Die falsche Diva (eBook)

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2020 | 1. Auflage
253 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1919-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die falsche Diva - Reinhard Rohn
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Als Hauptkommissar Matthias Brasch von der Beerdigung seines Vaters in einem kleinen Dorf in der Eifel zurückkehrt, wartet schon wieder ein neuer Fall für ihn: In einem Vorort von Köln sind zwei Kinder spurlos verschwunden. Eine erste Spur führt in die Villa von Marlene Brühl, einer einstmals legendären und sehr exzentrischen Schauspielerin, bei der die Zwillinge Tobias und Thea häufig zu Besuch waren. Doch nur wenige Stunden, nachdem Brasch ihr seinen ersten Besuch abgestattet hat, wird die alte Dame ermordet. Wie sich herausstellt, war die steinreiche alte Dame eine geheime Herrscherin über den Ort, indem sie Geld verliehen hat. Einige ihrer Nachbarn hatten beträchtliche Schulden bei ihr, und auch ihre Enkelin Alina scheint das allergrößte Interesse am Testament ihrer Großmutter zu haben. Doch als sich wenig später auf dem weitläufigen Grundstück des Brühl'schen Anwesens ein weiterer mysteriöser Mord ereignet, ist Brasch schnell klar: das war erst der Anfang ...

Der 4. Band der großen Köln-Krimi Reihe mit Kommissar Matthias Brasch.



Reinhard Rohn wurde 1959 in Osnabrück geboren und ist Schriftsteller, Übersetzer, Lektor und Verlagsleiter. Seit 1999 ist er auch schriftstellerisch tätig und veröffentlichte seinen Debütroman 'Rote Frauen', der ebenfalls bei Aufbau Digital erhältlich ist.

Die Liebe zu seiner Heimatstadt Köln inspirierte ihn zur seiner spannenden Kriminalroman-Reihe über 'Matthias Brasch'. Reinhard Rohn lebt in Berlin und Köln und geht in seiner Freizeit gerne mit seinen beiden Hunden am Rhein spazieren.

 

1


Brasch konnte nicht weinen. Während neben ihm sein Bruder Robert hemmungslos schluchzte, spürte er, dass er vollkommen leer war. Keine einzige Träne lief ihm über die Wange. Er fragte sich, ob er seinen Vater je geliebt hatte. Eine Antwort darauf fiel ihm nicht ein. Wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht erinnern, wirklich einmal mit seinem Vater gesprochen zu haben. Ihre wenigen Telefonate hatten zumeist nur ein Thema gehabt: Wie war das Wetter in der Eifel? Im Winter hatte es seinem Vater gefallen, vom Schnee zu erzählen. Er war sogar eine Art Experte für Schnee, konnte beinahe wie ein Inuit unterscheiden, ob große, feste oder eher wässrige Flocken vom Himmel fielen. Selbst wie lange der Schnee liegen bleiben würde, wagte er vorherzusagen. Ihr in Köln kennt ja gar keinen Schnee, hatte er jedes Mal erklärt. Bei euch fällt doch nur weißes Wasser vom Himmel.

Nein, er hatte seinen Vater nicht geliebt. Er hatte ihn nicht einmal geachtet, und schon als Kind war er sicher gewesen, dass er davonlaufen, das Eifeldorf hinter sich lassen würde, das stickige, schmucklose Lokal an der Hauptstraße, in Wahrheit eine bessere Imbissbude, in der seine Eltern ihr Leben verbracht hatten.

Sehr weit war er nicht gekommen – bis nach Köln zur Kriminalpolizei.

»Wofür hat man eigentlich gelebt?«, hatte sein Vater gefragt, ein paar Stunden, bevor er gestorben war. Brasch war zusammengezuckt und hatte, statt zu antworten, dem Sterbenden einen Plastikbecher mit stillem Mineralwasser an die Lippen geführt, das Einzige, was er noch zu sich nehmen konnte. Niemals hätte Brasch gedacht, so eine Frage aus dem Mund seines Vaters zu hören, und eine befriedigende Antwort kam ihm auch nicht in den Sinn. Man lebte, um sich ein paar Träume zu erfüllen … Man lebte für ein paar Momente des Glücks – oder weil es irgendwo in einem fernen Winkel des Universums doch einen Sinn gab.

Ach, er war Polizist und kein Philosoph. Wahrscheinlich hätte Leonie eine Antwort gewusst, die Frau, die ihn vor neun Monaten verlassen hatte.

