Das Maurische Spanien (eBook)
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75608-5 (ISBN)
Georg Bossong beschreibt anschaulich die wechselvolle Geschichte des Maurischen Spanien mit ihrem Glanz, aber auch mit ihren Konflikten, die schließlich zur Vertreibung von Juden und Muslimen führten.
Georg Bossong ist Professor em. für Romanische Philologie an der Universität Zürich.
1. Was war al-Andalus?
Die Bedeutung des Namens
Fast achthundert Jahre dauerte die islamische Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel, von 710 bis 1492; die Präsenz des Maurentums währte sogar noch über ein Jahrhundert länger, bis zur Ausweisung der Moriscos, die 1614 abgeschlossen war. Tiefer und nachhaltiger als alle anderen Regionen Westeuropas wurde Hispanien durch den Islam geprägt. Was wir gewöhnlich als das «Maurische Spanien» bezeichnen, ist eine historische Epoche von größter Tragweite für die iberoromanischen Nationen und für ganz Europa, eine Epoche voller Glanz und Tragik, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart reichen.
Die Ruinen der maurischen Burg von Málaga wurden bis in die Details hinein restauriert.
Der arabische Name für diese Epoche ist al-Andalus. Dies war zunächst einmal die arabische Bezeichnung für die Iberische Halbinsel. Das Wort hat sich zur Bezeichnung für den islamischen Machtbereich auf der Halbinsel entwickelt, der dann im Laufe der Jahrhunderte immer mehr zurückgedrängt und eingeschränkt wurde. Al-Andalus ist also ein zugleich historischer und geographischer Begriff; er steht für eine untergegangene Zivilisation, das islamisch beherrschte Hispanien.
Gehen wir zunächst auf den Namen ein. Die Bezeichnung al-Andalus erscheint bereits sehr früh. Wenige Jahre nach der Eroberung der Halbinsel, zwischen 715 und 717, im Jahre 97/98 der Hidjra, wurde eine Münze geprägt, die auf der einen Seite eine lateinische, auf der anderen eine arabische Schrift aufweist; dabei entsprechen sich die Ausdrücke Spania und al-Andalus. Demnach stand der Name schon damals fest. Wie ist er zu erklären? Man hat ihn mit den Wandalen in Verbindung gebracht. Dieses germanische Volk errichtete während der Völkerwanderung ein kurzlebiges Reich in Hispanien, von 411 bis 429, und ließ sich dann in Nordafrika nieder. Die traditionelle Theorie besagt, die Iberische Halbinsel sei für die nordafrikanischen Berber seither das «Land der Wandalen» gewesen, und von den Berbern hätten die Araber die Bezeichnung übernommen. Dagegen spricht allerdings, dass der Name in den drei Jahrhunderten zwischen der Wandalenherrschaft und der arabischen Eroberung nirgends belegt ist; außerdem gibt es bei dieser etymologischen Herleitung unüberwindbare lautliche und semantische Schwierigkeiten. Der Orientalist Heinz Halm hat einen kühnen Alternativvorschlag gemacht: Er leitet den Namen von einem hypothetischen gotischen *land-hlauths ab, «Land-Los», was dem in lateinischen Quellen belegten gotica sors entsprechen soll, also Land, das einem durch Los zugeteilt wird. Gegen diese These spricht – neben lautlich-grammatischen Gründen – allerdings, dass die Goten, als sie ihr iberisches Reich errichteten, schon gar nicht mehr Gotisch sprachen, sondern längst latinisiert waren. Woher sollten also die Araber, dreihundert Jahre nach der westgotischen Eroberung Hispaniens, eine solche, nirgendwo belegte gotische Bezeichnung übernommen haben? Meiner Auffassung nach ist der Name vorromanischen, ja vorindogermanischen Ursprungs. Er gehört zur ältesten Schicht von Ortsnamen auf der Halbinsel, die ein baskisches Gepräge zeigen. Vermutlich war Andalus der Name der kleinen Insel, die das berberische Vorauskommando unter der Führung von Tarîf Abû Zurʿa als ersten Punkt der Halbinsel erreichte; jedenfalls lassen sich so die arabischen Quellen plausibel deuten. Diese Insel ist der Stadt Tarifa vorgelagert, die von Tarîf gegründet und nach ihm benannt wurde; sie ist heute durch einen Damm mit dem Festland verbunden und bildet die südlichste Spitze von Festlandeuropa, auf dem 36. Breitengrad gelegen. Von der afrikanischen Küste aus gesehen, ist sie zum Greifen nahe. Dieser uralte Name wurde dann von der kleinen Insel auf die große Halbinsel übertragen, so wie der Name «Asien» von der anatolischen Westküste auf den ganzen Kontinent oder der Volksname der grenznahen «Alemannen» auf die Deutschen schlechthin. Der Name Andalus kommt übrigens mehrfach auf der Iberischen Halbinsel vor, so als Bezeichnung eines Gebirgszuges nahe Soria in Altkastilien; seine beiden Bestandteil anda und luz sind in der iberischen Topographie weit verbreitet, im Baskenland treten sie gehäuft auf. Meiner Auffassung nach besteht an der vorindogermanischen Herkunft dieses Namens kein Zweifel.
