Rote Frauen (eBook)

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
224 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1923-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rote Frauen - Reinhard Rohn
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Ganz zufällig trifft er sie im Zug nach Köln. Die junge rothaarige Frau, die Michael Bacher an seine verstorbene Jugendliebe Marie erinnert. Vergeblich wartet er von nun an darauf, ihr erneut zu begegnen. Doch es müssen erst sieben lange Jahre vergehen, bevor er sie wiedersieht. Diesmal trägt sie jedoch eine Perücke und hält eine Waffe in der Hand. Michael ist fest entschlossen, sie nicht wieder entwischen zu lassen. Aber als er ihr ins Hotel folgt, ist es zu spät: Die schöne Rothaarige ist ermordet worden. Jetzt muß Michael schnell handeln, denn die Polizei ist hinter ihm her - und nicht nur die...



Reinhard Rohn wurde 1959 in Osnabrück geboren und ist Schriftsteller, Übersetzer, Lektor und Verlagsleiter. Seit 1999 ist er auch schriftstellerisch tätig und veröffentlichte seinen Debütroman 'Rote Frauen', der ebenfalls bei Aufbau Digital erhältlich ist.

Die Liebe zu seiner Heimatstadt Köln inspirierte ihn zur seiner spannenden Kriminalroman-Reihe über 'Matthias Brasch'. Reinhard Rohn lebt in Berlin und Köln und geht in seiner Freizeit gerne mit seinen beiden Hunden am Rhein spazieren.

 

1


Ich kann den Mond nicht sehen. Das ist das schlimmste, schlimmer noch als die Schlaflosigkeit und das Schweigen. Selbst wenn ich auf den einzigen Stuhl steige und mein Gesicht gegen das Glas presse, so entdecke ich kein Stück des Himmels. Meine Zelle liegt zu weit unten in diesem unförmigen Betonblock, und das vergitterte Fenster weist auf den Gefangenenhof hinaus. Nur wenn ich die Augen schließe und so, mit geschlossenen Augen, den Mond anrufe, kann ich ein sattes blaues Licht erahnen, das eine mondhelle, sternenklare Nacht verrät. Die Nächte im Oktober habe ich stets besonders geliebt. Nirgends im Jahr sieht man mehr Sternschnuppen, und zu keinem Zeitpunkt erzählt ein voller kalter Mond mehr von seinem Geheimnis. Wie kostbar ein Licht ist, sieht man in diesen matt silbrigen Mondnächten, wenn das Universum seine ganze Düsternis auf einen kleinen, unbedeutenden Planeten zu kippen scheint.

Der Mond hat mich schon als Kind getröstet, wenn ich hinter dem Schlachthaus saß und die Schreie der Schweine hörte. Manchmal habe ich mich geschämt, weil ich diese Schweine beobachtet hatte, wie sie fett und nichtsahnend über ihre Wiese liefen. Und da saß ich, hielt mir die Ohren zu und starrte den Mond an. Später bin ich seinem kalten Licht über leere Felder nachgelaufen. Und dann, wenn er stolz am Horizont stand, habe ich gemeint, er müsse nicht nur sein bläuliches Licht ausstrahlen, sondern auch eine Musik, seine Mondmusik, die wie ein kosmischer Walgesang durch das Universum wehte.

Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, dann müssen wir kurz vor Vollmond stehen.

Seit mehr als vier Wochen sitze ich in dieser mondlosen Zelle. Ich habe kaum etwas gegessen und wenig geschlafen, drei, vier Stunden in der Nacht vielleicht. Das genügt nicht, um sich auszuruhen, das genügt für ein paar traurige Träume. Dreimal bin ich in dieser Zeit von Ihnen verhört worden, Frau Kommissarin; und dreimal hat mich mein Anwalt besucht; er ist in dem engen, trostlosen Besprechungsraum auf und ab gegangen, hat Hosenträger getragen und geschwitzt, obschon es eher kalt war, und er hat mich gedrängt, endlich eine Aussage zu den Spuren zu machen, die ich im Zimmer der Toten hinterlassen habe. Ich bin ihm mit gleichgültigem Schweigen begegnet. Ich bin nicht der Mörder, für den man mich offenbar hält, aber ich will mich nicht so verteidigen, nicht mit Paragraphen und Gesetzestexten. Meine Geschichte ist eine mit vielen Irrtümern.

