Verlorene Engel (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
400 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43834-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Verlorene Engel -  Frank Goldammer
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Wie ein Schatten in der Nacht An dunklen Herbstabenden 1956 werden in Dresden wiederholt Frauen brutal vergewaltigt. Als auch noch eine tote Frau an der Elbe gefunden wird, werden in der verunsicherten Bevölkerung die Rufe nach Selbstjustiz laut. Kommissar Max Heller und sein Team ermitteln unter Hochdruck. Mithilfe eines weiblichen Lockvogels gelingt es ihnen, einen Verdächtigen festzunehmen. Der von Narben entstellte Mann gesteht zwar die Vergewaltigungen, leugnet aber den Mord. Sind vielleicht doch die von allen gefürchteten, desertierten russischen Soldaten die Täter? Die Lage eskaliert, als Hellers Familie in den Fall hineingezogen wird.

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.

Frank Goldammer, Jahrgang 1975, ist gelernter Handwerksmeister und begann schon früh mit dem Schreiben. Die Bände seiner historischen Kriminalromanreihe über den Dresdner Kommissar Max Heller landen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Goldammer lebt mittlerweile als freier Autor in seiner Heimatstadt Dresden.

Dresden, 26. Oktober 1956,
Abend


Karin öffnete ihren Mantel und warf noch einen kurzen, beinahe fragenden Blick auf Anni, die zwischen ihr und Heller stand. Das Mädchen schwieg und sah zu Boden. Dann hob Karin die Hand und klopfte an die Tür.

»Kommen Sie nur herein!«, rief es von drinnen.

Karin öffnete die Tür und schob Anni, die leichten Widerstand zu leisten schien, vor sich her in das Vorbereitungszimmer. Heller folgte den beiden. Frau Spittel, Annis Klassenlehrerin, hatte sich schon erhoben.

»Möchten Sie ablegen?«, fragte sie und reichte Karin und Max Heller die Hand.

»Willst du nicht Guten Tag sagen?«, ermahnte Karin das Mädchen streng.

»Wir haben uns doch heute schon gesehen«, beschwichtigte die Lehrerin und lächelte Anni an. Sie war eine freundliche junge Frau. Hellers kannten sie seit fast vier Jahren.

Karin ließ das unkommentiert. Heller half ihr aus dem Mantel und war froh, selbst auch seinen Mantel ablegen zu können. Es war unerträglich warm im Schulgebäude. Frau Spittel wies sie an, am Tisch Platz zu nehmen.

Anni hatte ihren Mantel angelassen, vielleicht in der vagen Hoffnung, die Sache so ein wenig beschleunigen zu können. Heller hoffte dagegen, Karin würde ihn noch einmal ansehen. Er hätte ihr gern zu verstehen gegeben, dass sie die Sache nicht so verbissen sehen sollten. Wenigstens mit einem Blick, einem Zwinkern.

»Es freut mich sehr, dass Sie beide Zeit gefunden haben, dieses Gespräch wahrzunehmen«, begann Frau Spittel. Heller sah ihr an, dass sie sich große Mühe gab. Bestimmt war es für eine junge Frau nicht immer leicht, den oft älteren Eltern ihre Anliegen zu vermitteln. In diesem Falle waren sie ja sogar noch älter als der Durchschnitt.

»Ich hoffe, Sie haben sich nicht allzu große Sorgen gemacht. Anni hat nichts ausgefressen. Sie ist sogar ganz lieb. Mir ist nur in letzter Zeit aufgefallen, dass sie sehr viel ruhiger ist als bisher. Und ihre Zensuren lassen ein wenig nach. Das ist nicht schlimm, aber doch auffällig. Sie verdirbt sich die guten Noten oft mit Schusselfehlern. Stimmt’s? Du bist eine Schusselliese in letzter Zeit.« Frau Spittel stupste Anni an, die daraufhin sogar ihren Mund zu einem Lächeln verzog.

»Seit Beginn des neuen Schuljahres kommt es in der Klasse immer mal zu Reibereien, an denen auch Anni beteiligt ist. So wie alle anderen Kinder auch. Das ist ganz normal, die Kinder werden eben älter und entdecken ihre Persönlichkeit. Einmal kam ich jedoch dazu, als sie als Schlüsselkind gehänselt wurde. Hat sie vielleicht daheim darüber gesprochen?«

»Nein!« Karin griff sacht nach Annis Handgelenk. Anni sah sie kurz an und zuckte dann mit den Achseln.

