Wenn die Wahrheit stirbt (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
Goldmann Verlag
978-3-641-27563-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wenn die Wahrheit stirbt - Deborah Crombie
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Ein raffinierter, typisch englischer Krimi über Verrat und Betrug
London: Der Psychotherapeut Tim Cavendish ist besorgt, da sein Patient, der Rechtsanwalt Nazir Malik, nicht zur vereinbarten Sitzung erschienen ist. Vor einigen Wochen war Nazirs Frau spurlos verschwunden, und der Rechtsanwalt stand längere Zeit unter Verdacht, ihr etwas angetan zu haben. Als kurz darauf seine Leiche gefunden wird, übernimmt Superintendent Duncan Kincaid den Fall. Handelt es sich um Selbstmord? Oder wurde Nazir ermordet? Gemeinsam mit seiner Frau Inspector Gemma James kommt Duncan einem grausamen Geheimnis auf die Spur ...

Deborah Crombies höchst erfolgreiche Romane um Superintendent Duncan Kincaid und Inspector Gemma James von Scotland Yard wurden mit dem »Macavity Award« ausgezeichnet und für den »Agatha Award« und den »Edgar Award« nominiert. Die Autorin lebt mit ihrer Familie im Norden von Texas, verbringt aber viel Zeit in England, wo ihre Romane angesiedelt sind.

Prolog


Umbra sumus – »Wir sind Schatten«

 

Inschrift auf der Sonnenuhr der ehemaligen Hugenottenkirche in der Brick Lane, der heutigen Jamme-Masjid-Moschee

Der Sonntag begann wie jeder normale Sonntag, nur mit dem Unterschied, dass Sandras Mann Naz in seine Rechtsanwaltskanzlei gegangen war, um ein paar Stunden zu arbeiten – eine für ihn ungewöhnliche Abweichung von den ungeschriebenen Familiengesetzen.

Sandra war anfangs ein wenig verärgert gewesen, hatte dann aber beschlossen, die Zeit für eines ihrer eigenen Projekte zu nutzen. Nachdem sie gefrühstückt und die Hausarbeit erledigt hatte, war sie deshalb mit Charlotte in ihr Atelier im obersten Stock des Hauses hinaufgegangen.

Dort arbeitete sie zwei Stunden lang und trat dann mit kritischer Miene von den Textilmustern zurück, die sie an den mit Musselin bespannten Rahmen geheftet hatte. Die sorgfältig zugeschnittenen, einander überlappenden Stofffetzen setzten sich zu einem Kaleidoskop von Bildern zusammen, sodass auf den ersten Blick der Eindruck eines abstrakten Kunstwerks entstand. Erst bei genauerem Hinsehen traten die Umrisse von Straßen und Gebäuden zutage, von Menschen, von Vögeln und anderen Tieren – alle in irgendeiner Weise symbolisch für die Geschichte und Kultur des Londoner Viertels, in dem Sandra lebte: das East End, speziell die Brick Lane und die umliegenden Straßen.

Schon als Kind hatte Sandra ihre Vorliebe für schöne Stoffe entdeckt. Damals hatte sie an einer Marktbude in der Brick Lane eine zerschlissene Patchworkdecke erstanden. Zusammen mit ihrer Oma hatte sie die komplizierten Muster bewundert und gerätselt, welche Stücke wohl von der besten Schürze irgendeiner Tante Mary stammen mochten, welche vom Sonntagskleid eines kleinen Mädchens und welche vom ausrangierten Pyjama irgendeines Onkel George.

Diese Leidenschaft hatte sowohl die Kunsthochschule überlebt als auch den Druck, sich der Shock-Art-Welle anzuschließen. Sandra hatte Zeichnen und Malen gelernt, und nach und nach hatte sie diese Fertigkeiten auf ihre eigene Technik übertragen, die sie immer noch als ein »Malen mit Stoff« begriff. Doch anders als Farbe war Stoff ein greifbares, dreidimensionales Material, und die Arbeit damit faszinierte sie heute noch genauso wie damals, als sie noch sehr zögerlich ihr allererstes Werk geschaffen hatte.

