Sechzig ist das neue Vierzig (eBook)

Selbst-Entfaltung für die Frau in den besten Jahren

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Aufl. 2020
255 Seiten
Lübbe Life (Verlag)
978-3-7325-8655-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sechzig ist das neue Vierzig - Lotte Kühn
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Endlich 60! Die Kinder sind groß, die Wechseljahre vorbei, Ehemänner und Freundinnen noch am Leben, die Hypotheken abbezahlt und die Zipperlein noch beherrschbar. Und Falten? Ach Gott, wer hätte die nicht! Besser wird´s nicht - ein Grund mehr, überraschende Glücksmöglichkeiten, kostbare Freiheiten und neue Freuden zu erkunden. Lotte Kühn begibt sich auf Selbst- und Welterkundung, mit Witz, Selbstironie und ausreichend Piccolos. Denn fest steht: Altern ohne Humor ist tödlich.

Alle Jubeljahre


Die Einladung zum Klassentreffen im Spätsommer, die eines Tages in meinem Maileingang landete, kam etwas überraschend, was aber vor allem daran lag, dass ich die »Save the date«-Mail im Frühjahr gleich wieder vergessen hatte. Noch überraschender war die Behauptung, es sei jetzt vierzig Jahre her, dass wir unser Abiturzeugnis in Empfang genommen hätten. Unterzeichnet war das Ganze von einem »Orga-Team«: drei Vornamen mit mir gänzlich unbekannten Nachnamen.

Auf der Adressliste im Anhang stehen hinter den Nachnamen andere Namen in Klammern, und mir geht ein Licht auf: Die Mädchen von damals haben natürlich alle geheiratet und segeln als erwachsene Frauen unter fremder Flagge durchs Leben. Angela, natürlich! Gabi, klar! Ulrike! Wie von ferne klingelt da was, und sei es auch nur, dass solche Namen das Alter und damit das Abitur vor vierzig Jahren beweisen. Aus diesem Grund wollen wir feiern, und zwar ein ganz großes Wiedersehen, so heißt es weiter, und weil wir damals wegen des Kurssystems keine Klassengemeinschaft aufbauen konnten, soll sich jetzt doch gleich der ganze Jahrgang treffen: neunundsiebzig Ehemalige, die 1979 Abi gemacht haben.

Später am Telefon erzähle ich meiner Tochter Charlotte, dass ich zum vierzigsten Jahrestag eingeladen sei und nicht wüsste, was ich da sollte. Weil ich Jahrestage, Jubiläen und Gedenkveranstaltungen nicht leiden kann, und wenn ich doch dort hinführe, würde ich dort Mitschüler von damals treffen, deren Namen ich längst vergessen hätte.

Und was sagt sie dazu? »Cool, und alle noch am Leben?«

Vor Schreck bleibe ich die Antwort schuldig. Ja, was wäre, wenn wir da zusammenkämen und Ausschau nach besten Freundinnen, heißen Flirts, gemeinen Petzen, Kumpels, verklemmten Strebern, süßen Jungs und tollen Typen von damals hielten und spekulierten, ob sie wohl noch kämen? Und wenn wir dann erfahren würden, dass sie gestorben sind? Schon tot sind?? Prompt zünden alle meine Fluchtreflexe auf einmal: Das tue ich mir nicht an.

Obwohl: Zeit hätte ich ja. Nur keine Lust. Aber vielleicht wäre es wirklich interessant, sich wiederzusehen. Immerhin liegt eine gute Strecke Leben zwischen dem letzten Schultag und diesem Klassentreffen, die so oder so verlaufen ist, nachdem wir alle vom gleichen Punkt aufgebrochen sind. Soll ich oder soll ich nicht? Eigentlich wollte ich die Einladung hochnäsig ablehnen, weil ich Besseres zu tun habe, als früheren Zeiten hinterherzuweinen und in Erinnerungen zu schwelgen. Doch jetzt auf einmal rumpeln verstreute Reste in meinem Kopf herum. Gesichter tauchen auf und wieder unter, Gerüche, Szenen auf dem Schulhof und im Klassenzimmer, all die geschwänzten Stunden im Stehcafé in der Bahnhofstraße. Vereinzelte Partyfetzen irrlichtern durch meine Gedanken. Die Langeweile im Matheunterricht und der breite Kegel des schräg durchs Fenster einfallenden Sonnenlichts, in dem die Staubkörner tanzten – plötzlich sind die Erinnerungen wieder zum Greifen nah. Was wohl aus dem blonden Typen mit den strahlend blauen Augen und dem rotzfrechen Lachen geworden ist? Wie hieß der noch gleich?

