Der Pesthändler (eBook)

Historischer Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
560 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43842-1 (ISBN)

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Der Pesthändler -  Heike Stöhr
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Liebe, Mord, Intrigen - und der Schwarze Tod Pirna, 1532. Als Bader Valentin nach sieben Jahren Wanderschaft zurückkehrt, wütet in Pirna die Pest. Gleich bei seiner Ankunft wird er Zeuge, wie sein Bruder Conrad, Bader wie er, bei dem toten Kaufmann Eckel als Todesursache Pest angibt - eine bewusste Fehldiagnose, wie Valentin sofort erkennt. Wie sich herausstellt, hat Conrad ein Liebesverhältnis mit der jungen, attraktiven Witwe des Verstorbenen. Als offenkundig wird, dass Eckel ermordet wurde, und als ein weiterer Mann, mit dem Conrad Streit hatte, gewaltsam ums Leben kommt, wird Conrad verhaftet und zum Tode verurteilt. Doch die Pest verhindert das rasche Eintreffen des Henkers - wertvolle Zeit für Valentin, die Unschuld seines Bruders zu beweisen.

Heike Stöhr wuchs in Pirna auf, studierte Germanistik und Geschichte und arbeitet als Lehrerin in Berlin. Ihr großes Interesse für sächsische Geschichte verwandelt sie in spannende historische Romane.

Heike Stöhr wuchs in Pirna auf, studierte Germanistik und Geschichte und arbeitet als Lehrerin in Berlin. Ihr großes Interesse für sächsische Geschichte verwandelt sie in spannende historische Romane.

Kapitel 1


Valentin hatte Durst, und in seinem linken Schuh drückte ein Kiesel. Er war auf dem Weg nach Hause, doch jetzt war es an der Zeit für eine kurze Rast. Abseits der Straße entdeckte er eine alte Linde. Im Schatten der ausladenden Krone ließ er sich nieder, holte eine Tonflasche aus seinem Ranzen und entkorkte sie mit den Zähnen. Obwohl das Wasser darin so warm wie Kuhpisse war, trank er es in gierigen Schlucken. Anschließend schüttelte er den Stein aus seinem Schuh. Dabei fiel ihm auf, dass durch das Loch im Strumpf, das am Morgen noch die Größe einer Erbse gehabt hatte, mittlerweile zwei seiner Zehen hervorschauten. Misstrauisch inspizierte er die Schuhsohle, die an manchen Stellen bereits dünn wie Papier geworden war. Aber in seiner Vaterstadt, die er mit Gottes Hilfe noch heute Abend erreichen würde, gab es genug Schuster, die sich seines strapazierten Schuhwerks annehmen konnten. Und das Loch im Strumpf würde er selbst stopfen, so wie er es in den Jahren seiner Wanderschaft stets getan hatte. Valentin lehnte sich an den Baumstamm und gähnte. In der Hitze flirrte die Luft über dem Feld.

Obwohl der Herbstmond bereits begonnen hatte, brannte die Sonne auch an diesem Tag wieder erbarmungslos vom Himmel. Es schien, als wolle der Sommer überhaupt kein Ende nehmen, Land und Leute verdarben unter seiner Glut. Seit Wochen wanderte Valentin nun schon über staubige Landstraßen, doch überall hatte sich ihm ein ähnliches Bild geboten: Auf den Weiden vertrocknete das Gras, Wälder gingen in Flammen auf, und selbst große Flüsse wie der Rhein führten so wenig Wasser, dass man sie vielerorts zu Fuß überqueren konnte.

Valentin schloss die Augen, aber das Gefühl der Beklommenheit, das er seit ein paar Tagen verspürte, wollte einfach nicht weichen. Mit jeder Meile hatte es zugenommen, und nun lastete es auf seiner Brust wie ein Mühlstein.

Viel Wasser war die Elbe hinabgeflossen, seit er seine Vaterstadt verlassen hatte. Damals war es ihm leichtgefallen zu gehen. Aber während er im Schatten der Linde dem Gesang der Grillen lauschte, weilten seine Gedanken bei Conrad, seinem jüngeren Bruder. Sie waren im Streit auseinandergegangen, und Valentin fragte sich, ob er so lange fortgeblieben war, weil er fürchtete, Conrad könnte ihm noch immer nicht verziehen haben. Doch mittlerweile mehrten sich die Zeichen, dass daheim Schlimmeres auf ihn warten könnte als die Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit.

