Ostfriesischer Schuss. Ostfrieslandkrimi -  Andreas Kriminalinski

Ostfriesischer Schuss. Ostfrieslandkrimi (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
180 Seiten
Klarant (Verlag)
978-3-96586-208-1 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
3,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Mysteriöser Windrad-Mord bei Pewsum. Die Krummhörn-Cops ermitteln in ihrem 3. Fall.
Johannes Urban steht vor laufenden Kameras auf der Terrasse seines Hauses bei Pewsum, als ihn der tödliche Schuss trifft. Nicht zu hören und schneller als der Schall. Abgefeuert von einem weit entfernten Windrad aus. Die unglaubliche Präzision lässt nur einen Schluss zu: Die Krummhörn-Cops haben es diesmal mit einem absoluten Profi zu tun. Hat das Fernsehinterview, das Johannes Urban gerade gab, etwas mit dem Mord zu tun? Der zugezogene Neu-Ostfriese hatte sich mit seinen Aktivitäten in der Region nicht nur Freunde gemacht, mehrere Verdächtige geraten in den Blickpunkt. Und plötzlich traut Kommissar Kalle Petersen seinen Augen kaum, als er ausgerechnet in Pewsum einen längst Totgeglaubten entdeckt, auch bekannt als der fiese Friese...

Kapitel 5


Brennend heißer Wüstensand


 

Er lief praktisch jeden Tag. An Werktagen direkt nach der Arbeit, an Wochenenden und an Feiertagen am liebsten ganz frühmorgens, in den Sonnenaufgang hinein. Das sorgte für Struktur und bot ihm eine gewisse Sicherheit in seinem zerrütteten Leben.

Heute lief er vor sich selbst davon. Er lief, um zu vergessen: die vergangenen vierundzwanzig Stunden, die letzten dreißig Jahre, sein ganzes beschissenes Leben eigentlich.

Er hatte vorhin einfach angehalten und vor sich auf den asphaltierten Weg gekotzt. Um die Uhrzeit war eh noch niemand da, den das hätte stören können. Und wenn schon.

Was war gestern passiert? Was hatte er getan?

Nachdem er sich den Mund abgewischt hatte, hatte er den Gedanken an den gestrigen Tag auch schon wieder verloren. Oder verdrängt? Er war jedenfalls nicht mehr da, allein das zählte. Der Reset in Form des Sich-Übergebens war erfolgreich gewesen. Unangenehmes spülte sein Körper einfach raus. Raus und weg; aus dem Körper, aus dem Sinn. Dass das nicht so einfach war, hatte ihm mal sein Therapeut gesagt. Dieses Gespräch lag aber schon lange zurück.

Ursprünglich hatte er sein gesundheitsorientiertes Trainingsziel mal mit »zwanzig Jahre lang vierzig bleiben« beschrieben. Dieses Motto hatte er längst vergessen oder es war irgendwie in den Hintergrund getreten. Heute trieb er zwar immer noch Sport, und das nahezu täglich. Aber nicht für seine Gesundheit, sondern weil er es für seinen Auftrag hielt. Es diente einem einzigen Zweck: stark bleiben, um den Grausamkeiten des Lebens zu widerstehen. Leben bedeutete für ihn Kampf, täglicher Kampf um das nackte Überleben.

André Martin war Anfang vierzig und seit mehreren Jahren Ultraläufer. Das und eine Phase seines Lebens, über die er ungern sprach, ließen ihn jedoch älter aussehen, als es sein deutscher wie auch sein französischer Pass behaupteten. Dennoch war er körperlich fit, durchtrainiert, konnte beißen, wie man unter Ausdauersportlern sagte, und er besaß die Fähigkeit, sich quälen zu können. Antrainierte Härte gegen sich selbst. Wichtige Eigenschaften, nicht nur für einen Ultraläufer.

Ein gewöhnlicher Marathon faszinierte ihn daher schon lange nicht mehr. Aber vier Marathonläufe an vier aufeinanderfolgenden Tagen, das war wenigstens eine Herausforderung. Sich körperlich spüren war ihm wichtig.

