Vermaledeit unter den Weibern -  Andrea Trarosa

Vermaledeit unter den Weibern (eBook)

Vorarlberg-Wien-Krimi
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
368 Seiten
myMorawa von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99093-185-1 (ISBN)
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Ein Erbschaftsstreit in der Familie Höbla führt zum Konflikt zwischen den daheim gebliebenen und den nach Wien gezogenen Geschwistern. Der tödliche Verkehrsunfall der Evelyn Höbla entpuppt sich als geschickt eingefädelter Mord. Der Ehemann steht unter Verdacht, sind doch die meisten Tötungsdelikte Beziehungstaten. Cilli Höbla, die ihren Bruder für unschuldig hält, macht sich auf eigene Faust auf Mördersuche. Chefinspektor Hrdliska hat es mit einem kniffligen Fall zu tun. Seine Recherchen eröffnen einen verstörenden Blick in die Geheimnisse der Familie Höbla.

Andrea Trarosa, geboren in Vorarlberg, lebt seit vielen Jahren als Binnenmigrantin in Wien. Das Lesen ist ihre große Leidenschaft. Beim Schreiben richtet sich ihr Fokus auf Familienstrukturen, Geschwisterbeziehungen. Wichtig ist auch Sprache als Sozialisierung und Identitätsstiftung. Mit "Vermaledeit unter den Weibern" hat sie einen Roman geschrieben, der unter anderem den Blick auf die "gemeinsame" Sprache als trennendes Element zwischen Ost- und West-Österreich richtet, wie zum Beispiel die Vorarlberger*innen in Wien. Binnenmigration ist ein Thema, das viele Familien betrifft. Die einen ziehen in die Stadt und werden sesshaft, die anderen bleiben zu Hause, betreuen die Eltern, sind verwurzelt im Dorf. Immer wieder zieht es die Davongezogenen zurück in die Heimat, manche bleiben am Ende dort, andere fühlen sich eingeengt, leben lieber in der Anonymität der Stadt. Den Dialekt des Heimatdorfes verlernt man jedoch nie ganz.

I

Arme und Beine verspreizt, stemmte Cilli sich gegen die Fliehkraft. Unter ihr rutschte die Sitzfläche gefährlich in die Gegenrichtung, gleichzeitig wurde sie so heftig durchgeschüttelt, dass sich ihre Finger unwillkürlich stärker um den Vordersitz schlossen. Verzweifelt krallte sie sich fest, während das Gefährt kreischend in die nächste Kurve schrammte. Heute würden sie den Geschwindigkeitsrekord brechen. Häuserfluchten rasten vorbei. Der Versuch, die Mitte des Sitzmöbels zurückzuerobern, war erfolglos. Schon wurde sie in die Ecke gequetscht und unter Schlägen und Stößen daran gehindert, eine stabile Position einzunehmen. Alles aussichtslos.

Während sie den Kampf gegen die physikalischen Kräfte auf einem Sitzplatz ausfechten durfte, gab es einige weniger privilegierte Zeitgenossen, die sich dem Gefecht stehend stellen mussten. Diese hatten ihr Bemühen um eine würdige Haltung längst aufgegeben, kämpften quasi ums Überleben, führten bei jeder Kurve skurrile Tänze auf, Pirouetten mit hochgestreckten Armen, an Haltegriffen hängend, als befänden sie sich auf einem Schiff bei hohem Seegang.

Indes das Gefährt in die Gerade schlitterte, beäugte Cilli ängstlich die Umgebung, fürchtend, den einigermaßen sicheren Platz einer gebrechlicheren Person überlassen zu müssen, sofern eine solche die zurückgelegten hundert Meter überlebt hatte. Mit roten, verkrampften Gesichtern, die Lippen zu einem Strich gepresst, waren alle damit beschäftigt, diesen Höllenritt halbwegs unbeschadet zu überstehen.

Ein Buch oder eine Zeitung zu lesen war in diesem schwankenden Vehikel unmöglich. Selbst wenn man sich auf einem Sitzplatz in relativer Sicherheit wiegte, wurde der Körper dergestalt durchgeschüttelt, dass man auf den vibrierenden Seiten keinen Buchstaben entziffern konnte. Auch benötigte man die Hände zum Festhalten. Glitt einem die Lektüre aus den Fingern, sah sich die Leserin einer weit schwierigeren Situation gegenüber: Denn, war man gezwungen, sich während der Fahrt zu bücken, um einen verlorenen Gegenstand aufzuheben, lief man Gefahr, sich den Kopf anzuschlagen, die Brille zu zerstören oder seiner Habseligkeiten verlustig zu gehen.

