Eine Räuberballade (eBook)

Roman
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2020 | 1. Auflage
318 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7325-9512-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Eine Räuberballade -  Annegret Held
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In ihrem dritten großen Westerwald-Roman nimmt Annegret Held uns mit ins späte 18. Jahrhundert, als brutale Räuberbanden die gesamte Region in Angst und Schrecken versetzten. Mitreißend, klug und höchst unterhaltsam erzählt sie von Hannes, einem aufstrebenden Möchtegern-Räuber, von seinem frommen und zunehmend verzweifelten Vater Wilhelm, von der mannstollen Magd Gertraud und von all den anderen Scholmerbachern, die dem harten Dorfleben tapfer die Stirn bieten. Großartige Heimatliteratur!



Annegret Held, 1962 im Westerwald geboren, arbeitete u.a. als Polizistin, Altenpflegerin und Luftsicherheitsassistentin - und ist erfolgreiche Autorin. Sie bekam den Berliner Kunstpreis der Akademie, den Glaser-Förderpreis und ist PEN-Mitglied. Ihre beiden ersten Westerwald-Romane, Apollonia und Armut ist ein brennend Hemd, wurden von der Presse hochgelobt. Annegret Held lebt im Westerwald.

Annegret Held, 1962 im Westerwald geboren, arbeitete u.a. als Polizistin, Altenpflegerin und Luftsicherheitsassistentin - und ist erfolgreiche Autorin. Sie bekam den Berliner Kunstpreis der Akademie, den Glaser-Förderpreis und ist PEN-Mitglied. Ihre beiden ersten Westerwald-Romane, Apollonia und Armut ist ein brennend Hemd, wurden von der Presse hochgelobt. Annegret Held lebt im Westerwald.

Wer war nun schöner? Jakob oder Karl, Karl oder Jakob? Oder gar doch der brave Pfillip, der jeden Mehlsack so andächtig schleppte, als wäre es der Leib Christi? Seit der Gewitternacht, als die Müllerin sie und Pfillip beim Küssen erwischt hatte, waren die beiden nur noch wenige Male hinter den Holzstößen verschwunden oder hatten sich flüchtig im Stall geküsst. Pfillip war zwar hungrig nach weiteren Küssen, fürchtete sich aber vor den Müllersleuten und wich Gertrauds noch viel hungrigeren Lippen aus, die sich alsbald in einen Schmollmund verwandelten und unter der Himmelfahrtsnase zu einer ordentlichen Schnute wurden. Wie konnte man nur so feige sein und auf die griesgrämige Müllerin hören? Was für ein ängstlicher Kerl!

Nein, die neuen Müllerburschen waren doch aufregender! Sie waren schon weit herumgekommen, und immer neue Geschichten plätscherten aus ihnen heraus. Es musste herrlich sein, in die Welt zu ziehen! Gertraud wollte noch so viel erleben, überall, warum sollte sie hier in der Schorrenberger Mühle bleiben, wo die Alte so griesgrämig war und der Müller immer über sein Rückenweh jammerte?

Sie hing an den Lippen von Karl und Jakob, wenn diese erzählten, vom Mühlengespenst, das sie einmal bei einer Gelbbacher Mühle erschreckt hatte, und von der Mühle in Würges, in der sich der alte Müller aufgehängt hatte und am Mühlbalken hing wie an einem Galgen. Besonders Jakob konnte schön erzählen, aber Karl hatte das schöne, gelbe Haar und zwickte sie immer in die Hüfte. Die Müllerburschen waren die Herrlichkeit selber, und Gertraud vergaß Mehl und Müllersleute und wollte nur immer bei ihnen sein. Schon hatte sie den einen geküsst und dann den anderen, und sie konnte nicht genug bekommen von allen beiden.

»Mir müssen nur aufpassen!«, flüsterte sie. »De alte Müllerin is en Schinnoost!«

Diese war allerdings nicht nur ein Schinnoost, sondern auch sehr hellhörig, und sowie sie Stroh rascheln hörte oder ein Seufzen oder Schmatzen, kam sie um die Ecke geschossen und war froh, wenn es nur die Kuh war, die durch Matsche stapfte.

»Eysch kann keine Nacht schlofen«, sagte sie abends im Bett zu ihrem Mann. »Die treiben dat noch, ich weiß et einfach! Dat Gertraud es rossig, eysch merke dat, dey können mir naut vormachen!«

»Ach«, sagte der Müller und drehte sich um, dass die Spreu im Bett knisterte. »Mir waren doch auch mal jung. Lass se doch Spaß haben! Dat Leben es schon schwer genug!«

»Müller, dou verstehst mich net! Wenn wat passiert! Dann heißt et ›hier auf der Scholmer Mühl, da is nur Unzucht und Verderben!‹ Jetzt, wo mir so viel einnehmen und der Sommer so gut war und der neue Gaul, da müssen wir auf uns halten, Müller!«

»Ach«, brummte er. »Der Herrgott wird’s schon richten!«, und schlief ein.

