Prolog

Paris – die Jungfrau

Nervös betrachte ich mein Spiegelbild, streiche ehrfürchtig über den samtenen Stoff der Korsage und drehe mich prüfend hin und her.

In der Umkleidekabine ist es eng und viel zu hell, dennoch bin ich mit meinem Erscheinungsbild mehr als zufrieden.

Das Blutrot der Dessous, für die ich mich entschieden habe, steht im totalen Kontrast zu meiner milchweißen Haut.

Während meine Freundinnen nach einem Bad in der Sonne oder ein paar Besuchen im Solarium schön braun werden, passiert bei mir gar nichts.

Sandra, meine Freundin, behauptet immer, dass ich in meinem vorherigen Leben ein Vampir war, vielleicht hat sie damit recht. Ich bin anders als die meisten Frauen, die ich kenne, und das nicht nur optisch, sondern auch in allen anderen Bereichen des Lebens.

Die meisten Mädchen lieben Partys, okay das tue ich auch, aber das war’s dann auch schon.

Sandra, Mia, Lucia und all die anderen hatten längst Sex, einen Freund und gebrochene Herzen - ich nicht.

Was nicht daran liegt, dass ich besonders schüchtern und prüde bin, sondern einzig und allein daran, dass mir bis jetzt einfach noch kein Mann über den Weg gelaufen ist, der mich interessiert hätte. Zwanzig und noch Jungfrau ... glaubt mir, ich weiß genau wie ungewöhnlich das ist. Aber ich hatte einfach keine Lust, meine Ansprüche runterzuschrauben oder meinen Körper als Versuchsobjekt zu opfern.

Versteht mich nicht falsch, ich halte mich nicht für etwas Besseres und ich bin auch keine eingebildete Kuh, das Problem liegt einfach darin, dass mich all die vielen Typen in meinem Alter nicht interessieren.

Sie sind zu süß, zu nett zu normal ...

Ich will keinen Frauenschwarm, keinen Surfer-Boy und auch nicht den großen Bruder meiner besten Freundin.

Ich will einen Mann, einen echten, gestandenen Mann, der mit beiden Beinen im Leben steht. Er muss groß und muskulös sein und so aussehen, dass ich gar nicht erst auf die Idee komme, ihn mit den Adjektiven nett und süß zu beschreiben.

Die meisten Frauen wünschen sich einen Prinzen, einen netten Kerl, der sie verwöhnt, der ihnen Rosen schenkt und den sie ohne Probleme um den Finger wickeln und ihren Eltern vorstellen können. Ich will das nicht.

Um Gottes willen, allein die Vorstellung lässt mich erschaudern.

Wenn ich etwas Süßes will, kaufe ich mir einen Hundewelpen oder eine Tafel Schokolade. Ein echter Kerl muss selbstsicher, mächtig, unerschrocken, stark und vor allem dominant sein. Nichts ist heißer als ein Mann, der weiß, was er will, und nicht zögert, es sich zu nehmen. Große, gepflegte Hände, ein markantes Kinn, Bartstoppeln, Muskeln, hervorstehende Adern und am besten viele Tattoos ...

Eigentlich nichts Besonderes, aber in dieser Kombination nur schwer zu finden.

Am besten ist er mindestens zehn Jahre älter als ich und weiß, wie es läuft.

Es gibt viele Poser, Typen, die vorspielen, dass sie harte Kerle sind, aber in Wirklichkeit an einem heftigen Mamakomplex leiden.

Natürlich könnte es nicht schaden, wenn er wohlhabend ist, er muss kein Millionär sein, aber dennoch in der Lage, mich zum Essen einzuladen.

Wie ihr seht, weiß ich genau, was ich will, und ganz genau das ist das Problem.

Die meisten Frauen sind leicht zu beeindrucken. Ein Blumenstrauß, gut formulierte Komplimente und ein paar Gläser Prosecco und zack – lösen sich die meisten Schlüpfer in Luft auf. Meiner nicht ... Ich befürchte, meiner ist aus Stahl oder irgendeinem anderen schwer entflammbaren Material.

Ehrlich, ich will gar nicht so kompliziert sein, ich habe auch schon versucht, mich mit einem normalen Durchschnittstypen zufriedenzugeben – es hat nicht funktioniert.

Die Küsse waren okay, aber zu soft, zu na ja ... irgendwie zu brav.

Sanfte Berührungen und vorsichtiges Herantasten – kotz.

Ich bin nicht aus Glas, also will ich auch nicht so behandelt werden.

Haare ziehen, beißen, einfach fest anpacken, ich will genommen und nicht verführt werden, aber dazu sind all die kleinen Jungs aus meinem Bekanntenkreis nicht in der Lage. Sie sind wie Spielzeuge, unterhaltsam, aber einfach nicht fürs wahre Leben zu gebrauchen.

Habt ihr ein Lieblingsmärchen?

Also meins ist Die Schöne und das Biest, zumindest die erste Hälfte des Märchens, der Schluss ist scheiße!

Ich will das Biest, ich will das Monster, das mächtige Ungeheuer – groß, böse, stark und unheimlich. Jedes Mal, wenn sich das Biest dann in den netten Prinzen verwandelt, schalte ich den Fernseher aus und fantasiere mir mein ganz eigenes Happy End zusammen.

