Die lasterhaften Balladen und Lieder des François Villon (eBook)

Nachdichtung von Paul Zech - Neu herausgegeben und mit einem Vorwort von Alexander Nitzberg
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2021 | 1. Auflage
248 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43810-0 (ISBN)

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Die lasterhaften Balladen und Lieder des François Villon -  François Villon
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Weltliteratur über die Ausschweifungen des Lebens Die Balladen und Lieder des François Villon sind ein unvergängliches Zeugnis der Weltliteratur. Derb, humorvoll und erschütternd zeugen sie von Liebe und Hass, Tod und Vergänglichkeit, Hunger und Armut, Laster und Ausschweifung. Mit Villon hielt Volks- und Gaunersprache Einzug in die Literatur - und die kongeniale Nachdichtung des expressionistischen Dichters Paul Zech steht ihm in nichts nach.

François Villon wurde 1431 geboren und verscholl 1463. Als »armer fahrender Scholar«, als Kleriker, Vagabund und Poet führte er ein höchst abenteuerliches Leben. Villon gilt als bedeutendster spätmittelalterlicher Dichter Frankreichs.

François Villon wurde 1431 geboren und verscholl 1463. Als »armer fahrender Scholar«, als Kleriker, Vagabund und Poet führte er ein höchst abenteuerliches Leben. Villon gilt als bedeutendster spätmittelalterlicher Dichter Frankreichs.

EIN VORWORT DES HERAUSGEBERS


Was ist eine gelungene Gedichtübersetzung? – Eine schlichte Lesehilfe? Ein Gebilde, bei dem auch die jeweilige poetische Form mitberücksichtigt wird? Eine kongeniale Nachdichtung? – All diesen Antworten ist eines gemein: Sie zeigen den Übersetzer in einem Abhängigkeitsverhältnis, als jemanden, dem das ursprüngliche Werk immer einen Schritt voraus ist – wie die Schildkröte dem Achill …

Dabei ließe sich die Qualität einer Übersetzung auch an der Rolle ablesen, die sie in der Zielsprache spielt. Man denke an die Rubaijat des Omar Khayam von Edward FitzGerald – keine Übersetzung im engeren Sinne, eher eine Art Quintessenz, dafür aber eines der meistzitierten Werke der englischen Literatur. Und noch sehr viel freier geht mit der Farsi-Lyrik Goethe im West-östlichen Divan um, indem er Hafis nicht nur anklingen lässt, sondern auch immer wieder in dessen Rolle schlüpft. Manch einem mag hier die Beziehung zwischen Original und Nachdichtung problematisch erscheinen. Doch es gibt ja noch wesentlich heiklere Fälle! Übersetzungen, die gewissermaßen auch ganz ohne Original auskommen, wie etwa die Gesänge des Ossian – von den großen Dichtern des Sturm und Drang eifrig studiert und nachgeahmt, sind sie nichts anderes als Fabrikation des »Übersetzers« James Macpherson. Es wäre zu simpel und ungerecht, sie als Falsifikationen abzutun. Weil Literatur ihren eigenen Gesetzen folgt.

François Villon ist mit seinem Leben und Werk ein Paradebeispiel dafür, wie seltsam die Wege eines literarischen Schicksals mitunter sein können. Denn blinde Flecken im Biografischen erschaffen oft Freiräume für die Fantasie. Und das Bild des Dichters, das aus derlei Fiktionen entsteht, vermag das historische zu überlagern. Paul Zechs Villon-Übertragungen sind der Höhepunkt eines solchen Transformationsprozesses.

Das Hauptproblem ist wohl die Frage, wie es überhaupt passieren konnte, dass ein intellektueller, ja, gelehrter Autor, der in festen Formen und Traditionen arbeitet und darin sehr komplexe und subtile Gedichte verfasst, zum Inbegriff des Ganovenpoeten mutiert ist, zu einem betrunkenen Sänger »lasterhafter Lieder«? Natürlich sind viele Facetten dieses Charakterbilds in Villons Werk und Biografie angelegt – das Gefängnis, die drohende Hinrichtung, die Freundschaft mit Huren, Trinkern und Banditen. Und doch zählen all diese Dinge seit Jahrhunderten zum Arsenal literarischer Verkleidungen und sollten daher nur augenzwinkernd für bare Münze genommen werden. Gedichte, zumal die spätmittelalterlichen, sind kaum der Ort, wo man nach authentischen Lebensberichten Ausschau halten sollte – zu vieles darin ist raffiniertes Spiel mit poetischen Genres und Topoi.