Frau Kommissarin, wenn der Mond in meine Zelle scheinen würde, wäre alles erträglicher. Ich würde mich gegen dreiundzwanzig Uhr ans Fenster stellen und an meinem Mondbuch schreiben, wie ich es seit über sieben Jahre zu tun pflege. Jeden Abend bin ich auf die Terrasse meiner Dachwohnung getreten und habe meine Beobachtungen über den Mond notiert. War er zu sehen? Schaute er zwischen zerrissenen Wolken hervor? In welcher Phase befand er sich? Stand er als zunehmender Mond östlich der Abendsonne? Oder würde man ihn erst vor Sonnenaufgang am Morgenhimmel sehen? Seit meinen Kindertagen hinter dem Schlachthaus bin ich auf eigentümliche Weise mondsüchtig. Der Mond sagt, daß es die totale, vollständige Dunkelheit nicht geben kann, deshalb kreist er um die Erde; ohne den Mond würde die Erde sich in unserem Sonnensystem verirren.

Ich habe sogar eine Nacht lang ernsthaft erwogen, ein Gesuch einzureichen: Verlegen Sie mich bitte in ein Zimmer mit Mondblick, und ich werde alles gestehen. Natürlich wäre so etwas lächerlich gewesen und hätte mir nur die Visite eines Psychologen oder die erhöhte Besorgnis meines Anwaltes eingetragen, also habe ich es gelassen und mich auf das verlegt, was ich sonst noch vermag, wenn ich ganz und gar mit mir allein bin. Ich höre Musik; zu meinem Bedauern nicht die Mondmusik meiner Kindheit, der Mond ist stumm. Nein, mein Kopf ist wie eine gigantische Empfangsanlage, in der ich alle Musiken gespeichert habe, die mich einmal angerührt haben. Ich kann wählen. Plötzlich höre ich mir alte Bruce-Springsteen-Stücke an, There’s a darkness at the edge of town, oder die ganz und gar unvergleichliche Stimme von Jackson Browne klingt in meinem Kopf. Er singt ganz allein, lediglich mit einem fernen Klavier im Hintergrund, und er singt so, als müsse er nur eine Kerze ins Flackern bringen. Aber auch Mozart liegt in meinem Kopf bereit, oder ich kann Beethovens Sechste, seine Symphonie des Frühlings, in der Zelle, die mein Kopf ist, erschallen lassen. Doch jede Musik bietet nur so lange Trost, solange sie erklingt, und danach kennt man die Tiefe von Schweigen und Alleinsein noch genauer.

Frau Kommissarin, auch wenn mein Schweigen es Ihnen nicht verraten hat – Ihre Besuche waren nie unwillkommen. Das liegt an Ihrem strengen Gesicht – ich mag strenge Gesichter –, an Ihrem roten Haar und Ihrem altertümlichen Parfüm. Das erste Mädchen, in das ich mich verliebte, benutzte schon dieses Parfüm. Musik und solche Wohlgerüche haben viel gemeinsam; sie umhüllen einen, verdrehen einem die Sinne und verändern einen für Momente. Ich glaube, ich habe deshalb nie richtig lieben können, weil mir Musik und Gerüche stets viel zuviel bedeuteten, weil ich immer nur den Moment suchte und niemals die Dauer.

Die Geschichte, Frau Kommissarin, die ich Ihnen jetzt erzähle und für die Sie ein wenig Geduld brauchen, begann vor sieben Jahren als eine kleine, scheinbar unbedeutende Episode. Ich war dreißig. Ich hatte mich wie viele Menschen in diesem Alter an meine innere Leere gewöhnt. Ich verdiente genug Geld, um mir ein paar schlechte Angewohnheiten leisten zu können. Ich trank schon damals zu viel und pflegte dann an teuren Hotelbars einen gewissen trunkenen Zynismus.