In meiner Geschichte packt sich das Biest das Mädchen, drückt es an die Wand und fickt es hart – so hart, dass sich die rote Rose schwarz färbt und der Fluch eine ganz neue Dimension erreicht.

Gedanklich habe ich meinen ersten Sex schon Dutzende Male durchgespielt und ich habe es mir nie sanft, vorsichtig oder rücksichtsvoll vorgestellt, sondern immer grob, tief und verdammt böööösseeee ...

Sandra behauptet immer, dass mit mir etwas nicht stimmt und dass ich mich nicht normal verhalte. Aber was ist normal?

Wer definiert, was okay ist und was nicht, wer hat eigentlich zu entscheiden, was normal ist? Damals, als sie ihr erstes Mal Sex hatte, war sie total enttäuscht, kein Wunder, der Kerl, den sie sich dafür ausgesucht hatte, war ein Loser.

So wie ich ihn einschätze, hat er für jeden Mist um Erlaubnis gefragt und wusste eigentlich nicht wirklich, was er da tut.

Das wäre nichts für mich, ich will einfach mehr ... mehr Muskeln, mehr Macht, mehr Mann! Da ich mir mittlerweile ziemlich sicher bin, dass ich das, was ich will, nie finden werde, habe ich beschlossen, aus meiner Jungfräulichkeit Profit zu schlagen und sie für eine hohe Summe an den Meistbietenden zu verkaufen.

Meine Freundinnen finden die Idee verrückt und haben versucht, sie mir auszureden, aber ich bin stur geblieben.

Ich habe mir das wirklich gut überlegt und werde jetzt keinen Rückzieher machen.

Der Nachtclub, in dem die Auktion stattfinden soll, gehört den Black Aces, dem gefährlichsten Rockerclub des Landes, und ist eigentlich viel mehr ein Bordell als ein Nachtclub. Als ich das erste Mal von diesen Versteigerungen gehört habe, war ich entsetzt und konnte mir nicht vorstellen, dass es Frauen gibt, die ihren Körper verkaufen, aber dann ist mir klar geworden, wie naiv ich bin.

Sex gegen Geld ist wahrscheinlich das älteste Business der Welt.

Im ‚Ace‘, wie das Bordell genannt wird, findet jede Woche so eine Versteigerung statt. Hauptsächlich bieten sich dort natürlich nur Frauen zum Verkauf an, die in dem Puff arbeiten – professionelle Huren eben. Aber es gibt auch immer wieder Ausnahmen. Letzten Monat zum Beispiel hat schon mal ein Mädchen ihre Jungfräulichkeit verkauft und dafür dreißigtausend Dollar kassiert. Dreißigtausend!

Die Summe ist der Oberhammer.

Ich meine, jetzt mal ehrlich, wie sollte ich da nicht schwach werden?

Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich mit einem Mann ins Bett steige, den ich beim Tanzen kennengelernt habe, oder mit einem, der dafür bezahlt.

Ich war noch nie verliebt, hatte noch nicht mal Schmetterlinge im Bauch, also warum sollte ich mir dann die Chance auf so viel Geld entgehen lassen?

Meine Familie gehört zur typischen Arbeiterklasse, meine Kindheit war schön, aber wir hatten nie viel Geld.

Meine Mum hat mich Paris getauft, weil sie schon immer mal in die gleichnamige Stadt in Europa fliegen wollte, aber bis jetzt konnte sie sich diesen Traum nie erfüllen.

Wenn es mir gelingt, ebenfalls eine fünfstellige Summe für ein bisschen Sex zu bekommen, dann kann ich mir schon am nächsten Tag ein Flugticket kaufen und die Welt erkunden.

Lucia findet meinen Plan schrecklich, sie behauptet, dass ich mich prostituiere, womit sie ja gar nicht so falsch liegt.

Trotzdem finde ich ihre Einstellung scheinheilig.

Diese Doppelmoral geht mir auf die Nerven. Wenn ich jetzt in der Disco einen Mann kennenlerne, der mich auf ein paar Drinks einlädt und ich dann mit zu ihm gehe, dann habe ich mich doch ebenfalls kaufen lassen. Oder sehe ich das falsch?

Jeder Mensch kann selbst über sein Leben und seinen Körper entscheiden, jeder bestimmt seinen Preis und ich habe für mich beschlossen, dass ich teuer bin.

Ich habe viel über meinen Plan nachgedacht und bin zu dem Entschluss gekommen, dass diese Versteigerung das Beste ist, was ich machen kann. Ich habe keine Ahnung, was manche Männer dazu bringt, so viel Geld für eine Jungfrau zu bezahlen, aber sie tun es.

Schön blöd ...

Was ist an einer Jungfrau so besonders?

Was ist daran so toll, der Erste zu sein?

Wenn ich ein Kerl wäre, dann würde ich mir eher eine Frau kaufen, die weiß, wie der Hase läuft und die geile Tricks draufhat.

Damit sind wir wieder beim Thema: Ich habe keine Ahnung von Männern oder davon, warum sie sind, wie sie sind, und das muss ich auch gar...