Ein Apartment auf dem Uranus (eBook)

Chroniken eines Übergangs
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2020 | 1., Deutsche Erstausgabe
320 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76554-8 (ISBN)

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Ein Apartment auf dem Uranus - Paul B. Preciado
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Es war Karl Heinrich Ulrichs, der 1864 der »Liebe, die ihren Namen nicht zu nennen wagt«, erstmals einen Namen gab: Inspiriert vom griechischen Gott Uranos, bezeichnete er gleichgeschlechtliches Begehren als Uranismus. Mit dem Begriff forderte er als einer der Ersten überhaupt öffentlich das Recht ein, anders zu lieben.

Auf Ulrichs Spuren träumt Paul Preciado von einem Apartment auf dem Uranus, einem Ort fern der irdischen Kategorisierungen und Festlegungen, einem Ort der sexuellen Dissidenz. Preciados in diesem Band versammelte Texte verdichten sich zu der Erzählung eines Übergangs: einer durch die Einnahme von Testosteron angestoßenen Transformation des eigenen Körpers und der eigenen Identität - von Beatriz zu Paul. Zugleich dokumentieren und analysieren sie die im Wandel begriffenen politischen Verhältnisse. Von den Protesten im krisengebeutelten Athen über die verzweifelte Situation der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln bis hin zur Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien begleitet Preciado Kämpfe um Würde und Autonomie.



<p>Paul B. Preciado ist Philosoph, Kurator und einer der Vordenker auf den Gebieten Gebieten Gender Studies und Philosophie des Körpers. Er machte seinen M. A. in Philosophie und Gender-Theorie an der New School for Social Research in New York, wo er bei Agnes Heller und Jacques Derrida studierte, und war Fulbright Fellow. Seinen Doktortitel erwarb er in Philosophie und Theorie der Architektur an der Princeton University. Sein erstes Buch, <em>Kontrasexuelles Manifest</em> (die amerikanische Ausgabe erschien bei Columbia University Press, die deutsche Übersetzung bei b_books), bezeichneten Kritiker in Frankreich als »das Rote Buch der Queer Theory«. Es ist zu einem Schlüsselwerk des europäischen Queer- und Trans-Aktivismus geworden. Er ist zudem der Autor von <em>Testo Junkie. Sex, Drogen und Biopolitik in der Ära der Pharmapornografie</em> (die amerikanische Ausgabe erschien bei The Feminist Press; die deutsche Übersetzung bei b_books) und <em>Pornotopia. Architektur, Sexualität und Multimedia im »Playboy«</em> (die amerikanische Ausgabe erschien bei Zone Books; die deutsche Übersetzung bei Wagenbach), für das er in Frankreich mit dem Prix Sade ausgezeichnet wurde. Er war Forschungsleiter am Museum für zeitgenössische Kunst in Barcelona (MACBA) und von 2011 bis 2014 Direktor des dortigen Independent Studies Program (PEI). An der Université Paris VIII-Saint Denis und an der New University hat er Philosophie des Körpers und Transfeministische Theorie unterrichtet. Von 2014 bis 2017 war er Kurator der Öffentlichen Programme der documenta 14 (Kassel/Athen). Er ist Autor einer alle zwei Wochen erscheinenden Kolumne in der französischen Zeitung <em>Libération</em>. Gemeinsam mit der Künstlerin Shu Lea Cheang ist er der Kurator des Taiwan-Pavillons für die Biennale Venedig 2019. Er ist assoziierter Philosoph des Centre Georges Pompidou. Sein neuestes Buch, <em>Ein Apartment auf dem Uranus</em>, erschien 2019 auf Französisch (bei Grasset) und Spanisch (bei Anagrama). Die deutsche Übersetzung erscheint 2020 im Suhrkamp Verlag. Paul B. Preciado lebt in Paris.</p>

Vorwort


Paul,

als Du mich gefragt hast, ob ich dieses Vorwort schreiben würde, waren wir in Deinem Apartment im Zentrum von Paris. Die Orte, an denen Du Dich einrichtest, sehen immer aus wie Klosterzellen. Schreibtisch, Computer, ein paar Notizhefte, das Bett mit dem Bücherstapel daneben. Bei Dir zu sein, ohne bei mir zu sein, ist immer noch seltsam – mit niemandem habe ich in meinem Leben mehr Zeit verbracht als mit Dir. Und das Gefühl des fremd gewordenen Vertrautseins bleibt mir ein Rätsel, irgendetwas zwischen Lust und Schmerz, das beides zugleich ist. Es muss Nostalgie sein.