Der Herrgott richtete es nicht. Gertraud richtete es. An einem lauen Abend im September desselben Jahres scheppte sie eine Suppe mit ordentlich Rindfleisch aus, mit besonders guten Brocken für die Müllerburschen Jakob, Pfillip und Karl. Die Müllerin selber hatte das Fleisch gekauft vom Scholmerbacher Michel, der diese Woche geschlachtet hatte. Sie war ordentlich stolz darauf, dass sie nicht nur am Sonntag, sondern auch schon am Donnerstag ein Stück Fleisch in der Suppe hatten. Als aber die Müllerin sah, dass ihr eigener Mann ein nur halb so großes Stück wie die Burschen auf dem Teller hatte, war das Maß voll.

»Müller!«, schrie sie. »Müller, sieh dir dat an!«

Der Müller schaute unwillig herüber und wusste, dass neues Ungemach drohte. Er spürte in all seinen Knochen, dass bei ihr jetzt das Maß voll war. Hier ging es nicht um Unzucht, sondern Völlerei, und Gertraud war für die eine wie für die andere Sünde sehr anfällig.

»Sieh dir dat an!«, schrie die Müllerin und zerrte den Müller an den neuen Gesindetisch. »Dat wirft dein sauer verdientes Geld raus und lässt die Knechte fressen wie die feinen Herrn und dou, der Müller, kriegst so ein Fetzen?? Es dat recht getan? Dat et sich seine Freier mästet und mir sollen Hunger leiden? Undank es der Welten Lohn!«

Die Müllerin ließ sich nicht mehr bremsen, und die Knechte hatten Angst, dass sie ihnen in ihrer Rage den Teller wegnahm und sie gar nichts zu essen kriegten. Immerhin hatten sie den ganzen Tag Zäune repariert und Mühlsteine geklopft, den morschen Kännel mit frischem Holz ersetzt und die Mühle winterfest gemacht. Bald mussten sie daheim beim Holzhacken und Schlachten helfen, der Winter stand vor der Tür.

»Et es jo nur, weil die bald weiterziehen!«, rief Gertraud aufmüpfig.

»Un gib net immer Widerworte! Müller, dat frech Biest gibt mir immer Widerworte!«

Während sie Anstalten machte, erst den Müller und dann Gertraud zu verprügeln, nahm Karl heimlich sein Fleisch aus der Suppe und warf es hinter ihrem Rücken in den Holzteller des Müllers.

»Ihr wisst doch gar nit, wie gut ihr dat hier habt! Woanders fresst ihr alle aus einem Topf! Wie die Ferkel! Hier habt ihr Teller! Und Fleisch!! Und dann so frech sein und sich alle Freiheiten rausnehmen!!«

»Ei Müllerin«, sagte Karl, »guckt doch nochemol hin, der Müller hat doch dat größte Stück!«

Und als sich die Müllerin umdrehte und die Fleischstücke erneut verglich, war sie einen Augenblick stumm, während Gertraud sich die Hände auf den Mund presste und in ein Mordsgelächter ausbrach.

»Siehs dou, Müller, siehst dou dat?«, rief die Müllerin. »Dey machen sich noch lustig über meysch, und dou lässt die all mache und se hippen dir auf dem Kopp herum, dou Hanswurst!«

Und Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie rannte davon.

Der Müller war einen Augenblick ratlos, aber dass Magd und Burschen seine Frau veräppelten und ihr keine Ehre erwiesen, das konnte auch er nicht dulden.

»Wat müsst ihr die immer ärgern! Dat bin ich aach leid! Eysch werfen euch all zum Loch hinaus! Eysch will Frieden hier in meiner Mühle!«

»Wirf lieber deyn Frau raus, die macht immer en schebbes Maul!«, sagte Gertraud.

In diesem Augenblick gingen dem Müller die Gäule durch.

»Gertraud, dou Miststück, so kannsd dou doch net schwetzen, so en frech Säumensch.«

»Et ist halt von Hannebambels Schorsch! Dey sind all frech!«, weinte die Müllerin von nebenan. »Dumm un frech! Un stark!«

Die Burschen wagten nicht zu sprechen, während der Müller den Ochsenziemer holte und auf den Hauklotz zeigte, auf dem er Gertraud den Hintern versohlen wollte.

