Da Silva 4 (eBook)

Kapitel 1

»Es ist selten, dass Männer der Da Silvas hier sind.«

Diego umfasst die Hüften der hübschen Dunkelhaarigen und lächelt. »Wir haben zu tun, doch ab und zu nehmen wir uns die Zeit und sehen uns mal an, was hier im Nachtleben Puerto Ricos so los ist.« Die Frau reibt ihren prallen Hintern an seiner Mitte und Diegos Hände umfassen sie stärker. »Und bist du zufrieden mit dem, was du siehst?«

Nun presst sie sich an ihn und schiebt seine Hand über ihre Brust. Diego beugt sich zu ihrem Ohr. Der Duft von Parfüm und Sekt haben sich schon vermischt und dringen in seine Nase, doch das stört ihn nicht.

Die hübsche Latina ist ihm sofort ins Auge gefallen, als er vor einigen Minuten zusammen mit Nicky und seinem Bruder das Pearl betreten hat. Sie sind schon eine Weile unterwegs auf der Suche nach Eleonora, die sauer auf Dario ist. Er hat sie hier gefunden und ist nun mit ihr vor der Tür, um sich auszusprechen. Dario hat seit gestern Abend miese Laune und Diego hofft, dass sich das hiermit wieder erledigt hat, solange wird er auch etwas Spaß haben.

In diesem Moment wird ein neues Lied gespielt und die Menge schreit begeistert auf.

»Willst du etwas trinken?« Die Frau wendet sich um und nickt. Diego legt den Arm um die eigentlich völlig fremde Frau und sie gehen an die Bar, wo Nicky sitzt und mit genau so einer Laune wie Dario sie bereits hatte ein Glas Wodka trinkt. »Entspann dich, such dir auch etwas Ablenkung und atme durch.«

Auch Nicky hat in letzter Zeit sehr schlechte Laune, was an der hübschen blonden Verkäuferin liegt, mit der er etwas hatte. Wenn er sich Nicky und seinen Bruder nun ansieht, ist er froh, dass er noch einen völlig klaren Kopf hat, um sich auf die Familia und ihre Arbeit zu konzentrieren und sich dann hin und wieder völlig ohne Pflichten zu amüsieren.

»Ich entspanne mich gerade, siehst du doch.«

Nicky hebt das Glas und Diego lacht, während die Frau fasziniert auf die Waffe blickt, die Nicky vor sich auf den Tresen gelegt hat. »Was möchtest du trinken?«

Die Frau zeigt auf ein Bild mit einem dieser Frauencocktails. »Ein Havana Blue.« Diego bestellt den Drink und für sich etwas Härteres und deutet den Kellner zu einer Sitzecke, wo er sich dann mit der Frau hinsetzt.

»Dein Freund sieht ziemlich deprimiert aus. Ich habe hier zwei Freundinnen, die sich sicherlich freuen würden, ihm Gesellschaft zu leisten. Ich habe schon so viel von dem Da Silva-Gebiet gehört. Wir könnten mit euch kommen und ...« Statt sich neben Diego zu setzen, setzt sie sich auf seinen Schoß. Diego wendet sich so, dass er seine Waffe aus dem Hosenbund ziehen kann, was die Frau leicht aufseufzen lässt, ihre Lippen gleiten zu seinem Hals. »Das ist so sexy, ich würde gerne ...«

Diego grinst zufrieden, so kann ein Abend gut ausklingen. »Wo warst du?« Augenblicklich vergeht Diego sein Lachen, als er eine vertraute Stimme hört. Er sieht sich um und die Frau hört auf, seinen Hals zu küssen. Niemand ist in der Nähe, deswegen fasst er der Frau an die Schultern.

»Was hast du gerade gesagt?« Die Frau sieht ihn an, als wäre er verrückt geworden, doch in dem Moment, als Diego sie ansieht, werden aus ihren dunklen Augen größere mandelförmige, grüne Augen, die ihn traurig anblicken. Ihre Haut wird hell und cremig, die Nase wird zu einer vertrauten Stupsnase, und ihre Lippen bekommen den schönen Schwung, den er immer so begehrt hat.

Diego sieht erschrocken Jemina in die Augen.

»Wo warst du? Wieso hast du mir nicht geholfen?«

Diego wacht auf, mit einem leisen Fluch reibt er sich über die Augen und sieht sofort zum Bett, in dem Jemina liegt.

Ihm wurde ein Bett in ihr Zimmer gestellt, da er fast jede Nacht hier verbringt, seit sie sie vor drei Wochen aus den Händen der Guerillas befreit und nach Puerto Rico gebracht haben. Die erste Woche hat Diego fast die ganze Zeit an ihrem Bett verbracht, wenn er nicht versucht hat, an seine Schwester heranzukommen oder mit Dario nach Barim gesucht hat. Dann waren sie fünf Tage in Kolumbien, die einzige Zeit, in der Diego nicht bei ihr war und haben auch das endlich zu Ende gebracht. Kurz danach haben sie die Sache mit den Mexikanern ein für alle Mal geklärt und auch Eleonora und sein Bruder haben sich wieder eingekriegt.

Nun kann Ruhe einkehren und die brauchen sie unbedingt alle nach den letzten Wochen.

Er setzt sich auf und sieht in Jeminas blasses Gesicht.

