Der falsche Preuße (eBook)

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
352 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-95967-579-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der falsche Preuße - Uta Seeburg
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»Im Bier wie im Tod sind in Bayern alle gleich.«
München zur Jahrhundertwende. Es ist die Zeit der pferdegezogenen Trambahnen, der riesigen Bierpaläste und der gebratenen Kapaune. Und es ist der Beginn einer jungen Wissenschaft namens Kriminalistik. Wilhelm Freiherr von Gryszinski zieht von Preußen nach Bayern, um als Sonderermittler für die Königlich Bayerische Polizeidirektion tätig zu werden und den Beamten Errungenschaften wie den Fingerabdruck und die Spurensicherung am Tatort näherzubringen. Sein erster Fall: Ein stadtbekannter Bierbeschauer wird tot an der Isar gefunden - eingehüllt in einen kostbaren Federumhang, daneben der Abdruck eines Elefantenfußes. Gryszinski kommt bald einer Verschwörung nationalen Ausmaßes auf die Spur, die ihn vor eine unsägliche Wahl stellt: Ist er eher bereit, seine Ehre als bayerischer Beamter zu verletzen oder als preußischer Offizier?

»Mit fundierten historischen Details, viel Witz und Lust am Erzählen entwirft Uta Seeburg ein wunderbar pittoreskes Bild der bayrischen Hauptstadt und ihrer Bürger im auslaufenden 19. Jahrhundert. [...] Ein wunderbar gelungener Auftakt zu einer neuen Serie, auf deren Folgebände man sich jetzt schon freuen darf.« Buchkultur

»Kaum ist der Band ?Der falsche Preuße? ausgelesen, wünscht man sich schon den nächsten Teil.« Berliner Morgenpost, 08.11.2020

»Weil Uta Seeburg es versteht, mit Sprache zu bezaubern, wir sind richtig verliebt!« Berner Zeitung, 03.03.2021



Uta Seeburg ist Berlinerin und lebt in München. Sie arbeitete bereits als Werbetexterin, Drehbuchautorin und Redakteurin, widmet sich aber heute ausschließlich der Schriftstellerei. Die promovierte Literaturwissenschaftlerin wohnt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Haidhausen.

1.

»… ich bitte jeden Leser, daß er keine Wahrnehmung, die er gemacht hat, für unwesentlich halte.«

Hans Groß: Handbuch für Untersuchungsrichter, Polizeibeamte, Gendarmen usw., 1. Auflage, 1893

Das ungewöhnlich gute Wetter im Jahr 1894 hatte die Kriminalität in München jäh ansteigen lassen. All die Wirtshausschlägereien, Streitereien mit den Fremden, die in die sonnige Stadt strömten, und die nie enden wollenden Eifersuchtsdramen heißer Sommernächte fanden ihren Höhepunkt natürlich im jährlichen Oktoberfest, und Hauptmann Wilhelm Freiherr von Gryszinski war heilfroh, dass diese bierselige Vorhölle am gestrigen Tag zu einem Ende gekommen war. Nachdem er nun jede erdenkliche Art, wie man mit einem Masskrug ein Schädeltrauma verursachen konnte, ergründet hatte, freute er sich auf einen ruhigen Herbsttag, der ihn eben mit einem freundlichen Morgenlicht empfing. Er war früh dran, als er aus dem großen Mietshaus im Lehel auf die Straße trat, und beschloss daher, sich auf dem Weg zur Arbeit einen Umweg zu gönnen.

Er ließ die Trambahn fahren, die seit einiger Zeit nicht mehr nur von Pferden gezogen, sondern auch mit Dampf betrieben wurde und demnächst sogar elektrisch fahren sollte – unglaublich, in welcher Zeit der Innovationen sie lebten! –, und folgte einigen der ungepflasterten Straßen, die heute mit einer schmierigen Schicht nassen Staubs bedeckt waren, denn in der letzten Nacht hatte es endlich geregnet. Links und rechts erhoben sich frisch erbaute prachtvolle Bürgerhäuser, durchbrochen von Baustellen für noch mehr große Mietshäuser mit Erkern, Türmchen und Stuckarbeiten; eine Parade historistischen Schmuckwerks, die geradewegs in die Maximilianstraße tanzte.