»Hau ihr den Arsch!«, rief die Müllerin.

Aber Gertraud wollte sich nicht bücken.

»Gertraud, dou warst wirklich frech, etz bück dich!«, flüsterte Pfillip!

»Hau drauf wie auf kalt Eisen!«, rief die Müllerin.

Aber Gertraud stand bockig an der Wand und schielte nach der Tür, durch die sie davonpreschen konnte. Der Müller musste jetzt zeigen, dass er nicht immer der Hanswurst war. Er musste seine Magd bestrafen.

»Halt et fest!«, rief er Karl und Jakob zu, und die beiden fürchteten um Gertrauds Hinterteil, das doch dem einen wie dem anderen gefiel und das sie schon in der Hand gehalten hatten, ein Abend dieser, ein Abend jener. Es wär doch zu schade, wenn dieser Hintern zuschanden käme! Was, wenn sie einfach abhauen würden?

Aber sie hatten noch nicht ihren Lohn empfangen, und ohne den wollten sie nicht gehen. Zaghaft fassten sie Gertraud am Arm und brachten sie doch nicht zum Hauklotz hin.

Da schoss die Müllerin aus dem Ern und riss dem Müller den Ochsenziemer aus der Hand.

»Wenn et de Arsch net hinhält, dann hau ich em int Gesicht! Dou Missgeburt!«

Und sie schlug zu, mit aller Gewalt; bevor Gertraud sich noch schützen konnte, troff ihr das Blut aus Mund und Wangen und sie taumelte rückwärts auf den Hackklotz.

»So«, sagte die Müllerin keuchend. »Jetz hälst dou endlich dein frech Maul.«

Nach einer elend langen Minute, in der keiner was sagen konnte und Gertraud nur ihre Schürze ans Gesicht presste, taumelte die Müllerin endlich rückwärts ins Schlafgemach und verriegelte die Tür.

»Ihr müsst all fort«, sagte der Müller. »De ganz Bagaasch. All raus hier. Off der Stelle.«

Er zahlte Karl und Jakob einen reichlichen Lohn und auch Gertraud drückte er einen Gulden in die Hand, denn immerhin hatte sie geschafft wie zwei Kerle und ihm jeden gemeinen Bauern vom Hals gehalten und ihn oft heimlich zum Lachen gebracht. Lachen und Fröhlichkeit würden mit ihr die Mühle verlassen. Doch wenn er alt werden wollte mit der Müllerin und seinen Frieden haben, dann musste Gertraud jetzt fort.

»Wo soll eysch dann hin?«, stammelte Gertraud mit ihren über und über blutenden Lippen. Der Müller kratzte sich am Kopf, eine weinende Gertraud konnte er gar nicht vertragen, dumm und frech gefiel sie ihm besser. Ja, wo sollte sie jetzt hin? Mit diesem zerschlagenen Gesicht konnte er sie nicht nach Scholmerbach bringen. Was würden die denken?

Man konnte sie nicht mit einem Balg heimbringen, aber auch nicht blutig und entstellt. Er grauste sich und betete zum Herrgott, dass sie wieder heilen wollte und nicht für ihr Leben gezeichnet war. Warum war er nicht vorher eingeschritten? Warum hatte er zugelassen, dass seine Magd die Frau reizte bis aufs Blut? Er war selber mit daran schuld.

»Eysch bringen deysch auf die Hardter Mühl«, sagte er. »Der Müller ist en gouter Mann, und er hat auf dem Hof en Fraa, die versteht sich auf Kräuter. Die wird dir das Gesicht wieder heilmachen. Un in Marmerich ist die Woche wieder Markt, da kann der Bader dir Tinktur geben, Marmerich ist weit genug weg … so bring...

Erscheint lt. Verlag 30.9.2020
Reihe/Serie Westerwald-Chronik
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 18. - 19. Jahrhundert • Apollonia • Armut ist ein brennend Hemd • Barockzeit / Absolutismus (17. / 18. Jh.) • Deutschland • Dialekt • Dorf • Dorfchronik • Dorfroman • Edgar Reitz • Finstermühle • Heimatliteratur • Heimatroman • Hunsrück • Koblenz • Limburg • Mundart • Platt • Räuber • Räuberkongress • Schinderhannes • Sonstige Belletristik • Taunus • Trilogie • wäller • Westerwald • Wetterau
ISBN-10 3-7325-9512-9 / 3732595129
ISBN-13 978-3-7325-9512-9 / 9783732595129
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