Der Polizist (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
688 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-26619-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Polizist - John Grisham
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Jake Brigance, Held der Bestseller »Die Jury« und »Die Erbin«, ist zurück. Diesmal steht er als Pflichtverteidiger im Zentrum eines aufsehenerregenden Mordprozesses in Clanton, Mississippi. Sein Mandant Drew Gamble hat einen örtlichen Deputy umgebracht - doch war es Notwehr oder Mord? Die Mehrheit von Clanton fordert lautstark einen kurzen Prozess und die Todesstrafe. Dabei ist Drew Gamble gerade einmal 16 Jahre alt. Jake Brigance arbeitet sich in den Fall ein und versteht schnell, dass er alles tun muss, um den Jungen zu retten. Auch wenn er in seinem Kampf für die Wahrheit nicht nur seine Karriere, sondern auch das Leben seiner Familie riskiert.

John Grisham ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Seine Romane sind ausnahmslos Bestseller. Zudem hat er ein Sachbuch, einen Erzählband und Jugendbücher veröffentlicht. Seine Werke werden in fünfundvierzig Sprachen übersetzt. Er lebt in Virginia.

1

Das schäbige kleine Haus lag weit draußen auf dem Land, etwa zehn Kilometer südlich von Clanton an einer alten Bezirksstraße, die irgendwann im Nichts endete. Es war von der Straße aus nicht zu sehen und nur über eine lange, gewundene Schotterzufahrt zu erreichen. Näherte sich nachts ein Auto, strich das Scheinwerferlicht über die Fenster und Türen an der Front, als wollte es die Menschen, die dort wohnten, vorwarnen. Die Abgeschiedenheit machte das, was ihnen bevorstand, noch schlimmer.

An diesem frühen Sonntagmorgen tauchte das Scheinwerferlicht erst lange nach Mitternacht auf. Es tastete sich durch die Räume, warf stumme, bedrohliche Schatten an die Wände und verschwand wieder, während der Wagen auf den letzten Metern durch eine Bodensenke fuhr. Die Menschen im Haus hätten schon seit Stunden schlafen sollen, doch an Schlaf war in diesen furchtbaren Nächten nicht zu denken. Josie, die im Wohnzimmer auf dem Sofa saß, holte tief Luft, sprach ein kurzes Gebet und schlich zum Fenster, um einen Blick auf das Auto zu werfen. Schlingerte es wie üblich hin und her, oder hatte er es unter Kontrolle? War er betrunken, wie immer in diesen Nächten, oder hatte er nicht ganz so viel Alkohol intus wie sonst? Sie trug ein aufreizendes Negligé, um ihn auf sich aufmerksam zu machen und vielleicht davon abzubringen, gewalttätig zu werden. Sie hatte es schon öfter getragen, es hatte ihm gefallen.

Der Wagen hielt neben dem Haus, und Josie sah zu, wie er ausstieg. Er torkelte und stolperte, und sie machte sich auf das Schlimmste gefasst. Sie ging in die Küche, in der Licht brannte, und wartete. Neben der Tür, etwas versteckt in einer Ecke, stand ein Baseballschläger aus Aluminium, der ihrem Sohn gehörte. Vor einer Stunde hatte sie den Knüppel dort hingestellt, für den Fall, dass er auf ihre Kinder losging. Sie hatte um den Mut gebetet, den Schläger zu benutzen, doch noch immer wurde sie von Zweifeln geplagt. Er ließ sich gegen die Küchentür fallen und rüttelte am Knauf, als wäre sie verriegelt, doch es war alles offen. Schließlich trat er mit dem Fuß gegen die Tür, die aufsprang und gegen den Kühlschrank knallte.

Wenn Stu getrunken hatte, wurde er gewalttätig. Seine blasse irische Haut wurde dunkler, seine Wangen röteten sich, und in seinen Augen glühte ein vom Whiskey entfachtes Feuer, das sie schon zu oft gesehen hatte. Er war vierunddreißig, hatte aber bereits graue Haare und eine Glatze, die er mit einer schlechten Überkämmfrisur zu kaschieren versuchte. Nach der nächtlichen Sauftour hingen ihm ein paar lange Strähnen bis unter die Ohren. Sein Gesicht wies keine Schnittwunden oder Blutergüsse auf, was vielleicht ein gutes Zeichen war. Vielleicht auch nicht. Er prügelte sich gern in den Kneipen, und nach einer harten Nacht leckte er sich für gewöhnlich die Wunden und ging schnurstracks ins Bett. Hatte es keine Schlägerei gegeben, suchte er oft hier Streit.