Er wird das niemals vergessen. Er hat schon vieles erlebt und einiges mitgemacht, doch das hier hat ihn tief getroffen.

Die Tür geht auf und seine Mutter kommt lächelnd ins Zimmer. »Und, ist sie schon wach?« Diego schüttelt den Kopf. Jemina wurde gestern operiert. Es ist die letzte Operation, sie hatte drei in den letzten Tagen, die Ärzte haben ihnen gesagt, dass sie nach dieser letzten langsam wieder zu Kräften kommen und richtig wach werden sollte.

Die ersten Tage sah es nicht gut aus. Sie konnte nicht gleich operiert werden, sie hatte zu hohes Fieber und war sehr schwach. Die Ärzte sind sich sicher, dass wenn sie sie einen Tag später gefunden hätten, sie nicht überlebt hätte.

Sie muss sich am Anfang stark gewehrt haben, sie hat einige Brüche und wird auch versucht haben, sich von den Fesseln loszumachen, das waren die ersten zwei Operationen.

Jemina hat starke Medikamente bekommen und mehrere Tage nur vor sich hin gedämmert. Manchmal hat sie in diesem Dämmerschlaf geweint und etwas geflüstert, es hat jedes Mal Diegos Herz einen weiteren Stich gegeben. Dann erst konnte sie operiert werden, doch dazwischen war sie auch nie richtig wach, und gestern war die letzte Operation an ihrem Unterleib, um die schlimmsten Folgen wieder zu beheben, von dem, was ihr angetan wurde.

Die Ärzte sind sich sicher, dass sie nun richtig wach werden wird. Ihr Körper hat sich langsam erholt und sie bekommt nicht mehr so starke Medikamente. Nach drei Wochen wird sie aus dem Dämmerschlaf erwachen. Deswegen ist Diego hier, um sie aufzufangen, wenn sie wach wird und begreift, was passiert ist. Er weiß nicht, was sie genau alles mitbekommen hat und ob sie weiß, dass sie die einzige Überlebende ihrer Familie ist.

Er sieht zu ihr und sein Magen rumort.

Jemina ist blass, einige blaue Flecken und Schrammen in ihrem Gesicht sind schon verheilt. Sie ist noch zarter, als sie es sonst auch schon immer war. Ein dicker Verband ist um ihren Kopf gebunden, weil sie dort eine Wunde hat, die tiefer war und sich entzündet hatte. Da sonst eine Decke den Rest des Körpers bedeckt, könnte man denken, sie sieht wieder wie früher aus.

Die langen blonden Haare umrahmen ihr Gesicht, die Krankenschwestern haben das viele Blut nach einer der Operationen daraus ausgewaschen. Diego ist froh, dass die Decke den Rest ihres Körpers bedeckt, es ist für ihn nur schwer zu ertragen, sich all das anzusehen, was ihr angetan wurde.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Schatz. Ich wollte dich heute mit einem Frühstück überraschen, doch dann habe ich erst gesehen, dass du gar nicht zu Hause warst.« Seine Mutter beugt sich zu ihm und gibt ihm einen Kuss.

Diego steht auf, um sie sitzen zu lassen. »Du weißt doch, dass mir dieser Tag egal ist.« Seine Mutter lächelt. »Ich weiß, du hast deinen Geburtstag nicht mehr feiern wollen, seit Daria weg war, doch nun ist sie wieder da und Jemina geht es langsam besser. Ich dachte, wir könnten heute ein wenig feiern. Es muss ja keine große Feier sein. Ich war gerade bei Daria und habe ihr erzählt, dass du nach ihrer Entführung keinen Geburtstag mehr gefeiert hast und sie hat auch gesagt, dass sie gerne heute Abend etwas planen würde. Dein Bruder und dein Vater ...«

Diego geht ins Bad, um sich frisch zu machen. »Ich weiß, dass sich einiges zum Guten gewendet hat, doch ich kann nicht feiern, nicht so.« Er deutet zum Bett und seine Mutter streicht Jemina liebevoll über die Wange. »Auch das wird heilen, Diego, manches dauert einfach seine Zeit, doch sie lebt, es ist wie ein kleines Wunder, dass sie all diesen Horror überlebt hat.«

Dazu sagt Diego nichts mehr, sondern geht ins Bad.

Natürlich hat sie recht, sie hat überlebt, doch wie sieht ihr Leben nun aus? Wie soll sie mit alldem fertig werden? Bisher hat Jemina noch nicht reagiert. Er weiß nicht, was sie weiß und was sie mitangesehen hat, nur das, was die Ärzte mit Sicherheit anhand ihrer Verletzungen sagen konnten.

Während er warmes Wasser anstellt und es sich über den Nacken laufen lässt, um wach zu werden und sich frisch zu machen, kehrt er dahin zurück, wo er das erste Mal das Gefühl hatte, jemand sticht ihm ein Messer ins Herz.

Die Familia aus Honduras und ihr Anführer Raphael haben schon immer zu den guten Freunden seines Vaters gehört. Sie haben sich alle regelmäßig gesehen und so sind Jemina und er quasi zusammen groß geworden.

Auch wenn es eine Weile her ist, dass er sie alle gesehen hat, weil die Familias alle viel zu tun hatten und er sich ziemlich stark mit Jemina zerstritten hatte, gab es immer...