Heute jedoch war irgendetwas nicht so, wie es sein sollte. Die Arbeit hatte nicht die emotionale Strahlkraft, die Sandra anstrebte, und sie kam einfach nicht dahinter, was daran nicht stimmte. Sie veränderte hier eine Farbe und dort ein Muster, trat wieder zurück, um das Ergebnis aus einer anderen Perspektive zu betrachten, und runzelte erneut die Stirn. Der dunkle Backstein der georgianischen Stadthäuser bildete den Rahmen für eine Kaskade aus Farbe – es mochte die Fournier Street sein, oder auch die Fashion Street, in der die Frauen in ihren langen Kleidern auf und ab spazierten und kunstvoll gearbeitete Eisenkäfige hoch hielten. Doch in den Drahtkäfigen saßen keine Vögel, sondern die Gesichter von Frauen und Kindern, manche dunkler, manche heller, das eine oder andere umrahmt vom traditionellen Hidschab der Muslimas.

Das Licht der Vormittagssonne strömte durch die großen Atelierfenster des Speichers herein. Im Winter war die Wärme ein Segen – wenn auch nicht unbedingt jetzt, Mitte Mai –, aber es war die Klarheit des Lichts, die sie an diesem Ort von Anfang an fasziniert hatte, und diese Faszination empfand sie noch heute, auch dann, wenn es mit der Arbeit einmal nicht so gut voranging.

Sie und Naz hatten das Haus in der Fournier Street vor über zehn Jahren gekauft, als sie gerade frisch verheiratet waren, und sie hatten die feuchten Wände, den bröckelnden Putz und die primitiven Sanitärinstallationen in Kauf genommen, weil Sandra sofort erkannt hatte, was sich aus dem Raum machen ließe, der jetzt ihr Atelier war. Und sie hatten es sich mit Naz’ Einkommen als Anwalt leisten können, zu einer Zeit, als Sandra noch an der Kunsthochschule studierte. Sie hatten viel Arbeit hineingesteckt und einen Großteil der Reparaturen selbst durchgeführt, um das Haus nach ihren Vorstellungen einzurichten, ohne zu ahnen, dass ihre Immobilie wenige Jahre später eine wahre Goldgrube sein würde.

Die Stadthäuser in der Fournier Street stammten nämlich aus der georgianischen Epoche. Im achtzehnten Jahrhundert waren sie von französischen Seidenwebern erbaut worden – Hugenotten, die im Londoner Stadtteil Spitalfields Zuflucht vor der Verfolgung im katholischen Frankreich gesucht hatten. Eine Zeitlang hatten die Geschäfte der Weber floriert; das Rattern ihrer Webstühle hatte die weitläufigen Dachböden erfüllt, während die Frauen in ihren Kleidern aus glänzendem Taft sich auf den Veranden versammelten. Ihre Kanarienvögel sangen dazu in den Käfigen, die die feinen Damen als Statussymbole bei sich trugen.

Aber dann bedrohte die billig aus Indien importierte Baumwolle die Existenz der Weber, und die Erfindung des mechanischen Webstuhls versetzte ihrem Gewerbe den Todesstoß. Neue Wellen von Einwanderern waren auf die Hugenotten gefolgt – Juden, Iren, Bangladeschis und Somalis –, doch an den wirtschaftlichen Erfolg der Hugenotten hatten sie alle nicht anknüpfen können. Und so waren deren Häuser langsam, aber sicher verfallen.

Bis heute. Trotz der Rezession wuchs die City unaufhörlich weiter nach Osten, streckte bereits ihre Finger nach Spitalfields aus und brachte eine neue Welle von Einwanderern mit sich. Nur dass es sich bei diesen Immigranten um Yuppies mit fetten Brieftaschen handelte, die sich die Wohn- und Lagerhäuser des alten East End unter den Nagel rissen und die einkommensschwächeren Bewohner verdrängten. Denn die Gegenwart ließ sich nicht ohne die Vergangenheit denken und die Vergangenheit nicht ohne die Gegenwart. So war es immer gewesen, und es kam Sandra vor, als gelte dies ganz besonders für das East End, wo die Jahre sich Schicht um Schicht übereinanderlegten wie die Stoffe auf ihrem Rahmen.

Sandra seufzte und rieb das Stück pfauenblauen Taft zwischen den Fingern, während sie überlegte, welchen Platz es im Gesamtentwurf ihrer Collage einnehmen sollte. Veränderungen waren unvermeidlich, dachte sie. Sie hatte inzwischen Freunde auf beiden Seiten der ökonomischen Kluft – und wenn sie es jemandem verdankte, dass sie als Künstlerin ihren Lebensunterhalt verdienen konnte, dann waren es diejenigen am oberen Ende der Einkommensskala.

