Wer zuletzt lacht: Philosophischer Kriminalroman -  Roland Luft

Wer zuletzt lacht: Philosophischer Kriminalroman (eBook)

(Autor)

Federfrei Verlag (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
200 Seiten
Federfrei Verlag
978-3-99074-124-5 (ISBN)
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1. Zwei Menschen befinden sich in einem Raum.
2. Einer stirbt einen Tod, der verursacht worden sein musste.
3. Eine der beiden Personen kann sich nicht rühren.
Schluss: Also muss die zweite Person der Verursacher dieses Todes sein.
Doch nichts ist so, wie es scheint.
In der Psychiatrischen Klinik in Linz wird der bewegungsunfähige Katatoniker Anton Pointner ermordet, offensichtlich von seinem langfährigen Freund, dem berühmten Schauspeler Clemens Baumgartner. Denn außer diesen beiden war scheinbar niemand im Raum, als die Tat passierte. Ein Fall für Chefinspektor Buchinger, der komplizierte Fälle und schwierige Menschen mag. Und tatsächlich: Je tiefer Buchinger in den Fall eintaucht, desto mehr Fragen kommen hoch. Ein Krimi, der philosophischen Fragen nachspürt - vor allem dem Verhältnis zwischen Schein und Sein.

»Die Anzahl unserer Neider bestätigt unsere Fähigkeiten.«

Oscar Wilde

 

Kapitel 1


Rätsel

 

Er betrat die Psychiatrische Klinik und alles war wie erwartet: die Ziersträucher, der Geruch nach schalem Kaffee, beruhigend-freundliche Bilder an den weißen Wänden, alles schrie förmlich nach Alltäglichem, nach Normalität, nach Unbeschwertheit. Man gab sich große Mühe, den Anschein von Unauffälligkeit und Unbedenklichkeit zu erwecken. Nur dass kein Schwein auf diese Lüge reinfiel. Auch wenn das Krankenhaus seit einiger Zeit einen komplizierten und modernen Namen trug, für die Linzer würde es immer Niedernhart, das Wagner-Jauregg-Krankenhaus, die Irrenanstalt bleiben.

Sogar kleine Kinder schreien schon, wenn sie die abgestandene Frische der unlängst gewischten Fußböden riechen – Vorsicht Rutschgefahr! - und wenn sie in Gesichter schauen, die sich nicht entscheiden können zwischen Hektik, Überheblichkeit und aufgesetzter Höflichkeit.

Er nahm immer zwei Stufen auf einmal, schnell, mit elastischem Schritt. Falls ihn jemand erkennen sollte, dann sollte niemand glauben, er sei wegen einer Krankheit hier. War eh nicht sehr wahrscheinlich, dass sich von den hier gestrandeten Existenzen auch nur eine Person ins Theater oder in die kleinen Programmkinos verirren würde. Eher unwahrscheinlich.

Clemens Baumgartner war hier in Linz alles andere als ein Unbekannter. Schauspieler im hiesigen Landestheater, erfolgreicher und umjubelter Darsteller von Nebenrollen in heimischen Low-Budget-Filmen, Verfasser einer Autobiografie, extravagant in Erscheinung und Auftreten. Heute: rote Hose, schwarze Schuhe mit weißen Galoschen, ein schwarz-weiß gestreiftes Hemd, darüber ein graues Gilet, ein Panamahut. Vor allem, am auffälligsten: ein Schnurrbart, ästhetisch irgendwo zwischen Clark Gable und Freddie Mercury. Dieser Oberlippenbart stand für vielerlei: für eine Unabhängigkeit von Zeitgeist und Mode, für eine Verliebtheit in die Vergangenheit, für Individualität und Unverwechselbarkeit. Mit einem Wort: Baumgartner war eine Größe, wenn auch nur 1,70 m klein. Ihn treffen, vielleicht sogar grüßen zu dürfen, wäre eine Ehre. Er wusste das. Und er zeigte das auch. Seine tänzelnden Schritte markierten eine Leichtigkeit, ja beinahe Abgehobenheit gegenüber den Angelegenheiten der Durchschnittsmenschen. Kein Wunder also, dass er jederzeit damit rechnete, ja rechnen musste, erkannt zu werden.