Sie war auch zu Hause stiller geworden, überlegte Heller. Nicht auffallend, doch wenn er jetzt darüber nachdachte, war es nicht von der Hand zu weisen.

Frau Spittel nahm einen Zettel und legte ihn Karin vor. »Ich denke, Anni müsste den Mut haben und uns erzählen, wenn ihr etwas auf dem Herzen liegt. Doch sie verschließt sich, sobald ich oder eine meiner Kolleginnen sie fragen. Das hier sind ihre Zensuren«, sagte sie und deutete auf den Zettel, »Sie müssten sie kennen, aber ich habe sie Ihnen noch einmal aufgeschrieben. Wie gesagt, es sind ja keine schlechten Noten, alles Zweien, aber schade ist es doch. Sie gehörte immer zu den Besten. Vielleicht können Sie auf Anni ein wenig eingehen?«

»Gut, das machen wir«, sagte Karin und wirkte erleichtert. Vermutlich hatte sie sich auf schlimmere Nachrichten eingestellt.

»Einen Punkt habe ich aber noch. Letzten Freitag sagte sie, sie hätte kein Milchgeld mitbekommen. Deshalb hatte sie diese Woche keine Milch. Gestern gab es dann einen Streit um eine Milchflasche, die übrig geblieben war, und Jürgen behauptet, sie hätte sie ihm vor die Füße geworfen, weil er melden wollte, dass Anni sie genommen hatte.«

»Das stimmt gar nicht!«, entfuhr es Anni. Für einen Moment stand ihr der Zorn ins Gesicht geschrieben, dann aber kniff sie den Mund fest zusammen, während sich Tränen in ihren Augen sammelten.

»Ist etwas passiert? Hat sie den Jungen verletzt?«, fragte Heller.

»Nein, es musste nur gewischt werden.«

»Das Milchgeld haben wir wohl tatsächlich vergessen, das ist sehr ärgerlich. Du hättest auch daran denken können«, wandte sich Heller an Anni.

Sie sah ihn verblüfft an.

 

»Was hast du mit dem Geld gemacht?«, fragte Heller, als sie zu dritt nebeneinander nach Hause liefen. Es wurde schon dunkel, kaum dass es später Nachmittag geworden war.

Anni murmelte eine Antwort.

»Bitte lauter, Anni!«

»Ich habe mir und Vera Schokolade gekauft.«

»Anni, das sollst du doch nicht tun. Auch nicht für Vera. Ihr geht es gut!«

»Aber das Baby schreit immerzu.«

»Das stimmt schon, aber das ist noch lange kein Grund, ihr Schokolade zu kaufen. Das Geld ist für die Milch, für deine Schulmilch, und die ist wichtig, für die Knochen«, schimpfte Karin, aber ohne Nachdruck. »Ärgern sie dich, weil du ein Schlüsselkind bist?«

»Die sind nur neidisch«, sagte Anni ausweichend.

»Also ärgern sie dich?«

»Nur ein bisschen.«

»Aber warum sagst du uns das nicht?«, fragte Karin und bekam nur ein Schulterzucken zur Antwort.

Heller sah Karin über Anni hinweg an und schlug die Augen nieder. Er wusste, dieses Schulterzucken mochte seine Frau nicht. Karin nickte, verzog aber die Mundwinkel.

»Das Milchgeld muss ich dir vom Taschengeld wegnehmen.« Heller hielt Anni die Hand hin. Sie nahm sie und akzeptierte die Strafe ohne Widerspruch. »Und ich will, dass deine Zensuren wieder besser werden. Und wenn dich jemand ärgert, gibst du uns Bescheid.«

 

»Ob sie geärgert wird, weil ich Polizist bin?«, fragte Heller abends, nachdem Anni ins Bett gegangen war. Bald würde er zur Nachtschicht aufbrechen müssen. Das Abendbrot war seit einer Woche die einzige Mahlzeit, bei der sie zu dritt am Tisch saßen. Karin hatte den Tisch abgeräumt und setzte sich nun wieder zu ihm.

»Ach was, dafür wurde sie doch immer bewundert.«

Heller schnaubte leise. Einmal war er vor ihrer Schulklasse aufgetreten, und die erste Frage, die ihm ein Junge stellte, war, ob er schon mal jemanden erschossen habe. Er hatte gelogen, als er die Frage verneinte.

