Die Flucht der Marketenderin (eBook)

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
408 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2527-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Flucht der Marketenderin - Martina Kempff
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1812. Überleben! Nur darum geht es noch für die junge Marketenderin Juliane Assenheimer, die sich mit dem Heerestross der Württemberger Napoleons Großer Armee angeschlossen hat. Denn der Feldzug nach Moskau entpuppt sich als eine wahre Katastrophe: In eisiger Kälte und in einer von Hass und Gewalt geprägten Männerwelt muss sich Juliane behaupten. Als sie von den fliehenden Truppen Napoleons abgeschnitten wird und in russische Gefangenschaft zu geraten droht, kann ihr auch ihr Mann, der Korporal Matthäus nicht mehr helfen. Doch Juliane gibt nicht auf. Mit Mut und Energie meistert sie Schicksalsschläge und lehnt sich gegen Gewalt und Unrecht auf, bis sich ihre Lage in Moskau zuspitzt. Dort jedoch trifft sie auf den Mann, an den sie einst ihr Herz verlor: ihre ehemalige Liebe Johannes Gerter ...

Dieser historische Roman erschien vormals unter dem Titel 'Die Marketenderin'.



Martina Kempff ist Autorin, Übersetzerin und freie Journalistin. Sie war unter anderem als Redakteurin bei der Berliner Morgenpost und als Reporterin bei Welt und Bunte tätig, bevor sie beschloss sich künftig dem Schreiben von Büchern zu widmen. Ihre historischen Romane zeichnen sich durch hervorragende Recherche und außergewöhnliche Heldinnen aus. Martina Kempff lebt im Bergischen Land.

Aufbruch


Aus dem Tagebuch von Johannes Gerter:

 

Februar 1812

Napoleons Glücksstern strahlte glänzend im Westen, Osten und Süden Europas, welchem er nach mannigfachen Siegen und Eroberungen großenteils Gesetze vorschrieb. Nur Spanien stand zu Ende des Jahres 1811 nach vierjährigem, mit den ungleichsten Mitteln geführten hartnäckigen Kampfe, noch unbesiegt Zu einem ganz ungünstigen Zeitpunkte – in blindem Vertrauen auf sein Glück – wendete dieser »Attila seiner Zeit« seine Eroberungs-Pläne nach dem Norden Europas, und brachte zu diesem Zwecke innerhalb kurzer Zeit eine Armee auf die Beine, die die Welt staunen machte.

Im Vorgefühle wichtiger Ereignisse machte ich es mir beim Beginne des Abmarsches nach dem Norden Europas zur Aufgabe: Alles genau zu beachten, und jeden Tag wichtiges aufzuzeichnen, insofern ich glücklich wiederkehren sollte.

 

Seit dem Tod ihrer Mutter musste Juliane Assenheimer alle Entscheidungen selber treffen, und es gab niemanden, der ihr einen Rat erteilen konnte. Ein Anflug von Selbstmitleid überkam sie. Warum war sie nicht wie andere Frauen – zierlich, zartbesaitet und von jener Aura der Hilflosigkeit umgeben, die in jedem Mann den Beschützer weckt? Sie stellte sich vor, wie es wäre, einen Schwächeanfall vorzutäuschen und von einer Dienerschar verwöhnt zu werden. Aber leider fielen nur feine Damen in Ohnmacht. Marketenderinnen wie sie bekamen ja nicht einmal Kopfschmerzen von den Alkoholschwaden, die allabendlich durchs Zelt waberten.

»Ich komme schon allein zurecht«, murmelte sie trotzig, während sie ihren Wagen über die holprige Straße zum Hof der Franziska Mössner lenkte, auf dem sich jetzt deren Bruder Leutnant Johannes Gerter aufhalten sollte. Hoffentlich stimmte diese Information. Nur um Ware zu kaufen, hätte Juliane den beschwerlichen Weg dorthin nicht auf sich genommen.

Sie zuckte zusammen. Zwei Soldaten auf Pferden sprengten dicht an ihrem Wagen vorbei und hüllten sie in eine Staubwolke ein. Hustend überlegte sie, ob das schon die Vorboten der Mobilmachung waren, über die Felix, der kleine breitschultrige Diener von Leutnant Gerter, gestern Abend geredet hatte. Sie musste an die Worte ihrer Mutter denken: »Lass dich nie mit einem Offizier ein. Du weißt ja, was dabei herauskommt.« Ein Kind wie ich, dachte Juliane dann jedes Mal und fand, dass es schlimmere Dinge gäbe. Sie hatte nicht darunter gelitten, ohne Vater aufgewachsen zu sein, aber sie hätte gern gewusst, wer sie gezeugt hatte.