Auf Station B1 kannte man ihn natürlich, klar, er kam ja einmal in der Woche, hatte Schwester Linda bereits zwei Mal auf den Po gegriffen. Schwester Rita hatte daraufhin »Me too, me too!« gerufen, er hatte Fotos von sich mit Autogramm verteilt und Tickets für eine Herbstaufführung von Ibsens Nora. Erst bei genauem Hinsehen bemerkte man, dass es sich um die billigsten, nämlich Stehplatzkarten handelte. Er schaute kurz bei den Schwestern rein, sagte: »Schwester Linda nicht da?«

»Die hat Frühdienst, kommt erst morgen wieder.«

»Na, wie wär’s mit uns beiden, Rita?«, war seine Antwort, die wirklich niemanden überraschte. Und tänzelte seines Weges in Richtung Zimmer 123.

Mit Schwung öffnete er die Tür zum Krankenzimmer, schloss sie sachte und postierte sich vor dem Patienten von 123 wie vor dem Premierenpublikum des Linzer Landestheaters. Verbeugte sich kurz, legte den Kopf in den Nacken und blickte an die Zimmerdecke, wo rein gar nichts zu sehen war, breitete seine Arme aus wie die Christusstatue von Rio, als ob er den Segen Gottes erwartete, und sprach mit Enthusiasmus.

»Sei gegrüßt, mein Freund! Ich besuche dich heute zum letzten Mal!«

Wie sehr er doch mit dieser Aussage Recht behalten sollte! Denn einer von den beiden würde in den nächsten Minuten sterben. Und es gehört nun mal zum Wesen des Schicksals, dass man nie weiß, wem der Tod seine Aufwartung machen wird und wann.

»Hier trennen sich unsere Wege. Mit der Freundschaft, der lebenslangen Freundschaft ist es vorbei. Du sollst hier verrotten. Seit heute weiß ich alles. Du kannst von mir aus hier versauern und vor dich hin stinken, du sollst hier verwesen und elendiglich zugrunde gehen. Allein. Kein Mensch wird dich besuchen kommen. Du schweigst? Deine Methode, ich weiß. Buddhistisch wahrscheinlich. Oder taoistisch. Gewähren lassen. Steter Tropfen höhlt den Stein. Purer esoterischer Blödsinn! Ich fall nicht drauf rein. Jetzt hör mir mal gut zu!«

Im nächsten Augenblick war Baumgartners Gesicht eine Handbreit vor dem des Patienten, der unbeweglich und unbewegt in seinem Rollstuhl hockte, den Oberkörper vornübergebeugt. Ob er wohl die Kräuterzuckerl Baumgartners roch?

Der Patient von Zimmer 123 war in sich versunken, aber ob er die fröhliche Entspanntheit Buddhas erlangt hatte, war unklar. Das Kinn auf der Brust hing er verkrampft in dem Sessel, den Gott für ihn vorgesehen hatte. Oder das Pflegepersonal. Oder die mit der Krankenhausausstattung beauftragte Firma.

Da attackierte doch tatsächlich ein kerngesunder und erfolgreicher Mensch einen leidenden Kranken! Der Patient von Zimmer 123 sank ein wenig tiefer in seinen Stuhl – offenbar eine optische Täuschung oder eine Umdeutung der physikalischen Gegebenheiten, laut Definition des Lehrbuchs der Psychiatrie. In Wahrheit konnte sich der etwa 45-jährige Mann schon seit geraumer Zeit nicht mehr bewegen, es sei denn, die Schwerkraft bekam ungehinderten Zugriff auf seinen Körper.

