Das Vermächtnis der besonderen Kinder (eBook)
384 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45126-7 (ISBN)
Ransom Riggs wuchs in einem kleinen Fischerdorf im südlichen Florida auf, einer Region, in der sich viele Amerikaner zur Ruhe setzen. Um nicht vor Langeweile zu sterben, begann er, in Musikbands zu spielen und mit seinen Freunden Filme zu drehen. Später studierte er in Ohio und Los Angeles Literatur und Filmproduktion. Ransom Riggs dreht heute Werbefilme für Firmen wie Absolut Vodka und Nissan und arbeitet als Drehbuchautor, Journalist und Fotograf. Mehr Informationen finden sich auf seiner Website: www.ransomriggs.com
Ransom Riggs wuchs in einem kleinen Fischerdorf im südlichen Florida auf, einer Region, in der sich viele Amerikaner zur Ruhe setzen. Um nicht vor Langeweile zu sterben, begann er, in Musikbands zu spielen und mit seinen Freunden Filme zu drehen. Später studierte er in Ohio und Los Angeles Literatur und Filmproduktion. Ransom Riggs dreht heute Werbefilme für Firmen wie Absolut Vodka und Nissan und arbeitet als Drehbuchautor, Journalist und Fotograf. Mehr Informationen finden sich auf seiner Website: www.ransomriggs.com
KAPITEL EINS
Tief in den grünlich schimmernden Gedärmen eines Fischmarktes in Chinatown befanden wir uns am Ende eines Flurs, der mit Krebsbecken gesäumt war. Wir hockten, belauert von Tausenden Alien-Augen, in einer von der Lichtesserin erzeugten Blase der Dunkelheit. Leos Männer waren ganz in der Nähe, und sie waren wütend. Wir hörten Geschrei und ein heftiges Krachen, als sie auf der Suche nach uns den Markt auseinandernahmen. »Bitte«, hörte ich eine alte Frau weinend sagen, »ich habe niemanden gesehen …«
Wir hatten zu spät erkannt, dass dieser Flur keinen Hinterausgang besaß, und waren nun neben dem Abflussrohr in dem schmalen Spalt zwischen Massen todgeweihter Krebstiere gefangen, deren Aquarien als schiefe Türme zu zehnt übereinander bis an die Decke gestapelt waren. Neben dem Krachen und Geschrei ertönte der unaufhörliche Rhythmus der leise gegen die Glaswände trommelnden Krebsscheren, wie ein Orchester kaputter Schreibmaschinen, das sich in meinen Schädel wühlte.
Wenigstens überdeckte es das Geräusch unseres panischen, abgehackten Atmens. Vielleicht genügte das – vorausgesetzt, Noors künstliche Dunkelheit hielt stand und die Männer, die sich mit schweren Schritten näherten, schauten nicht zu genau auf die wogende Leere mit den zuckenden Rändern; eine Auslassung in der Luft, eine unübersehbare Lücke, wenn man den Blick darauf ruhen ließ. Noor hatte die Dunkelheit geschaffen, indem sie mit der Hand durch die uns umgebende Luft fuhr, während sich an ihren Fingerspitzen das Licht sammelte wie leuchtende Glasur auf einem Kuchen. Sie stopfte es sich in den Mund und schluckte. Glühend rann es durch ihre Kehle hinab und verschwand.
Es war Noor, die sie wollten. Aber mich hätten sie auch zu gern mitgenommen, und wenn es nur war, um mich zu erschießen. Mittlerweile mussten sie H tot in seiner Wohnung gefunden haben, seine Augen aus den Höhlen gerissen von seinem eigenen Hollowgast. Früher an jenem Tag hatten H und sein Hollow Noor aus Leos Zeitschleife befreit. Dabei kamen ein paar von Leos Leuten zu Schaden. Das wäre vielleicht noch verzeihlich gewesen, aber etwas anderes nicht: Leo Burnham, Oberhaupt des Five-Boroughs-Clans, war gedemütigt worden. Eine Wildkatze – also Besondere, die noch keinem Clan angehören, sondern frei und schutzlos leben –, auf die Leo Anspruch erhob, war aus seinem eigenen Haus gestohlen worden, dem Machtzentrum des Herrschaftsbereichs eines Besonderen, das fast den gesamten östlichen Teil der Vereinigten Staaten umfasste. Wenn ich dabei entdeckt wurde, dass ich Noor zur Flucht verhalf, wäre mein Todesurteil endgültig besiegelt.
Leos Männer kamen immer näher, und ihre Stimmen wurden lauter. Noor kümmerte sich um die Dunkelheit, straffte die Ränder zwischen Finger und Daumen, wenn sie zu verschmieren begann, füllte das Zentrum, wenn es ausdünnte.
