Die infantile Gesellschaft – Wege aus der selbstverschuldeten Unreife (eBook)
256 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-5009-6 (ISBN)
---Enthält den Text der aktualisierten Taschenbuch-Ausgabe---
Vom Glück der Souveränität - warum wir endlich erwachsen werden müssen
Gefühl ist Trumpf, Argumente stören, Diskretion war gestern. Wir sind eine Gesellschaft der Kindsköpfe geworden. Erwachsene verhalten sich ungeniert wie Kinder, sind es aber längst nicht mehr. Sie halten das Leben für einen großen Spaß, senden Emojis in die Datenumlaufbahn, schwärmen hemmungslos für Greta & Co. Zugleich behandeln Politiker ihre Wähler wie kleine Kinder. Berlin gibt den Takt vor, die Stadt als Versuchslabor und Partyzone, in der kaum etwas klappt.
Alexander Kissler nimmt die Politik ebenso wie den Kulturbetrieb, die Wirtschaft und die Kirchen aufs Korn. Er folgt den mal albernen, mal tragikomischen Verrenkungen unreifer Erwachsener und zeigt die Folgen einer infantilen Gesellschaft: Wenn Vernunft nicht mehr zählt, regiert die Unvernunft.
Sein Buch ist eine Einladung, das größte Abenteuer zu wagen, das das Leben für uns bereithält: erwachsen zu werden.
Ein fulminanter Aufruf zu mehr Mündigkeit, mehr Eigenverantwortung und weniger Gefühligkeit
»Die Kunst des Erwachsenseins besteht darin, Distanz zu ertragen, von sich selbst absehen zu können, den Unterschied zwischen drinnen und draußen, Privatheit und Öffentlichkeit, Ich und Nicht-Ich ermessen zu können. Der innerlich erwachsene Mensch ist grundsätzlich in der Lage, sein Leben selbstständig und nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, ohne zu erwarten, dass er sich mit diesen Vorstellungen immer durchsetzen wird.
Er kennt seine Schwächen und seine Stärken und die lange Strecke zwischen den Polen. Er arbeitet mehr an sich als an anderen, nimmt es mit den eigenen Plänen genauer als mit den eigenen Rechtfertigungen. Er hält weder die Welt für eine Ausformung des Ichs noch das Ich für einen bloßen Wurmfortsatz der Welt. Er weiß, was er will. Er will nicht alles und nicht alles sofort. Er scheitert und verzweifelt nicht, er gewinnt und vergisst sich nicht. Er lässt andere nicht für eigene Niederlagen büßen und bleibt im Triumph nicht allein.
Wir müssen uns den erwachsenen als einen glücklichen Menschen vorstellen. Sind Sie bereit?«
»Ein lesenswertes und aufregendes Buch«
Jörg Thadeusz
»Fazit: Kissler hat nichts Geringeres als eine Streitschrift wider den Zeitgeist vorgelegt.«
Gabor Steingart
»Eine erfrischende Lektüre für Jung und Alt, um mehr über das Erwachsenwerden zu erfahren.« Lehrerbibliothek.de, Februar 2021
ALEXANDER KISSLER ist politischer Publizist und erfolgreicher Sachbuchautor. Er hat für dieFAZ, die Süddeutsche Zeitung und den Focus gearbeitet und ist regelmäßig Gast in Talkshows, etwa im ARD-Presseclub und bei Maischberger. Von 2013 bis 2020 leitete er das Kulturressort beim Monatsmagazin Cicero. Seit August 2020 gehört er als Redakteur dem Berliner Büro der NZZ an und ist Autor der Kolumne »Der andere Blick«. Alexander Kissler schreibt, lebt und twittert in Berlin.