Ihr Blick ging zu dem Berg von Stofffetzen unter dem Flügelfenster des Speichers. Charlotte hatte sich in den Haufen aus Seide und Tüll gekuschelt, angezogen von dem wärmenden Sonnenlicht wie eine Katze. Dorthin hatte sie sich verzogen, nachdem ihr die ausgedehnte, einseitige Unterhaltung mit ihrem Lieblings-Stoffelefanten irgendwann langweilig geworden war – mit Puppen konnte Charlotte nichts anfangen, genauso wenig wie damals ihre Mutter.

Und ihre kleine Tochter war auch anmutig wie eine Katze, dachte Sandra – selbst wenn sie so mit dem Daumen im Mund schlief. Mit ihren zweieinhalb Jahren war Charlotte eigentlich fast schon zu alt, um noch am Daumen zu lutschen, aber es widerstrebte Sandra, ihrem frühreifen Kind auch noch diese letzte beruhigende Angewohnheit aus ihren Babytagen zu nehmen.

Sandras Frust über die unvollendete Collage war für den Augenblick vergessen, als sie sich spontan einen Skizzenblock und einen Bleistift vom Werktisch griff und rasch die Umrisse des Stoffbergs skizzierte, die Scheiben des Speicherfensters, die geschwungene Linie von Charlottes kleinem Körper in Latzhose und T-Shirt, das zarte, leicht stupsnasige Gesichtchen, umrahmt von der üppigen karamellfarbenen Lockenpracht.

Die Skizze schrie geradezu nach Farbe, und Sandra tauschte ihren HB-Bleistift gegen eine Handvoll Buntstifte ein, die sie aus einem angestoßenen Becher fischte – ein Souvenir zum silbernen Thronjubiläum der Queen, das sie auf dem Flohmarkt ergattert und wegen des falsch geschriebenen Namens des Herzogs von Edinburgh als Kuriosität aufgehoben hatte.

Rot für die Latzhose, Rosa für das T-Shirt, leuchtende Blau- und Grüntöne für die wallenden Seidenstoffe, ein warmes Braun für das glänzende Parkett.

Gedankenverloren wandte sie sich wieder der Seide zu, versuchte die verschwommene Erinnerung an ein kompliziertes Seidenmuster, das sie irgendwo gesehen hatte, auf das Papier zu übertragen. Es war Sari-Seide gewesen – wie die, die den Boden ihres Ateliers bedeckte, jedoch mit einem ungewöhnlichen Muster: winzig kleine Vögel, von Hand in den apfelgrünen Stoff gewebt. Sie hatte das Mädchen, das den Sari trug, gefragt, woher sie ihn habe, und die Kleine hatte leise und in stockendem Englisch geantwortet, dass ihre Mutter ihn ihr geschenkt habe. Doch als Sandra sie gefragt hatte, ob ihre Mutter den Stoff hier in London gekauft habe, war das Mädchen verstummt und hatte verängstigt gewirkt, als fürchtete sie, etwas Verbotenes gesagt zu haben. Und bei Sandras nächstem Besuch war die Kleine verschwunden.

Sandra zog die Stirn in Falten, als sie sich an die Szene erinnerte, und Charlotte regte sich, als spürte sie die Unruhe ihrer Mutter. Sandra fürchtete, dass sie die Gelegenheit verpassen könnte, das Bild einzufangen, und so griff sie rasch nach ihrer Kamera und drückte auf den Auslöser. Dann ließ sie sich die Aufnahme anzeigen und nickte, als sie Charlottes schlafendes Gesicht sah,...

Erscheint lt. Verlag 28.8.2020
Reihe/Serie Die Kincaid-James-Romane
Die Kincaid-James-Romane
Übersetzer Andreas Jäger
Sprache deutsch
Original-Titel Necessary as Blood
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte eBooks • Krimi • Kriminalromane • Krimi Neuheit 2020 • Krimis • Sommer • Strand • Urlaub
ISBN-10 3-641-27563-6 / 3641275636
ISBN-13 978-3-641-27563-1 / 9783641275631
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