»Ein württembergischer Offizier, der an einem Fuß sechs Zehen hatte«, war alles, was die Mutter jemals verraten hatte. Sechs Zehen! Wann sah man schon einen Offizier ohne Stiefel? Juliane hatte das Hoftor erreicht. Sie zügelte ihre braune Stute, als sie laute Stimmen und das Geschrei einer Frau hörte. Vom Bock aus sah sie, wie die beiden Soldaten, denen sie ihren Hustenanfall zu verdanken hatte, einen gefesselten jungen Mann aus dem Heuschober schleiften und auf ihn einschlugen.

 

Das Schnattern der Gänse hatte Besucher angekündigt, aber Franziska Mössner erwartete niemanden. Sie hatte alle Schulden bezahlt. Milch und Getreide waren bereits am Morgen abgeholt worden. Spielleute und Wandergesellen verirrten sich in diesen Zeiten nicht mehr auf den Hof.

»Vor fünf Dingen muss sich der Mensch furchten«, hatte ihr Vater, ein belesener Mann, oft gesagt, »vor Feuer, Wasser, Dieben, Lieblosigkeit und dem König.«

Als Kind hatte sie nie verstanden, weshalb sie sich vor dem König furchten sollte. Er trug eine goldene Krone und kam gleich nach dem lieben Gott. Als Mutter eines wehrpflichtigen Jungen aber hatte sie den König mehr als alles andere furchten gelernt. Denn schon 1809 hatte König Friedrich eine neue Militär-Konskriptionsordnung erlassen und erklärt, dass mit wenigen Ausnahmen jeder Württemberger vom 18. bis zum 40. Lebensjahr militärpflichtig sei. Franziska wusste, dass Aushebungskommandos durchs ganze Land zogen, um Rekruten anzuwerben.

Früher wäre Georg von dieser Militärpflicht befreit gewesen, da er Franziskas einziger Sohn war und sie keinen Mann mehr hatte. Jetzt aber musste sie ständig damit rechnen, dass er abgeholt würde. Sie erschrak bei dem Gedanken an die Dauer der Dienstpflicht: Bei der Infanterie belief sie sich auf Acht Jahre und bei Kavallerie und Artillerie auf zehn Jahre. Wie sollte sie den Hof so lange allein fuhren, und was sollte aus Georg werden? Sie hatte sich immer vorgestellt, dass ihr Sohn eines Tages in bessere Kreise – wie die, aus denen sie stammte – aufsteigen und sie aus dem bäuerlichen Leben befreien würde. Sie hatte ihm Lesen, Schreiben und gute Manieren beigebracht und ihren Bruder, Johannes Gerter, der Kontakte zur feinen Gesellschaft hatte, immer wieder gedrängt, ihren Sohn in diese Kreise einzuführen. Georg war nicht zum Bauern geschaffen, fand sie, und sie sah es ihm nach, wenn er seine Zeit lieber beim Kartenspiel verbrachte. Herren durften ihre Zeit vertreiben, und Georg sollte ein Herr werden.

»Else, geh schnell, such den Georg, er soll sich verstecken!« rief sie der Magd zu, die am Küchentisch Zwiebeln aussortierte.

Der Hund schlug an, das Trappeln der Hufe kam näher und übertönte das dumpfe Muhen aus dem Stall.

Franziska Mössner stürzte vor die Tür, und obwohl sie seit Wochen mit den Soldaten gerechnet hatte, nahm ihr der Anblick der Uniformen beinahe den Atem. Die beiden Soldaten sprangen von den Pferden und führten sie zur Tränke.

»Wir sind auch durstig, gute Frau«, rief einer Franziska zu. »Schenk uns Bier oder Wein ein!«

Als wären sie alte Bekannte auf der Durchreise, ließen sie sich in der Küche nieder und legten die Füße zwischen die Zwiebeln auf den Küchentisch.

Franziska Mössner schenkte ihnen Wein ein, und als sie sich gerade Hoffnung machte, dass die Soldaten wirklich nur auf der Durchreise wären, zog einer ein Papier aus der Tasche.

