Tito (eBook)

Der ewige Partisan
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2020 | 1. Auflage
442 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75549-1 (ISBN)
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Josip Broz Tito war der ewige Partisan - ein typisches Geschöpf des Zeitalters der Extreme, welches er persönlich erlebt, erlitten und gestaltet hat. Bei seinem Tod galt er als ein international anerkannter Staatsmann. Heute halten ihn viele für einen brutalen Diktator. Doch was war er wirklich? Marie-Janine Calic lässt die historische Person hinter den Legenden sichtbar werden und erzählt die Geschichte eines abenteuerlichen Lebens, in dem sich Aufstieg und Fall Jugoslawiens spiegeln.
Tito war ein Politiker eigenen Kalibers. Er war Visionär und Pragmatiker, Stratege und Macher, einer, der durch außergewöhnliche Talente und unter ganz besonderen historischen Umständen eine beispiellose Karriere machte. Im Zweiten Weltkrieg befreite er Jugoslawien mit seinen Partisanen aus eigener Kraft von der deutschen Besatzung. Es war die Rolle, in der er ganz bei sich war und die seine langjährige Herrschaft legitimierte. Ohne den ewigen Partisanen hätte es Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg wahrscheinlich nicht mehr gegeben. 35 Jahre lang blieb er der unverzichtbare Moderator eines mehr oder weniger gedeihlichen Zusammenlebens. Doch Titos Jugoslawien überlebte seinen Schöpfer kaum eine Dekade, und es folgte ein Gewaltausbruch, wie ihn Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hatte. Über Titos Lebenswerk liegt somit der Schatten bitteren Scheiterns.

Marie-Janine Calic lehrt als Professorin für südosteuropäische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Apropos Tito


«Revolutionäre haben keine persönliche Biographie», erklärte Josip Broz Tito, als er 1945 die Macht in Jugoslawien übernahm. Einzig und allein der Revolution fühlte sich der legendäre Partisanenmarschall, langjährige Staatspräsident und gefeierte Frontmann der Blockfreien verpflichtet. Privates und Persönliches gab er bis ins hohe Alter nur ungern preis. Selbst seinem engsten Umfeld blieb er noch lange nach seinem Tod ein Rätsel.

Tito ist eine der interessantesten und außergewöhnlichsten Figuren der Zeitgeschichte, eine, die die Welt geprägt und in gewissem Maße auch verändert hat. Er war ein typisches Geschöpf des Zeitalters der Extreme, das er persönlich erlebt, erlitten und gestaltet hat. Vom Bolschewismus infiziert, startete er seine politische Karriere mit fixen ideologischen Gewissheiten, als Revolutionär und Parteifunktionär. Seit er im Gemetzel des Zweiten Weltkrieges zum Partisanenführer aufstieg, umwehte ihn der Nimbus des Außeralltäglichen. Im Vielvölkerstaat besaß sonst keiner den Mut und die Verwegenheit, der militärisch haushoch überlegenen Wehrmacht die Stirn zu bieten. Nur den Jugoslawen gelang es, die fremde Besatzung fast ganz aus eigener Kraft abzuschütteln. Die Partisanenzeit betrachtete Tito später als die wichtigste Phase seines Lebens, da habe er am meisten von sich gegeben. Der erfolgreiche militärische Widerstand bildete die Legitimationsbasis seiner langjährigen Herrschaft.

Tito blieb zeit seines Lebens ein überzeugter Parteigänger des Kommunismus. Mit diktatorischen Mitteln baute er noch während des Krieges eine Alleinherrschaft nach sowjetischem Muster auf, ehe er mit Stalin brach und ein vom Ostblock unabhängiges sozialistisches System entwickelte. Während er einen eigenen Regierungsstil pflegte, der ganz auf seine Person zugeschnitten war, blieb er gegenüber Druck aus Ost und West unbeugsam. Unter seiner Führung stiegen die Blockfreien sogar zum eigenständigen Faktor in der Weltpolitik auf. Am Ende seines langen Lebens standen Titos Ansehen und Autorität beinahe über den ideologischen Lagern.