»Kissler ist ein lesenswertes und nachdenkliches Buch gelungen. Man kann es Erwachsenen und vermeintlich Erwachsenen nur zur Lektüre und zur Selbstreflexion empfehlen.«
Josef Kraus (Epoch Times, 04.11.2020)
»Kisslers Buch ist eine Einladung, das größte Abenteuer zu wagen, das das Leben für uns bereithält: erwachsen zu werden.«
(Dolomiten, 16.12.2020)
»Er fragt, betrachtet, oft kann er sich die Ironie als Distanzierungsmittel nicht verkneifen. Aber er klagt nicht an und belehrt nicht.«
(Tichys Einblick, 02.01.2021)
»Eine mit eleganter Süffisanz geschriebene Streitschrift, der man nicht in allen Punkten zustimmen mag, die jedoch die Auseinandersetzung lohnt.«
Dorothee Krings (Rheinische Post, 02.11.2020)
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BABYS IN MITTLEREN JAHREN
Was uns in diesem Buch erwartet und worauf wir unbedingt hoffen sollten
Wir leben in ernsten Zeiten und sind dennoch eine infantile Gesellschaft. Dieses Buch handelt von beidem. Von der Art, wie wir miteinander umgehen, und von den Strategien, uns den anderen vom Leib zu halten. Von der Mündigkeit, auf die wir lustvoll verzichten, und von den Wegen heraus aus der Unreife. Von der Verantwortung, die wir bei anderen einklagen, und der Verantwortung, die wir selbst scheuen, als wären wir Kinder. Und wie beides zusammenhängt, obwohl es paradox erscheint. Dieses Buch handelt von zwei Seelen in unser aller Brust, auch in meiner. Ich muss Sie darum warnen: Auch von mir wird in diesem Buch die Rede sein.
Die infantile Gesellschaft ist keineswegs eine Erscheinung neueren Datums, wenngleich sie nie ausgeprägter schien als heute. In einem Aufsatz von 1932, erschienen an Heiligabend im »Chicago Herald«, klagt der Schriftsteller Aldous Huxley: Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts habe ein »morbider Kult des Infantilen« eingesetzt. Dessen Spuren verfolgt der Autor von »Schöne neue Welt« zurück zu seinen Schriftstellerkollegen William Wordsworth und Charles Dickens. Von Wordsworth stammt der erstaunliche Satz, das Kind sei der Vater des Mannes. Aldous Huxley hält dagegen: »Für alle früheren Autoren war der Mann immer und ganz fraglos der Vater des Kindes; mit anderen Worten, die erwachsenen Interessen und Werte standen auf einer höheren Stufe als die der Kindheit.« Dieses Verhältnis habe sich seitdem umgekehrt.
Charles Dickens sei auf dieser falschen Spur weitergeschritten, sodass »die höchste Form des Menschentums« plötzlich nicht mehr »der erwachsene Heros« war, sondern »das Baby in mittleren Jahren«. In seinem Roman über die »Pickwickier« (1836) habe Dickens »kahlköpfigen alten Windelnässern« den »Heiligenschein köstlicher Lächerlichkeit« verliehen. Vollendet wurde die »Mythologie des Infantilen« durch Peter Pan, jenen Knaben, der nie erwachsen wird. Diese Geschichte, folgert Huxley, hätte ohne das Bedürfnis der Leute, »sich im Kindischen zu suhlen«, keinen derart großen, keinen allgemeinen Erfolg gehabt. Was folgt daraus? Nichts Gutes. Huxley schließt scharf und bitter: »Der Kult des Kindischen hindert die Menschen daran, während der letzten zwei Drittel ihrer natürlichen Existenz sinnvoll zu leben.«
Rund neunzig Jahre später können wir diese Befürchtung auf die Gesellschaft übertragen. Sinnvolles Leben, sinnvolle Politik sind kaum möglich, wenn das Unreife zum Leitbild erhoben wird. Mit dem Kindischen ist freilich nicht das Kindliche gemeint. Das Kindische ist Nicht-Kindern vorbehalten. Kinder verhalten sich sehr zurecht kindlich. Kindische Erwachsene sind Erwachsene im Stand selbstverschuldeter Unreife. Kindisch ist es, so zu tun, als wäre man, was man nicht mehr ist: Kind. Kindisch nennen wir den inszenierten Rückfall in eine abgelebte Zeit. Infantilität ist ein einziges großes So-tun-als-ob. Unernst ist es dem Sinn nach, bitterernst wird es ausgeführt. Peinlich kann es werden.