Ich wünschte, ich hätte ihr Gesicht sehen können. Den Ausdruck darin lesen. Ich wollte wissen, was sie dachte, wie sie sich hielt. Es war nur schwer vorstellbar, wie jemand, der noch so neu war in dieser Welt, all das ertrug, ohne zusammenzubrechen. In den vergangenen paar Tagen war sie von Normalen mit Betäubungspfeilen und in Hubschraubern gejagt worden, von einem Besonderen-Hypnotiseur entführt worden, um bei einer Auktion versteigert zu werden, konnte entkommen, nur um von Leo Burnhams Bande geschnappt zu werden. Sie hatte ein paar Tage in einer Zelle in Leos Hauptquartier verbracht, war dann bei ihrer Flucht mit H durch Schlafstaub in Tiefschlaf versetzt worden und erst in Hs Wohnung wieder aufgewacht, wo sie ihn tot auf dem Boden vorfand – der grauenvolle Anblick hatte aus ihrem Mund einen Feuerball konzentrierten Lichts schießen lassen (der mich beinahe meinen Kopf kostete).
Sobald sie sich von dem Schrecken erholt hatte, erzählte ich ihr, was H mir mit seinen letzten Atemzügen anvertraut hatte: dass es nur noch einen lebenden Hollow-Töter gebe, eine Frau namens V, und ich Noor ihrem Schutz überstellen solle. Die einzigen Hinweise auf ihren Aufenthaltsort waren eine zerfledderte Landkarte aus Hs Wandsafe sowie bruchstückhafte Anweisungen von Hs grausigem Ex-Hollowgast, Horatio.
Aber ich hatte Noor noch nicht erzählt, warum H so hart gekämpft hatte, ihr zu helfen, warum er meine Freunde und mich als Unterstützung gewonnen hatte und schließlich den Tod fand, als er sie aus Leos Zeitschleife befreite. Ich hatte ihr nichts von der Prophezeiung gesagt. Es war kaum Zeit gewesen – seit ich Leos Leute in dem Flur vor Hs Wohnung gehört hatte, rannten wir quasi um unser Leben. Und die ganze Zeit fragte ich mich, ob es nicht zu viel war, zu früh.
Eine der sieben, deren Kommen vorausgesagt war … die Befreier der Besonderenwelt … der Anbruch des gefährlichen Zeitalters … Es musste sich anhören wie das irre Gefasel des verrückten Anhängers irgendeines Kults. Nach all dem, was die Besonderenwelt bereits von Noors Gutgläubigkeit verlangt hatte – ganz zu schweigen von ihrer Zurechnungsfähigkeit –, fürchtete ich, dass sie schreiend davonlaufen würde. Jeder halbwegs normale Mensch hätte das schon längst getan.
Natürlich war Noor Pradesh alles andere als normal. Sie war besonders. Mehr noch, sie hatte Mut.
In dem Moment neigte sie mir den Kopf zu und flüsterte: »Also, wenn wir hier rauskommen … wie ist der Plan? Wohin gehen wir?«
»Raus aus New York«, antwortete ich.
Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Wie?«
»Keine Ahnung. Mit dem Zug? Bus?« Darüber hatte ich noch gar nicht nachgedacht.
»Oh«, erwiderte sie mit einem Anflug von Enttäuschung in der Stimme. »Du kannst uns nicht, irgendwie, von hier wegzaubern? Mit einem von deinen Zeit-Tor-Dingern?«
»So funktionieren die nicht. Na ja, ich denke, ein paar von denen schon« – ich dachte an Verbindungen zum Panloopticon –, »aber wir müssen erst einen Übergang finden.«
»Was ist mit deinen Freunden? Hast du keine … Leute?«
Ihre Frage machte mich mutlos. »Sie wissen nicht einmal, dass ich hier bin.«
Und selbst wenn sie es wüssten …, schoss mir durch den Kopf.
Ich spürte, dass Noor die Schultern hängen ließ.
»Keine Sorge«, versicherte ich. »Mir fällt schon etwas ein.«
Zu jeder anderen Zeit wäre mein Plan ganz einfach gewesen: Losziehen und meine Freunde finden. Ich wünschte verzweifelt, dass ich das könnte. Sie wüssten, was zu tun wäre. Seit ich in diese Welt eingetreten war, waren sie mein Fels in der Brandung, und ohne sie fühlte ich mich verloren. Aber H hatte mich ausdrücklich davor gewarnt, Noor zu den Ymbrynen zu bringen. Davon abgesehen wusste ich gar nicht, ob ich überhaupt noch Freunde hatte – so wie bisher bestimmt nicht. Was H getan hatte und was ich gerade tat, zerstörte vermutlich die Chance der Ymbrynen, zwischen den Clans Frieden zu stiften. Und es hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dem Vertrauen meiner Freunde in mich geschadet.
Wir waren also auf uns gestellt. Das machte den Plan einfach, aber suboptimal: möglichst schnell rennen. Angestrengt überlegen. Viel Glück haben.
Und wenn wir nicht schnell genug rannten? Oder kein Glück hatten? Dann würde ich vielleicht nie die Chance bekommen, Noor von der Prophezeiung zu erzählen, und sie würde den Rest ihres Lebens, wie lang oder kurz dieses auch sein mochte, nicht wissen, warum sie gejagt wurde.