Mit Namen ist es ganz entsetzlich. Das macht mir manchmal richtig Angst. Wo sind bloß die ganzen Namen geblieben? Springen sie einfach aus unseren Köpfen und sehen dann von außerhalb vergnügt zu, wie wir in Verlegenheit geraten, uns abmühen und im Trüben fischen? Und ist das der Anfang von etwas, das noch viel schrecklicher werden kann?

Mach mal halblang, rede ich mir gut zu. Auch andere Lebensalter haben ihre Probleme. Niemand würde ein durchschnittliches Teenagerverhalten als Muster an Besonnenheit, Nachdenklichkeit und Ausgewogenheit bezeichnen. Aber manchmal kommt es mir so vor, als wären meine Veränderungen im Dachstübchen etwas anderes, jedenfalls was mein Erinnerungsvermögen und die Konzentration angeht. Schon wenn mir jemand etwas Neues erzählt, denke ich daran, dass ich das Gesagte wahrscheinlich morgen schon vergessen haben werde: Oder ich verlasse mich blind darauf, dass meine Freunde hin und wieder meine Gedanken wie ein verloren gegangenes Kind im Kaufhaus an die Hand nehmen und zu ihrem Ausgangspunkt zurückführen. Worüber habe ich gerade geredet?

Ich hasse Jubiläen, Gedenktage und diese ganzen schalen Versatzstücke kollektiver Erinnerung. Nie wieder vergessen, das sagen und schreiben deutsche Politiker von Montag bis Samstag routiniert, während es doch immer wieder passiert. Dieses rührselige Zurückgeschaue, das Greinen über all die Jahre, die nun schon ins Land gegangen sind, der peinliche Stolz, mit dem Jahreszahlen wie Landmarken in erobertem Territorium präsentiert werden – nee, das ist meine Sache nicht. Das sind alles nur Vorwände, um sich aus der Gegenwart zu schleichen und die Zumutungen der Verantwortung für das eigene Tun zu schwänzen. Schlecht verhohlene Ausflüchte, um aus der Gegenwart zu flüchten und in die Vergangenheit abzutauchen, die dann noch dazu hemmungslos als die bessere Zeit imaginiert werden darf. Wer wagt schon zu widersprechen? Ausstehen konnte ich diese Jahrestage noch nie, erst recht nicht die mahnend mit gerecktem Zeigefinger ausgesprochenen Aufforderungen, dies oder jenes niemals zu vergessen.

Kommentar Willy Brandt: Die Zukunft wird nicht gemeistert von denen, die am Vergangenen kleben. Es kann doch ganz schön sein, vor allem die schlechten Dinge zu vergessen oder wenigstens nicht täglich wieder von Neuem herunterzubeten. Die Neigung, sich ablenken zu lassen oder zu vergessen, kann im richtigen Zusammenhang, zur rechten Zeit großartige Folgen haben: Wer die Gemeinheiten der anderen einfach vergisst, kann gar nicht nachtragend sein und wandelt ganz von selbst auf den Pfaden von Freundlichkeit und Milde.

Auch verrät eine ausgeprägte Fähigkeit zum Tagträumen nicht einen untätigen, sondern einen abschweifenden Geist, der seltsame Dinge auf neue Weise verknüpft – anderswo Kreativität genannt, auf die man im Hamsterrad der Jahre zwischen dreißig und fünfzig vergeblich wartet. In jenen Jahren, in denen man damit beschäftigt ist, seinen Platz im Leben und in der Gesellschaft zu finden.

Neuerdings passiert etwas ziemlich Spannendes in meinem Kopf, das ich von früher nicht kenne. Wenn ich einem scheinbar schwierigen Problem gegenüberstehe, wird der anstrengende Prozess, eine Lösung zu finden, häufig auf irgendeine Weise umgangen und wie durch Zauberei unnötig gemacht. Die Lösung kommt mühelos, übergangslos, scheinbar wie von selbst. Ich habe offenbar an augenblicklicher, fast unfair einfacher Eingebung gewonnen. Handelt es sich vielleicht um dieses geschätzte Attribut des Alterns, diesen rätselhaften Stoff, den man Weisheit nennt? Ich kann’s gar nicht abwarten. Mehr davon! Ein älteres Gehirn braucht unter Umständen länger, um neue Informationen aufzunehmen und anzuwenden. Hat es aber mit Informationen zu tun, die in irgendeiner Hinsicht mit Bekanntem in Verbindung stehen, dann funktioniert das Gehirn im mittleren Alter schneller und klüger: Es macht Muster aus und springt an das Ende der logischen Kette. Und auch das: Neuerdings langweile ich mich furchtbar schnell bei fast allem, was mir früher mal auf- oder wenigstens anregend vorkam. Heute fragt mein Kopf ständig: Was gibt’s Neues? Das könnte doch ein Schlüssel zur Erneuerung sein … Nicht vergessen, stemple ich auf meine Gedanken und klebe ein Post-it dran: unbedingt wieder aufgreifen.