Du hast mich gefragt, ob ich dieses Vorwort schreiben würde, und ich habe ohne nachzudenken Ja gesagt. Als Du mit den Kolumnen anfingst, lebten wir zusammen, und nach der Trennung hast Du mir weiterhin Deine Texte geschickt, damit ich Dein Französisch Korrektur lese. Wir wissen beide, dass sie das bei Libération sehr gut selbst erledigen könnten, aber es ist eine Weise, die Verbindung nicht abreißen zu lassen. Und für mich eine Weise, weiterhin in Deinen Worten zu leben, den Faden Deines Denkens nicht zu verlieren.

Ich weiß, wie Du schreibst. Du kennst keine Schreibblockaden. Ich wäre gar nicht imstande, eine solche Kolumne zu schreiben, weil ich jedes Mal eine Woche in schierer Angst verbrächte. Gerade habe ich so eine Woche hinter mir, weil es mir nicht gelingen wollte, mit dem Schreiben dieses Vorworts anzufangen. Ich dachte mir zunächst, dass es etwa 5000 Zeichen lang sein sollte, so lang wie Deine Artikel, und hatte mir auch einen Plan zurechtgelegt. Aber wie es mit Blockaden nun einmal ist: Selbst wenn man weiß, was man schreiben will, und am Schreibtisch ausharrt – es kommt nichts. Der Plan, den ich im Kopf hatte, begann in etwa so: »An dem Tag, da ich dieses Vorwort schreibe, warst Du bei der Polizei, um Anzeige zu erstatten, weil sie Dir Morddrohungen an die Tür gesprüht haben, die gleichen Drohungen und Beleidigungen, die in derselben Nacht auf die Tür des LGBT-Zentrums in Barcelona geschmiert wurden. ›Komme vom Revier‹, schreibst Du auf Whatsapp, ›mit zusammengebissenen Zähnen, mir ist kalt bis auf die Knochen, ich geh nicht gern zur Polizei.‹ Aber Du warst mehr als einmal dort, seit wir uns kennen, immer wegen Morddrohungen. Beim ersten Mal habe ich Dir gesagt, vergiss es einfach. Wenn sie Dir schreiben, wie sie Dich umbringen werden, dann, weil sie nicht die Absicht haben, es zu tun. Kurz darauf wurde in Madrid einem schwulen Aktivisten, der Morddrohungen erhalten hatte, die Kehle durchgeschnitten, als er das Haus verließ. Er überlebte bloß, weil sie ihn für tot hielten und liegen ließen. Danach hast Du zum ersten Mal Anzeige erstattet. Und den Polizisten ausführlich erzählt, was sie über queere Mikropolitiken wissen sollten. Das ist Dein Ding, den Leuten Geschichten zu erzählen, die sie sich nicht hätten träumen lassen, und sie davon zu überzeugen, dass es gut wäre, wenn sie wahr würden.

An dem Tag, da ich dieses Vorwort schreibe, hat der brasilianische Abgeordnete Jean Wyllys angekündigt, sein Land zu verlassen, weil er um sein Leben fürchtet. Der junge Bilal Hassani soll für Frankreich beim Eurovision Song Contest antreten und ist einer Flut homophober Beschimpfungen ausgesetzt.

Als Du begonnen hast, Deine Kolumnen für Libération zu schreiben, waren die Mainstream-Medien gerade dabei, mit beunruhigender Hingabe die Demonstrationen gegen die Homo-Ehe zu unterstützen. Tag für Tag rührten sie die Werbetrommel. Der Intoleranz das Wort erteilen, das Recht heterosexueller Fundamentalisten auf ihre Hassrede verteidigen – was könnte dringlicher sein? Das war das Signal, wir haben es alle gehört, mit dem ein Jahrzehnt der Toleranz zu Ende ging. Damals hast Du Dich Beto genannt und noch kein Testosteron genommen, aber man sprach von Dir im Maskulinum, wie Du es wolltest. Die Biokerle, die Cismänner, hast Du »die Behaarten« genannt und mich damit zum Lachen gebracht. Inzwischen käme auf der Straße kein Mensch mehr auf die Idee, sich mit einem »Pardon, Madame« aus der Verlegenheit zu retten, nachdem er Dich mit »Monsieur« angesprochen hat. Heute bist Du trans, und was mich am meisten verwirrt, wenn wir zusammen durch die Stadt laufen, ist nicht, dass Männer jetzt unbefangener mit Dir sprechen, sondern dass die Frauen sich nicht mehr wie früher verhalten. Sie himmeln Dich an. Vorher wussten Heterofrauen nicht so recht, was sie von diesem femininen Kerl, diesem maskulinen Mädchen halten sollten, sie fühlten sich in Deiner Gegenwart nicht wirklich wohl. Heute bewundern sie Dich. Ob sie mit dem Hund draußen sind oder Käse verkaufen oder im Restaurant bedienen – Frauen finden Gefallen an Dir und sie lassen es Dich wissen, wie Frauen das tun, indem sie Dich ungefragt mit kleinen Aufmerksamkeiten überhäufen. Du sagst, es sei seltsam, ein Mann zu werden, während man noch die Erinnerung an die Unterdrückung im Kopf hat, und außerdem würde ich übertreiben, sie würden Dich gar nicht beachten. Das bringt mich zum Lachen.

