Rieslingmord (eBook)
400 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-99813-0 (ISBN)
Britta Habekost, geboren 1982 in Heilbronn, studierte Geisteswissenschaften und stillte ihre Neugier aufs Leben u.a. als Museumsführerin. Von ihr sind bereits die beiden historischen Krimis 'Das Sterben der Bilder' und 'Bilder des Bösen' unter ihrem Mädchennamen Britta Hasler erschienen, ebenso wie die Kriminalromane 'Ein dunkles Spiel' und 'Eine dunkle Lüge'. Gemeinsam mit ihrem Mann schreibt sie die 'Elwenfels'-Krimireihe. Wenn sie nicht gerade an einem Buch schreibt, reist sie gemeinsam mit ihrem Mann durch Asien oder entspannt auf pfälzischen Weinfesten.
Sie: studierte Geisteswissenschaften und schreibt kunsthistorische Thriller und Kriminalromane. Er: beherrscht und streichelt als Mundart-Kabarettist die Zwerchfelle von dialektisch interessierten Menschen. Zusammen: lebt das kreative Ehepaar an der Weinstraße und ist einander und der Pfalz in Liebe verfallen.
Kapitel 1
Wie ein bereits immer mehr Lesern bekannter Hamburger Privatdetektiv seinen Dämonen zu entkommen versucht und dabei pfälzischen Geistern in die Arme läuft
Seltsamerweise geisterten ihm buddhistische Weisheiten und schlaue Kalendersprüche durch den Kopf, als er sich bergauf durch den stockdunklen Herbstwald kämpfte, während ihn ein heftiger Wind vor sich hertrieb. Vielleicht geisterten diese Dinge aber gar nicht durch seinen Kopf, dachte er. Vielleicht wisperten es ihm die halb entblätterten Bäume zu, die im Sturm groteske Verrenkungen veranstalteten und ihm immer wieder nasse Blätter ins Gesicht warfen.
Die Erfahrung von Verlust ist der Beginn absoluter Freiheit … Erst wenn es nicht mehr weitergeht, öffnet sich die Tür zum wahren Selbst … Nur in der Leere kann Schönheit wachsen.
Die Antwort in seinem Kopf auf diese schlauen Sprüche war Wut. Eine kalte, hoffnungslose Wut. Was wussten sie denn schon über den Horror, den er gerade erlebte? Und hatten diese scheiß Bäume und der Wind und der Regen wirklich nichts Besseres zu tun, als ihm auch noch die letzte Etappe seiner Flucht zu erschweren?
Carlos Herb war am Ende.
Das hatte er zwar schon öfter in seinem Leben gedacht, aber diesmal fühlte es sich verdammt aussichtslos an. Diesmal war das Chaos perfekt, das ihn aus seinem vertrauten Umfeld hinauskatapultiert hatte. Es gab keinen Weg zurück.
Er konnte sich tagsüber nicht mehr blicken lassen. Und das galt nicht nur für Hamburg. Sondern für alle Orte, an denen es Überwachungskameras gab und Leute, die Nachrichten lasen oder die Fahndungsaufrufe der Polizei lasen, zum Beispiel über Facebook. In früheren Zeiten hätte man seinen Zustand als vogelfrei bezeichnet.
Seine Feinde hatten ganze Arbeit geleistet. Obwohl Carlos Herb in seiner Zeit als Hauptkommissar (und auch in den Jahren danach) eine Menge übler Geschichten erlebt hatte, musste er sich jetzt eingestehen, dass er sich nicht einmal im Traum hätte ausmalen können, wie schlimm es tatsächlich werden konnte, wenn man sich … tja, wenn man sich mit der Mafia anlegte.
Obwohl er total erschöpft war, beschleunigte er jetzt seine Schritte, als wäre der Teufel hinter ihm her. Beim Gedanken an seine eigene Dummheit zogen sich seine Eingeweide zusammen. Aber das Stadium der Selbstvorwürfe hatte er eigentlich längst hinter sich gelassen. Jetzt ging es nur noch um eins: Überleben. Und möglichst nicht im Knast zu landen.
Die gut organisierte Bande von Kulekovs Söhnen war nicht der einzige Teufel, der ihm im Nacken saß. Es waren auch noch seine ehemaligen Kollegen. Carlos Herb, ehemaliger Kriminalkommissar und seit vier Jahren Privatdetektiv, stand nun wegen Mordes an einem einflussreichen Immobilien-Mogul auf der Fahndungsliste. Nicht dass Herb den Mord tatsächlich begangen hätte – nur interessierte diese »Petitesse« derzeit niemanden.