Er trainierte auf die ostfriesische Osterlaufserie hin, ein Highlight in der regionalen Ultralaufszene. Und vor allem kein Spaß; diese Laufserie wurde von allen Sportlern sehr ernst genommen. Eine akribische Vorbereitung war da ein absolutes Muss. Denn dieses Laufereignis forderte von den Athleten ihre Höchstleistung ab: Beginnend mit Karfreitag hatte man bis Ostermontag jeden Tag einen Marathon zu laufen.

Der erste Lauf fand bei den Ultrafriesen in Neuenburg/Zetel statt. Karsamstag ging es dann in Asel/Wittmund weiter. Der Marathon am Ostersonntag wurde durch den TV Norden organisiert. Und am Ostermontag fand die Serie in Aurich ihren Abschluss. Wie letztes Jahr wollte er auch in diesem Jahr auf dem Siegerpodest in seiner Altersklasse stehen. Und zwar ganz oben. Da, wo die Luft dünn ist.

An diesem nasskalten Wintermorgen absolvierte André einen in der Läufersprache mit SSL abgekürzten Lauf – einen Super-Sauerstofflauf, auch super-super-langsam codiert. Bei vielen seiner Sportskameraden war der SSL die unbeliebteste Trainingseinheit, weil man extrem langsam laufen musste. Kein Wunder, dass der SSL auch die am meisten unterschätzte Laufeinheit war. Dieser Trainingslauf, für den sich André eine Strecke über den Deich vom Leuchtturm Campen zum Leuchtturm Pilsum und wieder zurück ausgesucht hatte, musste so langsam angegangen werden, dass er im Pulsbereich von sechsundsechzig bis siebzig Prozent der maximalen Herzfrequenz blieb. Einige Läuferkollegen hielten solch langsame Läufe für »leere Kilometer« und spotteten, diese seien nur etwas für Kilometersammler, die unbedingt auf ein bestimmtes Wochenpensum von vierzig, fünfzig oder mehr Kilometern kommen wollten. Doch André kannte sich in der Trainingslehre bestens aus. Er setzte den Super-Sauerstofflauf ganz gezielt als erholsames Training nach harten Trainingstagen ein. Die Trainingswissenschaft sprach beim SSL von einer lohnenden aktiven Pause. Denn im Gegensatz zum faulen Nichtstun wurden beim langsamen Laufen die Muskeln durchblutet und der Körper konnte viel Sauerstoff tanken. Und genügend Puste war für vier Marathons an vier aufeinanderfolgenden Tagen extrem wichtig.

Das Schmuddelwetter konnte André bei seinem langsamen Lauf entlang der Deichkrone nichts anhaben. Gegenüber äußeren Einflüssen war er abgestumpft. Es war nicht so, dass er den Regen, der schräg von der Seite kam und in den sich bald Schnee mischte, nicht spürte. Es juckte ihn einfach nicht. Genauso wie die Hitze im Sommer. Vollkommen egal. Laufen, einfach laufen. Immer einen Fuß vor den anderen setzen. Wenn es ging, den Kopf ausschalten und nur noch funktionieren.

Früher war er ein Freund davon gewesen, mit Musik im Ohr zu laufen. Gleichzeitig hatte er dabei seine Umwelt mit allen Sinnen aufgenommen und genossen. Heute lief er nur noch so vor sich hin. Was dabei um ihn herum passierte, wie es roch, wie etwas aussah, das unermesslich Schöne, das jede der vier Jahreszeiten hatte – das alles war ihm egal geworden.

Dennoch schossen ihm bei seinen einsamen Läufen hin und wieder Gedanken durch den Kopf. Dabei unterschied André nicht, wie es die meisten vielleicht taten, zwischen schönen und weniger schönen Gedanken. Er dachte ganz generell über Situationen nach – oder wie er es vom Militär kannte: Lagen. Seine Lage, das war ihm bewusst, konnte als höchst brisant bezeichnet werden. Sicherlich so brisant, wie es damals in Afrika war, wo er als Soldat einen Auslandseinsatz absolviert hatte. Das war noch gar nicht so lange her. Nicht ganz ohne Not hatte er sich damals bewusst dafür entschieden und auch für einige Jahre seine Erfüllung darin gefunden. Irgendwann war es genug und er sehnte sich nach Ruhe und Frieden. Eine Entwicklung, die viele Soldaten mit Auslandserfahrung durchmachten. Oder wie er es nannte: Kriegserfahrung.