Ein Beispiel für diverse Verschiebungen in der Wahrnehmung des Dichters bezüglich seiner Originalität: François Villon ist uns heute als der Verfasser des Kleinen (Le Lais, 1456) und des Großen Testaments (Le Testament, 1461 – 62) bekannt. Die Form des poetischen Testaments ist in unserer Vorstellung fest mit ihm verbunden. Dabei existiert sie in der volkssprachlichen französischen Literatur schon seit dem zwölften Jahrhundert in unterschiedlicher Diktion, Ausprägung und Länge. Darunter sind echte Meisterwerke, die sich mitnichten auf ein bloßes Vorläufertum Villons reduzieren lassen. Am Beginn steht der zisterziensische Troubadour Hélinand de Froidmont (1160? – 1230?) mit seinem sechshundert Zeilen starken Werk Vers de la Mort. Ihm folgen im dreizehnten Jahrhundert Jean Bodel und Baude Fastoul, die ihre Abschiedslieder (Condé) vor der Einlieferung in ein Leprosorium schreiben. Diese Werke sind eng mit der jeweiligen Biografie verknüpft und von ganz und gar tragischem Charakter.

Die Tradition wird in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts von Adam de la Halle fortgesetzt und um neue Facetten ergänzt. Denn in seinen Abschiedsgedichten sucht er weniger Versöhnung mit Gott als vielmehr Streit mit den Zeitgenossen. Klagen über den Sittenverfall durchziehen das zweitausend Zeilen lange Testament Jean de Meungs, der auch den zweiten Teil des berühmten Rosenromans verfasst hat. Aber für die eigentliche Wende sorgt der möglicherweise bedeutendste Dichter des vierzehnten Jahrhunderts, Eustache Deschamps, der in seinem Testament parodistische Töne anschlägt, was auch von den nachfolgenden Poeten fortgesetzt wird. Diese Entwicklung kulminiert in der groß angelegten Trilogie La confession et testament des Dichterfürsten Pierre de Hauteville aus dem fünfzehnten Jahrhundert, der in seiner Beschreibung der zu vermachenden Gegenstände ein Netz aus feinsinnigen Allegorien spinnt. Neben diesen markantesten Pfeilern des Genres existieren unzählige andere, die zusammen organisch den Hintergrund bilden, vor dem das Werk Villons entstehen und sich entfalten kann.

Villon übernimmt von der Tradition die Methoden, um sein eigenes Leben in literarische Formen zu gießen, wie auch alle dazu notwendigen Redefiguren – die des persönlichen Schmerzes wie auch die der bissigen Satire. Und es ist die souveräne Beherrschung all dieser Elemente, die seinen Versen eine solche Glaubwürdigkeit verleiht, sie für uns aus dem allgemeinen Strom heraushebt. Denn spätestens seit der europäischen Romantik verliert sich zunehmend das Interesse an rhetorischen Gesten und formalen Fingerübungen. Erwartet wird vielmehr die Brechung menschlicher Schicksale im Spiegel der Epoche und der Kunst.

Doch wenn beispielsweise ein Romanist der 1940er-Jahre schreibt: »Lediglich in der Form seiner Dichtungen blieb Villon Vorgängern und Zeitgenossen verpflichtet … während es sich bei diesen um modisch bedingte Gelegenheitsprodukte handelt, nimmt Villon den Stoff aus allpersönlichstem Erleben«, so wäre das gewiss eine sehr einseitige Beurteilung. Denn auch für das »allpersönlichste Erleben« bietet die französische Testament-Literatur genügend prominente Beispiele. Außerdem liegt hier ein Zirkelschluss vor: Denn woran will man das »allpersönlichste Erleben« Villons überhaupt messen, wenn nicht an der Wirkung eines durch und durch literarischen Werks, bei welchem man sich entschieden hat, es, ungeachtet aller poetischen Konventionen, als ein authentisches biografisches aufzufassen?

