Der Kunstfertige Fälscher - Maria Attanasio

Der Kunstfertige Fälscher

ausführliche Notizen über den kuriosen Fall des Paolo Ciulla aus Caltagirone

(Autor)

Buch | Softcover
218 Seiten
2020 | Deutsche Erstausgabe
Edition CONVERSO (Verlag)
978-3-9819763-7-3 (ISBN)
18,00 inkl. MwSt
„Die Welt ist eine des Betrugs, der Fälscher hält ihr nur den Spiegel vor“
Die Geschichte des größten italienischen Geldfälschers, Paolo Ciulla aus Caltagirone, auf dem Hintergrund eines Siziliens Ende des 19. Jh. der aufständischen Massen im Kampf um soziale Gerechtigkeit, die den rebellischen Künstler auch ins Paris von Picasso, Modigliani, Matisse führt, und weiter nach Südamerika; zurück in Catania, Schönheit und Gerechtigkeit als Leitstern seines Lebens, lässt er eine Flut gefälschter Geldscheine, schöner als das Original, auf die richtigen Leute niedergehen.

Scheut Irrenanstalt und Armenhaus nicht, um sich und seiner Kunst treu zu bleiben. Wirkungsvoll das System zu untergraben.

Maria Attanasio ist eine aus starkem Holz geschnitzte Sizilianerin aus Caltagirone. Hier ist sie geboren, hier lebt sie weiterhin; sie definiert sich selbst ironisch als biscrittora, Zweifachschreiberin: „die Neuerfindung einer Welt, einmal ausgebreitet in der Prosa, einmal synkopiert in der Poesie“. Das Gewebe des Gelebten, das sich in der Dichtung, reich und stark an Metaphorik, in visionären Formen manifestiert, geht in ihren Prosaschriften über sich selbst hinaus, hin zu anderen Leben, die vom Meer der Geschichte, der Geschichten, das alle Unterschiede verwischt, verdunkelt im Abseits verharren – Geschichten, deren schöpferische Anfangszündung, deren Erzählgründe im Gedächtnis ihrer Stadt zu finden sind. Caltagirone, und damit Sizilien als Ganzes, ist in der Tat kein dem reinen Zufall geschuldeter Ort der Geburt und der Arbeit, sondern gleichermaßen interpretative Chiffre eines leidenschaftlichen Engagements für Literatur und Politik. Denn die politische und die literarische Utopie sind die Strukturelemente ihres Lebens; das stets seine organische Verwurzelung in der großen und vielfältigen sizilianischen Tradition, der vergangenen wie der heute noch lebendigen, beibehält: von Verga zu Piccolo und Sciascia, von De Roberto bis Cattafi und Addamo, von Borgese zu Ripellini und Consolo. Von der Literaturkritik wird Maria Attanasio hochgeschätzt. Ihre Dichtung, Prosa und Essays sind in bedeutenden Fachzeitschriften und Anthologien internationalen Rangs erschienen und in mehrere Sprachen übersetzt. Für ihre Gedichtsammlung Blu della cancellazione (2016 La Vita Felice) erhielt sie den Premio Brancati-Zafferana und den Premio internazionale Gradiva New York; die hier Übersetzende hat sie durch ihre Dichtung Eros e mente , Vorwort Milo De Angelis entdeckt und sich in sie verliebt. Attanasios historische Erzählung Correva l’anno 1698 e nella città avvenne il fatto memorabile (Sellerio 1993) wird 2021 in der Reihe Alltagshelden der Edition Converso erscheinen. Für "Der kunstfertige Fälscher aus Caltagirone" - Falsario di Caltagirone (notizie e ragguagli sul curioso caso di Paolo Ciulla), Sellerio 2007, erhielt sie den Super-Premio Elio Vittorini; Der biografische Roman La ragazza di Marsiglia (Sellerio 2018) ist Rosalia Montmasson gewidmet, der einzigen Frau in Giuseppe Garibaldis Zug der Tausend nach Sizilien; sie verliebte sich in den Risorgimento-Helden Francesco Crispi, der dann ins Lager der Monarchisten überlief und sie als lästige Affäre abtat. Dieses Werk wurde mit zahlreichen Preisen, darunter der Premio Alessandro Manzoni per il romanzo storico ausgezeichnet

Judith Krieg, Jahrgang 1977, bastelte schon als Kind gern kleine Text-Anthologien für ihre Freunde, als Jugendliche wanderte sie mit ihrer Familie nach Mailand aus. Beides, die Bücher und Italien, zogen sich weiter als roter Faden durch ihr Leben. Nach ihrem Studium der Germanistik, Romanistik und Publizistik arbeitete sie fast 10 Jahre bei Reclam und Cornelsen, bis sie sie den Sprung in die Selbstständigkeit als Herausgeberin, Literaturübersetzerin und Lektorin unternahm. Für Reclam betreute Judith Krieg zahlreiche Titel der Roten Reihe, u. a. eine Anthologie mit italienischen Erzählungen des 20. Jahrhunderts. Sie übersetzte Autor*innen wie Edoardo Nesi, Simona Baldanzi oder Alessandro Leogrande und arbeitete für die Berliner Buchhandlung Dante Connection. Im Büchermeer taucht sie beständig nach Perlen und schwimmt dabei zwischen den Sprachen hin und her. Mit Leidenschaft versucht sie, Leser*innen für lesenswerte Texte zu finden. Außerdem tummelt sie sich im deutsch-italienischen Leben Berlins und aktuell auch auf Spielplätzen.