Valentin öffnete die Augen, als über seinem Kopf lautes Krächzen ertönte. Zwei Raben hockten im Geäst, denen sich soeben ein dritter hinzugesellte. Die Vögel hüpften umher und schlugen mit den Flügeln. Es sah aus, als hätten sie eine Entdeckung gemacht. Valentin erhob sich, und während er den Baum umrundete, verstärkte sich der süßliche Geruch, den er schon seit einer Weile in der Nase gehabt hatte. Wieso hatte er nicht gleich begriffen, was das bedeutete? Diesen Geruch wie von überreifem Obst, das bereits in den Zustand der Fäulnis überging, kannte Valentin nur allzu gut, und er wusste, was ihn erwartete, noch bevor er die zusammengesunkene Gestalt am Boden entdeckte. Für den flüchtigen Betrachter sah es aus, als würde sich der Bettler ausruhen. Sein Oberkörper lehnte am Stamm der Linde, doch sein Kopf war zur Seite gesunken und gab den Blick frei auf eine hühnereigroße Beule unterhalb des rechten Ohres. Seine Finger umklammerten noch das kleine Holzkreuz mit der zerrissenen Schnur, doch über sein Gesicht und die besudelten Kleider krabbelten bereits schillernde Fliegen. Es gab nichts, was ein Bader hier noch tun konnte! Valentin wandte sich ab und murmelte ein Gebet. Es widerstrebte ihm, den Toten so zurückzulassen. Doch das letzte Dorf lag schon einige Meilen hinter ihm, und er bezweifelte, dass sich dort jemand finden ließ, der ihm helfen würde, eine Pestleiche unter die Erde zu bringen. Valentin bekreuzigte sich. Möge Gott der armen Seele gnädig sein!

Während er seine Habseligkeiten zusammenpackte, versuchte er zu verstehen, warum ihn der Anblick derart erschütterte. Schließlich hatte er dem Schwarzen Tod schon so oft ins Gesicht geblickt, dass er davon überzeugt war, dessen abscheuliche Fratze besser zu kennen als die meisten. Hastig schulterte er seinen Ranzen. Wollte er Pirna noch erreichen, bevor die Stadttore geschlossen wurden, musste er seinen Weg nun ohne weitere Verzögerung fortsetzen. Doch bereits nach wenigen Schritten stockte sein Fuß. Beinah gegen seinen eigenen Willen drehte sich Valentin um und sah zurück. Aus der Ferne bot die Linde ein malerisches Bild, und niemand, der hier vorbeikam, würde ahnen, dass unter ihrem grünen Dach der Tod Einzug gehalten hatte. Valentin schob seinen Hut in die Stirn und kratzte sich im Nacken. Es war alles andere als christlich, die sterblichen Überreste des armen Teufels dort zurückzulassen, aber daheim wartete die Mutter. Der Brief, in dem sie Valentin vom Tod des Vaters berichtet hatte, war viele Wochen unterwegs gewesen, und fast genauso lange hatte ihr Sohn gebraucht, um zu Fuß von Flandern nach Sachsen zu gelangen. Schon seit Tagen träumte Valentin davon, endlich wieder in einem Bett zu schlafen anstatt in einer Scheune oder gar auf freiem Feld. Und gewiss würde die Mutter zur Feier seiner Rückkehr ein Huhn schlachten! Valentin lief das Wasser im Mund zusammen, während er sich vorstellte, wie sie den gebratenen Vogel mit einer köstlichen Soße und frisch gebackenem Brot auf den Tisch stellen würde. In den Dörfern, durch die er in den letzten Tagen gekommen war, wurden Reisende in den Schänken kaum noch bewirtet, und mancherorts hatte er sogar Schwierigkeiten gehabt, etwas Brot zu bekommen. Wegen der Gerüchte über eine Pest im Böhmischen war man Fremden gegenüber misstrauisch geworden. Nein, es war gewiss keine gute Idee, zurückzugehen und auf einem der Gehöfte um Hilfe bei der Beerdigung eines Bettlers zu bitten, den der Schwarze Tod geholt hatte! Valentin dachte an die Raben, die sich im Wipfel der Linde niedergelassen hatten; sie würden die Rolle der Totengräber gern übernehmen. Ihn schauderte bei der Vorstellung, wie sie sich als Erstes über die weichen, ungeschützten Teile am Gesicht des Toten hermachen würden. Füchse, Ratten und anderes Getier würden das schaurige Werk später vollenden. Ob es ihnen bekommen würde, war eine andere Frage. Es war allgemein bekannt, dass Tiere sich ebenso mit der Seuche infizieren konnten wie der Mensch, und nicht umsonst herrschte in Pestzeiten vielerorts das Verbot, Vieh frei umherlaufen zu lassen. Valentin seufzte. Als Bader wusste er, wie wichtig es war, eine Pestleiche möglichst rasch zu begraben: Nur so konnte man die Lebenden vor der weiteren Verbreitung der Krankheit schützen.