Es geschah an einem gewöhnlichen Morgen, kühl und regnerisch und voller Schweigen. Ich habe das Autofahren nie erlernt, es fordert mir zuviel ab, denn ich mißtraue jeder Geschwindigkeit. Daher benutzte ich wie gewöhnlich die S-Bahn und las einen schlechten Roman. Schlechte Romane sind meine Spezialität, aber das wissen Sie vermutlich längst, Frau Kommissarin. Als ich zufällig beim Umblättern einer Seite aufblickte, fingen meine Augen etwas ein: das schöne strenge Gesicht einer Frau, die nicht hier in diesen Zug gehörte. Diese Frau durchbrach das Gesetz eines grauen deutschen Morgens, nicht weil sie besonders bunt oder auffällig gekleidet war, sondern weil sie ein Licht verstrahlte wie ein kalter, ferner Silbermond. Müde sah sie aus, gähnte ein-, zweimal und strich sich anmutig ihre roten Locken zurück. Sie trug eine runde Metallbrille, wie sie vor ein paar Jahren modern gewesen war, und auf ihrer Nase schienen winzige Sommersprossen zu tanzen. Sie war die faszinierendste Frau, die ich jemals gesehen hatte, und sie konnte nicht so namenlos dasitzen zwischen all den gleichgültigen Gesichtern. Ich suchte sofort in meinem Gedächtnis nach einem geeigneten Namen. Noch nie war ich versucht gewesen, einer Reisenden in einem Zug einen Namen zu geben, und so fiel es mir nicht besonders leicht. Es durfte auch kein gewöhnlicher Name sein. Ein einfacher, aber klingender Name wird am besten zu ihr passen, dachte ich mir. Ich probierte ein paar Namen aus: Sabine, Marie und Hanna. Aber keiner dieser Namen gehörte zu ihr.

Dann, während sie einen Reisekatalog über Italien herausholte und studierte, flog ein Name auf mich zu. Eliza.

Sie hieß Eliza.

Ich ahnte damals natürlich nicht, daß diese Frau, die ich Eliza nannte, ein Wesen der vielen Namen war, daß sie zu gewissen Zeiten ihren Namen mit jedem Monat, jedem Jahr gewechselt hatte. Auch als ich ihren ersten, wahren Namen erfuhr, blieb sie für mich immer Eliza.

Ich behielt Eliza im Auge, unauffällig und verstohlen, aber immer wieder schaute ich in ihre Richtung. Und einmal, als sie scheinbar gedankenverloren von ihrem Reisekatalog aufsah, versuchte ich ihren Blick einzufangen. Kann ein einziger Blick ein Abenteuer sein? Ich hoffte jedenfalls, daß sie mich sah, daß ihre Augen beim Umherschweifen eine Sekunde innehielten. Eliza sollte erkennen, daß ich etwas Besonderes war. Ich war nicht so wie die anderen, die um mich herumsaßen und sich gleichgültig zu ihrer ebenso gleichgültigen Arbeit fahren ließen.

Aber nichts geschah. Elizas Blick glitt über mich hinweg, als wäre ich gar nicht vorhanden.

Dreißig Minuten währte die Bahnfahrt, die ich jeden Morgen hinter mich bringen mußte. Was kann man in dreißig Minuten über eine stumme Mitreisende erfahren? Ich versuchte mir Elizas Gesicht einzuprägen. Die Form ihres Mundes, die Bewegung ihres Ringfingers, wenn sie sich die Brille ein wenig zurechtschob, oder wie sie einen Finger anfeuchtete, als sie im Katalog blätterte. Überhaupt der Katalog! War sie doch nur eine gewöhnliche Frau, die sich auf ihren Urlaub freute: zweimal im Jahr zum Mittelmeer oder in die Karibik fliehen, um richtig zu leben? Nein, so eine Frau konnte Eliza nicht sein. Sie war eine Frau mit einem Geheimnis, nicht irgendeine Sekretärin oder Arzthelferin, die stets nur an die nächste Urlaubsreise dachte.

Und ihre Augenfarbe? Plötzlich kam mir der Gedanke, daß zu einer wunderbaren Frau auch eine ungewöhnliche Augenfarbe gehörte. Angestrengter und auffälliger blickte ich zu ihr hinüber. Hatte sie blaue Augen, oder waren sie vielleicht grün? Da sie mir nicht direkt gegenübersaß, konnte ich es nicht herausfinden; ich bemerkte aber ein kleines Muttermal unterhalb ihres rechten Ohres und eine gewisse Rötung am Hals. Kam sie gerade aus dem Bett eines anderen Mannes?

Kaum zehn Minuten war ich zusammen mit einer unbekannten Frau in einem schmutzigen, stickigen Großraumwaggon, und schon erfand ich eine Welt um sie herum: Ich erfand einen...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Erinnerungen • Geheimnis • Jugendliebe • Mord • Verfolgung
ISBN-10 3-8412-1923-3 / 3841219233
ISBN-13 978-3-8412-1923-7 / 9783841219237
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