Titos Vita bündelt viele Aspekte der Geschichte Jugoslawiens. Das 1918 gegründete Königreich der Südslawen war ein problembeladenes, zerrissenes politisches Gebilde, das die Wehrmacht 1941 mit Leichtigkeit zerschlug. Allein die kommunistischen Partisanen traten an, den Vielvölkerstaat gegen die Besatzungsmacht und deren ultranationalistische Kollaborateure zu verteidigen. Ohne Tito hätte es nach dem Zweiten Weltkrieg wahrscheinlich kein zweites Jugoslawien mehr gegeben. Inmitten eines furchtbaren Krieges aller gegen alle setzte er auf «Brüderlichkeit und Einheit», um die Völker wieder miteinander zu versöhnen. Es gelang ihm, Hass und Hetze einzuhegen, teils durch Überzeugung, teils durch Repression. 35 Jahre lang blieb Tito der unverzichtbare Moderator eines mehr oder weniger gedeihlichen Zusammenlebens der jugoslawischen Völker. Wie und warum ihm dies gelang, ist eine der großen Fragen, die diese Biographie zu beantworten sucht.

Schon zu Lebzeiten wurde Tito zum Mythos und zum Monument. Das Regime, er selbst und seine Anhänger produzierten tausende Bücher, Artikel, Filme und Rundfunksendungen, die sein Bild in der Öffentlichkeit formten. Keinen Staatsmann ließ die Propaganda in einem so breiten Rollenrepertoire funkeln wie ihn, der als mutiger Widerstandsheld, weiser Vater der jugoslawischen Nation und weltoffener Friedensbote auftrat. Sein schillerndes Image bediente heimliche Sehnsüchte nach einem kommunistischen Ersatzkönig ebenso wie die Unterhaltungslust auf dem Boulevard. Tito personifizierte zugleich eine fabelhafte Aufstiegsgeschichte. Der Bauernsohn machte als international angesehener Staatsmann Karriere – die jugoslawische Version des amerikanischen Traums vom Tellerwäscher, der Millionär wurde.

Als er 1980 in hohem Alter starb, wurde der Tito-Kosmos neu vermessen. Nun kamen Versäumnisse, Verstrickungen und Verbrechen ans Tageslicht, wie die Vernichtung der Kriegsfeinde im Kärntener Bleiburg, die Vertreibung der Volksdeutschen und die lange Liste von Untaten der Geheimpolizei. Josip Broz wurde zum Antihelden und stand auf einmal als mörderischer Diktator, vaterlandsloser Wichtigtuer und narzisstischer Frauenheld da. Nicht wenige alte Rechnungen aus der Zeit des Weltkrieges wurden jetzt beglichen. Bis heute blieb er eine Figur, die die politischen Lager spaltet. «Sage mir, wie du zu Tito stehst, und ich sage dir, was du bist!», hört man immer noch oft, wo einst Jugoslawien war.

Titos Jugoslawien überlebte seinen Schöpfer kaum eine Dekade. Die Säulen seines Lebenswerks – der Sozialismus, die Blockfreiheit und Jugoslawien selbst – versanken in den neunziger Jahren in Trümmern. Nirgends in der kommunistischen Welt war die Fallhöhe so groß wie dort, wo mit dem politischen Regime gleich der ganze Staat und mit ihm alle Regeln zivilisierten Zusammenlebens untergingen. Jugoslawien wurde zum Inbegriff entgrenzter Gewalt, wie man sie in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen hatte. Über Titos Lebenswerk liegt somit auch der Schatten bitteren Scheiterns. Die Frage nach Verantwortung und Versäumnissen bleibt bis heute aktuell. Denn auch nach drei Jahrzehnten ist auf den Ruinen des Vielvölkerstaats keine stabile politische Ordnung entstanden.