Deine Artikel bilden jetzt, da sie versammelt sind, eine geschlossene Skyline. Ich erinnere mich an jeden einzelnen Text und den Augenblick, als er veröffentlicht wurde, aber sie vom ersten bis zum letzten in einem Stück zu entdecken, ist eine Überraschung. Eine sehr gelungene Überraschung. Mehrere Geschichten entspinnen sich, im Wechsel, gegeneinander versetzt. In einer Spirale, hätte Roland Barthes gesagt, die immer wieder, aber nie auf derselben Ebene um dieselben Themen kreist. Es ist ein Buch geworden, das sich von Deinen anderen, autobiografischeren, leichter zugänglichen Büchern abhebt und zugleich an Deinen Testo Junkie erinnert, der mehrere Fäden ineinanderflicht. Du hast das Buch einen »Zopf« genannt, und ein Zopf, ein Geflecht ist auch diese Sammlung. Es gibt einen Handlungsstrang, der uns zwei betrifft – unsere Trennung und die Jahre danach. Und andere Stränge, die sich verflechten, um ein neues Muster zu bilden. Da ist die Geschichte vom Ende der westlichen Demokratien, in der die Finanzwelt entdeckt, dass sie sich sehr gut mit autoritären Regimen verträgt, ja autoritäre Regime vorzieht, weil Menschen noch besser konsumieren, wenn ihre Hände gefesselt sind. Da ist die Geschichte der Flüchtlinge, in Lager gepfercht, auf dem Meer umgekommen, ihrer Not überlassen in Städten, in denen Überfluss herrscht und die sich christlich nennen. Und ich weiß, dass Du Parallelen zwischen ihrer und Deiner Lage nicht ziehst, weil Du an der linken Pose Gefallen findest, sondern weil Du, das gegen Ende der Franco-Zeit geborene Kind und der Transmann, der Du heute bist, zu ihnen gehörst. Weil Du weißt, dass Du stets einer von ihnen sein wirst, dass die Not, wie Calaferte sagt, »nie eine Frage der Kraft ist«, dass man durch keine moralische oder mentale Kraft, durch kein Verdienst gegen sie gefeit ist. Sie kommt über Dich wie ein umgekippter Lastwagen, sie erfasst und erdrückt Dich. Und Du vergisst es nicht.

Und natürlich ist diese Sammlung auch die Geschichte Deiner Transition, Deiner Transitionen. Sie handelt nicht von einem Übergang von einem Punkt zum anderen, sondern vom Umherwandern, der Irrfahrt, dem Dazwischen als Lebensort. Von einer stetigen Transformation, ohne feste Identität und festgeschriebene Tätigkeit, ohne Adresse, ohne Land. Du nennst dieses Buch Ein Apartment auf dem Uranus, und auf der Erde hast Du keine Wohnung, nur die Schlüssel zu einer Unterkunft in Paris, wie Du zwei Jahre lang die Schlüssel zu einem Apartment in Athen hattest. Du ziehst nicht ein. Du bist nicht daran interessiert, Dich niederzulassen. Du hältst am Dauerstatus des blinden Passagiers, des undokumentierten Einwanderers fest. Du änderst Deinen Namen in Deinen Ausweispapieren, und wenn Du Dich Paul nennst, um die Grenze zu überschreiten, dann hast Du, wie Du in Libération schreibst, nicht die leiseste Absicht, die Männlichkeit als neues Geschlecht anzunehmen, nein, Du willst ein utopisches Geschlecht.

Es ist, als sei das Mögliche zum Kerker geworden und Du zum Ausbrecher. Du schreibst zwischen den vorgezeichneten Möglichkeiten, und indem Du das tust, erschließt Du ein anderes Mögliches. Du hast mir etwas Wesentliches beigebracht: keine Politik ohne Enthusiasmus. Wenn man Politik ohne Enthusiasmus macht, ist man rechts. Und er ist ansteckend, der Enthusiasmus, mit dem Du Politik machst, ohne die geringste Feindseligkeit gegen jene, die Dir den Tod wünschen, sondern nur im...

Erscheint lt. Verlag 18.5.2020
Übersetzer Stefan Lorenzer
Sprache deutsch
Original-Titel Un appartement sur Uranus
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Biennale • Derrida • Documenta • HAU • Hebbel am Ufer • J. K. Rowling • Judith Butler • Queer • Transgender • Un appartement sur Uranus deutsch • Vernon Subutex
ISBN-10 3-518-76554-X / 351876554X
ISBN-13 978-3-518-76554-8 / 9783518765548
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