Der Blick zurück hingegen kann gefährlich sein, wie die Geschichte von Lots Frau über die Zeiten hinweg erzählt. Gott trug ihr auf, mit ihrer Familie aus ihrer zerstörten Stadt zu fliehen und sich dabei nicht umzuschauen. Sie gehorchte nicht, schaute zurück – und erstarrte zur Salzsäule.

Vom gebotenen Blick nach vorn erzählt auch die Geschichte von Orpheus und Eurydike. Orpheus vertut seine einzige Chance, auf dem Weg aus der Unterwelt in die Oberwelt seine Geliebte ins Leben wieder mitnehmen zu dürfen. Er verliert die Zuversicht und das Vertrauen, dass sie ihm folgt, und dreht sich um. Damit hat er sie verloren. Selbst schuld, dass er die zweite Chance mit Eurydike vermasselt hat.

Woher also kommt eigentlich der Hype des Erinnerns, der den schlechten Ruf des Vergessens begründet? Die Tätigkeit des Erinnerns wird deutlich überbewertet. Könnte es womöglich sein, dass nicht das Vergessen, sondern das zwanghafte Erinnern die eigentliche Geisteskrankheit ist? Unser Gehirn muss Dinge loswerden, damit es nicht überläuft. Die wenigen Menschen, von denen es heißt, sie konnten nichts vergessen, wurden regelmäßig verrückt. Unser Gehirn ist dazu eingerichtet, Prioritäten zu setzen und unwichtige Dinge auszufiltern. »Vergesslichkeit ist keine Krankheit des Gedächtnisses, sondern eine Voraussetzung für seine Gesundheit«, schrieb im Jahr 1882 der französische Philosoph Théodule Ribot. Aber damals gab es ja auch noch kein Alzheimer-Gespenst, mit dem wir uns gegenseitig erschrecken konnten. Und so erinnern wir uns auf Teufel komm raus, feiern Jahrestage und erinnern uns sogar an Ereignisse, die genau genommen gar nicht stattgefunden haben: Am 8. Januar wäre Elvis Presley fünfundachtzig Jahre, einen Tag später wäre Rio Reiser siebzig Jahre und am 2. Juni wäre Marcel Reich-Ranicki hundert Jahre alt geworden. Im Jahr 2020 jährt sich der Todestag von Leif Eriksson zum tausendsten, der von Raffael zum fünfhundertsten und der des Barons Münchhausen zum dreihundertsten Mal. Praktisch jeder Tag des Jahres gibt uns zu was zum Gedenken: Tag der Jogginghose (21.1.), Tag der scharfen Saucen (22.1.), Thinking Day der Pfadfinder (22.2.), 100. Jahrestag der Gründung der NSDAP (24.2.), Jahrestag des Kompliments (1.3.), Frauentag (8.3.), Weltnierentag...

Erscheint lt. Verlag 28.8.2020
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga Humor / Satire
Schlagworte 60.Geburtstag • Alter • Alter Mann • Altern • Attraktivität • bessere Hälfte • Cartoon • Culture Clash • Europa • Frauen reden • Freundin • Freundinnen • Geburtstag • Geburtstagsgeschenk • Geburtstagsgeschenk für die Freundin • Geschenk • Geschenkbücher • Geschichte • Gleitsichtbrille • Graue Haare • Haarausfall • haha • Havelland • Hörgerät • Horoskop • Horoskope • Humor • humorvoll • Kabarett • Kabarettist • Komisch • Körper • Lebenshälfte • Leeres Nest • Leonard Cohen • Lesebrille • lustig • lustiges Sachbuch • Sampler • Satire • Schwarzer Humor • Selbstverwirklichung • Spiegel Online • Sportschau • Sternzeichen • Unterhaltung • Wechseljahre • witzig • witzige Bücher
ISBN-10 3-7325-8655-3 / 3732586553
ISBN-13 978-3-7325-8655-4 / 9783732586554
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die lustigsten Patientengeschichten. Das Buch zum Podcast. Von …

von Ralf Podszus

eBook Download (2022)
riva (Verlag)
12,99