Frauenbewegung und Feminismus (eBook)

Eine Geschichte seit 1789

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2020 | 4. Auflage
144 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75811-9 (ISBN)
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Beginnend mit dem Aufbruch der Frauen 1789 stellt dieses Buch die Geschichte der Frauenbewegung bis heute vor: den Anfang organisierter sozialer Bewegungen nach der 1848er Revolution; die Höhepunkte ihres öffentlichen Wirkens um 1900; den Aufstieg von Frauen zu gleichberechtigten Staatsbürgerinnen nach dem Ersten Weltkrieg; den Aufbruch zu einem «neuen» Feminismus nach 1970; und schließlich die Situation der Frauen und des Feminismus sowie die Veränderung der Geschlechterverhältnisse seit der Jahrtausendwende.

Ute Gerhard, em. Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Geschlechterforschung, war die erste Inhaberin eines Lehrstuhls für Frauen- und Geschlechterforschung in Deutschland.

1. Zeitenwende in den Geschlechterbeziehungen: Die Französische Revolution

Die Ereignisse um das Jahr 1789, vor allem die Reaktionen und die Erschütterung, die diese Ereignisse in Europa, in der Alten und Neuen Welt auslösten, kennzeichnen die Französische Revolution als Zeitenwende. Sie stellte, anders als die amerikanische Unabhängigkeitserklärung mit der Erklärung der Menschenrechte von 1776, in der es vorrangig um die Unabhängigkeit vom englischen König, d.h. um Volkssouveränität und die Gründung der Vereinigten Staaten ging, die Grundfesten der gesamten bisherigen Weltordnung in Frage. In nur wenigen Schritten und Verfassungsakten beseitigte sie den Feudalismus, seine ständische Gesellschaftsstruktur und den Absolutismus des Ancien Régime. Auch die Ordnung der Familie und die Beziehungen zwischen den Geschlechtern wurden vom Strudel des Umsturzes und der Befreiung erfasst. Damit aber, so empfanden es die Zeitgenossen, wurde eine ganze Zivilisation bis in ihre häuslichen Fundamente erschüttert.

Die grundlegende Infragestellung der traditionellen Geschlechterbeziehungen und die veränderte, ungewohnte Rolle der Frauen waren nicht nur eine Folge revolutionärer Umwälzungen – im Sinne von betroffen sein oder mitgerissen werden. Vielmehr bestand das Neue gerade darin, dass der «allgemeine» Wille, die Welt von Grund auf zu erneuern, eine neue Form der Öffentlichkeit schuf, d.h. einen politischen Raum, in dem Männer und Frauen der verschiedenen Schichten des Volkes agieren, ihre Stimme erheben und intervenieren konnten. Darunter waren nun nicht nur Frauen aus den untersten Schichten des Volkes, nicht nur die «Marktfrauen und Fischweiber», sondern auch Frauen bürgerlicher Herkunft und Aristokratinnen. Wenn schon die Hungerunruhen und Agrarrevolten unter dem Ancien Régime ein typisch weibliches Aktionsfeld waren, so ging es bei dem Marsch der Pariserinnen am 5. und 6. Oktober 1789 von Paris nach Versailles um mehr als den Kampf ums alltägliche Brot. Ziel der ersten Massendemonstration von etwa 8000 bis 10.000 Frauen, die schließlich auch von 20.000 Männern der Nationalgarde, der neuen Bürgermiliz, eskortiert wurden, war es, die königliche Familie und die in Versailles tagende Nationalversammlung in die Hauptstadt und damit ins Zentrum der Revolution und des Volkswillens zurückzuholen, nicht zuletzt um den König zu kontrollieren und zu zwingen, die Abschaffung der Feudalität und die am 26. August 1789 verkündete Erklärung der allgemeinen Menschenrechte zu unterschreiben.

Mit dem Marsch am 5. Oktober 1789 nach Versailles – einer Intervention, die die Beschlüsse der Nationalversammlung umsetzen sollte – haben die Frauen das Recht auf Teilnahme am öffentlichen Leben nicht nur gefordert, sondern bereits ausgeübt (Petersen 1987, 13). Dieser «Tag der Weiber» sollte in die Geschichte eingehen und hat doch zugleich das Bild der Frauen in der Französischen Revolution eher verdunkelt und verzerrt (nachzulesen insbesondere bei Michelet 1913, zuerst 1854). Das Klischee der «Weiber, die zu Hyänen» wurden (Schiller), d.h. vulgär und zügellos, mit Spitzhacken und Gewehren ausgerüstet, ja in Männerkleidern der Revolution zum Durchbruch verhalfen, machte von da an die Runde und grub sich zur Denunziation jeglicher weiblicher Mitwirkung in der Politik in das historische Gedächtnis ein. Dabei war für Frauen, solange es keine Beteiligungsrechte gab, die Regel- und Formverletzung die einzige Möglichkeit, sich Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das gilt schon im Hinblick auf ihre führende Rolle bei den Brot- und Hungerrevolten des Ancien Régime, aber erst recht seit 1789 bei allen ihren Versuchen, sich in der neuen politischen Öffentlichkeit, in den Clubs und neuen Verfassungsorganen zu Wort zu melden, blieben sie doch in der Nationalversammlung sowie der Constituante und dem Konvent bis zuletzt auf die Zuschauertribüne verbannt.