Die Fahrer der Linie 38 waren allesamt verkappte Rallyeasse. Anders konnte sich Cilli diese teuflischen Geschwindigkeiten nicht erklären. Der heutige Pilot übte offensichtlich für Paris-Dakar. Die Schienen glühten.

Sie näherten sich einem der besonders gefährlichen Punkte, von denen es zum Leidwesen der gepeinigten Insassen viele gab: die Haltestelle. In unerfahrenen 38er-Benützern keimte Hoffnung auf. Das Aussteigen aber musste verdient sein, das wusste Cilli aus leidvoller Erfahrung und klemmte ihre hundertfünfundsechzig Zentimeter fest zwischen die Sitze, denn Haltestelle bedeutete immer: zuerst volles Karacho, dann Vollbremsung.

Während sich also die ratternde Straßenbahngarnitur, es handelte sich um eines der älteren Modelle, quietschend und schwankend dem Überschallknall näherte, konzentrierte sich Cilli ganz auf die Sicherung ihrer Siebensachen inklusive ihrer selbst.

Durch die geöffneten Fenster fegte der laue Wind eines warmen Septembernachmittages herein und verstrubbelte ihre schulterlangen, braunen Haare. In der Hand die Zutaten für ihr heutiges Menü, düste sie im Schweinsgalopp mit der Bim durch die Straßen dem aufregenden Abend entgegen. Noch zwei Stationen, dann konnte sie sich entspannen.

Die Straßenbahn schlitterte nun in die Gerade und legte noch einmal an Geschwindigkeit zu. Wie gesagt: Haltestelle.

Hinter ihrem Rücken erhoben sich aufgeregte Stimmen. Während Cilli sich umdrehte, um die Ursache der Erregung auszumachen, stellten ihre Sinnesorgane auf Zeitlupe. Zeigefinger wiesen in eine Seitengasse, Köpfe folgten der angegebenen Richtung, in der sich das Ereignis zutrug. Augen aufgerissen, Hände entsetzt auf Münder gepresst, auch der Rallyepilot in Diensten der Wiener Linien hatte die Unruhe bemerkt, doch von seinem Sitz aus war das Ungeheuerliche nicht auszumachen, sosehr er auch den Hals verrenkte und suchend in die Seitenspiegel starrte. Von irgendwoher glaubte Cilli ein „Bremsen! Stopp! Oh Gott!“, oder war es „Trottel!?“, zu vernehmen. Jedenfalls legte der Fahrer weit vor der Haltestelle eine Vollbremsung hin.

Dann Stille. Gehörsturz?

Später konnte sie nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob wirklich Stille herrschte, vielleicht war sie nur vorübergehend taub geworden, denn als sich die im Reflex geschlossenen Augen wieder öffneten, setzte auch das Jammern, Stöhnen und Gezeter der Passagiere ein. „Depperter“ war noch der mildeste Kommentar. Eine säuerliche Ausdünstung gepaart mit Brandgeruch beleidigten ihre Nase. Jetzt entdeckte sie auch die alte Dame, die verrenkt vor ihr auf dem Boden lag, offensichtlich ohnmächtig, „unmächtig“, wie ihre Schüler zu schreiben pflegten, aber sie röchelte noch.

Rettung rufen, flüsterte das Überich. Natürlich! Polizei, Feuerwehr, das ganze Programm. Erste Hilfe leisten, schauen, ob sie selbst verletzt war und am besten alles gleichzeitig. Sie griff nach der Handtasche – verschwunden! Suchend blickte sie um sich. Nichts. Chaos.