Die Totengräber ließen den Sarg in das düstere Erdloch hinab. Sie machten ernste Gesichter, aber nicht wie Trauernde, eher wie ehrliche Arbeiter, die sich der Bedeutung ihrer Aufgabe bewusst waren. Brasch hätte es geschätzt, wenn man von irgendwoher Musik eingespielt hätte, um die dumpfe Stille zu übertönen, aber daran hatten weder sein Bruder noch seine Mutter gedacht. Der Priester postierte sich am Grab, ein alter, kahlköpfiger Mann, in dem Brasch mit Mühe seinen Religionslehrer aus der Grundschule erkannt hatte. Er segnete das offene Grab und sprach flüsternd ein paar Worte, die Brasch allerdings nicht verstehen konnte, weil irgendwo hinter ihm in der Trauergemeinde ein Mobiltelefon klingelte und sein Bruder plötzlich mit den Füßen zu scharren begann, als würde er es nicht mehr aushalten, still zu stehen. Ein tiefes Schluchzen ließ Roberts Körper erbeben, und für einen Moment schien es, als würde er gleich auf die Knie sinken. Er hatte sich seine langen, bereits ergrauten Haare zu einem Zopf zusammengebunden und sah beinahe wie ein Künstler aus – oder zumindest so, wie die Leute im Dorf sich einen Künstler vorstellten.

Nach dem Pfarrer trat seine Mutter an das Grab. Manchmal hatte Brasch in den letzten Wochen gemeint, sie würde beinahe durchsichtig werden, so sehr hatten sie die Sorge und der Kummer um ihren sterbenden Mann ausgezehrt, doch nun stand sie ganz aufrecht da, mit reglosem Gesicht, als würde sie niemanden um sich wahrnehmen – und ebenfalls ohne eine Träne zu vergießen. Sie war immer ein Ausbund an Pflichtbewusstsein gewesen; die Dinge mussten erledigt werden, und also wurden sie erledigt. Das musste auch für die Bestattung ihres Mannes gelten, mit dem sie über vierzig Jahre lang verheiratet gewesen war. Manchmal begriff Brasch, dass auch er einiges von diesem Pflichtbewusstsein mit sich herumschleppte. Auch wenn er sich schon seit zehn Tagen in der Eifel befand, hatte er jeden Tag im Präsidium angerufen. Frank Mehler und Pia Krull, seine engsten Kollegen, waren mit dem Mord an einer Chinesin beschäftigt, vermutlich eine illegale Prostituierte, die man in einem Apartment am Ebertplatz in Köln erdrosselt aufgefunden hatte. Bisher wussten sie nicht einmal, wie die Frau hieß und woher sie kam. Eine mühsame, nervenaufreibende Arbeit, insbesondere, wenn sich keine Fortschritte einstellten.

Mit einer kleinen Schaufel warf seine Mutter ein wenig Erde auf den Sarg. Brasch sah, dass ihre Lippen stumm ein paar Worte formten. Wie war das, fragte er sich, wenn man am Morgen aufwachte und derjenige, der vierzig Jahre lang neben einem gelegen hatte, nicht mehr da war? Sein Bruder bewegte sich schleppend nach vorn. Im ersten Moment sah es so aus, als würde er ihre Mutter stützen wollen, doch dann geriet er selbst ins Stolpern und legte den Arm um sie, damit er nicht stürzte. Wie ein großes, altes, unordentliches Kind stand Robert da, nahm die Schaufel entgegen und warf mit zitternder Hand einen Brocken schwarze Erde in die Grube.

Seltsam, dachte Brasch. Robert war immer da gewesen, er hatte sich mit den Eltern gestritten und wieder versöhnt, er hatte ihr Lokal eine Zeit lang übernommen und war gelegentlich bei ihnen eingezogen, wenn er seine Miete nicht bezahlen konnte, doch als sein Vater starb, hatte er in irgendeiner Kneipe gesessen und sich betrunken.

Gegen drei Uhr in der Nacht hatte Brasch die Rufe seines Vaters gehört. »Matthias«, hatte er gerufen, »kleiner Matthias, ich will aufstehen.« Sein Vater lag im Wohnzimmer in einem Pflegebett, das man eigens herangeschafft hatte.

Er zerrte an seinem Bettlaken. »Ich will aufstehen«, keuchte der alte Mann so energisch wie schon lange nicht mehr.

Seit drei Wochen lag er schon da und hatte es kaum noch vermocht, sich für ein paar Momente auf die Bettkante zu setzen. Sein von Krebs zerstörter Körper war aufgedunsen, die Beine angeschwollen. Seine Nieren funktionierten nicht mehr, und neben der Lunge war nun auch sein Magen voller Metastasen. Er konnte nicht einmal mehr Suppe essen und wurde über eine Kanüle am Arm künstlich ernährt.