»Warum zum Teufel bist du noch auf?«, fuhr Stu sie an, während er versuchte, die Tür hinter sich zu schließen.

»Ich warte auf dich, Liebling. Geht’s dir gut?«, sagte Josie so gelassen wie möglich.

»Du brauchst nicht auf mich zu warten. Wie spät ist es? Zwei?«

Sie lächelte, als wäre alles in Ordnung. Vor einer Woche hatte sie sich ins Bett gelegt und dort auf ihn gewartet. Er war spät nach Hause gekommen, nach oben gegangen und hatte ihre Kinder bedroht.

»Ungefähr zwei«, bestätigte sie leise. »Lass uns schlafen gehen.«

»Warum trägst du diesen Fummel? Du siehst aus wie ein Flittchen. War heute Abend jemand hier?«

Das vermutete er zurzeit häufig. »Natürlich nicht«, sagte sie. »Ich habe mich nur schon fürs Bett fertig gemacht.«

»Du bist eine Hure.«

»Stu, bitte. Ich bin müde. Lass uns schlafen gehen.«

»Wer ist es?«, herrschte er sie an, während er nach hinten gegen die Tür torkelte.

»Wen meinst du? Es gibt niemanden. Ich bin den ganzen Abend hier gewesen, bei den Kindern.«

»Du Schlampe. Du lügst doch.«

»Nein, tue ich nicht. Lass uns ins Bett gehen. Es ist spät.«

»Heute Abend hat mir jemand erzählt, dass er vor ein paar Tagen John Alberts Pick-up hier draußen gesehen hat.«

»Wer ist John Albert?«

»Wer ist John Albert?, fragt die kleine Schlampe. Du weißt ganz genau, wer John Albert ist.« Er stieß sich von der Tür ab, kam mit unsicheren Schritten auf Josie zu und musste sich an der Arbeitsplatte abstützen. Dann wies er anklagend mit dem Finger auf sie. »Du bist eine Hure und bekommst Besuch von deinen Ex-Freunden. Ich habe dich gewarnt.«

»Stu, ich habe keinen anderen, das habe ich dir schon tausendmal gesagt. Warum glaubst du mir nicht?«

»Weil du eine Lügnerin bist und weil ich dich schon mal beim Lügen erwischt habe. Die Kreditkarte, weißt du noch? Du Miststück.«

»Das war letztes Jahr, und wir haben darüber geredet.«

Er machte einen Satz auf sie zu, packte mit der linken Hand ihren Unterarm und holte mit der anderen aus. Dann schlug er ihr mit der offenen Hand ins Gesicht, ein knallendes, widerwärtiges Geräusch. Schmerz und Schock ließen sie aufschreien. Sie hatte sich geschworen, auf keinen Fall laut zu werden. Ihre Kinder hatten sich oben eingesperrt und hörten alles mit an.

»Stu, hör auf!«, kreischte sie, während sie die Hand auf die Wange drückte und nach Luft rang. »Nicht wieder schlagen! Ich habe dir geschworen, dass ich gehe, und das werde ich auch ganz bestimmt tun!«

Er lachte brüllend. »Ach ja? Und wo willst du hin, du kleine Nutte? Zurück in das Wohnmobil im Wald? Oder willst du wieder in deinem Auto leben?« Er zog sie mit einem Ruck zu sich, drehte sie um und legte ihr seinen muskulösen Unterarm um den Hals. »Du kannst nirgendwohin, du Schlampe, nicht mal mehr in den Trailerpark, in dem du geboren wurdest«, flüsterte er ihr ins Ohr. Der Gestank nach abgestandenem Whiskey schlug ihr entgegen, Speichel sprühte aus seinem Mund.