Was machte es schon, wenn er dafür noch eine weitere Nacht unter freiem Himmel verbringen musste. Ach, zur Hölle mit der Pest, dachte er, während er bereits zum Dorf zurückmarschierte.

Wie erwartet, hatte Valentin seine liebe Not damit, in dem kleinen Weiler eine einsichtige Seele zu finden, die bereit war, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Der Bauer im ersten Gehöft wünschte ihn zum Teufel, der Hufschmied drohte ihm Prügel an, und der Dorfschulze hetzte seinen Hund auf ihn, als Valentin ihm vorwarf, das Amt nicht zum Wohle der Gemeinde zu verwalten. Erst im letzten Gehöft, das ein wenig abseits der Dorfstraße lag, erteilte die Bäuerin ihrem jungen Knecht den Befehl, den Fremden zu begleiten. Bevor sie sich mit Hacke und Schaufel auf den Weg machten, steckte die Frau dem Jungen noch ein Tuch zu, das mit Essig getränkt war. »Das bindest du um, wenn du bei der Linde ankommst. Und dass du mir den Toten ja nicht anfasst!« Sie deutete auf Valentin. »Lass ihn das machen.«

 

Valentin verbrachte die Nacht in einer verfallenen Scheune. Da er sein letztes Stück Brot bereits vor seiner Rast an der Linde verzehrt hatte, erwachte er noch vor dem Morgengrauen vom Knurren seines Magens. Kein Frühstück zu haben, sinnierte er, während er sich im verblassenden Licht der Sterne auf den Weg machte, hat immerhin den Vorteil, dass man keine Zeit damit vertrödelt, es zu verspeisen.

Die Sonne war gerade aufgegangen, als Valentin unten im Elbtal die turmbewehrten Mauern seiner Vaterstadt erblickte. Auf dem Felsen darüber erhob sich die Silhouette des herzoglichen Schlosses, und unmittelbar darunter ragte der achteckige Turm der Marienkirche aus dem Häusermeer. Valentins scharfen Augen gelang es schon bald, die zierlichen Giebel unterhalb der Turmhaube auszumachen. Aus der Ferne wirkten sie zart wie Brüsseler Spitze. Doch Valentin wusste, dass allein die Kreuzblumen, die sie krönten, mannshoch waren.

Trotz der frühen Stunde begegneten ihm nun immer öfter Fuhren, die bis obenhin mit Hausrat und kleinen Kindern beladen waren. Frauen und Mädchen begleiteten die Wagen zu Fuß, manchmal zerrten sie noch Ziegen und Schafe hinter sich her. Ihre Väter und Brüder hatten sich, in Ermanglung eines Zugtieres, meist selbst vor die Karren gespannt. Sie trugen die schlichte Alltagstracht einfacher Leute, und ihre Gesichter waren von Angst gezeichnet.

»He, Kamerad!«, rief ihm ein baumlanger Zimmermannsgeselle zu, der sein Werkzeug auf dem Rücken trug. »Kehr um! Du rennst in dein Verderben. In Pirna wütet die Pest!«

Valentin blieb stehen. Obwohl ihm der Schweiß zwischen den Schulterblättern herablief, fröstelte es ihn. »Hab Dank für deine Warnung! Aber ich muss in die Stadt. Die Mutter und der Bruder erwarten mich dort.«

»Dann geb’s Gott, dass du die Deinen noch am Leben findest!« Der Zimmermann bekreuzigte sich, bevor er seinen Weg fortsetzte.

Valentin rückte die Riemen seines Ranzens zurecht. Die Gerüchte...

Erscheint lt. Verlag 20.8.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Bader • Deutschland • Heilkunde • Heilwissen • Historischer Kriminalroman • Historischer Roman • Liebesgeschichte • Medizin • Neuzeit • Pest • Pirna • Pirna-Trilogie • Reformationszeit
ISBN-10 3-423-43842-8 / 3423438428
ISBN-13 978-3-423-43842-1 / 9783423438421
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