»Aber glaubst du denn, es liegt daran, dass sie allein nach Hause geht und wir nicht da sind?«

Auch das wollte Karin nicht glauben. »Das machen doch andere Kinder auch. Wer weiß. Mich ärgert nur, dass sie nichts sagt. Sie hat sich mir doch sonst immer anvertraut.«

»Sie entwickelt eben ihre Persönlichkeit«, antwortete Heller und stellte im gleichen Moment fest, dass er nur die Worte der Lehrerin übernommen hatte. Er sah Karin die Sorgen an. Dabei war noch gar nichts geschehen. Die Lehrerin hatte vielleicht nur Angst, eine ihrer besten Schülerinnen zu verlieren.

»Weißt du, woran ich oft denke?«, fragte Karin.

Heller hatte eine Ahnung, wollte das aber nicht aussprechen. Er wählte den leichteren Weg, indem er den Kopf schüttelte.

»Ich frage mich, ob nicht da draußen irgendwo jemand herumläuft, der Anni sucht, der sich fragt, was aus ihr geworden ist. Der sich Vorwürfe macht, sie noch nicht gefunden zu haben«, flüsterte Karin ganz leise. Anni sollte nichts davon hören.

Heller hatte richtiggelegen mit seiner Ahnung, und es war ein seltsam gutes Gefühl, zu wissen, wie ähnlich Karin und er dachten.

»Wir können nichts daran ändern. Wir sorgen gut für sie.«

»Ich weiß das alles, Max«, hauchte Karin, »aber du weißt, wie ich es meine?«

»Ich weiß es.«

Sie sah ihn eine Weile stumm an, dann wechselte sie abrupt das Thema.

»Was habt ihr denn vor mit diesem schrecklichen Menschen? Kann man ihn nicht festsetzen? Es hat sich bereits herumgesprochen. Frau Eigner fragte mich schon, ob ich was wüsste, ob es stimmt, dass da einer herumläuft und Frauen vergewaltigt. Fahren die Sowjets deshalb seit Tagen mit ihren Geländewagen durch die Gegend?«

»Mit den Sowjets hat das nichts zu tun, soviel ich weiß. Wir stehen auf Posten an allen Plätzen. Uniformiert und zivil. Was soll man sonst tun? Es gibt kaum Anhaltspunkte. Die Frauen meinten, er sei stark, sein Gesicht ist maskiert, er spricht kaum. Er hat angeblich eine Pistole, aber richtig sicher war sich keine. Er schlägt überall zu. Er war in Reick, in Gruna, in Löbtau, einmal sogar in Kaditz. Das haben wir erst kürzlich erfahren, weil sich die Frau erst Wochen später bei der Polizei gemeldet hat, so peinlich war ihr das. Wir müssen ihn schnappen.«

Es war nicht Hellers Fall. Die Sitte war dafür zuständig. Er half nur aus. Der Verdächtige, den er erwischt hatte, war ein Einbrecher gewesen. Der Vergewaltiger aber schien es nicht zu sein.

Karin zuckte mit den Schultern. »Kann sich nicht eine als Lockvogel ausgeben?«

»Karin, überleg doch mal, wie gefährlich das ist. Und wer soll sich denn bereit erklären?«

»Aber wenn man nichts tut, dann nimmt er sich bald die Nächste. Dann soll sich doch ein Mann als Frau verkleiden!«

Darüber hatten sie tatsächlich schon nachgedacht. Es gab auch schon Freiwillige, nur waren die allesamt zu groß und zu kräftig, um ein potenzielles Opfer darzustellen. Alle Verkleidungsversuche waren in einer Groteske geendet.

»Denkst du daran, dass Klaus und Erika am Sonntag zum Kaffee kommen.«

»Ob das eine gute Idee ist?«, fragte Heller.

»Du meinst wegen des Ungarnaufstandes?«

»Er wird uns erklären wollen, warum er niedergeschlagen werden muss.«

»Das macht er so oder so. Ich werde versuchen, das Thema zu umgehen, es hat eh keinen Zweck.« Karin winkte resigniert ab. Dann hellte sich...

Erscheint lt. Verlag 23.4.2021
Reihe/Serie Max Heller
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte DDR • Dresden • Dresden-Krimi • Geteiltes Deutschland • historischer Krimi Dresden • Historischer Kriminalroman • Krimireihe • Max Heller • Mord • Regiokrimi Dresden • Regionalkrimi • Republikflucht • Sachsen • Sachsenkrimi • Selbstjustiz • Stasi • Ungarn-Aufstand 1956 • Wiederaufbau
ISBN-10 3-423-43834-7 / 3423438347
ISBN-13 978-3-423-43834-6 / 9783423438346
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