War der Rest Münchens quirlig, voller dicker Pferde und stämmiger Bauern in Tracht, so schlug die Prachtstraße eine Schneise von fast brutaler Schönheit durch diesen menschlichen Ameisenhaufen. Eine italienische Idealstadt auf der falschen Seite der Alpen, in der gut betuchte Flaneure verkehrten. Sogar ein poliertes Automobil fuhr an Gryszinski vorbei, noch so ein Zeichen unaufhaltsamer Neuerungen. An die fünfundzwanzig Personen, so wusste der Gendarm Gryszinski, besaßen in München bereits eine Fahrerlaubnis. Ansonsten prägten die allgegenwärtigen Mietdroschken das Straßenbild. Dazwischen leuchteten die Postillione in blauen Jacken, jeder ein Messinghorn um den Oberkörper geschnürt. Ihre Postkutschen hatten qua Gesetzgebung immer Vorfahrt, weshalb der Führer eines mit Ziegelsteinen beladenen Fuhrwerks jetzt schmallippig auswich. Die Münchner Polizeidirektion hatte diese Berufsgruppe schon länger auf dem Kieker und daher einige Erlasse herausgebracht, die mit der ihr ganz eigenen peniblen Beobachtung jedweder Widrigkeit auf Münchner Straßen verordnete, dass die Führer landwirtschaftlicher Fuhrwerke nicht nur vorschriftsmäßig auszuweichen, sondern sich gefälligst auch aller grober Ausdrücke zu enthalten und das übermäßige Peitschenknallen zu unterlassen hätten, renitente Wagenführer würde man ohne große Worte festnehmen.

Unwillkürlich straffte Gryszinski die Schultern. Er war nicht von hier, er war Preuße, zwar nur niederer Landadel, aber immerhin Hauptmann und Reserveoffizier der preußischen Armee, und hatte bis vor einem Jahr in Berlin gelebt, bevor er und seine Frau Sophie hierher übersiedelt waren. Er würde also sicher nicht wie ein staunender Bauerntölpel durch diese neogotische Theaterkulisse stolpern, zumal auf ihn als Vertreter des Königlich Bayerischen Gendarmeriekorps auch ein wenig Scheinwerferlicht fiel. Schräg gegenüber vom Hotel Vier Jahreszeiten bog Gryszinski in die Marstallstraße ein und fand sich im Geäst kleiner Straßen wieder – ein feines Netz, scheinbar nach dem System des Zufalls gewoben, welches das gesamte Zentrum überzog. Für ihn als Preußen war es eine kolossale Umstellung gewesen: Während es in dem wie mit einem Lineal gezogenen Straßennetz Berlins eigentlich egal war, ob man seinen Schritt direkt in die erste Querstraße oder erst einen Kilometer später in die gewünschte Richtung lenkte, beging man hier einen fatalen Fehler, wenn man einfach mal eine Kreuzung später abbog. Viele Straßen verliefen nämlich perfiderweise nicht schnurgerade, sondern bogen sich, krümmten sich vor Lachen über den ahnungslosen Fremden, der sich möglicherweise plötzlich wieder an einer Gabelung fand, an der er schon gewesen war, wie in einem quälenden Traum, in dem man nicht von der Stelle kommt.

Gryszinski allerdings kannte sich allmählich aus und gelangte schnell an das eigentliche Ziel seines morgendlichen Umwegs: den Victualienmarkt. Er enterte diesen lukullischen Sirenenfelsen von der Metzgerzeile her. Bis vor nicht allzu langer Zeit war ein Bach hinter den Schlachtereien entlanggeflossen, der die Fleischabfälle fortgespült hatte, ein stetes rot gefärbtes Gurgeln mit dem klingenden Namen »Roßschwemmbach«, vor allem aber eine ewige Quelle ekelhafter Verschmutzungen, genauso wie das Vieh, welches regelmäßig mitten durch die Stadt zur Schlachtbank getrieben wurde. Seit der Errichtung der Schlachthöfe in der Isarvorstadt wurde endlich nicht mehr vor Ort geschlachtet, weshalb man den Bach trockengelegt hatte. Die Fleischwaren wurden jetzt hier nur noch verkauft, in einer hübschen, neuen Ladenzeile im allgegenwärtigen neogotischen Stil. In den Auslagen ruhten sanft lächelnd die Schweinsköpfe, drum herum ihre abgehackten Gliedmaßen drapiert, das Ganze gekrönt von Girlanden aus Würsten; alles sorgsam und sauber angeordnet, wie die exquisitesten Seidenhandschuhe. In einem dieser Läden arbeitete das Fräulein Ganghofer. Gryszinski kannte es von einer Streiterei mit einem Fischweib, das die Fleischverkäuferin im letzten Jahr attackiert hatte, bewaffnet mit einer fetten Renke aus dem Starnberger See – es war eine wirre Geschichte gewesen, die sich wohl um einen schmeichlerischen Tuchhändler drehte, der die zwei Damen aus den verschiedenen Lebensmittelressorts versehentlich zur selben Uhrzeit unter den Maibaum bestellt hatte. Gryszinski war nicht ganz durchgestiegen, als er den Fall aufnahm, hatte aber wohl begriffen, dass der Ganghofer übel mitgespielt worden war, und sie seines Mitgefühls versichert. Seitdem war er ein beliebter Kunde in der Metzgerzone, während er um die Fischbuden und vor allem die Seefischhalle am anderen Ende des Marktes lieber einen großzügigen Bogen machte.