Josie versuchte sich loszureißen, doch er zerrte ihren Arm hart nach oben. Sie schrie unwillkürlich auf und musste dabei an ihre Kinder denken. »Stu, du brichst mir den Arm! Hör auf! Bitte!«

Er ließ ihren Arm ein wenig sinken, drückte sie aber noch fester an sich. »Wo willst du denn hin?«, zischte er. »Du hast ein Dach über dem Kopf, Essen auf dem Tisch, Zimmer für deine zwei Bälger, und dann redest du davon, mich zu verlassen? Nicht mit mir.«

Sie wehrte sich und wollte sich aus seinem Griff winden, aber er war ein kräftiger Mann und sehr jähzornig. »Stu, du brichst mir den Arm. Lass los! Bitte!«

Doch er zerrte noch einmal mit einem kräftigen Ruck an ihrem Arm, was sie wieder aufschreien ließ. Sie versuchte es mit einem Fußtritt nach hinten und traf Stu mit der nackten Ferse am Schienbein, dann drehte sie sich halb um und rammte ihm ihren linken Ellbogen in die Rippen. Viel ausrichten konnte sie damit nicht, doch er schnappte für einen Moment nach Luft, und es gelang ihr, sich loszureißen. Ein Küchenstuhl fiel zu Boden. Der Lärm würde ihren Kindern noch mehr Angst machen.

Wie ein wilder Stier stürzte er sich auf sie. Er packte sie an der Kehle, drückte sie gegen die Wand und grub die Fingernägel in ihren Hals. Josie konnte nicht schreien, konnte weder schlucken noch atmen, und das irre Leuchten in seinen Augen sagte ihr, dass es ihr letzter Streit war. Dieses Mal würde er sie umbringen. Sie versuchte, Stu zu treten, verfehlte ihn aber. Blitzschnell verpasste er ihr einen rechten Haken, der sie mit voller Wucht am Kinn traf und bewusstlos werden ließ. Sie ging zu Boden und blieb mit gespreizten Beinen auf dem Rücken liegen. Ihr Negligé war verrutscht und entblößte ihre Brüste. Er stand einen Moment da und bewunderte sein Werk.

»Die Schlampe hat zuerst zugeschlagen«, murmelte er. Dann ging er zum Kühlschrank und holte eine Dose Bier heraus. Er öffnete sie, trank einen Schluck, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und wartete, weil er wissen wollte, ob sie vielleicht wieder aufwachte oder die ganze Nacht bewusstlos sein würde. Sie bewegte sich nicht, daher machte er einen Schritt auf sie zu, um sich zu vergewissern, dass sie noch atmete.

Stu prügelte sich schon sein Leben lang durch Kneipen und kannte die wichtigste Regel: Triff sie am Kinn, dann sind sie erledigt.

Im Haus war es ruhig, aber er wusste, dass Josies Kinder sich oben versteckt hatten und warteten.

Drew war zwei Jahre älter als seine Schwester Kiera, aber wie so viele Veränderungen in seinem Leben hatte bei ihm auch die Pubertät spät eingesetzt. Er war sechzehn und klein für sein Alter, was ihn sehr störte, vor allem, wenn er neben seiner Schwester stand, die gerade wieder einen Wachstumsschub erlebte. Die beiden wussten allerdings noch nicht, dass sie verschiedene Väter hatten und dass man ihre körperliche Entwicklung nicht miteinander vergleichen konnte. Trotzdem waren sich die beiden in diesem Moment so nah wie alle Geschwister und hörten entsetzt mit an, wie ihre Mutter wieder einmal verprügelt wurde.

Die Auseinandersetzungen wurden gewalttätiger, die Misshandlungen häufiger. Sie flehten Josie an, endlich zu gehen, doch alle drei wussten, dass sie nirgendwohin konnten. Ihre Mutter versicherte ihnen, dass alles besser werden würde, dass Stu ein guter Mann sei, wenn er nicht gerade trinke, und sie war fest entschlossen, zu ihm zu halten.

Sie konnten nirgendwohin. Ihr letztes »Zuhause« war ein altes Wohnmobil im Garten eines entfernten Verwandten gewesen, dem ihre Anwesenheit auf seinem Grundstück peinlich war. Alle drei wussten, dass das Leben mit Stu nur deshalb erträglich war, weil er ein...

Erscheint lt. Verlag 10.5.2021
Übersetzer Bea Reiter, Imke Walsh-Araya, Kristiana Dorn-Ruhl
Sprache deutsch
Original-Titel A Time For Mercy (novel 27)
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Agententhriller • Bestsellerautor • Clanton • Die Jury • eBooks • Jake Brigance • Justizirrtum • Justizthriller • Mississippi • Politthriller • Polizistenmord • Rassismus • Thriller • Todesstrafe
ISBN-10 3-641-26619-X / 364126619X
ISBN-13 978-3-641-26619-6 / 9783641266196
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