Brasch half ihm, sich aufzurichten. Er war müde und zerschlagen, weil er die letzten Nächte kaum geschlafen hatte, und er brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass sein Vater sich anfühlte, als hätte er gar keine Knochen mehr im Leib. Selbst sein Kopf rollte wie bei einem Säugling hin und her.

»Es war alles nichts«, sagte sein Vater. »Nichts.« Dann sank er so kraftlos zurück, dass Brasch Mühe hatte, ihn zu halten. Er bettete seinen Vater, der nach Atem rang wie nach einer viel zu großen Anstrengung, wieder auf die Kissen. Die Augen hatte der alte Mann geöffnet, ohne dass es schien, als würde er noch etwas sehen.

Sein Vater starb. Brasch begriff, dass er Zeuge wurde, wie das Leben aus dem bleichen Körper seines Vaters schwand und er um seine letzten Atemzüge kämpfte. Brasch spürte, wie sich in Sekundenschnelle das Entsetzen in seinem ganzen Körper ausbreitete. Das, was sie seit Wochen erwartet und gefürchtet hatten, trat nun ein, und ausgerechnet ihn, mit dem er seit Jahren nur übers Wetter gesprochen hatte, rief sein Vater zu sich.

Es war alles nichts! War das ein Vermächtnis? Das Begreifen des Todkranken, dass er in einem Leben wie in einer winzigen Zelle gefangen gewesen war?

Ein Fluchtinstinkt erfasste Brasch. Er überlegte, seine Mutter zu wecken. War es nicht ihre Aufgabe, hier zu sitzen? Doch dann sah er, wie schwach sein Vater atmete und dass er seine Hand umklammert hielt, als wäre sie sein letzter Halt in dieser Welt.

Brasch blieb auf der Bettkante sitzen. Eine seltsame Stille hüllte ihn ein, schien sich über ihn und seinen Vater zu legen, als wären sie untrennbar verbunden, als existierte niemand mehr außer ihnen. Auch wenn er gewollt hätte, wäre es Brasch gar nicht mehr möglich gewesen, aufzustehen und zu gehen. Die Stille hielt ihn fest. Er beobachtete, wie sein Vater starr an die Decke blickte und immer flacher atmete. Manchmal setzte seine Atmung sogar für ein paar Sekunden aus, doch wenn Brasch schon glaubte, sein Vater habe aufgehört zu atmen, öffnete sich sein Mund wieder, um kraftlos, mit flatternden Wangen, ein wenig Luft anzusaugen. Ruhig lag die knochige Hand des alten Mannes in seiner, und dann, als ein erster Vogel zu singen begann, obwohl noch kein Lichtstrahl über den Horizont gekrochen war, tat sein Vater keinen Atemzug mehr. Er war tot, gestorben ohne ein Wimmern oder einen letzten Seufzer.

Das Haus schien sich verändert zu haben, als Brasch die Hand seines Vaters losließ und sich erhob. Die Stille war noch dichter geworden, undurchdringlich für jede Art von Geräusch. Es war, als würden die alten Mauern hinaus in den Morgen lauschen, wo irgendwo im zarten Licht ein Leben verhallte. Totenstille, ja, dieses Wort hatte plötzlich eine tiefere Bedeutung.

Vorsichtig weckte Brasch seine Mutter, die sofort den Grund begriff, und führte sie an das Bett ihres toten Mannes. Nur von seinen letzten Worten hatte er ihr nichts erzählt, auch später nicht, als sie gemeinsam über die Beerdigung sprachen.

Er sah sie am Ausgang des Friedhofs stehen.

Die Trauergäste hatten sich zerstreut. Einige sprachen schon wieder mit lauter Stimme, lachten sogar und trafen Verabredungen für das Wochenende. Die Bestattung lag schließlich hinter ihnen. Brasch hatte den Totengräbern jeweils einen Geldschein in die Hand gedrückt. Seine Mutter war bereits mit Robert in ihr Haus zurückgefahren. Fast schien es, als hätte Agnes seinem Bruder zuliebe auf einen frühen Aufbruch gedrängt, weil...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2020
Reihe/Serie Komissar Brasch ermittelt
Kommissar Brasch ermittelt
Kommissar Brasch ermittelt
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Andreas Franz • Christoph Gottwald • Ermittlungen • Köln • Köln Krimi • Krimi • Kriminalroman • Mord • Polizei • Regionalkrimi • Rheinland • Rheinland Krimi • Roman • Salim Güler • Sören Martens • Tod • Verbrechen
ISBN-10 3-8412-1919-5 / 3841219195
ISBN-13 978-3-8412-1919-0 / 9783841219190
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