Die Leute von Kulekov hatten die Indizien gegen ihn so platziert, dass es ihm unmöglich geworden war, seine Unschuld zu beweisen. Und das war noch nicht alles. Wenn Carlos daran dachte, was sie alles unternommen hatten, um die Schlinge um seinen Hals immer weiter zuzuziehen, wurde ihm noch kälter.
Er war hundemüde und durchnässt, und seine Füße taten so weh, als wäre er die sechshundert Kilometer, die hinter ihm lagen, barfuß gegangen. Dabei waren es unzählige öffentliche Verkehrsmittel gewesen, die er zur Flucht aus Hamburg genutzt hatte. Dank Bummelzügen, Bussen und einer Mitfahrgelegenheit in einem Geflügeltransporter war er drei Tage lang auf den unmöglichsten Strecken und mit großen Umwegen quer durch Deutschland gegondelt. In dieser ganzen Zeit hatte er kaum geschlafen, nur wenig gegessen und nicht einmal eine Gelegenheit zum Duschen gefunden. Das alles nur, um in Bewegung zu bleiben und möglichst wenig mit großen Menschenmengen in Berührung zu kommen. Er war auf dem Weg zum einzigen Ort in Deutschland, an dem man wusste, dass Carlos Herb kein Mörder war. Zu dem einzigen Fleckchen Erde, wo es keine Überwachungskameras gab und ihn keiner von Kulekovs Bluthunden finden würde. Zu dem einzigen Platz, wo er noch so etwas wie ein Zuhause hatte. Elwenfels.
Carlos blieb stehen und ließ seine Reisetasche sinken, die nur das Allernötigste enthielt. Er brauchte eine Pause. Gestern Abend war er mit dem Zug in Heidelberg angekommen und mit dem letzten Bus weiter in Richtung Mannheim gefahren. Dort war er in eine Straßenbahnlinie gestiegen, die ihn kurz nach Mitternacht in Bad Dürkheim ausgespuckt hatte. Er hatte sich sofort auf den Weg in Richtung Deidesheim gemacht. Natürlich hätte er auch einfach für die letzten Kilometer in ein Taxi steigen können, aber er befürchtete, dass sich diese Bequemlichkeit als Fehler entpuppen und der Taxifahrer ihn erkennen und verraten könnte. Außerdem passte es zu seiner Weltuntergangsstimmung, dass er die letzte Etappe vor seinem Ziel zu Fuß ging und sich körperlich und mental so richtig fertig machte. Als befürchte ein Teil von ihm, dass die Elwenfelser ihm nur glaubten, wie schlimm es um ihn stand, wenn er als Wrack vor ihnen erschien.
Du Idiot, schalt er sich. Die Leute dort mochten ihn und hatten ihm versprochen, dass er immer willkommen sei. Da musste er nicht auch noch sein Elend vor sich hertragen.
Kurz vor dem Ortseingang des beliebten Weinortes Deidesheim führte eine schmale Straße auf die Hügelkette der Haardt zu, die um diese Nachtzeit dalag wie der Buckel eines schwarzen, schlafenden Drachens. Vor einer knappen Stunde hatte Carlos endlich die Abzweigung passiert und war dort abgebogen, wo eigentlich ein Hinweisschild nach Elwenfels hätte stehen müssen. Eigentlich, wenn nicht ein paar Leute aus dem Dorf es abmontiert hätten, weil sie der Meinung waren, dass man keine Straßenschilder benötigte, um das Paradies zu finden.
Jetzt lief er stetig bergauf und folgte dem Verlauf der nassen, unbeleuchteten Straße, die er vor mehr als einem Jahr zum ersten Mal in seinem Audi hinaufgefahren war. Das Auto gab es nicht mehr. Seit er vor einer Woche erlebt hatte, wie es in die Luft geflogen war, nachdem er den Wagen einem alten Kumpel geliehen hatte, kam er sich vor wie Michael Corleone in Der Pate. Sein Kumpel war tot. Der Audi ein schwarzes Metallskelett. Und Carlos Herb wusste zum ersten Mal in seinem Leben, wie es sich anfühlte, völlig schutzlos zu sein.