In unserer gegenwärtigen Gesellschaft stoßen wir auf viele machtvolle Infantilismen. Teils dienen sie politischen, teils wirtschaftlichen Interessen. Manchmal sollen sie auch ein Ich vor der Verantwortung für sein Tun schützen. Oder eine Gruppe davor bewahren, gewogen und für zu leicht befunden zu werden. Erwachsene sind nicht zufällig kindisch. Sie sind es, weil sie es sein wollen. Sie inszenieren sich als unmündig, um nicht zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Sie greifen zu vorreifen Verhaltensweisen, um ewig unverbindlich spielen zu können. Und werden so zum Spielball der anderen. Darin liegt die Nachtseite von so viel Kinderei, die Gefahr. Der kindische Mensch wird schnell zum manipulierten Bürger – oder zum skrupellosen Machthaber.
Dabei ist die Theorie hinter der Rückverwandlung des Menschen ins Kind, das er war, nicht von vornherein destruktiv. Aus dem Knaben im Mann, dem Kind im Menschen könnte ein ursprüngliches, unverbogenes Dasein sprechen. Das innere Kind soll die Quelle sein zu einem echten Leben, nicht entstellt von Konvention, Tradition, Bildung. Der authentische Mensch wird im Kind verherrlicht. Insofern ist der Ahnherr unserer kindischen Gegenwart der Philosoph Jean-Jacques Rousseau – ein schlimm missverstandener Rousseau freilich. Nicht Rousseauisten, sondern Vulgärrousseauisten sind die heutigen Helden des Kindischen. Rousseau empfahl keineswegs einer ganzen Gesellschaft, am Ende gar einer nach Milliarden zählenden Weltbevölkerung den Weg zurück zur Natur, ins Unvernünftige und zum Naturwesen Kind. Er plädierte für lokale, überschaubare Gemeinschaften, in denen sich Geist und Natur im Gleichgewicht halten. Er wollte keine kindische, sondern eine wahrhafte Gesellschaft, ohne Lug und Trug und Zärtelei. Für »alte Windelnässer« war da kein Platz. Wir werden von Rousseau in diesem Buch oft hören. Es lohnt sich, ihn zu lesen, vor allem seine Erziehungsfantasie »Émile«.
Leider biegen heute viele Zeitgenossen mit Rousseau falsch ab ins Zauberreich der Gefühligkeit – und in ein Bild von Natur, das ganz und gar unnatürlich ist. Ins Unermessliche gestiegen sind die Ratgeber und Erklärbücher, die in der Natur das einzige legitime säkulare Lehramt erblicken. Natürlich ist der Mensch ein Naturwesen, das mit der ihn umgebenden Natur schonend umgehen sollte. Natürlich schadet der Raubbau an den natürlichen Ressourcen dem Menschen am stärksten. Natürlich darf die Sonderstellung des Menschen in der Schöpfung den Homo sapiens nicht dazu verleiten, rücksichtslos alles auszubeuten, was nicht Mensch ist, und so am Ende den Menschen auch. Keineswegs aber hält die nichtmenschliche Natur ein geheimes Wissen bereit, das allein dem verbildeten Menschen den Weg weist zurück zu Glück und Zufriedenheit. Wo Fuchs und Igel sich Gute Nacht sagen, sagen sich Igel und Fuchs Gute Nacht – und halten keinen kategorischen Imperativ für den Menschen bereit, errichten keine Lehrsäle für traurige Großstädter. Vögel singen nicht, Bäume wachsen nicht, weil sie damit Menschen trösten wollen, sondern weil sie tun, was nach Vogelart und Baumart ihre Sache ist. Schön, dass sie ’s tun.