Wer also war der kroatische Kommunist mit den undurchdringlichen blau-grauen Augen, der sich erst gegen das Regime König Alexanders, später Hitlers Wehrmacht und schließlich den sowjetischen Diktator Stalin stemmte? Wie wurde aus dem Bauernsohn ein kompromissloser Revolutionär, der für seine Weltanschauung immer wieder sein Leben riskierte und dafür Tausende ermorden ließ? Was gab ihm die Zuversicht, die Völker Jugoslawiens nach einem hasserfüllten Bruderkrieg wieder zu versöhnen? Warum sahen ihn viele westliche Linke als ihr Vorbild an, und was machte ihn zum international gefeierten Friedensboten? Nicht zuletzt: Warum wird Tito noch Jahrzehnte nach seinem Tod von so vielen Menschen verehrt und bewundert?

Die Reihe «Diktatoren im 20. Jahrhundert» hat wichtige Wegmarken gesetzt, Titos Leben mit analytischem Anspruch für einen breiteren Leserkreis neu zu erzählen. Ziel ist es, die historische Gestalt Titos von überwuchernden Projektionen zu befreien und in ihrem zeitlichen Umfeld zu erklären. Formen, Funktionen und Inszenierungen seiner Herrschaft, aber auch Person und Persönlichkeit sollen im Mittelpunkt stehen. Besonderes Augenmerk liegt auf dem internationalen Kontext und der Beziehung zwischen Außen- und Innenpolitik, einer der Triebkräfte des jugoslawischen Systems. Dabei soll auch Titos Verhältnis zu Deutschland eingehender betrachtet werden, das in bisherigen Darstellungen nur am Rande vorkommt. Über seine Ehe mit einer deutschen Kommunistin und über seine Rolle in Willy Brandts Neuer Ostpolitik wird einiges bislang Unbekannte zu erfahren sein. Jugoslawien, so wird man feststellen, funktionierte nur in der Phase der unmittelbaren kommunistischen Machtübernahme und in den Aufbaujahren als Diktatur im engeren Sinn, also als eine totalitäre Herrschaft, die sich auf Gewalt gründet. Nach dem Bruch mit Stalin entstand ein autokratisches System eigener Ordnung, das aus sich selbst heraus immer neue Veränderungen und sogar einen begrenzten Pluralismus hervorbrachte.

Jede Biographie birgt Fallstricke. Die Erzählung verlangt, den Protagonisten in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken, wo er aber gar nicht immer stand. Leicht entsteht die Illusion, sein Leben verliefe geradlinig auf ein Ziel hin, während es sich tatsächlich in Kurven und Kehren wand. Auch verleitet das Bemühen, eine historische Figur in ihrem Kontext zu verstehen, womöglich zu Komplizenschaft. Berge von Lebenserinnerungen und biographischem Material über Tito entstanden im Rahmen des Personenkults und müssen besonders kritisch durchleuchtet werden. Auch ein großer Teil der überbordenden Sekundärliteratur ist politisch gefärbt, derweil die Publizistik von Verschwörungstheorien geradezu überquillt. All das machte es notwendig, zu den Primärquellen zurückzukehren. Sie fanden sich unter anderem im Archiv des Staatspräsidenten in Belgrad, der Komintern in Moskau und den Außenämtern in Bonn, London und Washington sowie der umfassenden Sammlung des Tito-Biographen Vladimir Dedijer in Ljubljana.

Darf man heute überhaupt noch von «Tito» sprechen? Der alte Kampf- und Markenname klingt in manchen Ohren apologetisch, weshalb in der Literatur gelegentlich nur noch von «Josip Broz» oder abfällig von «Broz» die Rede ist. Ganz korrekt wäre «Josip Broz Tito», jedoch taucht die Kurzform in allen historischen Quellen am häufigsten auf. Und weil sie...

Erscheint lt. Verlag 17.9.2020
Zusatzinfo mit 42 Abbildungen und 3 Karten
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte 20. Jahrhundert • Aufstieg • Biografie • Biographie • Diktator • Diktatur • Fall • Geschichte • Herrschaft • Josip Broz • Jugoslawien • Kommunismus • Kroatien • Politik • Scheitern • Sozialismus • titoismus • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-406-75549-6 / 3406755496
ISBN-13 978-3-406-75549-1 / 9783406755491
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