Langsam ging er weiter und kämpfte die Erinnerungen nieder. Elwenfels konnte nicht mehr weit sein. Sonderbarerweise ging es ihm plötzlich ein bisschen besser. Seit er in den dunklen Wald oberhalb der Rebzeilen am Haardtrand eingetaucht war, schienen der Stress und die Angst der letzten Wochen langsam von ihm abzufallen. Obwohl die Bäume ihn an die Filmkulissen von Sleepy Hollow erinnerten und der Wind in den Zweigen jaulte, kehrte so langsam etwas Ruhe in ihm ein. Bald würde alles gut werden. Sobald er in Elwenfels wäre, würde man sich seiner annehmen, und er würde in diese Umarmung aus pfälzischer Gastfreundlichkeit, herzlicher Fürsorge und liebevoller Freundschaft einsinken, so wie man in ein warmes, weiches Bett sinkt. Und das hatte er auch bitter nötig.
Zusätzlich war da noch die Sehnsucht nach einem ganz besonderen Bewohner von Elwenfels. Charlotte. Für die Gedanken an sie hatte er in den letzten Wochen und Monaten kaum Zeit gehabt, weil alles immer schlimmer geworden war. Sie hatten einige Male telefoniert, und Carlos hatte sich sogar zu dem Versuch aufgerafft, ihr ganz altmodisch einen Brief zu schreiben. Es war allerdings beim Versuch geblieben, und dieser war auch noch zusammen mit anderen Papieren aus seiner Wohnung von der Polizei beschlagnahmt worden. Zum Glück hatte er auf den dafür vorgesehenen Umschlag noch nicht die Adresse geschrieben, sonst würden sie sicher auf die Idee kommen, hier nach ihm zu suchen.
Natürlich hatte er sich ihr Wiedersehen anders vorgestellt. Er hatte nicht vorgehabt, Charlotte in einem derart derangierten Zustand wieder unter die Augen zu treten. Aber der starke, stattliche Ritter, den es irgendwann einmal in ihm gegeben hatte, kauerte zusammengekrümmt in einer Ecke seines Bewusstseins und fragte sich immer wieder, wie die Dinge nur so aus dem Ruder hatten laufen können.
Carlos Herb raffte sich zu einer letzten Anstrengung auf und ignorierte den schneidenden Herbstwind. Jetzt hätte er sich über das Knattern eines alten Traktors wirklich gefreut. Erwin hatte ihm beim vorletzten Besuch mehr als einmal eine ruckelnde Mitfahrgelegenheit geboten, zusammen mit so manchen enigmatisch-philosophischen Weisheiten aus dessen Munde. Sie verwunderten Carlos umso mehr, seit er wusste, dass der alte Winzer … nun, ein Geist war. Dass er dabei so überaus lebendig und lebenslustig wirkte, war wohl der Tatsache geschuldet, dass in dieser Region die Geister wohl ohne ihren Körper auskommen konnten, nicht aber ohne ihre pfälzische Mentalität.
Doch leider tauchte das geisterhafte Gefährt in dieser Nacht nicht auf. Bis auf den Wind war es mal wieder ungewöhnlich still im Wald um Elwenfels.
Nein. Nicht ganz. In diesem Moment erklang aus dem Unterholz ein seltsames Schnarren. Carlos fuhr erschrocken zusammen. Da! Gelbe Augen blitzten zwischen den Zweigen auf. Im nächsten Moment schoss der dunkle, gefiederte Schemen aus dem Unterholz und watschelte in unglaublicher Schnelligkeit über die Straße. Carlos stieß ein erleichtertes Lachen aus. Ein Elwetritsch. Dann konnte es ins Dorf nicht mehr weit sein. Er lief weiter. Sein Herz schlug schneller. Das Auftauchen eines Tieres, das es nicht geben durfte und das offiziell auch nicht existierte, war nun doch ein bisschen zu viel für seine gereizten Nerven. Und noch dazu in dieser Nacht. Morgen war Allerheiligen. Auf dem langen Fußmarsch war Carlos an ausgehöhlten Kürbissen...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2021 |
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Reihe/Serie | Elwenfels | Elwenfels |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Carlos Herb • Chako • Deutsche Weinstraße • Dubbeglas • Elwenfels • Esoterik • Habekost • Humor • Mundart • Pfalz • Pfälzisch • Regionalkrimi • Riesling • Wein • Weinfest • Wiederveröffentlichung • Yoga |
ISBN-10 | 3-492-99813-5 / 3492998135 |
ISBN-13 | 978-3-492-99813-0 / 9783492998130 |
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Größe: 6,3 MB
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