Der Name al-Andalus bezieht sich auf den islamischen Herrschaftsbereich auf der Iberischen Halbinsel, nicht auf ein bestimmtes geographisch definiertes Gebiet. Dieser Herrschaftsbereich umfasste auch das heutige «Andalusien» als eines seiner Kerngebiete, und der Name dieser spanischen Region ist natürlich aus al-Andalus abgeleitet, aber die Bedeutung der beiden Namen war niemals deckungsgleich. Entsprechend wird im heutigen Spanisch zwischen andalusí, «zu al-Andalus gehörig», und andaluz, «zu Andalusien gehörig», unterschieden. Auch im heutigen Arabischen ist al-Andalus ein rein historischer Begriff; anders als im mittelalterlichen Arabisch heißt «Spanien» heute einfach Isbâniyâ. Wir verwenden hier den Begriff «das Maurische Spanien» (vom lateinischen maurus, «Bewohner Mauritaniens») gleichbedeutend mit al-Andalus.
Ein spanischer Historikerstreit
Al-Andalus war keineswegs nur islamisch-arabisch geprägt. Die historische Besonderheit, ja Einmaligkeit des Maurischen Spanien liegt genau darin begründet, dass hier Angehörige der drei monotheistischen Religionen zwar nicht konfliktfrei, aber doch über lange Zeiträume hinweg kooperativ zusammenlebten. Zentral ist dabei auch die Rolle der Juden, für die Spanien jahrhundertelang eine Zuflucht und eine Heimat war; wer von al-Andalus spricht, muss das Zusammenleben von Muslimen, Juden und Christen immer mit einbeziehen. Nirgendwo sonst in Westeuropa kam es zu einem so engen Kontakt zwischen den drei «Religionen des Buches». All dies hat die Geschichte Spaniens tief geprägt.
Diese Prägung wird von niemandem ernsthaft bestritten. Heftige Diskussionen hat indessen die Frage ausgelöst, wie die Rolle von al-Andalus in der spanischen Geschichte zu bewerten ist. War die islamische Herrschaft eine existentielle Katastrophe? Waren die arabischen Eroberer Fremdlinge, die es mit aller Macht zurückzuwerfen und aus Spanien zu vertreiben galt? Oder war vielmehr das Zusammenwirken der drei Kulturen konstitutiv für die Bildung einer spanischen Identität? Beruht die Entstehung der spanischen Nation auf der welthistorisch einzigartigen Verschmelzung von Islamischem, Jüdischem und Christlichem? Über diese Fragen ist eine Kontroverse entbrannt, die man als eine Art «Historikerstreit» bezeichnen kann. Es geht dabei um nicht weniger als das Verständnis Spaniens von sich selbst: Wurde die nationale Identität in den Kriegen der Reconquista geschmiedet, im unermüdlichen Kampf der katholischen Christenheit gegen die verderbliche «Sekte» der Mohammedaner? Oder entstand sie in einem jahrhundertelangen Prozess der Befruchtung und des Kontakts, bei dem Semitisches und Romanisches eine unauflösliche Symbiose eingingen?
Zwei Historiker vor allem haben diese Kontroverse ausgetragen: Américo Castro (1885–1972) und Claudio Sánchez-Albornoz (1893–1984). Beide erhielten ihre Bildung in der liberal-aufklärerischen Institución Libre de Enseñanza, beide kämpften im Spanischen Bürgerkrieg für die Partei der Republikaner und mussten aufgrund der franquistischen Repression ins Exil gehen, Castro nach Princeton und Sánchez-Albornoz nach Buenos Aires.
Américo Castro hatte sich mit Studien zu Klassikern der spanischen Literatur einen Namen gemacht, ehe er im Exil begann, sich genauer mit der mittelalterlichen Geschichte seines Landes zu beschäftigen. 1948 legte er eine erste, 1954 eine überarbeitete Fassung seines Hauptwerks vor unter dem Titel La realidad histórica de España (dt. 1957: «Spanien. Vision und Wirklichkeit»). Diese Publikation schlug unter spanischen Intellektuellen hohe Wogen. Seit dem Verlust der letzten Kolonien im Jahre 1898 war es Mode geworden, über das Wesen des Spaniertums und die spanische Identität nachzudenken. Américo Castro brach mit allen überkommenen Vorstellungen, indem er dem muslimischen wie auch dem jüdischen Element eine Schlüsselstellung zuerkannte. Erst durch das Zusammenwirken der drei Religionen, so Castro, sei es zur Entstehung der spanischen Nation mit eigenständiger Identität...
Erscheint lt. Verlag | 27.8.2020 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Regional- / Landesgeschichte | |
Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Partnerschaft / Sexualität | |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Mittelalter | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie | |
Schlagworte | Al Andalus • Andalusien • Arabistik • Geschichte • Granada • Iberische Halbinsel • Islam • Juden • Konflikt • Kulturgeschichte • Kunst • Literatur • Mauren • Maurisches Spanien • Mittelalter • Muslime • Philosophie • Religion • Spanien • Vertreibung • Wissenschaft |
ISBN-10 | 3-406-75608-5 / 3406756085 |
ISBN-13 | 978-3-406-75608-5 / 9783406756085 |
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