Ruhe, um das Erlebte vergessen zu können. Oder zu verdrängen? Deshalb war der Deutsch-Franzose in die Krummhörn gezogen. Hier fand er die Ruhe, nach der er sich gesehnt hatte, als er noch gegen Dschihadisten und Malaria kämpfte.

Doch mit der Ruhe war es jäh vorbei.

Mehr noch: Der Boden wurde ihm unter den Füßen weggezogen. Von jetzt auf gleich, ohne Vorankündigung. Wie ein Mörsereinschlag früher, die sah man auch nie kommen. Wenn man sie hörte, war es meist zu spät. Und so fühlte er sich erneut bedroht, jemand wollte ihn ruinieren. Ob bewusst oder unbewusst spielte für ihn keine entscheidende Rolle. Die Tatsache, dass jemand gegen ihn arbeitete, genügte, sich ihn zum Feind zu machen. Und hier ging es um nichts Geringeres als seine Existenz. Und der seiner Frau. Von daher blieb ihm keine Wahl, als sich zu wehren. Sich und Anja zu schützen, war oberstes Ziel. Dabei konnte er niemandem vertrauen außer sich selbst.

Zum Ende des vergangenen Jahres hatte ihm sein Arbeitgeber, die WIKAU GmbH in Aurich, gekündigt und ein tolles Weihnachtsfest beschert. Ostfriesische Flaute, titelte die Zeitung nach der ersten großen Entlassungswelle, beschrieb über Wochen sehr ausführlich die momentane Krise in der Windenergie auf Bundesebene und ließ die erschwerend hinzukommende hausgemachte Krise seines Arbeitgebers nicht unerwähnt. Nieten in Nadelstreifen, die mit der Existenz von Tausenden von einfachen Arbeitern wie ihm spielten. Hätte es beim Militär nicht gegeben, da war man für seine Kameraden da.

André Martin, der Mann mit dem am häufigsten vorkommenden französischen Nachnamen, hatte als gelernter Elektriker Windkraftanlagen für die WIKAU repariert. Dass die Branche eine Flaute erlebte, war nicht seine Schuld. Er reparierte nur defekte Anlagen. Gut, schnell, gewissenhaft. Auf ihn war stets Verlass. Nie hatte es einen Grund zur Klage über seine Arbeit gegeben. Und doch bekam die Branche und damit auch seine Firma plötzlich Gegenwind aus Berlin. Politiker, dachte Martin, von nichts eine Ahnung, sehen auf einmal, wie sich Widerstand gegen die Windkraftanlagen formiert. Bürgerinitiativen wie die von diesem Johannes Urban schossen wie Pilze aus dem Boden. Mit schlimmen Folgen für die Region: Mit der Firma WIKAU und dem Aufstieg der Windenergie hatte in Aurich eine Art Industrialisierung eingesetzt. Das boomende Unternehmen prägte die Stadt. Nun wurde in Aurich die Rotor-Produktion eingestellt, was dramatische Auswirkungen auf die weltweiten achtzehntausend Arbeitsplätze hatte. Von denen fielen in zwei Wellen dreitausend der Flaute am Markt zum Opfer, allein dreihundert am Stammsitz in Ostfriesland – für die Stadt ein immenser Schock.

Ein Piepen seiner Herzfrequenzuhr mahnte: Sofort runter mit dem Puls.

Der Nachteil, wenn man beim Laufen ins Grübeln kam: Man wurde schneller, ohne dass man es merkte. Man konzentrierte sich nicht mehr auf das Laufen, sondern auf die Gedanken. Sofort drosselte er sein Tempo, verdrängte die...

Erscheint lt. Verlag 16.6.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-96586-208-1 / 3965862081
ISBN-13 978-3-96586-208-1 / 9783965862081
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 339 KB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Anne Freytag

eBook Download (2023)
dtv (Verlag)
14,99
Band 1: Lebe den Moment

von Elenay Christine van Lind

eBook Download (2023)
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
9,49
Ein Provinzkrimi | Endlich ist er wieder da: der Eberhofer Franz mit …

von Rita Falk

eBook Download (2023)
dtv (Verlag)
14,99