»Hör mir gut zu, du erbärmlicher Wicht: Ich erzähl dir jetzt meine Geschichte, das Finale einer Freundschaft. Du wirst mir zuhören, während du in deinem Sessel verfaulst, und dann kannst du Ewigkeiten lang den Krankenschwestern auf den Arsch starren und nichts mehr damit anfangen.«

Baumgartner wurde lauter. »Wenn ich hier rausgehe, dann komme ich nie wieder, und du wirst wissen, warum alles so kommen musste wie es kam!« All dies im allerschönsten Präteritum, einer Zeitform, die man in der gesprochenen Sprache in Oberösterreich nicht wirklich oft zu hören bekommt. »Da wird kein Zweifel bleiben. Ich werd’s hier herinnen mit einer Frau treiben, mit irgendeiner Schwester, nach allen Regeln der Kunst, und du schaust zu, bis du dir wünschst, dass du tot wärst. Oder, noch besser: nie geboren. Bis sie die Augen verdreht und sich nach der friedlich schweigenden Häkelrunde der Freundinnen ihrer Mutter sehnt.« Seine Stimme wurde wieder leiser. »Eine tolle Formulierung – muss ich mir mer­ken.«

Er zückte sein Handy und notierte den letzten Satz. Dass ein Widerspruch bestand zwischen der Ankündigung, nie wieder hierher zu kommen, und der Drohung, es hier, vor Pointners Augen, mit einer Schwester zu treiben, strafweise sozusagen, notierte er nicht. Der Widerspruch musste ihm entgangen sein. Vernebelung des Verstandes durch imaginierte Begierde sozusagen. Oder übte er sich ironischerweise in der Kunst, Widersprüche zuzulassen?

Es ist ja nicht so, dass man jemals wüsste, was in anderen Menschen wirklich vorgeht. Aber ganz ahnungslos sind wir nicht, denn immerhin funktioniert ja die menschliche Kommunikation im Großen und Ganzen reibungslos. Wenn jemand sagt, dass er Zahnschmerzen habe, glauben wir zu wissen, dass er Schmerzen hat, die den unsrigen gleichen. Wenn Gestik und Mimik zur Aussage passen, nehmen wir an, dass wir nicht belogen wurden. Es ist also nicht so, dass wir genau wüssten, was in anderen Menschen wirklich vorgeht, wenn diese ungefähr so sind wie wir. Wie mag das mit einem Menschen sein, der sich ganz offensichtlich außerhalb der Norm verhält und der zur Reglosigkeit verdammt ist? Der gar keine Reaktion zeigt? In Wahrheit ist es ja so, dass wir uns nicht einmal in die primitive Psyche einer Kuh oder Fledermaus einfühlen können. Wenn es schon schwierig war, sich in die Psyche einer Fledermaus einzufühlen, wie unmöglich musste es erst sein, sich in die komplizierte Psyche eines seelisch kranken Menschen einzufühlen?

Das Gegenüber Baumgartners jedenfalls zuckte nicht mit der Wimper und ballte nicht die Faust. Sein Blick blieb starr auf die Tasse Tee auf dem Tischchen schräg vor ihm gerichtet. Wäre er zornig geworden während der Rede Baumgartners, man hätte es nicht bemerkt. Die Unerschütterlichkeit seiner Seele strahlte beinahe schon etwas Feierliches aus, etwas Erhabenes.

Seine Kleidung hingegen könnte keinen größeren Kontrast zu dieser Erhabenheit bieten: ein Morgenmantel mit grün-blauen Längsstreifen, weiße Socken. Chronische Leiden machen aus dem edelsten und stolzesten Menschen ein Bündel Elend.

»Sei herzlich willkommen hier im Reich der Finsternis, der untersten Hölle für die Sünder des Verrats! Wer hier eintritt: Lasst alle Hoffnung fahren!« Baumgartner hatte theatralisch seine Stimme erhoben – Berufskrankheit quasi.

Schwester Rita kam ins Zimmer. »Alles in Ordnung hier? Was schreien Sie so, Herr Baumgartner?«

»Alles in Ordnung, machen Sie sich keine Sorgen! Das ist eine Privatsache, gehen Sie wieder!«

Schwester Rita machte einen schnellen Rundgang durchs Krankenzimmer, schüttelte völlig unmotiviert...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-99074-124-1 / 3990741241
ISBN-13 978-3-99074-124-5 / 9783990741245
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