Attanasio reiht sich hier mit poetischer, weiblicher Stimme sein in die sizilianische Schule eines Leonardo Sciascia, Andrea Camilleri, nach der die besten Historiker die Geschichtenerzähler sind. Bewegte, dramatische Lehrjahre als Künstler, Mensch, Emigrant, Verrückt erklärter in Paris und Argentinien.

Am Anfang (2003) stand die Aufforderung, eine Art „Requiem“ auf den Tod der Lira zu schreiben. „Da ich nicht wusste, was schreiben, machte ich mir eine ganze Weile Gedanken, wie eine passende Absage formulieren, als mit einem Mal allerlei Erinnerungen an aufgeschnappte Sätze aus Kindertagen in mir zu rumoren begannen, zusammen mit der vertrauten Beschwörung des legendären Paolo Ciulla, Chiddu ri sordi farsi, »der da mit dem Falschgeld«:

Metapher für die wundersame Erlösung aus wirtschaftlichen Notlagen – die in den Jahren des Wiederaufbaus zahlreich und schwerwiegend waren –, doch zuweilen auch Maßstab für einen rundum perfekten Betrug, eine makellose Täuschung.“

„ Ein segensreicher Regen anonymer 500-Lire-Scheine drang zwischen 1920-22 in die Behausungen vieler bedürftiger Familien in Catania und Umgebung ein; sehr viele mehr legten sich auf die Sitze von Straßenbahnen, Pferdekutschen, Zügen und Dampfschiffen auf ihrer Fahrt in die neue und die alte Welt. Niemand argwöhnte je, dass es sich dabei um Falschgeld handelte“.

In der Tat bekundeten die Fachleute späterhin, auch beim Prozess gegen Paolo Ciulla vor dem Hohen Gericht in Catania, dass es sich bei jedem einzelnen Geldschein um ein wahres Meisterwerk handelte, viel schöner als jene, die aus der Notenpresse stammten und die er fast gänzlich erblindet schuf.

Die Schönheit als oberste Vermittlerin von Wahrheit, aber auch die zur Zerrissenheit führende der Männer, kennzeichnet in lebhaften Farben das Leben von Paolo Ciulla – diesem unbequemen Helden, der wirksam das System untergräbt, nun endlich aus der Geschichtsvergessenheit geholt wird.

Die Schönheit einer wohltätigen und aufrührerischen Geste à la Robin Hood aus der Ära der Banken (erläutert auch der große Bankenskandal der Banca Romana, 1890er Jahre), mit der der Mann mit den goldenen Händen der geordneten und perfiden Welt einen gelungenen Streich spielt.

Welches Geheimnis verbirgt sich hinter diesem hochtalentierten Maler, stets auf der Suche nach neuen künstlerischen und existenziellen Herausforderungen? Maria Attanasio hat dazu in Bibliotheken und Gerichtsarchiven in Catania und Caltagirone – ihr und Paolo Ciullas Geburtsort – gestöbert und seine Lebensgeschichte aufgezeichnet, die dokumentarischen Leerstellen mit poetischer Wucht gefüllt, wie nur die Wahrhaftigkeit der Literatur eine Figur lebendig zu machen versteht. Sohn eines geschäftstüchtigen Ledermachers und einer dem schönen Kunsthandwerk verschriebenen Mutter, wird Paolo zu einem rebellischen Burschen, der sich über alle Standesregeln hinwegsetzt, Kunst studiert (von der Stadt gefördert), bald aber seine eigentliche Vokation, die Politik entdeckt: Fasci siciliani, der sozialistischen Arbeiter- und Bauernbewegung in Sizilien, ihr redegewandter Anführer, Pionier der Fotografie, Vorreiter der Avantgarde, Montmartre mit Picasso, Modigliani et al., Buenos Aires. Der alles hinwirft, sobald sich strahlender Ruhm und Anerkennung am Horizont abzeichnet, um einer flüchtigen Begeisterung, eines Akts der Liebe willen. Auf der Flucht – letztlich vor sich selbst, lebt er generös seine Homosexualität aus und sucht sie zugleich zu verbergen. Aus reinem Herzen in Opposition gegen die Welt, verlangt er Genugtuung. Unzeitgemäßer geht’s kaum. Eine Handlungsanweisung. Eine Folie, die sich sehr gut auf heutige Gelddruckzeiten legen lässt.

Erscheinungsdatum
Reihe/Serie Alltagshelden ; 02
Übersetzer Michaela Wunderle, Judith Krieg
Verlagsort Bad Herrenalb
Sprache deutsch
Original-Titel Il falsario di Caltagirone
Maße 125 x 218 mm
Gewicht 215 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Caltagirone • Catania • Fasci siciliani, revolutionäre Phasen im repressiv • Fasci siciliani, revolutionäre Phasen im repressiv • Fasci siciliani, revolutionäre Phasen im repressiven ital. Königreich, Basisdemokratie, auch Anarchie, Ende 19. Jh. • Geldfälscher • Größter Geldfälscher Italiens • Größter Geldfälscher Italiens • Historischer Roman • Italien 19. Jahrhundert • Italien Anfang 20. Jahrhundert • italienische Arbeiterbünde • Italienische Geschichte • moderner Robin Hood • Reihe Alltagshelden 02 • sizilianische Geschichte • Sizilianische Literatur • Sizilien
ISBN-10 3-9819763-7-1 / 3981976371
ISBN-13 978-3-9819763-7-3 / 9783981976373
Zustand Neuware
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