Besonders deutlich zeigt sich ein kindischer Blick auf die belebte Natur beim Kult um den Wolf. Deutschland ist Wolfsland geworden. Die Ankunft des Raubtiers fällt zusammen mit dem Aufstieg einer nervösen Republik, die vor ihren Abgründen Schutz sucht im Schoß der Natur. Da bietet der edel gewachsene Wolf eine ideale Projektionsfläche. Ungebunden streift er durch Lande, in denen er für ausgestorben galt. Seine Wiederkehr ist in dieser Perspektive das Gütesiegel für eine renaturierte Kulturlandschaft. So klatscht man Applaus, bringt seinen Kindern bei, man müsse vor ihm keine Angst haben – und steht stumm vor der Tatsache, dass Meister Isegrim ein reißendes Raubtier bleibt, das schon vielen Nutztieren den Garaus machte. Wölfe sind eben doch, wer hätt’s gedacht, keine besseren Menschen.
Gilt es aber nicht wenigstens als ein Vorzug echter Menschen, der jungen, der minderjährigen, bessere Menschen zu sein? Das Bild vom kindlichen Orakel lässt sich weit in die Vergangenheit zurückverfolgen. Es ist keine spätmoderne Spezialität. Neu allerdings ist die flächendeckende Bereitschaft, dem Kindermund allgemein höchste Weisheitsgrade zuzusprechen. Von den Kindern solle man lernen, tönt es aus Politikermund. Auf die Kinder möge man hören, fordern Künstler und Wissenschaftler. Das eben ist dann doch eine kindische Zumutung zu strategischen Zwecken. Nicht Kindern ist vorzuwerfen, dass sie wie Kinder reden. Aber Erwachsenen ist vorzuwerfen, wenn sie Aussagen von Kindern nutzen, um ihre eigene erwachsene Agenda gegen Kritik zu immunisieren. Insofern sind nicht Greta Thunberg und die anderen kindlichen Klimaaktivistinnen ein Problem für unsere Demokratie. Wohl aber sind ’s Erwachsene, die meinen, in Kindern jenen Universaljoker gefunden zu haben, mit dem sie jede Debatte zu ihren Gunsten beenden können.
Auch Ökonomie und Kultur haben dem »Kult des Kindischen« (Aldous Huxley) die Pforten geöffnet. Einer Wirtschaft, die auf Bedürfnisbefriedigung und Bedürfniserzeugung setzt, wird man es vielleicht eher nachsehen, wenn sie in kindischen Formen auf Kundenfang geht. Sie bedient einen Markt, den es gibt und den sie ausweiten will. Freilich ist die Frage nach den sozialen Folgekosten nicht geklärt. Der Siegeszug niedlicher Lifestyle-Accessoires aus den Kinderzimmern hinein in die Erwachsenenwelt macht diese gewiss nicht vernünftiger, aufgeklärter, klüger. Und dass der elektronisch betriebene Roller, der E-Scooter, sich zur umweltverschmutzenden Gefahrenquelle entwickelt, kümmert einen echten Peter Pan nicht. Für ihn ist er erfunden worden. Früher fuhren Roller kleine Kinder, denen das Fahrrad zu kompliziert erschien. Heute soll die Großstadt-Elite nach Knabenart dahinrauschen.
Schutz vor der Reife bietet auch eine Verkleidungskultur, mittels der sich Erwachsene in Plüschtiere verwandeln oder das Kindsein simulieren. Oder Emojis benutzen anstelle von Worten. Da wundert es nicht, dass die Leichte Sprache sich anschickt, von der sinnvollen Ausnahme zum falschen Leitbild zu werden. Was gedacht war als Sonderfall für eine unterstützensbedürftige Randgruppe, taugt mehr und mehr als Normalfall. Zwischentöne sind out, Hauptsache, man wird irgendwie verstanden. Ministerien duzen die Bürger, Bildungszentralen erklären die Demokratie mit Piktogrammen, Medien machen aus Nachrichten lustige Clips, Laute und Bilder ersetzen Begriffe wie in Vor- und Grundschule. Kommunikation wird zum...
Erscheint lt. Verlag | 22.9.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft | |
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ISBN-10 | 3-7499-5009-1 / 3749950091 |
ISBN-13 | 978-3-7499-5009-6 / 9783749950096 |
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