Geschlechterstreit und Aufklärung

Das Aufbegehren und die Kritik an der Geschlechterordnung waren keine Erfindung der Französischen Revolution. Vielmehr hatte es schon seit der Frührenaissance, also über mindestens vier Jahrhunderte, einen sog. Geschlechterstreit («querelle des sexes» bzw. «querelle des femmes») gegeben. Dies war ein männlicher Diskurs, an dem sich auch gelehrte Frauen beteiligten. Insbesondere Christine de Pizan (1365–​1429) gilt als eine der Ersten, die sich in diesen Streit der Frauen und um Frauen mit einem umfangreichen Werk, u.a. ihrem Buch Die Stadt der Frauen von 1404/05, prominent eingeschaltet hat. Mit diesem Lese- und Trostbuch für Frauen entfachte sie den ersten großen Literaturstreit in Frankreich um den berühmten Rosenroman von Jean de Meun (um 1280), dessen misogynes Frauenbild die ganze Frauenverachtung seiner Zeit und der kulturellen Überlieferung zusammenfasst. Indem Pizan eine Umdeutung der antiken und mittelalterlichen Quellen vornahm und auf große Frauenfiguren in der Geschichte, in Bibel und Mythologie verwies, gelang es ihr, die Frauen im Rekurs auf die Tugenden der Vernunft, der Rechtschaffenheit und der Gerechtigkeit zu Selbstbewusstsein und Widerstand, allegorisch zum Bau einer Stadt der Frauen als «Festung gegen die Schar der boshaften Belagerer und Verleumder des weiblichen Geschlechts», zu ermutigen (Pizan [1405] 1986, 23).

Im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung, wurde die Kontroverse angesichts eines auf die Vernunft des Menschen gegründeten Menschenbildes unumgänglich und unerbittlicher. «Der Verstand hat kein Geschlecht», lautete die Schlussfolgerung, die der Aufklärer François Poullain de la Barre in seiner Schrift Über die Gleichheit beider Geschlechter (1763) zog, ganz im Sinne der Philosophie René Descartes’, dessen rationalistische Trennung von Körper und Verstand/Geist zugleich auf der Annahme beruhte, dass die Vernunft als besondere Begabung den Menschen vor allen anderen Lebewesen auszeichne. Das bedeutete, dass auch die Besonderheit des weiblichen Körpers die Verstandestätigkeit der Frau nicht beeinflussen könne. Doch dieser Einsicht wurde sogleich und immer wieder von den verschiedensten Seiten heftig widersprochen. Mit der Entwicklung der empirischen Wissenschaften, insbesondere den medizinischen Erkenntnissen über die besondere Physiologie der Frau und der Entdeckung, dass Wissen und Denken sehr wohl von Sinneswahrnehmungen, Gefühlen und Erfahrungen beeinflusst werden, wurde diese rationale Begründung der Gleichheit der Geschlechter als Vernunftwesen nicht mehr akzeptiert (Honegger 1991).

Die nachhaltigste Wirkung hatten die politischen Theorien und pädagogischen Schriften von Jean-Jacques Rousseau. In seinem fast gleichzeitig mit de la Barres Werk veröffentlichten Erziehungsroman Emile oder Über die Erziehung (1762) philosophiert er im 5. Buch «Über Sophie oder die Frau» ausführlich über die geschlechtsbedingten Unterschiede zwischen Mann und Frau und kommt zu dem Schluss, dass die Anatomie der Frau, im Jargon der Zeit die «Natur der Frau», auch ihre Stellung in der Gesellschaft und im Recht bestimme. Wie bei anderen Aufklärungsphilosophen, z.B. Johann Gottlieb Fichte, wird diese Analogie zwischen Körper und sozialer Ordnung aus der ungleichen Stellung im Sexualakt abgeleitet, und zugleich wird mit Verweis auf das notwendige Schamgefühl der Frau moralisch begründet, warum es für sie prinzipiell keine Gleichberechtigung geben könne: «Das eine muss aktiv und stark, das andere passiv und schwach sein … Die wirkungsvollste Art, diese Kraft zu erwecken, ist, sie durch Widerstand notwendig werden zu lassen … Aus dieser Verschiedenheit der Geschlechter … im Hinblick auf das Geschlechtliche … folgt, dass die Frau eigens dazu geschaffen ist, dem Mann zu gefallen» (Rousseau [1762] 1963, 721–​726).

Rousseau bewegte sich mit dieser Auffassung über die besondere und andere Rolle der Frau im dominanten Denkmuster der abendländischen Philosophie, die seit der Antike, insbesondere in der christlichen Deutung über Thomas von Aquin, aus der Gegenüberstellung von männlich – weiblich, aktiv – passiv die Minderwertigkeit, Unvollkommenheit bzw. notwendige Unterwerfung der Frau unter die Herrschaft des Mannes zu begründen versuchte. Nicht zuletzt die ältere, gleichwohl zweite Schöpfungsgeschichte aus Genesis 2 und 3, in der Eva aus der Rippe Adams geformt wird und die mit dem von Eva initiierten Sündenfall endet, hatte der patriarchalen Weltordnung in der Kultur des Abendlandes, in den Mythen, Bildern und vor allem in der Kunstproduktion, nicht nur Popularität, sondern auch den Charakter eines göttlichen Gebots verliehen.

Doch indem die Französische Revolution bereits in den ersten...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2020
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Beck'sche Reihe
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Historische Romane
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 18. Jahrhundert • 19. Jahrhundert • 20. Jahrhundert • Feminismus • Frauen • Frauenbewegung • Frauenforschung • Gender • Geschichte • Geschlecht • Geschlechter • Geschlechterverhältnisse • Revolution • Soziale Bewegung • Sozialgeschichte
ISBN-10 3-406-75811-8 / 3406758118
ISBN-13 978-3-406-75811-9 / 9783406758119
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