Ganz in der Nähe krachte es wieder laut, gefolgt von Rufen und Geschrei der Männer. Nicht mehr lange und sie würden bei uns sein.
»Es gibt etwas, das ich dir sagen muss«, flüsterte ich.
»Kann das nicht warten?«
Es war der denkbar schlechteste Moment. Aber möglicherweise auch der einzige.
»Du musst etwas erfahren. Falls wir getrennt werden oder … irgendetwas anderes passiert.«
»Okay.« Sie seufzte. »Schieß los.«
»Das wird sich jetzt vermutlich ziemlich durchgeknallt anhören, und bevor ich es dir erzähle, sollst du wissen, dass mir das durchaus bewusst ist. Bevor H starb, sagte er etwas von einer Prophezeiung.«
Irgendwo ganz in der Nähe wechselte jemand lautstark ein paar Worte mit Leos Männern – er auf Kantonesisch, sie auf Englisch. Wir hörten ein lautes Klatschen, einen Schrei, eine gedämpfte Drohung. Noor und ich erstarrten.
»Dahinten!«, rief Leos Mann.
»Es hat mit dir zu tun«, fuhr ich fort, und meine Lippen berührten beinahe ihr Ohr.
Noor zitterte. Die Ränder der Dunkelheit um uns herum zitterten ebenfalls.
»Sag es mir«, stieß sie kaum hörbar hervor.
Leos Männer kamen um die Ecke in den Flur. Uns lief die Zeit davon.
Die Männer marschierten auf uns zu, zerrten einen armen Marktarbeiter hinter sich her. Die Lichtstrahlen ihrer Taschenlampen tanzten über die Wände, wurden vom Glas der Krabbenbecken gebrochen. Ich wagte es nicht, den Kopf zu heben, aus Angst, er könnte die Grenzen von Noors Dunkelheit durchstoßen. Ich spannte mich an, bereitete mich seelisch auf einen sehr ungleichen Kampf vor.
Dann, in der Mitte des Flurs, blieben sie stehen.
»Hier ist nichts. Nur Fischbecken«, knurrte einer der Männer.
»Wer war bei ihr?«, fragte ein zweiter Mann.
»Irgendein Junge, keine Ahnung …«
Wieder dumpfes Klatschen, und der Mann, den sie festhielten, stöhnte vor Schmerz.
»Lass ihn gehen, Bowers. Er weiß nichts.«
Der Marktarbeiter wurde brutal weggestoßen. Er fiel zu Boden, rappelte sich wieder hoch und stolperte davon.
»Wir verschwenden hier zu viel Zeit«, sagte der erste Mann. »Das Mädchen ist vermutlich schon über alle Berge. Zusammen mit diesen Typen,...
Erscheint lt. Verlag | 1.10.2020 |
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Reihe/Serie | Die besonderen Kinder | Die besonderen Kinder |
Übersetzer | Silvia Kinkel |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Abenteuer • All Age Fantasy • Atlas der besonderen Kinder nächster Band • besondere Fähigkeiten • besondere Fantasybücher • Besondere Kinder • besondere Kinder Riggs • Cairnholm • Dark Fantasy Bücher • Das Vermächtnis der besonderen Kinder • Der Atlas der besonderen Kinder • Die besonderen Kinder Band 5 • die bibliothek der besonderen kinder • Die Insel der besonderen Kinder • Die Stadt der besonderen Kinder • Die Zukunft der besonderen Kinder • Fantasy Bücher Erwachsene • Fantasy für Bibliophile • Fantasy für Sammler • Fantasy Geschenk Buch • Fantasy Reihe • Fantasy-Reihe • fantasy romane für erwachsene • Fantasy Saga • Fantasy Serie • Großvater • gute fantasy bücher • historische Fantasy • historische Fantasy Romane • Hügelgrab • in andere Welten eintauchen • Insel der besonderen Kinder 5 • Jacob Portman • Jugendliche Fantasy • Kinder mit besonderen Kräften • magische Begabung • Magisches Abenteuer • Magische Welt • Miss Peregrine • Miss Peregrine's Home for Peculiar Children deutsch • Miss Peregrine's Peculiar Children deutsch • Nachfolger Atlas der besonderen Kinder • Noor Pradesh • Peculiar Children 5 deutsch • Phantastischer Roman • Prophezeiung • Ransom Riggs • Riggs Band 5 • Schauergeschichten • Superhelden-Kräfte • Teenager mit besonderen Kräften • The Conference of the Birds deutsch • übernatürliche Kräfte • unheimliche und phantastische Geschichten • Unsichtbarkeit • Urban Fantasy • Ymbryne • Zeitschleife • Zeitschleifen |
ISBN-10 | 3-426-45126-3 / 3426451263 |
ISBN-13 | 978-3-426-45126-7 / 9783426451267 |
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