»Georg Mössner«, las er vor. »Her mit dem Jungen! Der König braucht ihn, das ist eine große Ehre für euer Haus.«

Auf die ich gerne verzichten könnte, dachte Franziska und log schnell: »Der Georg ist nicht hier. Er ist schon vor Wochen ins Badische gefahren, um neues Vieh zu holen.«

»Ins Badische also?« Der ältere der beiden Soldaten kniff ein Auge zu und lachte höhnisch: »Dann wird es dich freuen, dass er wieder heil zurückgekommen ist. Weniger freuen wird dich, dass ihm der Wirt vom ›Wilden Eber‹ gestern ein ordentliches Sümmchen beim Spiel abgenommen hat.«

Franziska Mössner schloss die Augen. War der dumme Junge also doch wieder ins Dorf gegangen! Warum hatte er nicht auf sie gehört und sich so wenig wie möglich blicken lassen? Er wusste doch, was auf dem Spiel stand!

»Vielleicht hat er sich deswegen hier noch nicht gezeigt«, gab sie zurück. »Ich habe keine Ahnung, wo er jetzt steckt.«

Der ältere Soldat stand auf und lächelte freundlich. Einen Augenblick lang glaubte Franziska, er würde unverrichteter Dinge wieder abziehen. Er hatte doch seine Pflicht getan, was konnte es ihn scheren, ob er einen Rekruten mehr oder weniger einfing.

Der Soldat lächelte auch noch, als er nach dem Weinkrug griff, ihn auf dem Steinboden zerschmetterte und dann die Zwiebeln vom Tisch fegte. Er spuckte in den Rührteig und zog mit aufreizender Langsamkeit eine Peitsche aus dem Gürtel.

»Das werden wir schon herausfinden. Dafür sind wir schließlich hier. Komm, Karl.«

Die Magd hatte sich keine große Mühe gegeben, Georg zu finden. Ihr eigener Mann war bereits zwei Wochen zuvor zu den Soldaten gepresst worden, und sie sah nicht ein, wieso sie dem Sohn ihrer Herrin dieses Schicksal ersparen sollte. Um ihr Gewissen gegenüber der Bäuerin zu beruhigen, hatte sie sich ein Gottesurteil ausgedacht. Wenn Georg fleißig auf dem Feld oder im Stall arbeitete, würde sie ihn warnen, wenn er – wie üblich um diese Zeit – im Heuschober ein Nickerchen hielt, würde sie ihn dabei nicht stören.

Die beiden Soldaten rissen Georg aus dem Halbschlaf.

»Da ist ja unser Rekrut!« hörte er. Verschlafen setzte er sich auf.

»Los, Bürschchen, wir sind von der schnellen Truppe«, bellte der ältere Soldat und schlug ihm mit der Peitsche über die nackten Füße. »Der König ruft! Sofort mitkommen!«

Georg wurde von kräftigen Armen gepackt und aus dem Stroh gezogen.

»Lasst mich los!« rief er wütend. Er trat einen der Soldaten vors Schienbein und handelte sich damit eine so kräftige Ohrfeige ein, dass er im ersten Moment dachte, der Kopf würde ihm vom Rumpf fliegen. So benommen war er, dass er sich nicht wehren konnte, als ihn der jüngere Soldat festhielt und der ältere ihn mit Fäusten bearbeitete.

»Aufhören, aufhören!« schrie seine Mutter, die inzwischen aus der Küche herbeigeeilt war. Mössner hing wie ein nasser Lappen in den Armen des älteren Soldaten, der ihn zu Boden fallen ließ und ihm ein dickes Tau um Hände und Füße band. Wie ein schlachtreifes Tier schleifte er Georg auf den Hof.

»Hör zu,...

Erscheint lt. Verlag 1.12.2020
Reihe/Serie Starke Frauen, dunkle Zeiten
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Aristokratie • Feldzug • Frauenschicksal • historisch • Historischer Roman • Iny Lorenz • Ken Follett • Liebe • Marketenderin • Moskau • Napoleon • Ralf Dorweiler • Rebellen • Sabine Weiß • Schlacht
ISBN-10 3-8412-2527-6 / 3841225276
ISBN-13 978-3-8412-2527-6 / 9783841225276
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