wie kein zweiter. Karls Stimme klang plötzlich anders, zärtlich, leise, ganz weich, als spräche nun sein wahres Selbst: »Weißt du, Baptiste, dass wir dabei sind, eine Linie zu überschreiten? Eine Grenze, über die ich keinen kommen ließ seit Jacques1. Spürst du das?«

Er blickte mich erwartungsvoll an mit seinen braunen Augen. Er wollte einen Pakt besiegeln, wirkte gespannt, fast ein wenig hilflos. Solche Geständnisse gehörten nicht zu seinem normalen Repertoire. Er wartete auf meine Reaktion.

»Es gibt kein Zurück mehr«, sagte er.

Ich war verblüfft und gerührt. So emotional hatte ich ihn noch nie erlebt – er, der stets ausgeglichen wirkte und nie öffentlich Gefühle zeigte. Ich zog ihn spontan an mich.

»Ach, Karl, was soll ich sagen!«

Vor Glück drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange, einen dicken, innigen, so herzlich hatte ihn wahrscheinlich schon lange keiner mehr umarmt. Wie ein Sohn den Vater. Karl schien sehr aufgewühlt und zitterte leicht, ich sehe ihn noch vor mir, unfähig zu sprechen, als wäre ihm so etwas noch nie passiert. Die Zeit schien stillzustehen. Wir mussten uns für nichts schämen, unsere Zuneigung war echt, es waren unsere Gefühle, es ging um uns. Ich musste irgendetwas sagen.

»Karl … das ist das größte Geschenk, das ich mir vorstellen kann. Dass du mir so viel Zuneigung und Wärme entgegenbringst, hätte ich nie für möglich gehalten! Aber eines weiß ich sicher: Du und ich, das ist kein Zufall. Das ist Schicksal. Wir waren dazu bestimmt, uns eines Tages zu begegnen.«

Was ich bis heute nicht weiß, ist, ob Karl an die Macht des Schicksals glaubte. Eigentlich glaubte er an nichts, außer an seine Arbeit. Doch in diesem Augenblick wirkte er fast ein wenig unsicher. Er schwieg.

Zwischen uns war vom ersten Moment an eine unglaubliche Nähe entstanden, die er mit niemandem sonst teilte. Wir hatten unsere ganz eigene Art entwickelt, Zeit miteinander zu verbringen: entspannt, innig, mit vielen Gesprächen, Lachen, Necken, Fernsehen und Spazierengehen am Ufer der Seine und über die Pont des Arts. Bevor wir uns begegneten, hatte Karl nicht mehr daran geglaubt, in seinem Leben, in seiner selbst gewählten, prächtigen Isolation, noch einmal so viel Zuneigung und Liebe zu erfahren. Er suchte die Nähe zu anderen Menschen nicht und brauchte sie auch nicht. Die Art von Nähe, die entsteht, wenn man zum Beispiel in den Arm genommen wird. Ich bin ein Kind des Südens, aus Marseille, dort haben wir keine Scheu vor Berührungen. Was nicht bedeutet, dass ich ständig alle und jeden betatsche und umarme. Auch kleine Gesten müssen von Herzen kommen. Karl genoss meine kleinen Streicheleinheiten sehr, die er gern ein bisschen auskostete, bevor er sich dann wieder löste.

»Na, na, mon coco …«, murmelte er damals in der Küche und klopfte mir etwas unbeholfen auf die Schulter, ohne mich anzusehen. Er hatte feuchte Augen.

Sein Geständnis wühlte mich auf, ich war vollkommen überrascht. Und auch wieder nicht. Es hatte die enge Verbindung zwischen uns nur besiegelt, die seit dem Augenblick unserer ersten Begegnung etwa ein Jahr zuvor bestand. Ich war kaum zwanzig, er über siebzig Jahre alt, und doch fand ich ihn weder alt noch mich besonders jung, auch wenn die nackten Zahlen eine andere Sprache sprachen. Ich hatte das Gefühl, das ganze Leben liegt noch vor mir. Karl aber wusste, dass sein Leben größtenteils hinter ihm lag.

Uns steht eine große Zukunft bevor, dachte ich, und es würde paradiesisch werden. Vielleicht würde es manchmal Ärger im Paradies geben, ein bisschen hohe See hie und da, aber das würde uns nicht erschüttern. Denn zwischen uns bestand ein Band, das nur der Tod auflösen konnte – an den ich damals natürlich keine Sekunde dachte. Mir ging es nicht darum, ihn zu besitzen. Karl ging es nicht darum, mich haben zu wollen. Unser Band bestand aus aufrichtiger, zärtlicher Zuneigung, die über jeden Anspruch erhaben war. An dem Tag in der Küche am Quai Voltaire war daraus Liebe geworden. Auch ich hatte es gespürt, Karl hatte es nur als Erster ausgesprochen. Eigentlich war er nicht halb so scheu hinter seiner dunklen Sonnenbrille und der exzentrischen Aufmachung, wie von ihm behauptet wurde. Unsere große Liebe, eine Liebe, wie es noch keine gab, begann an jenem Tag.