»Grüß Gott, Herr Hauptmann!«, schallte es ihm auch heute freundlich entgegen.

In dem Moment, in dem Gryszinski den Stand vom Fräulein Ganghofer betrat, durchzuckte ihn immer die Erinnerung an seine Mutter in Berlin, wie sie einst in einem gemütlichen Gasthaus auf einer Landpartie nach Halensee Rast machend ein winziges Stück Roastbeef beäugt und verkniffen geäußert hatte: »Das Gabelfrühstück, Wilhelm, ist eigentlich etwas ganz und gar Frivoles. Als würden wir heute nicht noch genug zu essen bekommen, mit all dem Kuchen, dem Wein und den gebratenen Speisen, die wir uns auf diesem Ausflug noch einverleiben müssen.« Der kleine Wilhelm hatte auf diese unfassbaren Reden hin immer brav genickt, um dann mit der Geschicklichkeit eines neapolitanischen Taschendiebes eine der butterzarten Scheiben Fleisch in seinem Ärmel verschwinden zu lassen.

»Grüß Gott, Fräulein Ganghofer«, sagte der erwachsene Wilhelm, »eine Bratensemmel bitte.«

Die Semmel – allein schon dieses süddeutsche Wort, dessen Zentrum den Klang »Hmm!« umarmt – war frisch gebacken, sodass man sich die Fingerkuppen daran verbrannte. Gryszinski schickte dem kleinen Wilhelm, dem die Remoulade aus den Hosentaschen tropfte, einen warmen Gedanken. Die Bratenscheibe, auf der das Fett noch sanft säuselnde Bläschen schlug, krönte ein Haupt aus knuspriger Kruste, die, sobald Gryszinski seine Zähne darein vergrub, so laut krachte, dass kein anderes Geräusch mehr in seinem Kopf zu hören war. Eine stumme Sekunde später schoss ihm das heiße Fett in den Mund und machte sogar die Erinnerung an die Mutter vergessen, wie sie seine heimlich zwischen den Hemden gebunkerten Kekse entdeckt hatte.

Seine Semmel in der Hand und ein paar ordentliche Krümel im Moustache wanderte Gryszinski tiefer in die kleine Stadt aus Bretterbuden. Die festen Stände sahen aus wie hölzerne Miniaturhäuser, Schilder mit den jeweiligen Namen der Händler schwebten über den Giebeldächlein. Um dieses beschauliche Dorf herum hatten weitere Händler ihre freien Stände aufgebaut, manche breiteten ihre Waren auf Tischen aus, andere saßen einfach auf kleinen Schemeln, umringt von bauchigen Körben. Weiße Sonnenschirme leuchteten über den offenen Verkaufsstellen. Jeder Stand war ein eigener Stadtteil mit ganz unterschiedlichen Protagonisten: Gryszinski sah die Rübenfrau, die das Wurzelgemüse in allen Farben verkaufte und ihre Ware als buntes Ornament ausgebreitet hatte. Daneben ein Meer aus Salatköpfen, zwischen denen kaum das verhutzelte Gesicht des Männleins, dem der Stand gehörte, auszumachen war. Überall brummte, summte und wuselte es, und allmählich füllten die Gattinnen und Haushälterinnen die Gänge zwischen den Buden, jede mit einem großen Korb am Arm, eine Liste fürs Mittagessen im Kopf. All das – die bunten Waren, die Bauern in ihren so selbstbewusst getragenen Trachten, die wohlhabenden Müßiggänger, denen ein Beutelchen mit ein paar erstandenen Äpfeln unterm Arm baumelte – bewegte sich zu einem Takt, in dem zu Gryszinskis eigenem Erstaunen auch sein preußisches Herz schlug. Trotzdem beschleunigte er seinen Schritt, die Pflicht rief nun doch.

Rechter Hand tauchte die Maximilians-Getreide-Halle auf, die Schranne, in den 1850ern war sie als technische Sensation gefeiert worden. Heutzutage...

Erscheint lt. Verlag 25.8.2020
Reihe/Serie Gryszinski-Reihe
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
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ISBN-10 3-95967-579-8 / 3959675798
ISBN-13 978-3-95967-579-6 / 9783959675796
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