Ein Wort zu den verwendeten poetischen Formen: Die spätmittelalterlichen Testamente sind fein gedrechselte Sprachartefakte, die auf hochkomplexe Strophik zurückgreifen. So ist es kein Wunder, dass auch Villon sich durchwegs virtuoser Formen bedient. Beide Testamente sind in einer achtzeiligen Strophe geschrieben, die nach jeweils vier gleichen Reimwörtern verlangt: ABAB/BCBC. In den Balladen, die das Große Testament durchziehen, wird dieses Verfahren noch ausgeweitet: Eine Ballade besteht aus drei Strophen und einem Geleit (envoi) an den Adressaten. Dabei müssen die in der ersten Strophe verwendeten Reime in den beiden nachfolgenden und sogar im Geleit fortgesetzt werden, was die Anzahl der erforderlichen Endreime sofort verdreifacht! Sowohl die Strophen als auch die Sendung enden mit einem markanten Refrain, der den Charakter der jeweiligen Ballade auf den Punkt bringt, wie etwa der sprichwörtliche Ausruf: »Mais où sont les neiges d’antan!« (»Doch wo ist der Schnee vom vorigen Jahr?«) Im Übrigen meint die Gattungsbezeichnung hier nicht ein erzählendes Gedicht, sondern nur die oben genannte Form. Es ist auch kein Lied, denn die literarische Tradition jener Tage hat sich schon seit geraumer Zeit vom Gesang gelöst. Dass Villon seine Verse singend vorgetragen hat, wie es sich viele heute vorstellen, ist also eher unwahrscheinlich.

Die Komplexität der erwähnten poetischen Mittel, die der Vorstellung vom »volkstümlichen Charakter« dieser Werke schon ein Stück weit zuwiderläuft, macht die Übersetzung Villons zu einem höchst ambitionierten Unterfangen. Und so wird Villon mit Vorliebe von verfeinerten Meistern der Verskunst übersetzt. In England von dem Präraffaeliten Dante Gabriele Rossetti oder dem Sprachvirtuosen Algernon Charles Swinburne. Von John Payne stammt die erste englische Gesamtübersetzung der Villon’schen Werke (1874). In Russland erscheint die erste größere Villon-Auswahl 1916 in der Übersetzung von Ilja Ehrenburg, der als Lyriker an den französischen Parnassiens und Symbolisten geschult ist. Und diese sind es ja, die sich Villon auf die Fahnen schreiben: Théophile Gautier, Charles Baudelaire, Paul Verlaine, Arthur Rimbaud, Tristan Corbière oder Joris-Karl Huysmans.

Was all diese verwöhnten Geister reizt, ist einerseits die sprachliche Verarbeitung, denn sie selbst sind ja auf der Suche nach ungewöhnlichen Ausdrucksmitteln, grellen Bildern und erlesenen poetischen Formen. Andererseits fühlen sie sich von der Vorstellung des gesellschaftlich ausgestoßenen, möglicherweise sogar verbrecherischen Paria mehr als angezogen, denn sie entspricht ihrem eigenen künstlerischen Ideal: der Maske des Bürgerschrecks. Von solch einem »verfemten Dichter« schreibt Rimbaud in seinen Seherbriefen, dass er »unaussprechliche Qual« erleidet, »in der er zum großen Kranken, zum großen Verbrecher, zum großen Verdammten wird – und zum höchsten Wissenden!«

Von dem Punkt aus ergreift dieser Gedanke die gesamte europäische Avantgarde. So schreibt Filippo Tomaso Marinetti 1909 in seinem Futuristischen Manifest: »Wir wollen preisen die angriffslustige Bewegung … die Ohrfeige und den Faustschlag … Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein«. Wladimir Majakowski rügt die...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2021
Übersetzer Paul Zech
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Balladen • Dichter • Erdbeermund • Expressionismus • Frankreich • französisches Spätmittelalter • Gauner • Klassiker • Laster • Mittelalter • Nachdichtung • Paul Zech • Vagabunden • Weltliteratur
ISBN-10 3-423-43810-X / 342343810X
ISBN-13 978-3-423-43810-0 / 9783423438100
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