Karl sagte oft, wir beide seien uns sehr ähnlich. Ich habe mich immer gefragt, warum. Auf einer Fotografie, die ihn im Alter von etwa zwanzig Jahren zeigte, sah er tatsächlich ein bisschen aus wie ich. Aber was hatten wir sonst gemeinsam? Er blieb mir die Antwort schuldig. Und ich stelle mir die Frage bis heute: Warum? Warum hat er, der Gott und die Welt kannte und die hübschesten Jungs im Universum hätte um sich scharen können, warum hat sich dieser Mann ausgerechnet für mich entschieden?

Im Grunde war ich ein Außenseiter. Ich stand nicht über und auch nicht unter den anderen, sondern meistens einfach daneben. Schon als kleines Kind spürte ich eine tiefe Einsamkeit in mir. Ich war da, in der Welt, aber allein. Mir lag nie etwas daran, andere herumzukommandieren oder über Menschen zu bestimmen, aber ich träumte davon, mich von anderen abzuheben. Nur: in welcher Hinsicht? Ich hatte keine Ahnung, fühlte nur eine unbestimmte Sehnsucht nach etwas anderem, nach Wandel und Veränderung. Und ich war überzeugt, dass mir das Schicksal eines Tages einen Wink geben würde. Irgendetwas hatte es mit mir vor, etwas Besonderes, daran bestand für mich kein Zweifel.

Die Kindheit war mir lästig, darin glichen wir uns, Karl und ich. Obwohl ich mich nicht über mangelnde Zuwendung von meiner Mutter und den beiden älteren Schwestern beschweren konnte. Ich wuchs zwar ohne Vater auf – er hatte die Familie früh verlassen –, aber ich wurde geliebt und verhätschelt. Trotzdem war mir das Kindsein vergällt, es zog sich ewig hin und war vor allem öde. Mit fünfzehn oder sechzehn begehrte ich auf und ließ mir nichts mehr sagen. Nun wollte ich das Steuer in die Hand nehmen, und entweder fuhr ich mein Leben an den nächsten Baum, oder ich hob ab in die Lüfte! Verantwortung zu tragen machte mir keine Angst. Doch in der Gegenwart anderer Kinder fühlte ich mich unwohl. Mir war die Gesellschaft von Erwachsenen lieber, und ich mischte mich gern unter sie, wenn sie sich unterhielten. Wenn ich dann zurechtgewiesen wurde, bekam ich schlechte Laune. Meine sechzehn Jahre ältere Schwester Marie-Line sagte immer: »Wenn die Großen miteinander reden, hast du Pause!« Das machte mich wütend, ich wollte mir von ihr nicht vorschreiben lassen, mit wem ich sprechen und was ich sagen durfte. Dafür musste sie büßen – ich bin Sternzeichen Skorpion, und zwar ein ziemlich ausgewachsenes Exemplar! Also habe ich ihr die Schnürsenkel ihrer Lieblingsschuhe zerschnitten. Mein Freund und Agent Élie meinte dazu, ich sei eben manchmal »ein kleines Arschloch«. Er kennt mich ziemlich gut, aber manche Dinge vereinfacht er auf gröbste Weise.

Mit den Lehrkräften an unserer Schule hatte ich es auch nicht so: Sie wurden ja dafür bezahlt, uns jahrein, jahraus Lektionen zu erteilen. Das hielt ich nicht lange aus. Ich war kein schlechter Schüler, sondern einer von der Sorte, über die man in der Zeitung liest, dass sie durchs Raster des französischen Bildungssystems fallen. Mir fehlte es nicht an Respekt, ich habe mich im Unterricht nur zu Tode gelangweilt. Schon damals hatte ich ein gutes Gespür dafür, was mir lag und was nicht. Allerdings war ich als Teenager noch nicht in Bestform, eher vom Stamme mager und hässlich. Jedenfalls wanderten die Blicke der Mädchen stets über mich hinweg, und ich versuchte, nicht weiter aufzufallen. Deshalb passierte nichts, nichts passte mir, das passte alles nicht zusammen. Ich war ein pubertierender Jungspund auf der Suche nach etwas … auf der Suche nach mir selbst. Niemand hätte damals einen Centime auf mich gewettet. Vielleicht rührt es aus der Zeit, dass ich bisweilen etwas aufbrausend reagiere. Ich war kreuzunglücklich, wenn ich nicht beachtet wurde oder wenn das, was ich sagte oder dachte, kein Gehör fand. Ich war nicht blöd und machte mir durchaus ein paar Gedanken über die Welt, doch das scherte die anderen einen feuchten Kehricht. Wenn ich zu Hause mehr als drei Worte sagte, ging’s los: »Och jechen!«, kicherten meine Schwestern dann. »Hör dir den...

Erscheint lt. Verlag 8.2.2021
Übersetzer Bettina Seifried
Zusatzinfo mit 8 S. Bildteil
Sprache deutsch
Original-Titel Karl et moi
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Biografie • Biographie • Biographien • Catwalk • Chanel • Choupette • claudia schiffer • Design • eBooks • Fendi • Jared Leto • Kaiser Karl • Kunst • Laufsteg • met 2023 • Met Gala • Mode • Modedesigner • Model • Modezar • Muse • Paris • Vogue
ISBN-10 3-641-27300-5 / 3641273005
ISBN-13 978-3-641-27300-2 / 9783641273002
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