Also zuerst Atmung der verletzten Person prüfen, dann Seitenlage. Das war leichter gesagt als getan. Wer hatte jemals versucht, zwischen den Sitzen einer Straßenbahn einen Ohnmächtigen in Seitenlage zu bringen? Auch wusste sie nicht, ob sich die Dame beim Aufprall an der Haltestange vielleicht das Rückgrat gebrochen hatte. Panisch blickte sie um sich, aber alle schienen mit sich selbst oder dem unmittelbaren Nachbarn beschäftigt. Endlich hörte sie das Folgetonhorn. Feuerwehr, Polizei oder Rettung? Egal, Hauptsache Hilfe. Hinter ihrem Rücken vernahm sie eine feste Stimme: „Ich bin Ärztin, lassen Sie mich bitte durch!“

Dankbar blickte Cilli auf. Endlich fiel das Gefühl der Ohnmacht ab. Jemand anderer übernahm die Verantwortung, eine, die sich auskannte.

„Ich wusste nicht, wie ich, ob ich ...“, stotterte sie, aber die Grauhaarige beruhigte, reichte ihr eine Mullbinde aus dem Erste-Hilfe-Koffer. Jetzt erst spürte sie die warme Flüssigkeit auf ihrer Wange, die einen grässlichen roten Fleck auf ihrer weißen Jacke bildete. Offensichtlich hatte sie eine ordentliche Platzwunde auf der Stirn, eine Gehirnerschütterung vielleicht, aber nichts Schlimmes. Sie konnte sich bewegen. Jetzt wagte sie einen suchenden Blick nach ihren Utensilien. Die Handtasche fischte gerade ein junger Bursche unter einem Sessel hervor und schaute fragend in die Runde.

„Danke, das ist meine“, versuchte Cilli auf sich aufmerksam zu machen, „irgendwo müssten auch noch meine …“. Sie verstummte verlegen. Während hier Verletzte stöhnten, dachte sie nur an ihre Besitztümer. Cilli, Cilli! Die Einkäufe würde man bald olfaktorisch orten können, denn in der Louot befanden sich Vorarlberger Berg- und Räßkäs. Endlich kümmerte sich ein Rettungsteam um die alte Dame. Sie wurde auf eine Bahre gehievt, abtransportiert. Auch Cilli solle ins Krankenhaus, so der Notarzt, die Kopfwunde untersuchen lassen, nähen vielleicht, sie habe sicher eine Commotio cerebri. Krankenstand also.

„Vorher aber bitte die Personalien!“

Ein Beamter in Uniform, etwas korpulent und kurzatmig, drängte sich vor. „Wegen der Zeugenaussage später auf dem Kommissariat, vielleicht kommt auch jemand zu Ihnen nach Hause“, brummte er etwas milder nach einem Blick auf ihre Stirn. Cilli zückte ihren Lehrerinnenausweis.

Inzwischen hatte man wohl ihren Käse gefunden, denn jemand rief angewidert:

„Da stinkt’s!“

Einen Plastiksack voll verborgener Schätze mit gespreizten Fingern weit von sich haltend, die Nase auffällig abgewandt, streckte ein Sani das Corpus Delicti in die Höhe. Cilli bekannte sich zu ihrem Besitz, kassierte einen angeekelten Blick. Wenn der wüsste, wie gut Käsfladen schmeckt.

Cilli stieg vorsichtig aus dem Waggon. Auf der Straße erblickte sie erstmals den Verursacher der Katastrophe: Ein grauer PKW älteren Baujahres steckte in der Flanke der Straßenbahn. Vom vorderen Teil des Autos war nicht mehr viel zu sehen. Innen das Weiß des Airbags, ein heller Haarschopf, Feuerwehrleute arbeiteten noch immer am Wrack. Auf der trockenen Straße eine Pfütze. Dahinter ein Spalier neugieriger Passanten, schweigsam und ergriffen auf das Bild der Zerstörung starrend. Cilli hatte keine Lust auf Blut und beschädigte Körper, kämpfte sich schnell durch die Menschenmenge, die partout nicht weichen wollte. Warten auf Pressefotografen. Vielleicht war man ja morgen in der Zeitung.

Kurz blickte sie sich um, etwas Irritierendes, eine Störung, ein Déjà-vu in dem Überangebot an Sinneseindrücken blitzte auf, verschwand sofort wieder.

Ihr Kopf brummte, ein flaues Gefühl im...

Erscheint lt. Verlag 14.7.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-99093-185-7 / 3990931857
ISBN-13 978-3-99093-185-1 / 9783990931851
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